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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Gesandten kamen zurück und meldeten in Scirtes ihre Sprüche. Die
andern, uns nicht bekannt gewordnen mißfielen dem König. Das delphische
aber machte einen tiefen Eindruck auf ihn; denn an jenem zwanzigsten
Tage hatte er in den geheimen Gemächern der Königsburg zu Sardes etwas
gethan, was auszusinnen oder aufzufinden er für unmöglich hielt. Er hatte
nämlich eine Schildkröte und ein Lamm in Stücke schneiden und beides zu¬
sammen in einem kupfernen Kessel, der zugleich einen kupfernen Deckel hatte,
kochen lassen. Pythia hatte also die Probe glänzend bestanden. Mit reichen
Geschenken, unter denen die 117 Halbziegcl, ein goldner Löwe, der Halsschmuck
und ein kostbarer Gürtel der Königin berühmt geworden sind, gingen des
Königs Gesandte zum zweitenmale nach Delphi, nun mit der Hauptfrage, ob
ihr Herr gegen die Perser ziehen solle. Es kam die bekannte Antwort: Wenn
Krösus über den Halys geht, wird er ein großes Reich zerstören. Hoch er¬
freut über den Spruch, der ihm deu Sieg über den Emporkömmling Cyrus
zu verheißen schien, fragte er in seinem erregten Verlangen zum drittenmale,
ob seine Herrschaft lauge dauern würde. Er erhielt zur Antwort:


Wenn ob dem medischen Volk dereinst wird herrschen ein Maultier,
Dann, Zartfüßiger, flieh zum Ufer des steinigen Hermos
Fort, und halte nicht Stand, und der Feigheit schäme dich nimmer.

Keine Antwort unter deu bisherigen erfreute den König wie diese. Wie sollte
ein Maultier an Stelle eines Königs über die Meder herrschen? Nun schien
vor dem persischen Ansturm seine und seiner Nachkommen Herrschaft fest ge¬
gründet zu sein. Er unternahm deu Krieg -- sein Ausgang ist bekannt.
Als der gefangne König dem delphischen Gotte seine Ketten mit dem Vor¬
würfe überschickte, er sehe wohl, daß die griechischen Götter undankbar und
trügerisch seien, gab Pythia dem König, vielgewandt und schlau, den Vorwurf
mit dem Bedauern zurück, daß sie gegen das Schicksal machtlos sei: er sei
zwar ein frommer, aber mich ein unüberlegter Mann, denn bei dem einen
Orakel habe er nicht gefragt, welches Reich gemeint sei, und bei dem andern
nicht bedacht, ob das Maultier nicht auf den Cyrus passe, der von Eltern
geboren sei, die weder eines Volkes, noch eines Standes gewesen. Da er¬
kannte der König, daß nicht die Götter, sondern er selbst anzuklagen sei, und
ertrug williger sein Geschick.

Der Gott also lehnte es ab, seine Weisheit meistern zu lassen. Dem
mächtigen und frommen Lyderköuig hat die ungelehrte Pythia eben ein
Schnippchen geschlagen trotz aller seiner Schlauheit. Ob die reäiviva ihrer
Urgroßmutter in dieser Beziehung über ist, werden wir gleich sehen. Eine
gewisse Rechthaberei ist, wie sich schon zeigte, ihrem dwinatorischen Geiste
nicht abzusprechen.

Ich sehe es im Hinblick auf das mechanisirte Fragwerk als eine nicht
üble Probe an, ihr dieselbe Frage in wechselnden Formen vorzulegen und


Grenzboten III 1891 77
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Die Gesandten kamen zurück und meldeten in Scirtes ihre Sprüche. Die
andern, uns nicht bekannt gewordnen mißfielen dem König. Das delphische
aber machte einen tiefen Eindruck auf ihn; denn an jenem zwanzigsten
Tage hatte er in den geheimen Gemächern der Königsburg zu Sardes etwas
gethan, was auszusinnen oder aufzufinden er für unmöglich hielt. Er hatte
nämlich eine Schildkröte und ein Lamm in Stücke schneiden und beides zu¬
sammen in einem kupfernen Kessel, der zugleich einen kupfernen Deckel hatte,
kochen lassen. Pythia hatte also die Probe glänzend bestanden. Mit reichen
Geschenken, unter denen die 117 Halbziegcl, ein goldner Löwe, der Halsschmuck
und ein kostbarer Gürtel der Königin berühmt geworden sind, gingen des
Königs Gesandte zum zweitenmale nach Delphi, nun mit der Hauptfrage, ob
ihr Herr gegen die Perser ziehen solle. Es kam die bekannte Antwort: Wenn
Krösus über den Halys geht, wird er ein großes Reich zerstören. Hoch er¬
freut über den Spruch, der ihm deu Sieg über den Emporkömmling Cyrus
zu verheißen schien, fragte er in seinem erregten Verlangen zum drittenmale,
ob seine Herrschaft lauge dauern würde. Er erhielt zur Antwort:


Wenn ob dem medischen Volk dereinst wird herrschen ein Maultier,
Dann, Zartfüßiger, flieh zum Ufer des steinigen Hermos
Fort, und halte nicht Stand, und der Feigheit schäme dich nimmer.

Keine Antwort unter deu bisherigen erfreute den König wie diese. Wie sollte
ein Maultier an Stelle eines Königs über die Meder herrschen? Nun schien
vor dem persischen Ansturm seine und seiner Nachkommen Herrschaft fest ge¬
gründet zu sein. Er unternahm deu Krieg — sein Ausgang ist bekannt.
Als der gefangne König dem delphischen Gotte seine Ketten mit dem Vor¬
würfe überschickte, er sehe wohl, daß die griechischen Götter undankbar und
trügerisch seien, gab Pythia dem König, vielgewandt und schlau, den Vorwurf
mit dem Bedauern zurück, daß sie gegen das Schicksal machtlos sei: er sei
zwar ein frommer, aber mich ein unüberlegter Mann, denn bei dem einen
Orakel habe er nicht gefragt, welches Reich gemeint sei, und bei dem andern
nicht bedacht, ob das Maultier nicht auf den Cyrus passe, der von Eltern
geboren sei, die weder eines Volkes, noch eines Standes gewesen. Da er¬
kannte der König, daß nicht die Götter, sondern er selbst anzuklagen sei, und
ertrug williger sein Geschick.

Der Gott also lehnte es ab, seine Weisheit meistern zu lassen. Dem
mächtigen und frommen Lyderköuig hat die ungelehrte Pythia eben ein
Schnippchen geschlagen trotz aller seiner Schlauheit. Ob die reäiviva ihrer
Urgroßmutter in dieser Beziehung über ist, werden wir gleich sehen. Eine
gewisse Rechthaberei ist, wie sich schon zeigte, ihrem dwinatorischen Geiste
nicht abzusprechen.

Ich sehe es im Hinblick auf das mechanisirte Fragwerk als eine nicht
üble Probe an, ihr dieselbe Frage in wechselnden Formen vorzulegen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/617>, abgerufen am 26.08.2024.