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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wenn du MM den strafenden Verweis abschüttelst und in deinem weiheloseu
Sinne weiter fragst: Wer schreibt den Grenzboten die besten Aufsätze? ant¬
wortet sie:


Nilig xotis, livitn <1ann.1M ^üuäirr rio Anruf.
(Allzu viel du erfragst, dies Jahr noch erfreuet mir Recht dich)

Das ist doch keine volle Abweisung. Du willst sie auf die Probe stellen und
änderst noch einmal die Form deiner Frage: Wer schreibt den Grenzboten die
lesenswertesten Arbeiten? Da verhüllt die Seherin ihr Antlitz: "Fort ans
meinem Heiligtume, mehr will ich dir nicht antworten." Manche Antwort ist
ja keine Antwort. Wie lautet sie hier?


Nikko xotis, lioito bon-rbit, Akurüiit tuo irnuu".

Das ist genau derselbe Spruch, deu sie dir auf eine anders geformte Frage bereits
gegeben hatte. Sie will eben nicht mehr gefragt sein, und nun -- schweigst du.

Soll ich es auch? Ich habe mich zu ihrem. Anwalt gemacht, möchte sie
also nicht im Zorn von uns scheiden sehen und sie doch etwas rechtfertigen.
An deu Gott in Dodona wandte sich in allen wichtigen Angelegenheiten des
nationalen Lebens, in politischen Zeitläuften, bei Krieg und Pestilenz das
griechische Volk, um aus dem Rauschen der heiligen Eiche, dem Murmeln der
wunderbaren Quelle und dem Erzklange des dodonischen Beckens den Schicksals¬
spruch zu vernehmen. Die hannoversche Pythia versagt uns anch in den weiter-
ansgreifenden Fragen des allgemeinen Interesses ihren Spruch nicht. Sie
geht nicht ganz mit der Sprache heraus und bietet manchmal rätselhaftes
und schwer erklärliches; aber damit weist sie ja gerade den charakteristischen
Zug ihrer klassischen Ahne aus. Auch die Delphieriu war nicht immer gut
inspirirt. Apollo führt um der Dunkelheit seiner Sprache willen den Beinamen
Loxias, der Dunkle. Wir misten, daß im Altertum um dieser divinatorischen
Dunkelheit willen der Glaube an die Weissagung des angerufenen Gottes kein
unbedingter war. Die schlauen Griechen griffen dann zu dem einfachen Hilfs¬
mittel, die Probe auf deu Spruch zu macheu. Bekannt ist der Bericht des
Herodot, demzufolge Krösus vor dem Beginn des persischen Feldzuges von
der Gottheit einen Spruch über die entscheidende Frage suchte, ob er sich in
eine Unternehmung gegen die Perser überhaupt einlassen solle. Um sicher zu
gehen, wollte er den Gott auf die Probe stellen. Er sandte Lyder aus zu
sämtlichen ihm bekannten Orakeln, mit dem Auftrage, am zwanzigsten Tage,
von dem Tage ihres Aufbruchs an gerechnet, den Gott zu fragen, was König
Krösus jetzt wohl mache. Die delphische Pythia zögerte nicht mit der Antwort:


Nimmer die Tiefe des Meers entgeht mir, die Menge des Sandes,
Sprcichlosbleibeude hör ich, versteh Taubstumme nicht minder.
Mir zu der Nase jetzt dringt Schildkriitengedüfte herüber
Mit Lammfleische vereint zusammengekvchet im Erze,
Erz ist drüber gedeckt, und Erz ist drunter gebreitet.

I^tKia i-ecliviv».

Wenn du MM den strafenden Verweis abschüttelst und in deinem weiheloseu
Sinne weiter fragst: Wer schreibt den Grenzboten die besten Aufsätze? ant¬
wortet sie:


Nilig xotis, livitn <1ann.1M ^üuäirr rio Anruf.
(Allzu viel du erfragst, dies Jahr noch erfreuet mir Recht dich)

Das ist doch keine volle Abweisung. Du willst sie auf die Probe stellen und
änderst noch einmal die Form deiner Frage: Wer schreibt den Grenzboten die
lesenswertesten Arbeiten? Da verhüllt die Seherin ihr Antlitz: „Fort ans
meinem Heiligtume, mehr will ich dir nicht antworten." Manche Antwort ist
ja keine Antwort. Wie lautet sie hier?


Nikko xotis, lioito bon-rbit, Akurüiit tuo irnuu».

Das ist genau derselbe Spruch, deu sie dir auf eine anders geformte Frage bereits
gegeben hatte. Sie will eben nicht mehr gefragt sein, und nun — schweigst du.

Soll ich es auch? Ich habe mich zu ihrem. Anwalt gemacht, möchte sie
also nicht im Zorn von uns scheiden sehen und sie doch etwas rechtfertigen.
An deu Gott in Dodona wandte sich in allen wichtigen Angelegenheiten des
nationalen Lebens, in politischen Zeitläuften, bei Krieg und Pestilenz das
griechische Volk, um aus dem Rauschen der heiligen Eiche, dem Murmeln der
wunderbaren Quelle und dem Erzklange des dodonischen Beckens den Schicksals¬
spruch zu vernehmen. Die hannoversche Pythia versagt uns anch in den weiter-
ansgreifenden Fragen des allgemeinen Interesses ihren Spruch nicht. Sie
geht nicht ganz mit der Sprache heraus und bietet manchmal rätselhaftes
und schwer erklärliches; aber damit weist sie ja gerade den charakteristischen
Zug ihrer klassischen Ahne aus. Auch die Delphieriu war nicht immer gut
inspirirt. Apollo führt um der Dunkelheit seiner Sprache willen den Beinamen
Loxias, der Dunkle. Wir misten, daß im Altertum um dieser divinatorischen
Dunkelheit willen der Glaube an die Weissagung des angerufenen Gottes kein
unbedingter war. Die schlauen Griechen griffen dann zu dem einfachen Hilfs¬
mittel, die Probe auf deu Spruch zu macheu. Bekannt ist der Bericht des
Herodot, demzufolge Krösus vor dem Beginn des persischen Feldzuges von
der Gottheit einen Spruch über die entscheidende Frage suchte, ob er sich in
eine Unternehmung gegen die Perser überhaupt einlassen solle. Um sicher zu
gehen, wollte er den Gott auf die Probe stellen. Er sandte Lyder aus zu
sämtlichen ihm bekannten Orakeln, mit dem Auftrage, am zwanzigsten Tage,
von dem Tage ihres Aufbruchs an gerechnet, den Gott zu fragen, was König
Krösus jetzt wohl mache. Die delphische Pythia zögerte nicht mit der Antwort:


Nimmer die Tiefe des Meers entgeht mir, die Menge des Sandes,
Sprcichlosbleibeude hör ich, versteh Taubstumme nicht minder.
Mir zu der Nase jetzt dringt Schildkriitengedüfte herüber
Mit Lammfleische vereint zusammengekvchet im Erze,
Erz ist drüber gedeckt, und Erz ist drunter gebreitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/616>, abgerufen am 26.08.2024.