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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Richterstand und die öffentliche Meinung

Um Mißdeutungen vorzubeugen, sei gleich vorangeschickt, daß hier keines¬
wegs die Bestrebungen gewisser Berufsarten, z. B. der technischen Eisenbahn¬
beamten, um Gleichstellung mit den juristisch vorgebildeten Mitgliedern ihrer
Behörden zurückgewiesen werden sollen. Diese Bestrebungen sind im Gegen¬
teil durchaus berechtigt, und es ist ihnen nur Erfolg zu wünschen. Die hier
noch bestehende Bevorzugung der Juristen ist ein Nest des Privilegs, das
diese einst fast für alle Verwaltungszweige besaßen, und das bei ihrer for-
malen Gewandtheit unter den frühern technisch und wirtschaftlich einfachern
Verhältnissen begründet war, heutzutage aber eine Ungereimtheit und in den
meisten Verwaltuugszweigeu ja auch schon beseitigt ist. Hier handelt sichs
nicht um die Stellung der Juristen in den sonstigen Verwaltungszweigen,
sondern um den eigentlichen Richterstand.

Der nächste und hauptsächlichste Grund für die Abwendung der öffent¬
lichen Meinung von ihm dürfte wohl ein innerer sein. Die zweite Hälfte
dieses Jahrhunderts bis zum Ausgang der siebziger Jahre ist für Deutsch¬
land die Periode, wo der Rechtsstaat das von der öffentlichen Meinung ge¬
tragne Ideal des Staates überhaupt war. Die damals herrschende wirtschaft¬
liche und die aus ihr hervorgehende rechtsphilosophische Lehre des Manchestcr-
tums sah als den nicht mir überwiegenden, sondern geradezu als den allein
berechtigten Zweck des Staates nach innen den Rechtsschutz an (dieses Wort
im Sinne der Aufrechterhaltung der rein formalen Rechtsordnung verstanden),
und es war nur eine natürliche, wenn auch vielleicht unbewußte Folge, daß
darum auch der Träger der Rechtspflege, der Richterstand, als der erste
bürgerliche Stand galt. Dazu kam die frische Erinnerung und Nachwirkung
der eben überstandnen politischen Wirren im Innern. In den Verfassnngs-
kämpfen der ersten Hälfte des Jahrhunderts -- genau genommen wurden sie
ja in Preußen, Kurhessen u. a. erst im Jahre 18KK abgeschlossen -- war die
Unabhängigkeit der Richtergewalt fast überall ein Gegenstand besondrer Für¬
sorge der Verfassungsparteien gewesen, und wo es zu heftigem Reibungen
kam, wie in den genannten Staaten, da hatte sich der Richterstand auch zum
überwiegenden Teil als strenger Verfechter des verfassungsmäßigen Zustandes
und Rechtes bewährt. Es war die Zeit, wo der Kreisrichter in Preußen an
der Spitze der liberalen Partei ging und für den "populärsten Mann" im
Lande erklärt werden konnte, und wo in Kurhessen sämtliche Gerichte, voran
das Oberappellationsgericht, einem Willkürregiment ohnegleichen allen Schikanen
zum Trotz die Spitze boten.

Unter diesen Verhältnissen war es natürlich, daß alle die Volkskreise,
die an dem verfassungsmäßigen Zustande hingen, auch zu dem Richtcrstandc
mit Liebe, ja mit Verehrung emporblickten, seine Unabhängigkeit als ein kost¬
bares Gut nicht nur für den Stand selbst, sondern für das ganze Volk be¬
trachteten und ihre Söhne gern dem Nichterberufe widmete".


Der Richterstand und die öffentliche Meinung

Um Mißdeutungen vorzubeugen, sei gleich vorangeschickt, daß hier keines¬
wegs die Bestrebungen gewisser Berufsarten, z. B. der technischen Eisenbahn¬
beamten, um Gleichstellung mit den juristisch vorgebildeten Mitgliedern ihrer
Behörden zurückgewiesen werden sollen. Diese Bestrebungen sind im Gegen¬
teil durchaus berechtigt, und es ist ihnen nur Erfolg zu wünschen. Die hier
noch bestehende Bevorzugung der Juristen ist ein Nest des Privilegs, das
diese einst fast für alle Verwaltungszweige besaßen, und das bei ihrer for-
malen Gewandtheit unter den frühern technisch und wirtschaftlich einfachern
Verhältnissen begründet war, heutzutage aber eine Ungereimtheit und in den
meisten Verwaltuugszweigeu ja auch schon beseitigt ist. Hier handelt sichs
nicht um die Stellung der Juristen in den sonstigen Verwaltungszweigen,
sondern um den eigentlichen Richterstand.

