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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Richterstand und die öffentliche Meinung

seems von der Mehrzahl aller denkenden Köpfe längst aufgegeben ist, in den
untern Schichten noch die Geister gebunden hält. Daß aber in diesem geistigen
Kampfe der Geistliche kraft seines Berufes eine hervorragendere Bedeutung und
Stellung hat, als der Jurist, liegt auf der Hand. Der Geistliche ist dabei
gerade in seinem Element; sein Beruf ist es ja. die dumpfen, trüben Geister
aufzuhellen und zu der Sonne eiuer das Lebe" durchleuchtenden und erwär¬
mende", über dieses selbst hinaus zielenden Lebensanschauung hinzuführen.
Das Gefühl dieser im Beruf gegebnen Pflicht macht sich unter den Geistlichen
auch mehr und mehr geltend, und es ist kein Zufall, daß der so beachtens¬
werte Versuch der praktischen Förderung des Problems dnrch eigne, unter¬
schiedslose Teilnahme an dem Leben und Arbeiten, deu Leiden und Ver¬
gnügungen der Fabrikarbeiter von einem Theologen ausgegangen ist.

Der Richter steht dem ferner. Sein Amt ist es, Recht zu sprechen; nicht
das bestehende Recht gegen Zweifel zu verteidigen; eine Einwirknng auf die
Menge dnrch Lehre lind Ermahnung liegt wenigstens nicht in seinem Beruf.
Weit näher bringt den Frage" und Aufgabe" der Zeit sein Beruf schon deu
Verwaltungsbeamten; seiue Einwirknng auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ist
weit unmittelbarer, seine Berührung mit den kämpfenden Parteien viel häufiger
und inniger. Auch die Thätigkeit der Selbstverwaltungsbezirke und Gemeinde"
"innre uach Umfang und Inhalt fortwährend zu und gewinnt durch staatliche
Überweisung immer neue Gebiete, wie ja z. B. in Preußen auch die Alters-
und Jnvaliditätsversicheruugsaustalten an die Provinzialverbände angegliedert
worden sind.

Nach alledem kann es nicht verwundern, wenn sich thatkräftigere und
strebsamere Elemente aus den Kreisen, die bisher dem Nichterstande seine"
Nachwuchs lieferten, andern Zweigen, namentlich der Verwaltung zuwenden.
Ausschließlich hat dieser innere Grund allerdings diese Verschiebung nicht ver¬
anlaßt. Auch äußere und zum Teil recht unerquickliche Umstände haben mit¬
gewirkt.

Dazu zählt unverkennbar in besondern: Maße die Überfüllung des Berufs
und die dadurch veranlaßte Verspätung in der Anstellung. Auch der, den,
seine Vermögensverhältnisse noch einige Jahre unbesoldet zu leben erlauben,
wird von der Aussicht, die sich ihm jetzt nach der Staatsprüfung bietet, ab¬
geschreckt. Man versetze sich nur einmal in die Seele eines junge" Mannes,
dem sich Ende der zwanziger Jahre, also in dem Alter besten, regsten Schaffens,
die Aussicht eröffnet, über ein halbes Jahrzehnt hinaus ohne bestimmt "in-
grenzten Wirkungskreis überflüssig als fünftes Rad am Wagen thätig zu sein.
Die Jahre der besten Schaffenskraft gehen auf diese Weise für die eigentliche
Berufsarbeit fast unbenutzt vorüber, und ein Gefühl der Unlust muß sich zu¬
letzt eiues jede", und nicht am wenigsten gerade des tüchtigen, bemächtigen.
Wer aber wirklich ausgehalten und schließlich seine Anstellung als Amtsrichter


Grenzlwte" UI 1891 69
Der Richterstand und die öffentliche Meinung

seems von der Mehrzahl aller denkenden Köpfe längst aufgegeben ist, in den
untern Schichten noch die Geister gebunden hält. Daß aber in diesem geistigen
Kampfe der Geistliche kraft seines Berufes eine hervorragendere Bedeutung und
Stellung hat, als der Jurist, liegt auf der Hand. Der Geistliche ist dabei
gerade in seinem Element; sein Beruf ist es ja. die dumpfen, trüben Geister
aufzuhellen und zu der Sonne eiuer das Lebe» durchleuchtenden und erwär¬
mende», über dieses selbst hinaus zielenden Lebensanschauung hinzuführen.
Das Gefühl dieser im Beruf gegebnen Pflicht macht sich unter den Geistlichen
auch mehr und mehr geltend, und es ist kein Zufall, daß der so beachtens¬
werte Versuch der praktischen Förderung des Problems dnrch eigne, unter¬
schiedslose Teilnahme an dem Leben und Arbeiten, deu Leiden und Ver¬
gnügungen der Fabrikarbeiter von einem Theologen ausgegangen ist.

Der Richter steht dem ferner. Sein Amt ist es, Recht zu sprechen; nicht
das bestehende Recht gegen Zweifel zu verteidigen; eine Einwirknng auf die
Menge dnrch Lehre lind Ermahnung liegt wenigstens nicht in seinem Beruf.
Weit näher bringt den Frage» und Aufgabe» der Zeit sein Beruf schon deu
Verwaltungsbeamten; seiue Einwirknng auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ist
weit unmittelbarer, seine Berührung mit den kämpfenden Parteien viel häufiger
und inniger. Auch die Thätigkeit der Selbstverwaltungsbezirke und Gemeinde»
»innre uach Umfang und Inhalt fortwährend zu und gewinnt durch staatliche
Überweisung immer neue Gebiete, wie ja z. B. in Preußen auch die Alters-
und Jnvaliditätsversicheruugsaustalten an die Provinzialverbände angegliedert
worden sind.

