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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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einer Übersicht des Syllabus -- ist der Mühlstein, den man in Rom den
Katholiken aller Länder an den Hals binden möchte! Diese Dinge sollen
künftig gelehrt, sollen vor allem dem Geiste der heranwachsenden Generation
eingeprägt werden mich in jenen Ländern, in denen die ganze Existenz der
katholischen Kirche, ihre Freiheit und Sicherheit einzig auf den Prinzipien be¬
ruht, die hier als schamlose, verderbliche Irrlehren gebrandmarkt werden,
Prinzipien, mit denen die religiöse Freiheit der Katholiken dort stehen und
fallen muß. Bischöfen und Priestern ist hiermit die feierliche Verpflichtung
auferlegt, ihre Gemeinden bei jeder Gelegenheit zu belehren, daß sie in einem
durch und dnrch von Sünde und Irrtum iusizirteu, auf falschen Prinzipien
erbauten Gemeinwesen leben. Sie müsse" jedes Mittel der Belehrung er¬
greifen, um Monarchen, Regierungen, Nationen zu der Erkenntnis zu bringen,
daß sie nichts Besseres, Dringenderes thun können, als ihre Verfassungen zu
stürzen, ihre Gesetzbücher zu vernichten, den Entwicklungsgang von vier Jahr¬
hunderten plötzlich abzubrechen und die Zustände und Ordnungen des vier-
zehnten wieder aufz "richte,,."

Mau sieht, nicht bloß das Verhältnis zu Rom hatte sich in Döllingers
Auge" geändert, sondern Rom selbst war ihm ein andres geworden; seine
Schrift ist eine förmliche Absage um den Papst und hätte, wenn sie ver¬
öffentlicht worden wäre, die Exkommunikation zur Folge haben müssen. Sie blieb
über ungedruckt, und die darauf folgenden uicht weniger scharfen Artikel, sowie
die im Ja uns zusammengefaßten erschienen nicht unter Döllingers Namen.
Die bedeutendsten unter jenen siud die über die Inquisition, zu denen die
"Heiligsprechung" des Scheusals Arbues im Jahre 1867 den Anstoß gab.
Gerade diese Abhandlungen aber, von denen so mancher Protestant erwartet
haben mag, daß sie dem Katholizismus in Deutschland den Garaus machen
würden, lehren uns verstehen, wie es kam, daß das katholische Deutschland
dem von Döllinger eingeschlagnen Wege nicht folgte, und daß seine Augriffe
nur dazu dienten, die römische Kirchgläubigkeit zu befestigen. Die Inquisition,
die Hexenprozesse und jene Mvlvchsopfer, die der moderne Jndustrialismus
einige Jahrzehnte hindurch in einige" Ländern, namentlich in England ge¬
fordert hat, sind die drei großen Schandflecke der Christenheit. Die Inquisition
gehört der römisch-katholischen Kirche allein an. Im Hcxenfoltern und Hexen-
verbrennen haben zwar die deutschen und die schottischen Protestanten mit den
Katholiken gewetteifert, aber die Verantwortung dafür füllt doch ausschließlich
"uf die Päpste zurück, die den Hexenwahn als Dogma gelehrt und das alle
Greuel der römischem Christenverfolgungen tief in Schatten stellende abscheu¬
liche Verfahren für die Hexenprozesse, d. h. für die an vielen hunderttausend
unschuldige" Menschen zu begehenden Justizmorde, vorgeschrieben haben. An deu
aus Habsucht begangenen Unthaten des modernen Jndustrialismus siud zwar
die protestantischen Völker mit einem reichlicher,, Maße beteiligt als die katho-


einer Übersicht des Syllabus — ist der Mühlstein, den man in Rom den
Katholiken aller Länder an den Hals binden möchte! Diese Dinge sollen
künftig gelehrt, sollen vor allem dem Geiste der heranwachsenden Generation
eingeprägt werden mich in jenen Ländern, in denen die ganze Existenz der
katholischen Kirche, ihre Freiheit und Sicherheit einzig auf den Prinzipien be¬
ruht, die hier als schamlose, verderbliche Irrlehren gebrandmarkt werden,
Prinzipien, mit denen die religiöse Freiheit der Katholiken dort stehen und
fallen muß. Bischöfen und Priestern ist hiermit die feierliche Verpflichtung
auferlegt, ihre Gemeinden bei jeder Gelegenheit zu belehren, daß sie in einem
durch und dnrch von Sünde und Irrtum iusizirteu, auf falschen Prinzipien
erbauten Gemeinwesen leben. Sie müsse« jedes Mittel der Belehrung er¬
greifen, um Monarchen, Regierungen, Nationen zu der Erkenntnis zu bringen,
daß sie nichts Besseres, Dringenderes thun können, als ihre Verfassungen zu
stürzen, ihre Gesetzbücher zu vernichten, den Entwicklungsgang von vier Jahr¬
hunderten plötzlich abzubrechen und die Zustände und Ordnungen des vier-
zehnten wieder aufz „richte,,."

