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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Universitätsleben

Bald wollte der Dichter seine Verse anders betont und seine Ideen anders auf¬
gefaßt wissen, bald verlangte van Hell, der uns alle mit dem Selbstbewußtsein
eines pommerschen Schulrates behandelte, die Streichung dieser oder jener Stelle
oder eine völlig anders geordnete Stellung der Spieler. Kurz, es herrschte
eine Uneinigkeit, die nicht allein den Dichter nervös machte und reizte, sondern
auch die Freudigkeit der Mimen sehr beeinträchtigte. Als aber van Hell die
Schlußverse, in denen Wodemir mit großartigem Schwunge Germaniens Schicksal
und Bestimmung vorträgt, einfach als Unsinn wegstrich, da war es mit des Dichters
Geduld zu Ende. Es kam zu. einer scharfen Auseinandersetzung, und der Re¬
gisseur Fuchs mußte vou nun an anch die Jnszeuirung der Svanhild übernehmen.

Wildenbruchs Debüt war wirklich ein "Rennen mit Hindernissen." Kaum
hatte man das Stück einigermaßen eingeübt, da trat Spurins von seiner Rolle
zurück. Ich suchte den Dichter auf, um ihm diese Trauerkunde mitzuteilen. Er
wohnte damals in der Dessauerstraße, drei bis vier Treppen hoch in einer ziem¬
lich öden Wohnung. Ich trat in ein niedriges, kleines Zimmer. Selbst nach
studentischen Begriffen sah es darin außerordentlich wüst aus. Vor einem
alten, gebrechlichen Sofa mit verblichenem Bezug stand ein plumper Tisch, der
mit Büchern, Zeitschriften und Manuskripten über und über beladen war.
Rechts lächelten mich das Waschgeschirr und andres Gerät an, links lagen
Kleider, Hüte und Wäsche zerstreut auf den Stühlen oder hingen an der Wand.
Der Dichter selbst lag in Hemdsärmeln auf dem Sofa und hatte eine Novellen¬
sammlung vor sich. Er richtete sich auf und erkannte mich, nachdem er den
Kneifer aufgesetzt hatte.

Donnerwetter, was ist denn schon wieder los?

Ich erzählte ihm das neue Hindernis. Er sprang auf: Ihr guten Götter,
soll mich euer Fluch deun ewig treffen! Das ist ja eine niederträchtige Ge-
schichte! Und übermorgen soll die Aufführung sein!

Er ging hastig, soweit es der Raum gestattete, hin und her.

Ich sah unsern "Einakter" auf dem Tische liegen und blätterte darin. Er
ergriff meinen Arm: Na, aber Bester, haben Sie denn gar kein Verständnis
für meine Lage? Sie müssen doch fühlen, in welche entsetzliche Verlegenheit
wir alle damit geraten! Es ist wirklich -- nein! nein! Nun, da ich Fuchs
alles überlassen habe, gar nicht mehr anrede, überall das Maul halte, uun
denke ich, würde die Karre gehen. Wissen Sie, lieber will ich Steine Köpfen,
als Theaterdichter sein, dahinter bin ich jetzt schon gekommen! Ich habe die
Schreiberei satt! Sehen Sie. da liegt ein Drama überfein andern; ich habe
sie alle losgelassen wie die Jagdfalken, und alle sind wieder schen wie die
Nachteulen in ihr altes Loch zurückgekommen. Wahrhaftig, sie schenen das
Lampen- und Tageslicht! Unsre Bühnenleiter -- es ist ein Skandal! Und nun
mit van Hell! Ich weiß, er agitirt gegen mein Stück! Alles agitirt gegen mich!
Haben Sie denn schon einen Ersatzmann für Spurius?


Bilder ans dem Universitätsleben

Bald wollte der Dichter seine Verse anders betont und seine Ideen anders auf¬
gefaßt wissen, bald verlangte van Hell, der uns alle mit dem Selbstbewußtsein
eines pommerschen Schulrates behandelte, die Streichung dieser oder jener Stelle
oder eine völlig anders geordnete Stellung der Spieler. Kurz, es herrschte
eine Uneinigkeit, die nicht allein den Dichter nervös machte und reizte, sondern
auch die Freudigkeit der Mimen sehr beeinträchtigte. Als aber van Hell die
Schlußverse, in denen Wodemir mit großartigem Schwunge Germaniens Schicksal
und Bestimmung vorträgt, einfach als Unsinn wegstrich, da war es mit des Dichters
Geduld zu Ende. Es kam zu. einer scharfen Auseinandersetzung, und der Re¬
gisseur Fuchs mußte vou nun an anch die Jnszeuirung der Svanhild übernehmen.

Wildenbruchs Debüt war wirklich ein „Rennen mit Hindernissen." Kaum
hatte man das Stück einigermaßen eingeübt, da trat Spurins von seiner Rolle
zurück. Ich suchte den Dichter auf, um ihm diese Trauerkunde mitzuteilen. Er
wohnte damals in der Dessauerstraße, drei bis vier Treppen hoch in einer ziem¬
lich öden Wohnung. Ich trat in ein niedriges, kleines Zimmer. Selbst nach
studentischen Begriffen sah es darin außerordentlich wüst aus. Vor einem
alten, gebrechlichen Sofa mit verblichenem Bezug stand ein plumper Tisch, der
mit Büchern, Zeitschriften und Manuskripten über und über beladen war.
Rechts lächelten mich das Waschgeschirr und andres Gerät an, links lagen
Kleider, Hüte und Wäsche zerstreut auf den Stühlen oder hingen an der Wand.
Der Dichter selbst lag in Hemdsärmeln auf dem Sofa und hatte eine Novellen¬
sammlung vor sich. Er richtete sich auf und erkannte mich, nachdem er den
Kneifer aufgesetzt hatte.

Donnerwetter, was ist denn schon wieder los?

Ich erzählte ihm das neue Hindernis. Er sprang auf: Ihr guten Götter,
soll mich euer Fluch deun ewig treffen! Das ist ja eine niederträchtige Ge-
schichte! Und übermorgen soll die Aufführung sein!

Er ging hastig, soweit es der Raum gestattete, hin und her.

Ich sah unsern „Einakter" auf dem Tische liegen und blätterte darin. Er
ergriff meinen Arm: Na, aber Bester, haben Sie denn gar kein Verständnis
für meine Lage? Sie müssen doch fühlen, in welche entsetzliche Verlegenheit
wir alle damit geraten! Es ist wirklich — nein! nein! Nun, da ich Fuchs
alles überlassen habe, gar nicht mehr anrede, überall das Maul halte, uun
denke ich, würde die Karre gehen. Wissen Sie, lieber will ich Steine Köpfen,
als Theaterdichter sein, dahinter bin ich jetzt schon gekommen! Ich habe die
Schreiberei satt! Sehen Sie. da liegt ein Drama überfein andern; ich habe
sie alle losgelassen wie die Jagdfalken, und alle sind wieder schen wie die
Nachteulen in ihr altes Loch zurückgekommen. Wahrhaftig, sie schenen das
Lampen- und Tageslicht! Unsre Bühnenleiter — es ist ein Skandal! Und nun
mit van Hell! Ich weiß, er agitirt gegen mein Stück! Alles agitirt gegen mich!
Haben Sie denn schon einen Ersatzmann für Spurius?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/102>, abgerufen am 23.07.2024.