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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Ellgen Richters sozialdeinoklarische Zukunftsbilder

liebt es überhaupt, sich deutlich auszudrücken; so finden wir z. B. häufig
sozialisirte, (d. h. vergesellschaftete) Gesellschaft, S. 40: Brodgetreide und S. 35
gar: die Herren vom stärkeren Geschlecht, S. 17 heißt es: die Ellenbogen
behinderten gegenseitig, S, 21: ist erst die Jugend herangebildet und hat sich
von Ehrgeiz durchdrungen lassen, S. 30: in ganz andrer Weise wie es leider
der Fall ist, statt als, S. 36: man hört über Fadheit der Speisen klagen,
was Ekel erzeugt (mit dem was ist nicht das Klagen, sondern die Fadheit
gemeint). Schief ausgedrückt ist S. 22: "Fleiß und Eifer gilt für Dummheit
und Bornirtheit. Wozu auch?" Das Sprachgefühl ergänzt hier: wozu sollten
auch diese Eigenschaften für dumm gelten? während der Zusammenhang verlangt:
wozu auch fleißig und eifrig sein? Die Negation ist häufig falsch gestellt
oder mindestens verschoben; z. B. S. 18 heißt es: aber freilich, jeder ist
nicht so verständig wie ich, S. 17: leider kann ich mit meiner Frau, wie ich
dies seit 25 Jahren gewohnt war, nicht mehr zusammen essen (als ob er das
Nichtzusammenessen gewohnt gewesen wäre!). Abscheulich sind Bildungen wie
Trupps (warum nicht Gruppen?), Eingesandts (S. 25, 29), und schlecht
hören sich die überflüssigen e in Entwickelung. Abwechselung, Ermangelung,
Übersiedelung an. Aber Richter als "Mitgliede des Reichstages" ist dieses
e derer. Falsch sind Bildungen wie S. 37: ihr durch keine Willens¬
energie abänderliches Dasein, S. 36: es wird jeden Monat eine Milliarde
nntergezchrt (d. h. mehr konsumirt als produzirt), S. 39 Verwohlfeilerung.
Der Stil ist überhaupt der des Reporters, und zwar des Reporters der fortschritt¬
lichen Zeitungen. Mögen sich Richter und Nickert auf politischem Gebiete
häufig befehden, in der "sinngemäßer und cinsgiebigen" Verwendung des
Reporterstils sind die Vossische und die Freisinnige Zeitung "selten einig."
Daher in unserm Büchlein die häufige Wiederkehr von Ausdrücken wie: schneidig,
voll und ganz, energisch, großartig, zielbewußt, gesinnungstüchtig, sinngemäß,
gutgesinnt, folgerichtig; besouders gelungen sind: ebenso scharfsinnig wie klug
(S- 25), ebenso schön als treffend (S. 41), ebenso gründlich wie scharfsinnig,
ebenso energisch wie zielbewußt. Hierher gehört die häufige Anwendung von:
nun einmal, von vornherein, von feiten, seitens, ihrerseits (die keusche Tilgend
Annas erfährt Nachstellungen seitens eines der Betriebsleiter S. 28; die
Freude des Wiedersehens hatte sich die Mutter von Seiten Annies (eines
kleinen Kindes!) stürmischer gedacht S. 23); Ausdrücke wie: Tragweite, Platz
greifen, ersterer und letzterer (S. 32: der Vielheit der Programme entspricht
nicht die Lebhaftigkeit der Wahlbewegung. Letztere war früher viel stärker),
alles und jedes, beziehungsweise, relativ, derjenige vor folgendem Genetiv,
die Wendung: wie er, wie sie, wie es statt des Relativs der, die, das
z. B. S. 38: Bestimmungen, wie sie sür Sträflingsschnlen nicht schärfer sein
könne"; die negativen Umschreibungen statt des Positivs: nicht unerheblich,
nicht ohne Wehmut, nicht unbedeutend. Eine geschwollene Schreibweise be-