Mau sieht, nicht bloß das Verhältnis zu Rom hatte sich in Döllingers
Auge» geändert, sondern Rom selbst war ihm ein andres geworden; seine
Schrift ist eine förmliche Absage um den Papst und hätte, wenn sie ver¬
öffentlicht worden wäre, die Exkommunikation zur Folge haben müssen. Sie blieb
über ungedruckt, und die darauf folgenden uicht weniger scharfen Artikel, sowie
die im Ja uns zusammengefaßten erschienen nicht unter Döllingers Namen.
Die bedeutendsten unter jenen siud die über die Inquisition, zu denen die
»Heiligsprechung" des Scheusals Arbues im Jahre 1867 den Anstoß gab.
Gerade diese Abhandlungen aber, von denen so mancher Protestant erwartet
haben mag, daß sie dem Katholizismus in Deutschland den Garaus machen
würden, lehren uns verstehen, wie es kam, daß das katholische Deutschland
dem von Döllinger eingeschlagnen Wege nicht folgte, und daß seine Augriffe
nur dazu dienten, die römische Kirchgläubigkeit zu befestigen. Die Inquisition,
die Hexenprozesse und jene Mvlvchsopfer, die der moderne Jndustrialismus
einige Jahrzehnte hindurch in einige» Ländern, namentlich in England ge¬
fordert hat, sind die drei großen Schandflecke der Christenheit. Die Inquisition
gehört der römisch-katholischen Kirche allein an. Im Hcxenfoltern und Hexen-
verbrennen haben zwar die deutschen und die schottischen Protestanten mit den
Katholiken gewetteifert, aber die Verantwortung dafür füllt doch ausschließlich
"uf die Päpste zurück, die den Hexenwahn als Dogma gelehrt und das alle
Greuel der römischem Christenverfolgungen tief in Schatten stellende abscheu¬
liche Verfahren für die Hexenprozesse, d. h. für die an vielen hunderttausend
unschuldige» Menschen zu begehenden Justizmorde, vorgeschrieben haben. An deu
aus Habsucht begangenen Unthaten des modernen Jndustrialismus siud zwar
die protestantischen Völker mit einem reichlicher,, Maße beteiligt als die katho-


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[0603] einer Übersicht des Syllabus — ist der Mühlstein, den man in Rom den Katholiken aller Länder an den Hals binden möchte! Diese Dinge sollen künftig gelehrt, sollen vor allem dem Geiste der heranwachsenden Generation eingeprägt werden mich in jenen Ländern, in denen die ganze Existenz der katholischen Kirche, ihre Freiheit und Sicherheit einzig auf den Prinzipien be¬ ruht, die hier als schamlose, verderbliche Irrlehren gebrandmarkt werden, Prinzipien, mit denen die religiöse Freiheit der Katholiken dort stehen und fallen muß. Bischöfen und Priestern ist hiermit die feierliche Verpflichtung auferlegt, ihre Gemeinden bei jeder Gelegenheit zu belehren, daß sie in einem durch und dnrch von Sünde und Irrtum iusizirteu, auf falschen Prinzipien erbauten Gemeinwesen leben. Sie müsse« jedes Mittel der Belehrung er¬ greifen, um Monarchen, Regierungen, Nationen zu der Erkenntnis zu bringen, daß sie nichts Besseres, Dringenderes thun können, als ihre Verfassungen zu stürzen, ihre Gesetzbücher zu vernichten, den Entwicklungsgang von vier Jahr¬ hunderten plötzlich abzubrechen und die Zustände und Ordnungen des vier- zehnten wieder aufz „richte,,." Mau sieht, nicht bloß das Verhältnis zu Rom hatte sich in Döllingers Auge» geändert, sondern Rom selbst war ihm ein andres geworden; seine Schrift ist eine förmliche Absage um den Papst und hätte, wenn sie ver¬ öffentlicht worden wäre, die Exkommunikation zur Folge haben müssen. Sie blieb über ungedruckt, und die darauf folgenden uicht weniger scharfen Artikel, sowie die im Ja uns zusammengefaßten erschienen nicht unter Döllingers Namen. Die bedeutendsten unter jenen siud die über die Inquisition, zu denen die »Heiligsprechung" des Scheusals Arbues im Jahre 1867 den Anstoß gab. Gerade diese Abhandlungen aber, von denen so mancher Protestant erwartet haben mag, daß sie dem Katholizismus in Deutschland den Garaus machen würden, lehren uns verstehen, wie es kam, daß das katholische Deutschland dem von Döllinger eingeschlagnen Wege nicht folgte, und daß seine Augriffe nur dazu dienten, die römische Kirchgläubigkeit zu befestigen. Die Inquisition, die Hexenprozesse und jene Mvlvchsopfer, die der moderne Jndustrialismus einige Jahrzehnte hindurch in einige» Ländern, namentlich in England ge¬ fordert hat, sind die drei großen Schandflecke der Christenheit. Die Inquisition gehört der römisch-katholischen Kirche allein an. Im Hcxenfoltern und Hexen- verbrennen haben zwar die deutschen und die schottischen Protestanten mit den Katholiken gewetteifert, aber die Verantwortung dafür füllt doch ausschließlich "uf die Päpste zurück, die den Hexenwahn als Dogma gelehrt und das alle Greuel der römischem Christenverfolgungen tief in Schatten stellende abscheu¬ liche Verfahren für die Hexenprozesse, d. h. für die an vielen hunderttausend unschuldige» Menschen zu begehenden Justizmorde, vorgeschrieben haben. An deu aus Habsucht begangenen Unthaten des modernen Jndustrialismus siud zwar die protestantischen Völker mit einem reichlicher,, Maße beteiligt als die katho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/603>, abgerufen am 26.08.2024.