Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

sie selbst angriffsweise vorzugehen vermochten. Moltke nennt Chauzh den
tüchtigsten von allen Führern, die die Deutschen im Felde zu bekämpfen ge¬
habt haben. Um so vorsichtiger ist sein kritisches Urteil über Bazaine. Die
offenbaren taktischen Fehler dieses Marschalls erscheinen ihm nnr durch die
Annahme erklärlich, daß Bazaine schon vom 16. August an in seinen militä¬
rischen Operationen unter dem Einfluß politischer Erwägungen gestanden habe.
Wollte Bazaine seineu geplanten Rückzug von Metz auf Verdun fortsetzen, so
mußte er sich nach Moltkes Ansicht nicht in eine Verteidigungsstellung be¬
geben, sondern augriffsweise verfahren und sich vor allen Dingen des unmittel-
bar gegenüberstehenden Gegners mit aller Gewalt entledigen. Warum dies
nicht geschah, sagt Moltke, ist aus rein militärischem Gründen nicht leicht zu
erklären. Mit voller Sicherheit war zu übersehen, daß nur ein Teil, wahr¬
scheinlich ein kleiner Teil, der deutscheu Heeresmacht sich schon jetzt auf dem
linken Moselufer befinden könnte, und als im Laufe des Tages auch die noch
bei Metz zurückgebliebnen Divisionen einrückten, hatten die Franzosen eine
mehrfache Überlegenheit. Aber die vornehmlichste Sorge des Marschalls scheint
gewesen zu sein, uicht von Metz abgedrängt zu werden, und so richtete er den
Blick fast nur nach seinem linken Flügel. Indem er dorthin immer neue
Verstärkungen absandte, häufte er das ganze Gnrdekorvs und einen Teil des
sechsten dem Bois des Oguvus gegenüber an, vou dem aus ein Augriff über¬
haupt uicht stattfand. Man ist versucht anzunehmen, daß nur politische Grüude
den Mnrschall Bazaine schon an diesem Tage zu dem Entschluß brachten, bei
Metz zu verbleiben.

Vou dem Verdachte eines Verrates sucht ihn Moltke jedoch zu reinige";
ein Feldherr dürfe sich zwar nicht dnrch politische Beweggründe beeinflusse"
lasse", aber es frage sich doch sehr, ob Bazaine bei der in Frankreich eiuge-
trctnen Verwirrung anders habe handeln können. Aus seinem ganzen Verhalten
in deu Schlachte" vor Metz gehe eine entschiedne Abneigung hervor, sich von
diesem Platze zu trennen. Unter seinen Mauern vermochte er in der That
eine bedeutende Heeresmacht bis zum gegebnen Augenblick ungeschwächt zu
bewahren. An der Spitze der einzigen noch nicht zertrümmerten Armee Frank¬
reichs konnte ihm eine Machtstellung zufallen wie keinem andern im Lande.
Freilich mußte diese Armee erst von dem Banne befreit sein, der sie zur Zeit
gefesselt hielt. Der gewaltsame Durchbruch hätte sie, selbst wenn er gelang,
erheblich geschwächt, und ganz undenkbar war es nicht, daß der Marschall,
als stärkste Autorität im Lande, einen Preis werde bieten können, der deu
Gegner bestimmte, den Abzug zu gestatten. Denn wenn es endlich zum
Friedensschlüsse kam, mußte man ans deutscher Seite fragen: Wo ist in
Frankreich die Macht, mit der nach Zusammensturz des Kaiserreiches ver¬
handelt werden kann, und die in ihrer Stärke die Bürgschaft dafür leistet,
daß nbernommue Verpflichtungen auch gehalten werden? Daß der Marschall,


sie selbst angriffsweise vorzugehen vermochten. Moltke nennt Chauzh den
tüchtigsten von allen Führern, die die Deutschen im Felde zu bekämpfen ge¬
habt haben. Um so vorsichtiger ist sein kritisches Urteil über Bazaine. Die
offenbaren taktischen Fehler dieses Marschalls erscheinen ihm nnr durch die
Annahme erklärlich, daß Bazaine schon vom 16. August an in seinen militä¬
rischen Operationen unter dem Einfluß politischer Erwägungen gestanden habe.
Wollte Bazaine seineu geplanten Rückzug von Metz auf Verdun fortsetzen, so
mußte er sich nach Moltkes Ansicht nicht in eine Verteidigungsstellung be¬
geben, sondern augriffsweise verfahren und sich vor allen Dingen des unmittel-
bar gegenüberstehenden Gegners mit aller Gewalt entledigen. Warum dies
nicht geschah, sagt Moltke, ist aus rein militärischem Gründen nicht leicht zu
erklären. Mit voller Sicherheit war zu übersehen, daß nur ein Teil, wahr¬
scheinlich ein kleiner Teil, der deutscheu Heeresmacht sich schon jetzt auf dem
linken Moselufer befinden könnte, und als im Laufe des Tages auch die noch
bei Metz zurückgebliebnen Divisionen einrückten, hatten die Franzosen eine
mehrfache Überlegenheit. Aber die vornehmlichste Sorge des Marschalls scheint
gewesen zu sein, uicht von Metz abgedrängt zu werden, und so richtete er den
Blick fast nur nach seinem linken Flügel. Indem er dorthin immer neue
Verstärkungen absandte, häufte er das ganze Gnrdekorvs und einen Teil des
sechsten dem Bois des Oguvus gegenüber an, vou dem aus ein Augriff über¬
haupt uicht stattfand. Man ist versucht anzunehmen, daß nur politische Grüude
den Mnrschall Bazaine schon an diesem Tage zu dem Entschluß brachten, bei
Metz zu verbleiben.

