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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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die unsterblichen Beinamen "Jrrlehreumanu" und "Sozialistentöter" hinzu¬
gekommen sind. Insbesondre die "Zukunftsbilder" haben es den Leuten an¬
gethan. Seitdem ihn konservative Reichsbvten dazu beglückwünscht haben,
gelten sie sozusagen als hoffähig, sind sie von Zeitungen aller Schattirungen,
bis zur konservativen, als wirksamster Bundesgenosse gegen den gemeinsamen
Feind begrüßt, rühmend besprochen, in langen Auszügen wiedergegeben worden;
vorbei war der lange, verderbliche Streit, und es schien endlich eine Grund¬
lage gefunden zu ersprießlichem Wirken mit dem "ebenso schneidigen wie ener¬
gischen" Beherrscher des Freisinns, der überdies noch soeben die schönsten und
früher nie an ihm bemerkten Regungen eines tiefangelegten Gemüts ge¬
zeigt hatte!

Sehen wir uns das Büchlein einmal etwas näher an. In grünem Um¬
schlag, auf schlechtem Papier, mit schlechtem Druck (ganz nach der Weise des
A B C-Vuchs für freisinnige Wühler) giebt es auf 48 Seiten in 35 Kapiteln
für 50 Pfennige, die jedoch bei Abnahme von 3000 Exemplaren auf 8 Pfennige
herabsinken, die in Aufzeichnungen des Familien Haupts niedergelegte Geschichte
des kurzsichtigen Buchbindermeisters Schmidt, seiner schwerhöriger Gattin
Pcinla, ihrer Kinder Franz, Ernst und Annie und der Verlobten des Franz,
Anna. Über die Geschichte selbst ist wohl kein Wort zu verlieren, da sie ja
ihren Siegeslauf durch ganz Deutschland gehalten hat und im Palast wie in
der Hütte bekannt ist. Den Mängeln der Ausstattung des Blichleins ent¬
spricht die Nachlässigkeit der Bearbeitung und des Drucks. Wahrlich, wenn
man nach der Masse der ärgerlichen Druckfehler und nach der mangelhaften Inter¬
punktion urteilen wollte, könnte man glauben, die traurigen Zustände der So¬
zialdemokratie, die Richter geißelt, herrschten schon jetzt in Berlin, und Franzens
Schilderung (S. 22) treffe auf die Freisinnige Zeitung zu, wenn er sagt:
"Je später der Abend, desto mehr Fäßchen Vier sind während der Arbeit
schon vertrunken, und desto zahlreicher werden die Druckfehler." Schlimmer noch
ist es, daß hier und da die verbessernde Hand des nachdenkenden Korrektors
vermißt wird. Trainiren heißt es S. 17, und S. 16 fehlt in den Worten
"und deshalb können von Amtswegen besondre Wohnungen für Eheleute verlost
werden" offenbar die Negation. S. 33 muß "Vormittag" in "vormittags"
oder "am Vormittag" umgeändert werden, S. 9 "entlegendsten" in "ent¬
legensten." Die Fremdwörter sind bald so, bald so geschrieben: Cupou und
Kupon, Certifikate und Zertifikate (S. 2 Goldeertifikate statt Geldzertifikate),
Kontrole und kontrolliren, Kontroleur und Kontrollversammlung, akurat
(Druckfehler?), Konnte und Komitee. stilistische Mängel sind z. B. in die
Irre gehn (S. 21) -- einen abwehren, etwas zu thun (S. 19) -- in Folge
Räumung (statt: der Räumung) (S. 43) -- im Zeughause und der an¬
schließenden Kaserne (S. 4) -- Neichshaltsetat (S. 10) statt Neichshaushalt
oder, wie es im A B C-Buch so schön heißt: Reichshaushaltsetat. Richter


Grenzboten I 1892 18

die unsterblichen Beinamen „Jrrlehreumanu" und „Sozialistentöter" hinzu¬
gekommen sind. Insbesondre die „Zukunftsbilder" haben es den Leuten an¬
gethan. Seitdem ihn konservative Reichsbvten dazu beglückwünscht haben,
gelten sie sozusagen als hoffähig, sind sie von Zeitungen aller Schattirungen,
bis zur konservativen, als wirksamster Bundesgenosse gegen den gemeinsamen
Feind begrüßt, rühmend besprochen, in langen Auszügen wiedergegeben worden;
vorbei war der lange, verderbliche Streit, und es schien endlich eine Grund¬
lage gefunden zu ersprießlichem Wirken mit dem „ebenso schneidigen wie ener¬
gischen" Beherrscher des Freisinns, der überdies noch soeben die schönsten und
früher nie an ihm bemerkten Regungen eines tiefangelegten Gemüts ge¬
zeigt hatte!

