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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Arbeitseinstellungen und Linignngsämter

im vergangnen Jahre ein Aufstand (Lohnstreit) von weit über 2000 Feilen-
hanern in den Kreisen Remscheid und Lennep zur Auflösung der Vergleichs¬
kammer, die gebildet worden war, um Streitigkeiten zwischen den zu je einem
Verein zusammengeschlossenen Fabrikanten und Arbeitern zu schlichten. Auch
die Tarifgemeinschaft im Vuchdruckgewerbe wird kaum fortbestehen, möge der
Kampf ausgehen, wie er will. Bessere Erfahrungen hat man mit dem nach
Art des Kettleschen Systems gebildeten Einigungsamte des Berliner Stock-
(Drechsler-)Gewerbes gemacht; den Bemühungen des unparteiischen Dritten
dieses Einigungsamtes ist es gelungen, daß selbst ernstere Streitfälle in befrie¬
digender Weise geschlichtet wurden.

Die Gesetzgebung ist in Deutschland der Frage der Errichtung von
Einignngsämtern dadurch nahe getreten, daß das Gesetz über die Gewerbegerichte
vom 29. Juli 1890 auch eine Thätigkeit der Gewerbegerichte als Einigungs¬
ämter vorgesehen und geregelt hat. Darnach soll das Gewerbegericht, das in
diesem Falle neben dem Vorsitzenden mindestens aus zwei Vertretern der Arbeit¬
geber und der Arbeiter bestehen muß,'") dann als Einigungsamt thätig sein,
wenn es von beiden Teilen um Vermittlung angerufen wird; eine Durch¬
führung des Schiedsspruches durch Zwang findet jedoch nicht statt. Das
Verfahren vor dem Einigungsamte ist folgendes. Zunächst ist ein Einigmigs-
versuch zwischen den streitenden Parteien zu machen. Hat dieser Erfolg,
so ist der Inhalt der Vereinbarung dnrch eine von sämtlichen Mitgliedern des
Einigungsamtes und von den Vertretern beider Teile zu unterzeichnende Be¬
kanntmachung zu veröffentlichen. Kommt keine Einigung zu stände, so hat
das Einigungsamt einen Schiedsspruch über die streitigen Fragen abzugeben.
Doch kann sich der Vorsitzende in dem Falle, daß sich die Stimmen sämtlicher
von den Arbeitgebern abgevrdneten Beisitzer und Vertrauensmänner den Stimmen
sämtlicher von den Arbeitern gewählten bei der Beschlußfassung über den
Schiedsspruch gegenüberstehen, seiner Stimme enthalten und feststellen, daß
ein Schiedsspruch nicht zu stände gekommen ist. Der Schiedsspruch ist sowohl
mit den Erklärungen der Parteien durch eine von sämtlichen Mitgliedern des
Einigungsamtes unterzeichnete Bekanntmachung zu veröffentlichen, als auch
den Vertretern beider Teile mit der Aufforderung zu eröffnen, sich binnen
einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie sich ihm unterwerfen wollen. Ist
weder eine Vereinbarung noch ein Schiedsspruch zu stände gekommen, so hat
der Vorsitzende das öffentlich bekannt zu machen.

Zu diesen Bestimmungen bemerken die Motive zum Gesetz:
Daß eine auf diese Weise herbeigeführte und öffentlich kundgegebene Verein¬
barung von allen Beteiligten für die Bedingungen des weiteren Arbeitsverhnltnisses



*) Das Einigungsamt kann sich durch Vertrauensmänner der Arbeitgeber und der
Arbeiter in gleicher Zahl ergänzen; es muß das geschehen, wenn es von Vertretern beider
Teile unter Bezeichnung der zuzuziehende" Vcrtrcuieusmäuuer beantragt wird.
Arbeitseinstellungen und Linignngsämter

im vergangnen Jahre ein Aufstand (Lohnstreit) von weit über 2000 Feilen-
hanern in den Kreisen Remscheid und Lennep zur Auflösung der Vergleichs¬
kammer, die gebildet worden war, um Streitigkeiten zwischen den zu je einem
Verein zusammengeschlossenen Fabrikanten und Arbeitern zu schlichten. Auch
die Tarifgemeinschaft im Vuchdruckgewerbe wird kaum fortbestehen, möge der
Kampf ausgehen, wie er will. Bessere Erfahrungen hat man mit dem nach
Art des Kettleschen Systems gebildeten Einigungsamte des Berliner Stock-
(Drechsler-)Gewerbes gemacht; den Bemühungen des unparteiischen Dritten
dieses Einigungsamtes ist es gelungen, daß selbst ernstere Streitfälle in befrie¬
digender Weise geschlichtet wurden.