Der nächste und hauptsächlichste Grund für die Abwendung der öffent¬
lichen Meinung von ihm dürfte wohl ein innerer sein. Die zweite Hälfte
dieses Jahrhunderts bis zum Ausgang der siebziger Jahre ist für Deutsch¬
land die Periode, wo der Rechtsstaat das von der öffentlichen Meinung ge¬
tragne Ideal des Staates überhaupt war. Die damals herrschende wirtschaft¬
liche und die aus ihr hervorgehende rechtsphilosophische Lehre des Manchestcr-
tums sah als den nicht mir überwiegenden, sondern geradezu als den allein
berechtigten Zweck des Staates nach innen den Rechtsschutz an (dieses Wort
im Sinne der Aufrechterhaltung der rein formalen Rechtsordnung verstanden),
und es war nur eine natürliche, wenn auch vielleicht unbewußte Folge, daß
darum auch der Träger der Rechtspflege, der Richterstand, als der erste
bürgerliche Stand galt. Dazu kam die frische Erinnerung und Nachwirkung
der eben überstandnen politischen Wirren im Innern. In den Verfassnngs-
kämpfen der ersten Hälfte des Jahrhunderts — genau genommen wurden sie
ja in Preußen, Kurhessen u. a. erst im Jahre 18KK abgeschlossen — war die
Unabhängigkeit der Richtergewalt fast überall ein Gegenstand besondrer Für¬
sorge der Verfassungsparteien gewesen, und wo es zu heftigem Reibungen
kam, wie in den genannten Staaten, da hatte sich der Richterstand auch zum
überwiegenden Teil als strenger Verfechter des verfassungsmäßigen Zustandes
und Rechtes bewährt. Es war die Zeit, wo der Kreisrichter in Preußen an
der Spitze der liberalen Partei ging und für den „populärsten Mann" im
Lande erklärt werden konnte, und wo in Kurhessen sämtliche Gerichte, voran
das Oberappellationsgericht, einem Willkürregiment ohnegleichen allen Schikanen
zum Trotz die Spitze boten.

Unter diesen Verhältnissen war es natürlich, daß alle die Volkskreise,
die an dem verfassungsmäßigen Zustande hingen, auch zu dem Richtcrstandc
mit Liebe, ja mit Verehrung emporblickten, seine Unabhängigkeit als ein kost¬
bares Gut nicht nur für den Stand selbst, sondern für das ganze Volk be¬
trachteten und ihre Söhne gern dem Nichterberufe widmete».


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[0550] Der Richterstand und die öffentliche Meinung Um Mißdeutungen vorzubeugen, sei gleich vorangeschickt, daß hier keines¬ wegs die Bestrebungen gewisser Berufsarten, z. B. der technischen Eisenbahn¬ beamten, um Gleichstellung mit den juristisch vorgebildeten Mitgliedern ihrer Behörden zurückgewiesen werden sollen. Diese Bestrebungen sind im Gegen¬ teil durchaus berechtigt, und es ist ihnen nur Erfolg zu wünschen. Die hier noch bestehende Bevorzugung der Juristen ist ein Nest des Privilegs, das diese einst fast für alle Verwaltungszweige besaßen, und das bei ihrer for- malen Gewandtheit unter den frühern technisch und wirtschaftlich einfachern Verhältnissen begründet war, heutzutage aber eine Ungereimtheit und in den meisten Verwaltuugszweigeu ja auch schon beseitigt ist. Hier handelt sichs nicht um die Stellung der Juristen in den sonstigen Verwaltungszweigen, sondern um den eigentlichen Richterstand. Der nächste und hauptsächlichste Grund für die Abwendung der öffent¬ lichen Meinung von ihm dürfte wohl ein innerer sein. Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts bis zum Ausgang der siebziger Jahre ist für Deutsch¬ land die Periode, wo der Rechtsstaat das von der öffentlichen Meinung ge¬ tragne Ideal des Staates überhaupt war. Die damals herrschende wirtschaft¬ liche und die aus ihr hervorgehende rechtsphilosophische Lehre des Manchestcr- tums sah als den nicht mir überwiegenden, sondern geradezu als den allein berechtigten Zweck des Staates nach innen den Rechtsschutz an (dieses Wort im Sinne der Aufrechterhaltung der rein formalen Rechtsordnung verstanden), und es war nur eine natürliche, wenn auch vielleicht unbewußte Folge, daß darum auch der Träger der Rechtspflege, der Richterstand, als der erste bürgerliche Stand galt. Dazu kam die frische Erinnerung und Nachwirkung der eben überstandnen politischen Wirren im Innern. In den Verfassnngs- kämpfen der ersten Hälfte des Jahrhunderts — genau genommen wurden sie ja in Preußen, Kurhessen u. a. erst im Jahre 18KK abgeschlossen — war die Unabhängigkeit der Richtergewalt fast überall ein Gegenstand besondrer Für¬ sorge der Verfassungsparteien gewesen, und wo es zu heftigem Reibungen kam, wie in den genannten Staaten, da hatte sich der Richterstand auch zum überwiegenden Teil als strenger Verfechter des verfassungsmäßigen Zustandes und Rechtes bewährt. Es war die Zeit, wo der Kreisrichter in Preußen an der Spitze der liberalen Partei ging und für den „populärsten Mann" im Lande erklärt werden konnte, und wo in Kurhessen sämtliche Gerichte, voran das Oberappellationsgericht, einem Willkürregiment ohnegleichen allen Schikanen zum Trotz die Spitze boten. Unter diesen Verhältnissen war es natürlich, daß alle die Volkskreise, die an dem verfassungsmäßigen Zustande hingen, auch zu dem Richtcrstandc mit Liebe, ja mit Verehrung emporblickten, seine Unabhängigkeit als ein kost¬ bares Gut nicht nur für den Stand selbst, sondern für das ganze Volk be¬ trachteten und ihre Söhne gern dem Nichterberufe widmete».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/550>, abgerufen am 26.08.2024.