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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur Entwicklungsgeschichte des deutschell Katholizismus

lischen, obwohl es gerade die Spanier sind, die in Amerika das Beispiel und
den ersten Anstoß dazu gegeben haben; doch ist dafür keine der christlichen
Kirchen verantwortlich zu machen. Nun ist es zwar durchaus nicht nötig,
daß ein Katholik, der jene ungeheure Blutschuld seiner Kirche erkannt hat,
ihr darum untreu werde, so wenig man sich von seinem. Vaterlande, seinem
Volke oder seinem Staate deswegen loszusagen braucht, weil die Blatter seiner
Geschichte mit Blut und Ungerechtigkeiten befleckt sind. Aber eines ist unver¬
meidlich: nicht zwar die Kirche, aber das Dogma von der Kirche, wie es der
Katholizismus lehrt, muß aufgegeben werden, sobald jene geschichtlichen That¬
sachen bekannt geworden sind. Eine Kirche, die den allerdümmsten und ver¬
derblichsten heidnischen Aberglauben wieder einführt, nachdem er sechshundert
Jahre vorher (unter Karl dem Großen) schon als solcher erkannt und aus¬
drücklich bezeichnet worden ist, für die unfehlbare Lehrmeisterin der Wahrheit
halten, eine Hierarchie, die das gesetzloseste Morden und Rauben und die
Wollust der Grausamkeit in ein System bringt und dieses jahrhundertelang
handhabt, als die Verwalterin göttlicher Gnadenschätze ehren und bei ihr die
Vergebung der Sünden suchen, das ist rein unmöglich. Das merken die
Katholiken bis zum einfältigsten Weiblein hinab instinktiv, wem? sie es sich
auch nicht als eine Kette logischer Folgerungen auseinanderlegen. Darum
schließen sie solchen Thatsachen gegenüber die Augen und haben für einen
Universitätslehrer, der sie auszusprechen wagt, uur eine Antwort: Hinweg mit
ihm, er raubt uus den Glauben! Deal nachdem der Hierarchie die Macht zu
schaden genommen worden ist, empfinden die heutigen Katholiken vorzugsweise
die wohlthätigen Wirkungen der Thätigkeit dieser alten Körperschaft, in der
die Weisheit und Erfahrung von anderthalb Jahrtausenden walten. Daß sie
notwendig zu Grunde gehen oder doch ihre heilsame Wirksamkeit einbüßen
müßte, wenn sie von ihren Gläubigen nicht mehr für die unfehlbare, Sünden
vergehende und den Zugang zum Himmel erschließende gehalten würde, ist
freilich nicht bewiesen, und das Gegenteil wäre recht gut deutbar, aber der
Katholik, der sie über alles schützt, mag sich aus das gewagte Experiment nicht
einlassen, und so weist er denn lieber von vornherein alles ub, was ihr einen
Teil der Glorie, von der sie in seinen Augen umflossen ist, abstreift. Döllinger
konnte umso weniger auf Gehör rechnen, als er keinen Versuch gemacht hat, dein
Volke zu zeigen, wie man nach der Preisgebung des Dogmas von der Kirche den
Katholizismus retten und den Übertritt zum Protestantismus vermeiden könne.

Aber, wird man fragen, wie sieht es im Kopf und Herzen von Männern
aus, die wie Hefele durch ihren Beruf zur Kenntnis jeuer Thatsachen ge¬
zwungen werden, und die sogar darüber schreiben? Sind sie Dummköpfe oder
Heuchler? Keines von beiden; man kann sie einem Kranken vergleichen, der
an einer fixen Idee leidet. Ich kannte einen solchen, der sich einbildete, von
seinem Wohnorte L. nach S. versetzt worden zu heilt, in allem übrigen aber


Zur Entwicklungsgeschichte des deutschell Katholizismus

lischen, obwohl es gerade die Spanier sind, die in Amerika das Beispiel und
den ersten Anstoß dazu gegeben haben; doch ist dafür keine der christlichen
Kirchen verantwortlich zu machen. Nun ist es zwar durchaus nicht nötig,
daß ein Katholik, der jene ungeheure Blutschuld seiner Kirche erkannt hat,
ihr darum untreu werde, so wenig man sich von seinem. Vaterlande, seinem
Volke oder seinem Staate deswegen loszusagen braucht, weil die Blatter seiner
Geschichte mit Blut und Ungerechtigkeiten befleckt sind. Aber eines ist unver¬
meidlich: nicht zwar die Kirche, aber das Dogma von der Kirche, wie es der
Katholizismus lehrt, muß aufgegeben werden, sobald jene geschichtlichen That¬
sachen bekannt geworden sind. Eine Kirche, die den allerdümmsten und ver¬
derblichsten heidnischen Aberglauben wieder einführt, nachdem er sechshundert
Jahre vorher (unter Karl dem Großen) schon als solcher erkannt und aus¬
drücklich bezeichnet worden ist, für die unfehlbare Lehrmeisterin der Wahrheit
halten, eine Hierarchie, die das gesetzloseste Morden und Rauben und die
Wollust der Grausamkeit in ein System bringt und dieses jahrhundertelang
handhabt, als die Verwalterin göttlicher Gnadenschätze ehren und bei ihr die
Vergebung der Sünden suchen, das ist rein unmöglich. Das merken die
Katholiken bis zum einfältigsten Weiblein hinab instinktiv, wem? sie es sich
auch nicht als eine Kette logischer Folgerungen auseinanderlegen. Darum
schließen sie solchen Thatsachen gegenüber die Augen und haben für einen
Universitätslehrer, der sie auszusprechen wagt, uur eine Antwort: Hinweg mit
ihm, er raubt uus den Glauben! Deal nachdem der Hierarchie die Macht zu
schaden genommen worden ist, empfinden die heutigen Katholiken vorzugsweise
die wohlthätigen Wirkungen der Thätigkeit dieser alten Körperschaft, in der
die Weisheit und Erfahrung von anderthalb Jahrtausenden walten. Daß sie
notwendig zu Grunde gehen oder doch ihre heilsame Wirksamkeit einbüßen
müßte, wenn sie von ihren Gläubigen nicht mehr für die unfehlbare, Sünden
vergehende und den Zugang zum Himmel erschließende gehalten würde, ist
freilich nicht bewiesen, und das Gegenteil wäre recht gut deutbar, aber der
Katholik, der sie über alles schützt, mag sich aus das gewagte Experiment nicht
einlassen, und so weist er denn lieber von vornherein alles ub, was ihr einen
Teil der Glorie, von der sie in seinen Augen umflossen ist, abstreift. Döllinger
konnte umso weniger auf Gehör rechnen, als er keinen Versuch gemacht hat, dein
Volke zu zeigen, wie man nach der Preisgebung des Dogmas von der Kirche den
Katholizismus retten und den Übertritt zum Protestantismus vermeiden könne.