Die Gesetzgebung ist in Deutschland der Frage der Errichtung von
Einignngsämtern dadurch nahe getreten, daß das Gesetz über die Gewerbegerichte
vom 29. Juli 1890 auch eine Thätigkeit der Gewerbegerichte als Einigungs¬
ämter vorgesehen und geregelt hat. Darnach soll das Gewerbegericht, das in
diesem Falle neben dem Vorsitzenden mindestens aus zwei Vertretern der Arbeit¬
geber und der Arbeiter bestehen muß,'") dann als Einigungsamt thätig sein,
wenn es von beiden Teilen um Vermittlung angerufen wird; eine Durch¬
führung des Schiedsspruches durch Zwang findet jedoch nicht statt. Das
Verfahren vor dem Einigungsamte ist folgendes. Zunächst ist ein Einigmigs-
versuch zwischen den streitenden Parteien zu machen. Hat dieser Erfolg,
so ist der Inhalt der Vereinbarung dnrch eine von sämtlichen Mitgliedern des
Einigungsamtes und von den Vertretern beider Teile zu unterzeichnende Be¬
kanntmachung zu veröffentlichen. Kommt keine Einigung zu stände, so hat
das Einigungsamt einen Schiedsspruch über die streitigen Fragen abzugeben.
Doch kann sich der Vorsitzende in dem Falle, daß sich die Stimmen sämtlicher
von den Arbeitgebern abgevrdneten Beisitzer und Vertrauensmänner den Stimmen
sämtlicher von den Arbeitern gewählten bei der Beschlußfassung über den
Schiedsspruch gegenüberstehen, seiner Stimme enthalten und feststellen, daß
ein Schiedsspruch nicht zu stände gekommen ist. Der Schiedsspruch ist sowohl
mit den Erklärungen der Parteien durch eine von sämtlichen Mitgliedern des
Einigungsamtes unterzeichnete Bekanntmachung zu veröffentlichen, als auch
den Vertretern beider Teile mit der Aufforderung zu eröffnen, sich binnen
einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie sich ihm unterwerfen wollen. Ist
weder eine Vereinbarung noch ein Schiedsspruch zu stände gekommen, so hat
der Vorsitzende das öffentlich bekannt zu machen.

Zu diesen Bestimmungen bemerken die Motive zum Gesetz:
Daß eine auf diese Weise herbeigeführte und öffentlich kundgegebene Verein¬
barung von allen Beteiligten für die Bedingungen des weiteren Arbeitsverhnltnisses



*) Das Einigungsamt kann sich durch Vertrauensmänner der Arbeitgeber und der
Arbeiter in gleicher Zahl ergänzen; es muß das geschehen, wenn es von Vertretern beider
Teile unter Bezeichnung der zuzuziehende» Vcrtrcuieusmäuuer beantragt wird.
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[0164] Arbeitseinstellungen und Linignngsämter im vergangnen Jahre ein Aufstand (Lohnstreit) von weit über 2000 Feilen- hanern in den Kreisen Remscheid und Lennep zur Auflösung der Vergleichs¬ kammer, die gebildet worden war, um Streitigkeiten zwischen den zu je einem Verein zusammengeschlossenen Fabrikanten und Arbeitern zu schlichten. Auch die Tarifgemeinschaft im Vuchdruckgewerbe wird kaum fortbestehen, möge der Kampf ausgehen, wie er will. Bessere Erfahrungen hat man mit dem nach Art des Kettleschen Systems gebildeten Einigungsamte des Berliner Stock- (Drechsler-)Gewerbes gemacht; den Bemühungen des unparteiischen Dritten dieses Einigungsamtes ist es gelungen, daß selbst ernstere Streitfälle in befrie¬ digender Weise geschlichtet wurden. Die Gesetzgebung ist in Deutschland der Frage der Errichtung von Einignngsämtern dadurch nahe getreten, daß das Gesetz über die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 auch eine Thätigkeit der Gewerbegerichte als Einigungs¬ ämter vorgesehen und geregelt hat. Darnach soll das Gewerbegericht, das in diesem Falle neben dem Vorsitzenden mindestens aus zwei Vertretern der Arbeit¬ geber und der Arbeiter bestehen muß,'") dann als Einigungsamt thätig sein, wenn es von beiden Teilen um Vermittlung angerufen wird; eine Durch¬ führung des Schiedsspruches durch Zwang findet jedoch nicht statt. Das Verfahren vor dem Einigungsamte ist folgendes. Zunächst ist ein Einigmigs- versuch zwischen den streitenden Parteien zu machen. Hat dieser Erfolg, so ist der Inhalt der Vereinbarung dnrch eine von sämtlichen Mitgliedern des Einigungsamtes und von den Vertretern beider Teile zu unterzeichnende Be¬ kanntmachung zu veröffentlichen. Kommt keine Einigung zu stände, so hat das Einigungsamt einen Schiedsspruch über die streitigen Fragen abzugeben. Doch kann sich der Vorsitzende in dem Falle, daß sich die Stimmen sämtlicher von den Arbeitgebern abgevrdneten Beisitzer und Vertrauensmänner den Stimmen sämtlicher von den Arbeitern gewählten bei der Beschlußfassung über den Schiedsspruch gegenüberstehen, seiner Stimme enthalten und feststellen, daß ein Schiedsspruch nicht zu stände gekommen ist. Der Schiedsspruch ist sowohl mit den Erklärungen der Parteien durch eine von sämtlichen Mitgliedern des Einigungsamtes unterzeichnete Bekanntmachung zu veröffentlichen, als auch den Vertretern beider Teile mit der Aufforderung zu eröffnen, sich binnen einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie sich ihm unterwerfen wollen. Ist weder eine Vereinbarung noch ein Schiedsspruch zu stände gekommen, so hat der Vorsitzende das öffentlich bekannt zu machen. Zu diesen Bestimmungen bemerken die Motive zum Gesetz: Daß eine auf diese Weise herbeigeführte und öffentlich kundgegebene Verein¬ barung von allen Beteiligten für die Bedingungen des weiteren Arbeitsverhnltnisses *) Das Einigungsamt kann sich durch Vertrauensmänner der Arbeitgeber und der Arbeiter in gleicher Zahl ergänzen; es muß das geschehen, wenn es von Vertretern beider Teile unter Bezeichnung der zuzuziehende» Vcrtrcuieusmäuuer beantragt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/164>, abgerufen am 23.07.2024.