Nach alledem kann es nicht verwundern, wenn sich thatkräftigere und
strebsamere Elemente aus den Kreisen, die bisher dem Nichterstande seine»
Nachwuchs lieferten, andern Zweigen, namentlich der Verwaltung zuwenden.
Ausschließlich hat dieser innere Grund allerdings diese Verschiebung nicht ver¬
anlaßt. Auch äußere und zum Teil recht unerquickliche Umstände haben mit¬
gewirkt.

Dazu zählt unverkennbar in besondern: Maße die Überfüllung des Berufs
und die dadurch veranlaßte Verspätung in der Anstellung. Auch der, den,
seine Vermögensverhältnisse noch einige Jahre unbesoldet zu leben erlauben,
wird von der Aussicht, die sich ihm jetzt nach der Staatsprüfung bietet, ab¬
geschreckt. Man versetze sich nur einmal in die Seele eines junge» Mannes,
dem sich Ende der zwanziger Jahre, also in dem Alter besten, regsten Schaffens,
die Aussicht eröffnet, über ein halbes Jahrzehnt hinaus ohne bestimmt »in-
grenzten Wirkungskreis überflüssig als fünftes Rad am Wagen thätig zu sein.
Die Jahre der besten Schaffenskraft gehen auf diese Weise für die eigentliche
Berufsarbeit fast unbenutzt vorüber, und ein Gefühl der Unlust muß sich zu¬
letzt eiues jede», und nicht am wenigsten gerade des tüchtigen, bemächtigen.
Wer aber wirklich ausgehalten und schließlich seine Anstellung als Amtsrichter


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[0553] Der Richterstand und die öffentliche Meinung seems von der Mehrzahl aller denkenden Köpfe längst aufgegeben ist, in den untern Schichten noch die Geister gebunden hält. Daß aber in diesem geistigen Kampfe der Geistliche kraft seines Berufes eine hervorragendere Bedeutung und Stellung hat, als der Jurist, liegt auf der Hand. Der Geistliche ist dabei gerade in seinem Element; sein Beruf ist es ja. die dumpfen, trüben Geister aufzuhellen und zu der Sonne eiuer das Lebe» durchleuchtenden und erwär¬ mende», über dieses selbst hinaus zielenden Lebensanschauung hinzuführen. Das Gefühl dieser im Beruf gegebnen Pflicht macht sich unter den Geistlichen auch mehr und mehr geltend, und es ist kein Zufall, daß der so beachtens¬ werte Versuch der praktischen Förderung des Problems dnrch eigne, unter¬ schiedslose Teilnahme an dem Leben und Arbeiten, deu Leiden und Ver¬ gnügungen der Fabrikarbeiter von einem Theologen ausgegangen ist. Der Richter steht dem ferner. Sein Amt ist es, Recht zu sprechen; nicht das bestehende Recht gegen Zweifel zu verteidigen; eine Einwirknng auf die Menge dnrch Lehre lind Ermahnung liegt wenigstens nicht in seinem Beruf. Weit näher bringt den Frage» und Aufgabe» der Zeit sein Beruf schon deu Verwaltungsbeamten; seiue Einwirknng auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ist weit unmittelbarer, seine Berührung mit den kämpfenden Parteien viel häufiger und inniger. Auch die Thätigkeit der Selbstverwaltungsbezirke und Gemeinde» »innre uach Umfang und Inhalt fortwährend zu und gewinnt durch staatliche Überweisung immer neue Gebiete, wie ja z. B. in Preußen auch die Alters- und Jnvaliditätsversicheruugsaustalten an die Provinzialverbände angegliedert worden sind. Nach alledem kann es nicht verwundern, wenn sich thatkräftigere und strebsamere Elemente aus den Kreisen, die bisher dem Nichterstande seine» Nachwuchs lieferten, andern Zweigen, namentlich der Verwaltung zuwenden. Ausschließlich hat dieser innere Grund allerdings diese Verschiebung nicht ver¬ anlaßt. Auch äußere und zum Teil recht unerquickliche Umstände haben mit¬ gewirkt. Dazu zählt unverkennbar in besondern: Maße die Überfüllung des Berufs und die dadurch veranlaßte Verspätung in der Anstellung. Auch der, den, seine Vermögensverhältnisse noch einige Jahre unbesoldet zu leben erlauben, wird von der Aussicht, die sich ihm jetzt nach der Staatsprüfung bietet, ab¬ geschreckt. Man versetze sich nur einmal in die Seele eines junge» Mannes, dem sich Ende der zwanziger Jahre, also in dem Alter besten, regsten Schaffens, die Aussicht eröffnet, über ein halbes Jahrzehnt hinaus ohne bestimmt »in- grenzten Wirkungskreis überflüssig als fünftes Rad am Wagen thätig zu sein. Die Jahre der besten Schaffenskraft gehen auf diese Weise für die eigentliche Berufsarbeit fast unbenutzt vorüber, und ein Gefühl der Unlust muß sich zu¬ letzt eiues jede», und nicht am wenigsten gerade des tüchtigen, bemächtigen. Wer aber wirklich ausgehalten und schließlich seine Anstellung als Amtsrichter Grenzlwte» UI 1891 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/553>, abgerufen am 26.08.2024.