Aber, wird man fragen, wie sieht es im Kopf und Herzen von Männern
aus, die wie Hefele durch ihren Beruf zur Kenntnis jeuer Thatsachen ge¬
zwungen werden, und die sogar darüber schreiben? Sind sie Dummköpfe oder
Heuchler? Keines von beiden; man kann sie einem Kranken vergleichen, der
an einer fixen Idee leidet. Ich kannte einen solchen, der sich einbildete, von
seinem Wohnorte L. nach S. versetzt worden zu heilt, in allem übrigen aber


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[0604] Zur Entwicklungsgeschichte des deutschell Katholizismus lischen, obwohl es gerade die Spanier sind, die in Amerika das Beispiel und den ersten Anstoß dazu gegeben haben; doch ist dafür keine der christlichen Kirchen verantwortlich zu machen. Nun ist es zwar durchaus nicht nötig, daß ein Katholik, der jene ungeheure Blutschuld seiner Kirche erkannt hat, ihr darum untreu werde, so wenig man sich von seinem. Vaterlande, seinem Volke oder seinem Staate deswegen loszusagen braucht, weil die Blatter seiner Geschichte mit Blut und Ungerechtigkeiten befleckt sind. Aber eines ist unver¬ meidlich: nicht zwar die Kirche, aber das Dogma von der Kirche, wie es der Katholizismus lehrt, muß aufgegeben werden, sobald jene geschichtlichen That¬ sachen bekannt geworden sind. Eine Kirche, die den allerdümmsten und ver¬ derblichsten heidnischen Aberglauben wieder einführt, nachdem er sechshundert Jahre vorher (unter Karl dem Großen) schon als solcher erkannt und aus¬ drücklich bezeichnet worden ist, für die unfehlbare Lehrmeisterin der Wahrheit halten, eine Hierarchie, die das gesetzloseste Morden und Rauben und die Wollust der Grausamkeit in ein System bringt und dieses jahrhundertelang handhabt, als die Verwalterin göttlicher Gnadenschätze ehren und bei ihr die Vergebung der Sünden suchen, das ist rein unmöglich. Das merken die Katholiken bis zum einfältigsten Weiblein hinab instinktiv, wem? sie es sich auch nicht als eine Kette logischer Folgerungen auseinanderlegen. Darum schließen sie solchen Thatsachen gegenüber die Augen und haben für einen Universitätslehrer, der sie auszusprechen wagt, uur eine Antwort: Hinweg mit ihm, er raubt uus den Glauben! Deal nachdem der Hierarchie die Macht zu schaden genommen worden ist, empfinden die heutigen Katholiken vorzugsweise die wohlthätigen Wirkungen der Thätigkeit dieser alten Körperschaft, in der die Weisheit und Erfahrung von anderthalb Jahrtausenden walten. Daß sie notwendig zu Grunde gehen oder doch ihre heilsame Wirksamkeit einbüßen müßte, wenn sie von ihren Gläubigen nicht mehr für die unfehlbare, Sünden vergehende und den Zugang zum Himmel erschließende gehalten würde, ist freilich nicht bewiesen, und das Gegenteil wäre recht gut deutbar, aber der Katholik, der sie über alles schützt, mag sich aus das gewagte Experiment nicht einlassen, und so weist er denn lieber von vornherein alles ub, was ihr einen Teil der Glorie, von der sie in seinen Augen umflossen ist, abstreift. Döllinger konnte umso weniger auf Gehör rechnen, als er keinen Versuch gemacht hat, dein Volke zu zeigen, wie man nach der Preisgebung des Dogmas von der Kirche den Katholizismus retten und den Übertritt zum Protestantismus vermeiden könne. Aber, wird man fragen, wie sieht es im Kopf und Herzen von Männern aus, die wie Hefele durch ihren Beruf zur Kenntnis jeuer Thatsachen ge¬ zwungen werden, und die sogar darüber schreiben? Sind sie Dummköpfe oder Heuchler? Keines von beiden; man kann sie einem Kranken vergleichen, der an einer fixen Idee leidet. Ich kannte einen solchen, der sich einbildete, von seinem Wohnorte L. nach S. versetzt worden zu heilt, in allem übrigen aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/604>, abgerufen am 26.08.2024.