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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Univorsitätsleben

Ich hatte mich hingesetzt. Nein, es hat sich niemand für die Rolle ge¬
meldet, und zwingen kann man nach dem preußischen Landrecht keinen.

Er sah mich etwas verdutzt an. Ja, Sie haben Recht! zwingen kann man
keinen; dann mag alles zum Teufel gehn!

Ich unterbrach ihn: Nein, aufgeführt muß das Stück werden, dazu sind
nur Ihnen gegenüber moralisch verpflichtet.

Ja, wenn alle so dächten! Daß sich aber auch niemand zu der dankbaren
Rolle des Spurius melden will! Traurige Gesellschaft, das!

Es gehört ebeu Stimme dazu, viel Stimme, und darüber verfügen die
wenigsten! bemerkte ich. Sehen Sie, diese Rolle muß heransgedonuert werden
-- und dabei las ich ein paar Verse herunter.

Weiter, immer weiter! rief er. Ich las die ganze Tirade zu Ende. Er
sprang auf mich zu und nahm mir das Buch aus der Hand. Sie müssen den
Spurins spielet"! thun Sie mir den Gefallen! Sie müssen die Rolle übernehmen!

Ich machte die Einwendung, daß ich als Cvmiteemitglied nicht mitspielen
dürfte, daß ich auch unmöglich Zeit zum gründlichen Einstudiren der Rolle
finden würde; aber der Dichter hatte sich in seinen Überzieher gehaspelt und
sagte aufgeregt: Machen Sie keine Ausflüchte, mein Bester, ich bitte Sie, es
bleibt dabei; ich eile fofort zum Nationaltheater, da finde ich wohl das Komitee.
Auf Wiedersehen!

Wir trennten uns in der Königgrätzcrstraße. Alles wirbelte mir im Kopfe
durch einander; ich kam abgehetzt in meiner Bude an. Man hatte nach mir
gefragt. Ich fand auf dem Tisch eiuen Zettel: Soeben vom Hofmarschallamt
die Anzeige an das Komitee gekommen, daß Seine Majestät der Kaiser der
Studeutenanfführung beiwohnen wird. studentischer Empfang notwendig.
Wenden Sie sich sofort an die Korps. Mit den übrigen Verbindungen und
Vereinen wird ein andrer verhandeln.

Der alte Kaiser kommt zu uns; Hurrah! Ich geriet in gewaltige Auf¬
regung, stürzte die vier oder fünf Treppen wieder hinunter, warf mich in eine
Droschke und fuhr zum Senior der Berliner Korps. Ich traf ihn nicht zu
Hause. Ich fuhr uach der Korpskueipe. Auch hier keine Seele zu finde".
Man schien einen allgemeinen Bummel unternommen zu bilden. Ich schrieb an
den Senior, appellirte an die patriotische Gesinnung, und wenige Stunden
darnach hatten wir die Zusage.

Die Generalprobe, bei der niedrige Preise genommen wurden, war bis zum
letzten Platze besucht. Alles ging vortrefflich. Ein schwungvoller Prolog, von
"Camillus" gedichtet, eröffnete die Vorstellung, die ganze Lagerszene spielte sich
flott und heiter ab. Der Kapuziner, ein Mediziner mit echtem Berliner Humor,
und der Wachtmeister, ein Theologe in höhern Semestern, gaben ihre Rollen
tadellos und ernteten wohlverdienten Beifall. Auch der Fastnachtsschwank von
Hans Sachs wurde vom Publikum günstiger ausgenommen, als die Schan-


Bilder ans dem Univorsitätsleben

Ich hatte mich hingesetzt. Nein, es hat sich niemand für die Rolle ge¬
meldet, und zwingen kann man nach dem preußischen Landrecht keinen.

Er sah mich etwas verdutzt an. Ja, Sie haben Recht! zwingen kann man
keinen; dann mag alles zum Teufel gehn!

Ich unterbrach ihn: Nein, aufgeführt muß das Stück werden, dazu sind
nur Ihnen gegenüber moralisch verpflichtet.

Ja, wenn alle so dächten! Daß sich aber auch niemand zu der dankbaren
Rolle des Spurius melden will! Traurige Gesellschaft, das!

Es gehört ebeu Stimme dazu, viel Stimme, und darüber verfügen die
wenigsten! bemerkte ich. Sehen Sie, diese Rolle muß heransgedonuert werden
— und dabei las ich ein paar Verse herunter.

Weiter, immer weiter! rief er. Ich las die ganze Tirade zu Ende. Er
sprang auf mich zu und nahm mir das Buch aus der Hand. Sie müssen den
Spurins spielet»! thun Sie mir den Gefallen! Sie müssen die Rolle übernehmen!

Ich machte die Einwendung, daß ich als Cvmiteemitglied nicht mitspielen
dürfte, daß ich auch unmöglich Zeit zum gründlichen Einstudiren der Rolle
finden würde; aber der Dichter hatte sich in seinen Überzieher gehaspelt und
sagte aufgeregt: Machen Sie keine Ausflüchte, mein Bester, ich bitte Sie, es
bleibt dabei; ich eile fofort zum Nationaltheater, da finde ich wohl das Komitee.
Auf Wiedersehen!

Wir trennten uns in der Königgrätzcrstraße. Alles wirbelte mir im Kopfe
durch einander; ich kam abgehetzt in meiner Bude an. Man hatte nach mir
gefragt. Ich fand auf dem Tisch eiuen Zettel: Soeben vom Hofmarschallamt
die Anzeige an das Komitee gekommen, daß Seine Majestät der Kaiser der
Studeutenanfführung beiwohnen wird. studentischer Empfang notwendig.
Wenden Sie sich sofort an die Korps. Mit den übrigen Verbindungen und
Vereinen wird ein andrer verhandeln.

Der alte Kaiser kommt zu uns; Hurrah! Ich geriet in gewaltige Auf¬
regung, stürzte die vier oder fünf Treppen wieder hinunter, warf mich in eine
Droschke und fuhr zum Senior der Berliner Korps. Ich traf ihn nicht zu
Hause. Ich fuhr uach der Korpskueipe. Auch hier keine Seele zu finde«.
Man schien einen allgemeinen Bummel unternommen zu bilden. Ich schrieb an
den Senior, appellirte an die patriotische Gesinnung, und wenige Stunden
darnach hatten wir die Zusage.

Die Generalprobe, bei der niedrige Preise genommen wurden, war bis zum
letzten Platze besucht. Alles ging vortrefflich. Ein schwungvoller Prolog, von
„Camillus" gedichtet, eröffnete die Vorstellung, die ganze Lagerszene spielte sich
flott und heiter ab. Der Kapuziner, ein Mediziner mit echtem Berliner Humor,
und der Wachtmeister, ein Theologe in höhern Semestern, gaben ihre Rollen
tadellos und ernteten wohlverdienten Beifall. Auch der Fastnachtsschwank von
Hans Sachs wurde vom Publikum günstiger ausgenommen, als die Schan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/103>, abgerufen am 23.07.2024.