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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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nicht Vorwürfe und Bemängelungen im einzelnen, in denen sich diese Ungunst
zeigt; es ist eine unausgesprochene Stellungnahme, die aber für jeden Ein¬
sichtigen die eingetretene Wandlung fühlbar werden läßt. Neuerdings sind
auch in der Presse Stimmen laut geworden, die zeigen, daß man auch in
weitern Kreisen auf die Thatsache aufmerksam zu werden beginnt. Insbesondre
hat kürzlich die Kreuzzeitung in einem beachtenswerten Aufsatz ans die übrigens
anch von andern Seiten bestätigte Thatsache hingewiesen, daß sich in der
neuesten Zeit eine Verschiebung der gesellschaftlichen Schichten vollzieht, die
dein Richterstande seinen Nachwuchs liefern. "Nicht nur der Landadel, auch der
bürgerliche Großgrundbesitz, ja fast die gesamten gebildeten und guten Familien
des platten Landes, namentlich die wohlhabenderen und angeseheneren Pächter
von Domänen und sonstigem Großgrundbesitz schicken in Preußen ihre Söhne
nur noch in die verschiednen Zweige der Staatsverwaltung, nicht in den
Richterstand, eher uoch in die Staats- und Rechtsanwaltschaft. Ferner zeigen
auch die höhern Beamtenfamilien, darunter anch die der Justiz selbst, wenig
Neigung zu einem Verbleiben im Justizdienst, und endlich verläßt diesen auch
das städtische Patriziat und wendet sich der Kvmmunalverwaltnng und der
Nechtsanwaltschast zu."

Diese Ausführung mag vielleicht nicht für den ganzen preußischen Staat
und noch weniger darüber hinaus die Geltung beanspruchen können, die sie
nach ihrer allgemeinen Fassung zu verlangen scheint, sie mag vielleicht selbst
für die östlichen Teile Preußens eine unzulässige Verallgemeinerung einzelner
beobachteten Thatsachen enthalten; aber ein richtiger Kern steckt darin, und
bei der Wichtigkeit, die der Richterstand als der erste und bedeutendste Träger
der Rechtspflege für deren Entwicklung und damit für die gedeihliche Ent¬
wicklung des ganzen Staats- und Volkslebens hat, verdient die Thatsache
wohl, ernst genommen zu werden. Denn für die Rechtspflege ist nicht nur
das thatsächliche Vorhandensein der für den Beruf erforderlichen Geistes- und
Charaktereigenschaften im Richterstande von nöten, sondern zu einem gesunden
Nechtszustmid ist auch die allgemeine Volksüberzeugung notwendig, daß im
Richterstande die zur gedeihlichen Lösung seiner Aufgaben erforderlichen Vor¬
aussetzungen gegeben seien. Eine bloße Abnahme dieses Zutrauens schon
müßte nachteilig auf das Rechtsleben zurückwirken; und so ist die Befürchtung
nicht von der Hand zu weisen, daß die von der Kreuzzeitung angedeutete
Änderung in der Zusammensetzung des Richterstandes und der dadurch gegebne
gesellschaftliche Rückgang desselben einen ungünstigen Einfluß für das Rechtsleben
zur Folge haben würde. Diese Schwenkung der öffentlichen Meinung ver¬
dient daher sowohl als eine an sich eigentümliche Erscheinung vom allgemeinen
sozialpsychologischen Standpunkt wie um ihrer praktischen Folgen willen von
dem besondern Standpunkte der Justizverwaltung ans Beachtung und Fest¬
stellung ihrer Ursachen.


nicht Vorwürfe und Bemängelungen im einzelnen, in denen sich diese Ungunst
zeigt; es ist eine unausgesprochene Stellungnahme, die aber für jeden Ein¬
sichtigen die eingetretene Wandlung fühlbar werden läßt. Neuerdings sind
auch in der Presse Stimmen laut geworden, die zeigen, daß man auch in
weitern Kreisen auf die Thatsache aufmerksam zu werden beginnt. Insbesondre
hat kürzlich die Kreuzzeitung in einem beachtenswerten Aufsatz ans die übrigens
anch von andern Seiten bestätigte Thatsache hingewiesen, daß sich in der
neuesten Zeit eine Verschiebung der gesellschaftlichen Schichten vollzieht, die
dein Richterstande seinen Nachwuchs liefern. „Nicht nur der Landadel, auch der
bürgerliche Großgrundbesitz, ja fast die gesamten gebildeten und guten Familien
des platten Landes, namentlich die wohlhabenderen und angeseheneren Pächter
von Domänen und sonstigem Großgrundbesitz schicken in Preußen ihre Söhne
nur noch in die verschiednen Zweige der Staatsverwaltung, nicht in den
Richterstand, eher uoch in die Staats- und Rechtsanwaltschaft. Ferner zeigen
auch die höhern Beamtenfamilien, darunter anch die der Justiz selbst, wenig
Neigung zu einem Verbleiben im Justizdienst, und endlich verläßt diesen auch
das städtische Patriziat und wendet sich der Kvmmunalverwaltnng und der
Nechtsanwaltschast zu."

Diese Ausführung mag vielleicht nicht für den ganzen preußischen Staat
und noch weniger darüber hinaus die Geltung beanspruchen können, die sie
nach ihrer allgemeinen Fassung zu verlangen scheint, sie mag vielleicht selbst
für die östlichen Teile Preußens eine unzulässige Verallgemeinerung einzelner
beobachteten Thatsachen enthalten; aber ein richtiger Kern steckt darin, und
bei der Wichtigkeit, die der Richterstand als der erste und bedeutendste Träger
der Rechtspflege für deren Entwicklung und damit für die gedeihliche Ent¬
wicklung des ganzen Staats- und Volkslebens hat, verdient die Thatsache
wohl, ernst genommen zu werden. Denn für die Rechtspflege ist nicht nur
das thatsächliche Vorhandensein der für den Beruf erforderlichen Geistes- und
Charaktereigenschaften im Richterstande von nöten, sondern zu einem gesunden
Nechtszustmid ist auch die allgemeine Volksüberzeugung notwendig, daß im
Richterstande die zur gedeihlichen Lösung seiner Aufgaben erforderlichen Vor¬
aussetzungen gegeben seien. Eine bloße Abnahme dieses Zutrauens schon
müßte nachteilig auf das Rechtsleben zurückwirken; und so ist die Befürchtung
nicht von der Hand zu weisen, daß die von der Kreuzzeitung angedeutete
Änderung in der Zusammensetzung des Richterstandes und der dadurch gegebne
gesellschaftliche Rückgang desselben einen ungünstigen Einfluß für das Rechtsleben
zur Folge haben würde. Diese Schwenkung der öffentlichen Meinung ver¬
dient daher sowohl als eine an sich eigentümliche Erscheinung vom allgemeinen
sozialpsychologischen Standpunkt wie um ihrer praktischen Folgen willen von
dem besondern Standpunkte der Justizverwaltung ans Beachtung und Fest¬
stellung ihrer Ursachen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/549>, abgerufen am 23.07.2024.