Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Richterstand und die öffentliche Meinung

Kämpfe der unabhängige Richter, auf den sich vertrauensvoll das Auge des
Volkes richtete, wenn einem unschuldig Verfolgten despotische Gewaltübergriffe
drohten, wer denkt da jetzt noch daran? Jetzt richtet sich der Kampf, den die
Gesellschaft mit dem scharfen Schwert der Strafjustiz führt, gegen die unheim¬
lichen, dunkeln Mächte, die, über die ganze Kulturwelt verbreitet, mit den
furchtbaren Mitteln der Neuzeit gegen den Bestand des Staates und der
Gesellschaft selbst ankämpfen, und gegen die weitverzweigten Verbrechen eines
internationalen Hochstaplertnms, das mit seinen von lauger Hand vorbereiteten,
blitzschnell geführten Schlägen auf einmal ganze Vermögen an sich bringt. In
einem solchen Kampfe ist in der That die Nichterthätigkeit untergeordneter
Natur, das eigentliche Werkzeug der Gesellschaft in ihm ist die Kriminalpolizei.
Diese ist es, die Auge und Gunst der öffentlichen Meinung auf sich zieht,
wenn es ihr gelingt, die verworrenen Fäden eines dunkeln Verbrechens zu
entwirren und die zerstreuten Spuren zur Entdeckung des Thäters zu sammeln.
Die Richterthätigkeit im Strafprozeß ist mehr formaler Natur; die schwerere
Aufgabe, die Aburteilung überhaupt erst zu ermöglichen, und darum das
größere Verdienst füllt gerade bei den am meisten Aussehen erregenden Fällen
andern Behörden zu.

So ist es uicht zu verwundern, daß sich thatkräftige und thatenlustige
Naturen, die den Drang fühlen, an den Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten,
uicht dem Richterstaude zuwenden. Ein ähnlicher, nur in umgekehrter Rich¬
tung sich bewegender Wechsel hat sich im Lauf der beiden letzten Jahrzehnte
auf einem verwandten Berufsgebiet -- dem der Theologie -- vollzogen.
Noch vor etwa fünfzehn Jahren wurde der theologische Beruf vou den
Söhnen der bessern und wohlhabender" Gesellschaftsschichten -- abgesehen von
Pfarrersfamilien -- nur selten gewählt, während ihm jetzt mehr und mehr
Zuwachs gerade aus den besten Kreisen wird. Der Grund dafür liegt sicher¬
lich nicht allem in einer Zunahme der Neigung zur theologischen Wissenschaft
(wenn auch nicht zu verkennen ist, daß sich auf den Platten Materialismus
der letztvcrgaugnen Periode eine Umkehr zum Bessern anbahnt), vielmehr
spricht zweifellos zum großen Teil auch der Umstand mit, daß der Beruf des
Geistlichen den Fragen der heutigen Zeit, besonders gerade der sozialen
näher steht. Mehr und mehr bricht sich ja die Einsicht Bahn, daß der Kampf,
der sich auf wirtschaftlichem Gebiete entsponnen hat, und der dem äußern
Schein nach nur wirtschaftliche Fragen betrifft, bei aller Notwendigkeit wirt¬
schaftlicher Umgestaltungen doch seinem innern Kern nach und besonders in
seiner Richtung gegen den Svzialdemokrntismus ein Kampf verschiedner Welt¬
anschauungen ist, der ans geistigem Gebiete zum Austrag gebracht werde" muß.
Denn es gilt, die Irrlehre der materialistischen Welt- und Lebensauffassung
aufzudecken und zu widerlegen, dieser Lehre, die wie so viele andre all¬
mählich von oben nach unten durchgesickert ist, und während sie oben wenig-


Der Richterstand und die öffentliche Meinung

Kämpfe der unabhängige Richter, auf den sich vertrauensvoll das Auge des
Volkes richtete, wenn einem unschuldig Verfolgten despotische Gewaltübergriffe
drohten, wer denkt da jetzt noch daran? Jetzt richtet sich der Kampf, den die
Gesellschaft mit dem scharfen Schwert der Strafjustiz führt, gegen die unheim¬
lichen, dunkeln Mächte, die, über die ganze Kulturwelt verbreitet, mit den
furchtbaren Mitteln der Neuzeit gegen den Bestand des Staates und der
Gesellschaft selbst ankämpfen, und gegen die weitverzweigten Verbrechen eines
internationalen Hochstaplertnms, das mit seinen von lauger Hand vorbereiteten,
blitzschnell geführten Schlägen auf einmal ganze Vermögen an sich bringt. In
einem solchen Kampfe ist in der That die Nichterthätigkeit untergeordneter
Natur, das eigentliche Werkzeug der Gesellschaft in ihm ist die Kriminalpolizei.
Diese ist es, die Auge und Gunst der öffentlichen Meinung auf sich zieht,
wenn es ihr gelingt, die verworrenen Fäden eines dunkeln Verbrechens zu
entwirren und die zerstreuten Spuren zur Entdeckung des Thäters zu sammeln.
Die Richterthätigkeit im Strafprozeß ist mehr formaler Natur; die schwerere
Aufgabe, die Aburteilung überhaupt erst zu ermöglichen, und darum das
größere Verdienst füllt gerade bei den am meisten Aussehen erregenden Fällen
andern Behörden zu.

