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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Mittel zur Abhilfe, die ich vorzuschlagen hätte, sind einfach und nicht
neu. Da scheint mir vor allen Dingen die Lotnlisirung der Prostitution in
bestimmte Häuser geboten, die unter entsprechender Abänderung des § 180
(sowie 361°) des Strafgesetzbuches zu erfolgen Hütte. Das ist freilich eine
Maßregel, viel gepriesen schon und viel geschmäht, und wenn es jetzt gilt, einen
entschlossenen Schritt vorwärts zu thun, werden wohl die Geister ganz beson¬
ders aufeinanderplatzen. Aber wolle man sich endlich doch einmal bei dieser
Frage entschließen, sino irs, et stuäiv den Dingen so ins Angesicht zu sehen,
wie sie in Wahrheit liegen, und dabei immer nur recht logisch zu Werke gehen,
wolle man doch endlich einmal alle die Gründe aus dem Spiele lassen, die
nicht sowohl gegen die Bordelle als vielmehr gegen die Prostitution gemünzt
sind, wolle man doch endlich einmal alles, was Phrase ist, in diesem Streit
entschlossen zurückweise". Wenn ich sehe, wie es heutzutage in den großen
Städten hergeht -- und wer könnte das übersehen! ---, wenn ich sehe, wie nachts
die Schar der Dirnen mit ihrem ganzen Gesinde! von Anhang ausfliegt und
sich von den Gassen und Gnßchen aus bis in die vornehmsten Stadtteile ver¬
breitet, dort schreiend und lärmend ihr Wesen treibt, hier lautlos streicht, aber
überall zu finden ist und niemand unbehelligt läßt, wenn ich dann frage: wie
kann die Polizei das nur dulden, warum sperrt man nicht das ganze Volk
in besondre Häuser ein, wo sie aufsuchen mag, wer sie nicht entbehren
kann -- dann komme man mir nicht mit der Antwort: das wäre des Staates
und seiner "ethischen Idee" nicht würdig! Auch das Mitleid, das jenen von der
Gesellschaft verachteten und benutzten, gesuchten und verstoßenen mißhandelten
Geschöpfen mahrlich gebührt, kann hier nicht mitsprechen. Was ihre Lage so un¬
würdig und elend macht, ist die Prostitution, nicht das Bordell. Das einzige,
was überhaupt fraglich erscheint, ist das, ob es möglich sein wird, neben den
Bordellen die freie Prostitution zu unterdrücken, und was diese Frage anlangt,
so glaube ich allerdings, daß sie sich, mit Entschlossenheit und aller zu Gebote
stehenden Energie angefaßt, im wesentlichen wird lösen lassen. Zwar zweifle
ich nicht, daß sich auch außerhalb des Bordells Männlein und Weiblein noch stets
zu finden wissen werden. Darum handelt sichs aber nicht, es kommt hier auf
die Unterdrückung der Gewerbsuuzucht an, und diese lebt unter dem Dilemma,
daß sie zwar den Schutzmann fliehen muß, von allen andern Männern aber
gefunden werden möchte. Und sollten da die Polizeibeamten, namentlich in
den Großstädten, auf die es hauptsächlich ankommt, nicht können, was andre
können? Ist denn die vielverbreitete Meinung nur so von ungefähr, daß man
die besten und heimlichsten Adressen auf dem Polizeipräsidium würde erfahren
können? Man stelle nur die Polizei auf deu festen Boden des Rechts. Wenn
wir erst öffentliche Häuser allgemein zugelassen haben und die Männerwelt
auf sie verweisen können, dann wird sich die Polizei an die Aufgabe machen
können, ohne Unterschied und ohne Ansehen der Person die freie Prostitution


Die Mittel zur Abhilfe, die ich vorzuschlagen hätte, sind einfach und nicht
neu. Da scheint mir vor allen Dingen die Lotnlisirung der Prostitution in
bestimmte Häuser geboten, die unter entsprechender Abänderung des § 180
(sowie 361°) des Strafgesetzbuches zu erfolgen Hütte. Das ist freilich eine
Maßregel, viel gepriesen schon und viel geschmäht, und wenn es jetzt gilt, einen
entschlossenen Schritt vorwärts zu thun, werden wohl die Geister ganz beson¬
ders aufeinanderplatzen. Aber wolle man sich endlich doch einmal bei dieser
Frage entschließen, sino irs, et stuäiv den Dingen so ins Angesicht zu sehen,
wie sie in Wahrheit liegen, und dabei immer nur recht logisch zu Werke gehen,
wolle man doch endlich einmal alle die Gründe aus dem Spiele lassen, die
nicht sowohl gegen die Bordelle als vielmehr gegen die Prostitution gemünzt
sind, wolle man doch endlich einmal alles, was Phrase ist, in diesem Streit
entschlossen zurückweise«. Wenn ich sehe, wie es heutzutage in den großen
Städten hergeht — und wer könnte das übersehen! —-, wenn ich sehe, wie nachts
die Schar der Dirnen mit ihrem ganzen Gesinde! von Anhang ausfliegt und
sich von den Gassen und Gnßchen aus bis in die vornehmsten Stadtteile ver¬
breitet, dort schreiend und lärmend ihr Wesen treibt, hier lautlos streicht, aber
überall zu finden ist und niemand unbehelligt läßt, wenn ich dann frage: wie
kann die Polizei das nur dulden, warum sperrt man nicht das ganze Volk
in besondre Häuser ein, wo sie aufsuchen mag, wer sie nicht entbehren
kann — dann komme man mir nicht mit der Antwort: das wäre des Staates
und seiner „ethischen Idee" nicht würdig! Auch das Mitleid, das jenen von der
Gesellschaft verachteten und benutzten, gesuchten und verstoßenen mißhandelten
Geschöpfen mahrlich gebührt, kann hier nicht mitsprechen. Was ihre Lage so un¬
würdig und elend macht, ist die Prostitution, nicht das Bordell. Das einzige,
was überhaupt fraglich erscheint, ist das, ob es möglich sein wird, neben den
Bordellen die freie Prostitution zu unterdrücken, und was diese Frage anlangt,
so glaube ich allerdings, daß sie sich, mit Entschlossenheit und aller zu Gebote
stehenden Energie angefaßt, im wesentlichen wird lösen lassen. Zwar zweifle
ich nicht, daß sich auch außerhalb des Bordells Männlein und Weiblein noch stets
zu finden wissen werden. Darum handelt sichs aber nicht, es kommt hier auf
die Unterdrückung der Gewerbsuuzucht an, und diese lebt unter dem Dilemma,
daß sie zwar den Schutzmann fliehen muß, von allen andern Männern aber
gefunden werden möchte. Und sollten da die Polizeibeamten, namentlich in
den Großstädten, auf die es hauptsächlich ankommt, nicht können, was andre
können? Ist denn die vielverbreitete Meinung nur so von ungefähr, daß man
die besten und heimlichsten Adressen auf dem Polizeipräsidium würde erfahren
können? Man stelle nur die Polizei auf deu festen Boden des Rechts. Wenn
wir erst öffentliche Häuser allgemein zugelassen haben und die Männerwelt
auf sie verweisen können, dann wird sich die Polizei an die Aufgabe machen
können, ohne Unterschied und ohne Ansehen der Person die freie Prostitution


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/175>, abgerufen am 23.07.2024.