Ellgen Richters sozialdeinoklarische Zukunftsbilder

liebt es überhaupt, sich deutlich auszudrücken; so finden wir z. B. häufig
sozialisirte, (d. h. vergesellschaftete) Gesellschaft, S. 40: Brodgetreide und S. 35
gar: die Herren vom stärkeren Geschlecht, S. 17 heißt es: die Ellenbogen
behinderten gegenseitig, S, 21: ist erst die Jugend herangebildet und hat sich
von Ehrgeiz durchdrungen lassen, S. 30: in ganz andrer Weise wie es leider
der Fall ist, statt als, S. 36: man hört über Fadheit der Speisen klagen,
was Ekel erzeugt (mit dem was ist nicht das Klagen, sondern die Fadheit
gemeint). Schief ausgedrückt ist S. 22: „Fleiß und Eifer gilt für Dummheit
und Bornirtheit. Wozu auch?" Das Sprachgefühl ergänzt hier: wozu sollten
auch diese Eigenschaften für dumm gelten? während der Zusammenhang verlangt:
wozu auch fleißig und eifrig sein? Die Negation ist häufig falsch gestellt
oder mindestens verschoben; z. B. S. 18 heißt es: aber freilich, jeder ist
nicht so verständig wie ich, S. 17: leider kann ich mit meiner Frau, wie ich
dies seit 25 Jahren gewohnt war, nicht mehr zusammen essen (als ob er das
Nichtzusammenessen gewohnt gewesen wäre!). Abscheulich sind Bildungen wie
Trupps (warum nicht Gruppen?), Eingesandts (S. 25, 29), und schlecht
hören sich die überflüssigen e in Entwickelung. Abwechselung, Ermangelung,
Übersiedelung an. Aber Richter als „Mitgliede des Reichstages" ist dieses
e derer. Falsch sind Bildungen wie S. 37: ihr durch keine Willens¬
energie abänderliches Dasein, S. 36: es wird jeden Monat eine Milliarde
nntergezchrt (d. h. mehr konsumirt als produzirt), S. 39 Verwohlfeilerung.
Der Stil ist überhaupt der des Reporters, und zwar des Reporters der fortschritt¬
lichen Zeitungen. Mögen sich Richter und Nickert auf politischem Gebiete
häufig befehden, in der „sinngemäßer und cinsgiebigen" Verwendung des
Reporterstils sind die Vossische und die Freisinnige Zeitung „selten einig."
Daher in unserm Büchlein die häufige Wiederkehr von Ausdrücken wie: schneidig,
voll und ganz, energisch, großartig, zielbewußt, gesinnungstüchtig, sinngemäß,
gutgesinnt, folgerichtig; besouders gelungen sind: ebenso scharfsinnig wie klug
(S- 25), ebenso schön als treffend (S. 41), ebenso gründlich wie scharfsinnig,
ebenso energisch wie zielbewußt. Hierher gehört die häufige Anwendung von:
nun einmal, von vornherein, von feiten, seitens, ihrerseits (die keusche Tilgend
Annas erfährt Nachstellungen seitens eines der Betriebsleiter S. 28; die
Freude des Wiedersehens hatte sich die Mutter von Seiten Annies (eines
kleinen Kindes!) stürmischer gedacht S. 23); Ausdrücke wie: Tragweite, Platz
greifen, ersterer und letzterer (S. 32: der Vielheit der Programme entspricht
nicht die Lebhaftigkeit der Wahlbewegung. Letztere war früher viel stärker),
alles und jedes, beziehungsweise, relativ, derjenige vor folgendem Genetiv,
die Wendung: wie er, wie sie, wie es statt des Relativs der, die, das
z. B. S. 38: Bestimmungen, wie sie sür Sträflingsschnlen nicht schärfer sein
könne»; die negativen Umschreibungen statt des Positivs: nicht unerheblich,
nicht ohne Wehmut, nicht unbedeutend. Eine geschwollene Schreibweise be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/146>, abgerufen am 23.07.2024.