So ist es uicht zu verwundern, daß sich thatkräftige und thatenlustige
Naturen, die den Drang fühlen, an den Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten,
uicht dem Richterstaude zuwenden. Ein ähnlicher, nur in umgekehrter Rich¬
tung sich bewegender Wechsel hat sich im Lauf der beiden letzten Jahrzehnte
auf einem verwandten Berufsgebiet — dem der Theologie — vollzogen.
Noch vor etwa fünfzehn Jahren wurde der theologische Beruf vou den
Söhnen der bessern und wohlhabender» Gesellschaftsschichten — abgesehen von
Pfarrersfamilien — nur selten gewählt, während ihm jetzt mehr und mehr
Zuwachs gerade aus den besten Kreisen wird. Der Grund dafür liegt sicher¬
lich nicht allem in einer Zunahme der Neigung zur theologischen Wissenschaft
(wenn auch nicht zu verkennen ist, daß sich auf den Platten Materialismus
der letztvcrgaugnen Periode eine Umkehr zum Bessern anbahnt), vielmehr
spricht zweifellos zum großen Teil auch der Umstand mit, daß der Beruf des
Geistlichen den Fragen der heutigen Zeit, besonders gerade der sozialen
näher steht. Mehr und mehr bricht sich ja die Einsicht Bahn, daß der Kampf,
der sich auf wirtschaftlichem Gebiete entsponnen hat, und der dem äußern
Schein nach nur wirtschaftliche Fragen betrifft, bei aller Notwendigkeit wirt¬
schaftlicher Umgestaltungen doch seinem innern Kern nach und besonders in
seiner Richtung gegen den Svzialdemokrntismus ein Kampf verschiedner Welt¬
anschauungen ist, der ans geistigem Gebiete zum Austrag gebracht werde» muß.
Denn es gilt, die Irrlehre der materialistischen Welt- und Lebensauffassung
aufzudecken und zu widerlegen, dieser Lehre, die wie so viele andre all¬
mählich von oben nach unten durchgesickert ist, und während sie oben wenig-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290321"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Richterstand und die öffentliche Meinung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1643" prev="#ID_1642"> Kämpfe der unabhängige Richter, auf den sich vertrauensvoll das Auge des<lb/>
Volkes richtete, wenn einem unschuldig Verfolgten despotische Gewaltübergriffe<lb/>
drohten, wer denkt da jetzt noch daran? Jetzt richtet sich der Kampf, den die<lb/>
Gesellschaft mit dem scharfen Schwert der Strafjustiz führt, gegen die unheim¬<lb/>
lichen, dunkeln Mächte, die, über die ganze Kulturwelt verbreitet, mit den<lb/>
furchtbaren Mitteln der Neuzeit gegen den Bestand des Staates und der<lb/>
Gesellschaft selbst ankämpfen, und gegen die weitverzweigten Verbrechen eines<lb/>
internationalen Hochstaplertnms, das mit seinen von lauger Hand vorbereiteten,<lb/>
blitzschnell geführten Schlägen auf einmal ganze Vermögen an sich bringt. In<lb/>
einem solchen Kampfe ist in der That die Nichterthätigkeit untergeordneter<lb/>
Natur, das eigentliche Werkzeug der Gesellschaft in ihm ist die Kriminalpolizei.<lb/>
Diese ist es, die Auge und Gunst der öffentlichen Meinung auf sich zieht,<lb/>
wenn es ihr gelingt, die verworrenen Fäden eines dunkeln Verbrechens zu<lb/>
entwirren und die zerstreuten Spuren zur Entdeckung des Thäters zu sammeln.<lb/>
Die Richterthätigkeit im Strafprozeß ist mehr formaler Natur; die schwerere<lb/>
Aufgabe, die Aburteilung überhaupt erst zu ermöglichen, und darum das<lb/>
größere Verdienst füllt gerade bei den am meisten Aussehen erregenden Fällen<lb/>
andern Behörden zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1644" next="#ID_1645"> So ist es uicht zu verwundern, daß sich thatkräftige und thatenlustige<lb/>
Naturen, die den Drang fühlen, an den Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten,<lb/>
uicht dem Richterstaude zuwenden. Ein ähnlicher, nur in umgekehrter Rich¬<lb/>
tung sich bewegender Wechsel hat sich im Lauf der beiden letzten Jahrzehnte<lb/>
auf einem verwandten Berufsgebiet &#x2014; dem der Theologie &#x2014; vollzogen.<lb/>
Noch vor etwa fünfzehn Jahren wurde der theologische Beruf vou den<lb/>
Söhnen der bessern und wohlhabender» Gesellschaftsschichten &#x2014; abgesehen von<lb/>
Pfarrersfamilien &#x2014; nur selten gewählt, während ihm jetzt mehr und mehr<lb/>
Zuwachs gerade aus den besten Kreisen wird. Der Grund dafür liegt sicher¬<lb/>
lich nicht allem in einer Zunahme der Neigung zur theologischen Wissenschaft<lb/>