Sehen wir uns das Büchlein einmal etwas näher an. In grünem Um¬
schlag, auf schlechtem Papier, mit schlechtem Druck (ganz nach der Weise des
A B C-Vuchs für freisinnige Wühler) giebt es auf 48 Seiten in 35 Kapiteln
für 50 Pfennige, die jedoch bei Abnahme von 3000 Exemplaren auf 8 Pfennige
herabsinken, die in Aufzeichnungen des Familien Haupts niedergelegte Geschichte
des kurzsichtigen Buchbindermeisters Schmidt, seiner schwerhöriger Gattin
Pcinla, ihrer Kinder Franz, Ernst und Annie und der Verlobten des Franz,
Anna. Über die Geschichte selbst ist wohl kein Wort zu verlieren, da sie ja
ihren Siegeslauf durch ganz Deutschland gehalten hat und im Palast wie in
der Hütte bekannt ist. Den Mängeln der Ausstattung des Blichleins ent¬
spricht die Nachlässigkeit der Bearbeitung und des Drucks. Wahrlich, wenn
man nach der Masse der ärgerlichen Druckfehler und nach der mangelhaften Inter¬
punktion urteilen wollte, könnte man glauben, die traurigen Zustände der So¬
zialdemokratie, die Richter geißelt, herrschten schon jetzt in Berlin, und Franzens
Schilderung (S. 22) treffe auf die Freisinnige Zeitung zu, wenn er sagt:
„Je später der Abend, desto mehr Fäßchen Vier sind während der Arbeit
schon vertrunken, und desto zahlreicher werden die Druckfehler." Schlimmer noch
ist es, daß hier und da die verbessernde Hand des nachdenkenden Korrektors
vermißt wird. Trainiren heißt es S. 17, und S. 16 fehlt in den Worten
„und deshalb können von Amtswegen besondre Wohnungen für Eheleute verlost
werden" offenbar die Negation. S. 33 muß „Vormittag" in „vormittags"
oder „am Vormittag" umgeändert werden, S. 9 „entlegendsten" in „ent¬
legensten." Die Fremdwörter sind bald so, bald so geschrieben: Cupou und
Kupon, Certifikate und Zertifikate (S. 2 Goldeertifikate statt Geldzertifikate),
Kontrole und kontrolliren, Kontroleur und Kontrollversammlung, akurat
(Druckfehler?), Konnte und Komitee. stilistische Mängel sind z. B. in die
Irre gehn (S. 21) — einen abwehren, etwas zu thun (S. 19) — in Folge
Räumung (statt: der Räumung) (S. 43) — im Zeughause und der an¬
schließenden Kaserne (S. 4) — Neichshaltsetat (S. 10) statt Neichshaushalt
oder, wie es im A B C-Buch so schön heißt: Reichshaushaltsetat. Richter


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[0145] die unsterblichen Beinamen „Jrrlehreumanu" und „Sozialistentöter" hinzu¬ gekommen sind. Insbesondre die „Zukunftsbilder" haben es den Leuten an¬ gethan. Seitdem ihn konservative Reichsbvten dazu beglückwünscht haben, gelten sie sozusagen als hoffähig, sind sie von Zeitungen aller Schattirungen, bis zur konservativen, als wirksamster Bundesgenosse gegen den gemeinsamen Feind begrüßt, rühmend besprochen, in langen Auszügen wiedergegeben worden; vorbei war der lange, verderbliche Streit, und es schien endlich eine Grund¬ lage gefunden zu ersprießlichem Wirken mit dem „ebenso schneidigen wie ener¬ gischen" Beherrscher des Freisinns, der überdies noch soeben die schönsten und früher nie an ihm bemerkten Regungen eines tiefangelegten Gemüts ge¬ zeigt hatte! Sehen wir uns das Büchlein einmal etwas näher an. In grünem Um¬ schlag, auf schlechtem Papier, mit schlechtem Druck (ganz nach der Weise des A B C-Vuchs für freisinnige Wühler) giebt es auf 48 Seiten in 35 Kapiteln für 50 Pfennige, die jedoch bei Abnahme von 3000 Exemplaren auf 8 Pfennige herabsinken, die in Aufzeichnungen des Familien Haupts niedergelegte Geschichte des kurzsichtigen Buchbindermeisters Schmidt, seiner schwerhöriger Gattin Pcinla, ihrer Kinder Franz, Ernst und Annie und der Verlobten des Franz, Anna. Über die Geschichte selbst ist wohl kein Wort zu verlieren, da sie ja ihren Siegeslauf durch ganz Deutschland gehalten hat und im Palast wie in der Hütte bekannt ist. Den Mängeln der Ausstattung des Blichleins ent¬ spricht die Nachlässigkeit der Bearbeitung und des Drucks. Wahrlich, wenn man nach der Masse der ärgerlichen Druckfehler und nach der mangelhaften Inter¬ punktion urteilen wollte, könnte man glauben, die traurigen Zustände der So¬ zialdemokratie, die Richter geißelt, herrschten schon jetzt in Berlin, und Franzens Schilderung (S. 22) treffe auf die Freisinnige Zeitung zu, wenn er sagt: „Je später der Abend, desto mehr Fäßchen Vier sind während der Arbeit schon vertrunken, und desto zahlreicher werden die Druckfehler." Schlimmer noch ist es, daß hier und da die verbessernde Hand des nachdenkenden Korrektors vermißt wird. Trainiren heißt es S. 17, und S. 16 fehlt in den Worten „und deshalb können von Amtswegen besondre Wohnungen für Eheleute verlost werden" offenbar die Negation. S. 33 muß „Vormittag" in „vormittags" oder „am Vormittag" umgeändert werden, S. 9 „entlegendsten" in „ent¬ legensten." Die Fremdwörter sind bald so, bald so geschrieben: Cupou und Kupon, Certifikate und Zertifikate (S. 2 Goldeertifikate statt Geldzertifikate), Kontrole und kontrolliren, Kontroleur und Kontrollversammlung, akurat (Druckfehler?), Konnte und Komitee. stilistische Mängel sind z. B. in die Irre gehn (S. 21) — einen abwehren, etwas zu thun (S. 19) — in Folge Räumung (statt: der Räumung) (S. 43) — im Zeughause und der an¬ schließenden Kaserne (S. 4) — Neichshaltsetat (S. 10) statt Neichshaushalt oder, wie es im A B C-Buch so schön heißt: Reichshaushaltsetat. Richter Grenzboten I 1892 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/145>, abgerufen am 23.07.2024.