(wenn auch nicht zu verkennen ist, daß sich auf den Platten Materialismus<lb/>
der letztvcrgaugnen Periode eine Umkehr zum Bessern anbahnt), vielmehr<lb/>
spricht zweifellos zum großen Teil auch der Umstand mit, daß der Beruf des<lb/>
Geistlichen den Fragen der heutigen Zeit, besonders gerade der sozialen<lb/>
näher steht. Mehr und mehr bricht sich ja die Einsicht Bahn, daß der Kampf,<lb/>
der sich auf wirtschaftlichem Gebiete entsponnen hat, und der dem äußern<lb/>
Schein nach nur wirtschaftliche Fragen betrifft, bei aller Notwendigkeit wirt¬<lb/>
schaftlicher Umgestaltungen doch seinem innern Kern nach und besonders in<lb/>
seiner Richtung gegen den Svzialdemokrntismus ein Kampf verschiedner Welt¬<lb/>
anschauungen ist, der ans geistigem Gebiete zum Austrag gebracht werde» muß.<lb/>
Denn es gilt, die Irrlehre der materialistischen Welt- und Lebensauffassung<lb/>
aufzudecken und zu widerlegen, dieser Lehre, die wie so viele andre all¬<lb/>
mählich von oben nach unten durchgesickert ist, und während sie oben wenig-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] Der Richterstand und die öffentliche Meinung Kämpfe der unabhängige Richter, auf den sich vertrauensvoll das Auge des Volkes richtete, wenn einem unschuldig Verfolgten despotische Gewaltübergriffe drohten, wer denkt da jetzt noch daran? Jetzt richtet sich der Kampf, den die Gesellschaft mit dem scharfen Schwert der Strafjustiz führt, gegen die unheim¬ lichen, dunkeln Mächte, die, über die ganze Kulturwelt verbreitet, mit den furchtbaren Mitteln der Neuzeit gegen den Bestand des Staates und der Gesellschaft selbst ankämpfen, und gegen die weitverzweigten Verbrechen eines internationalen Hochstaplertnms, das mit seinen von lauger Hand vorbereiteten, blitzschnell geführten Schlägen auf einmal ganze Vermögen an sich bringt. In einem solchen Kampfe ist in der That die Nichterthätigkeit untergeordneter Natur, das eigentliche Werkzeug der Gesellschaft in ihm ist die Kriminalpolizei. Diese ist es, die Auge und Gunst der öffentlichen Meinung auf sich zieht, wenn es ihr gelingt, die verworrenen Fäden eines dunkeln Verbrechens zu entwirren und die zerstreuten Spuren zur Entdeckung des Thäters zu sammeln. Die Richterthätigkeit im Strafprozeß ist mehr formaler Natur; die schwerere Aufgabe, die Aburteilung überhaupt erst zu ermöglichen, und darum das größere Verdienst füllt gerade bei den am meisten Aussehen erregenden Fällen andern Behörden zu. So ist es uicht zu verwundern, daß sich thatkräftige und thatenlustige Naturen, die den Drang fühlen, an den Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten, uicht dem Richterstaude zuwenden. Ein ähnlicher, nur in umgekehrter Rich¬ tung sich bewegender Wechsel hat sich im Lauf der beiden letzten Jahrzehnte auf einem verwandten Berufsgebiet — dem der Theologie — vollzogen. Noch vor etwa fünfzehn Jahren wurde der theologische Beruf vou den Söhnen der bessern und wohlhabender» Gesellschaftsschichten — abgesehen von Pfarrersfamilien — nur selten gewählt, während ihm jetzt mehr und mehr Zuwachs gerade aus den besten Kreisen wird. Der Grund dafür liegt sicher¬ lich nicht allem in einer Zunahme der Neigung zur theologischen Wissenschaft (wenn auch nicht zu verkennen ist, daß sich auf den Platten Materialismus der letztvcrgaugnen Periode eine Umkehr zum Bessern anbahnt), vielmehr spricht zweifellos zum großen Teil auch der Umstand mit, daß der Beruf des Geistlichen den Fragen der heutigen Zeit, besonders gerade der sozialen näher steht. Mehr und mehr bricht sich ja die Einsicht Bahn, daß der Kampf, der sich auf wirtschaftlichem Gebiete entsponnen hat, und der dem äußern Schein nach nur wirtschaftliche Fragen betrifft, bei aller Notwendigkeit wirt¬ schaftlicher Umgestaltungen doch seinem innern Kern nach und besonders in seiner Richtung gegen den Svzialdemokrntismus ein Kampf verschiedner Welt¬ anschauungen ist, der ans geistigem Gebiete zum Austrag gebracht werde» muß. Denn es gilt, die Irrlehre der materialistischen Welt- und Lebensauffassung aufzudecken und zu widerlegen, dieser Lehre, die wie so viele andre all¬ mählich von oben nach unten durchgesickert ist, und während sie oben wenig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/552
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/552>, abgerufen am 26.08.2024.