Vou dem Verdachte eines Verrates sucht ihn Moltke jedoch zu reinige»;
ein Feldherr dürfe sich zwar nicht dnrch politische Beweggründe beeinflusse»
lasse», aber es frage sich doch sehr, ob Bazaine bei der in Frankreich eiuge-
trctnen Verwirrung anders habe handeln können. Aus seinem ganzen Verhalten
in deu Schlachte» vor Metz gehe eine entschiedne Abneigung hervor, sich von
diesem Platze zu trennen. Unter seinen Mauern vermochte er in der That
eine bedeutende Heeresmacht bis zum gegebnen Augenblick ungeschwächt zu
bewahren. An der Spitze der einzigen noch nicht zertrümmerten Armee Frank¬
reichs konnte ihm eine Machtstellung zufallen wie keinem andern im Lande.
Freilich mußte diese Armee erst von dem Banne befreit sein, der sie zur Zeit
gefesselt hielt. Der gewaltsame Durchbruch hätte sie, selbst wenn er gelang,
erheblich geschwächt, und ganz undenkbar war es nicht, daß der Marschall,
als stärkste Autorität im Lande, einen Preis werde bieten können, der deu
Gegner bestimmte, den Abzug zu gestatten. Denn wenn es endlich zum
Friedensschlüsse kam, mußte man ans deutscher Seite fragen: Wo ist in
Frankreich die Macht, mit der nach Zusammensturz des Kaiserreiches ver¬
handelt werden kann, und die in ihrer Stärke die Bürgschaft dafür leistet,
daß nbernommue Verpflichtungen auch gehalten werden? Daß der Marschall,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290310"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1611" prev="#ID_1610"> sie selbst angriffsweise vorzugehen vermochten. Moltke nennt Chauzh den<lb/>
tüchtigsten von allen Führern, die die Deutschen im Felde zu bekämpfen ge¬<lb/>
habt haben. Um so vorsichtiger ist sein kritisches Urteil über Bazaine. Die<lb/>
offenbaren taktischen Fehler dieses Marschalls erscheinen ihm nnr durch die<lb/>
Annahme erklärlich, daß Bazaine schon vom 16. August an in seinen militä¬<lb/>
rischen Operationen unter dem Einfluß politischer Erwägungen gestanden habe.<lb/>
Wollte Bazaine seineu geplanten Rückzug von Metz auf Verdun fortsetzen, so<lb/>
mußte er sich nach Moltkes Ansicht nicht in eine Verteidigungsstellung be¬<lb/>
geben, sondern augriffsweise verfahren und sich vor allen Dingen des unmittel-<lb/>
bar gegenüberstehenden Gegners mit aller Gewalt entledigen. Warum dies<lb/>
nicht geschah, sagt Moltke, ist aus rein militärischem Gründen nicht leicht zu<lb/>
erklären. Mit voller Sicherheit war zu übersehen, daß nur ein Teil, wahr¬<lb/>
scheinlich ein kleiner Teil, der deutscheu Heeresmacht sich schon jetzt auf dem<lb/>
linken Moselufer befinden könnte, und als im Laufe des Tages auch die noch<lb/>
bei Metz zurückgebliebnen Divisionen einrückten, hatten die Franzosen eine<lb/>
mehrfache Überlegenheit. Aber die vornehmlichste Sorge des Marschalls scheint<lb/>
gewesen zu sein, uicht von Metz abgedrängt zu werden, und so richtete er den<lb/>
Blick fast nur nach seinem linken Flügel. Indem er dorthin immer neue<lb/>
Verstärkungen absandte, häufte er das ganze Gnrdekorvs und einen Teil des<lb/>
sechsten dem Bois des Oguvus gegenüber an, vou dem aus ein Augriff über¬<lb/>
haupt uicht stattfand. Man ist versucht anzunehmen, daß nur politische Grüude<lb/>
den Mnrschall Bazaine schon an diesem Tage zu dem Entschluß brachten, bei<lb/>
Metz zu verbleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612" next="#ID_1613"> Vou dem Verdachte eines Verrates sucht ihn Moltke jedoch zu reinige»;<lb/>
ein Feldherr dürfe sich zwar nicht dnrch politische Beweggründe beeinflusse»<lb/>
lasse», aber es frage sich doch sehr, ob Bazaine bei der in Frankreich eiuge-<lb/>
trctnen Verwirrung anders habe handeln können. Aus seinem ganzen Verhalten<lb/>
in deu Schlachte» vor Metz gehe eine entschiedne Abneigung hervor, sich von<lb/>
diesem Platze zu trennen. Unter seinen Mauern vermochte er in der That<lb/>
eine bedeutende Heeresmacht bis zum gegebnen Augenblick ungeschwächt zu<lb/>
bewahren. An der Spitze der einzigen noch nicht zertrümmerten Armee Frank¬<lb/>
reichs konnte ihm eine Machtstellung zufallen wie keinem andern im Lande.<lb/>
Freilich mußte diese Armee erst von dem Banne befreit sein, der sie zur Zeit<lb/>
gefesselt hielt. Der gewaltsame Durchbruch hätte sie, selbst wenn er gelang,<lb/>
erheblich geschwächt, und ganz undenkbar war es nicht, daß der Marschall,<lb/>
als stärkste Autorität im Lande, einen Preis werde bieten können, der deu<lb/>
Gegner bestimmte, den Abzug zu gestatten. Denn wenn es endlich zum<lb/>
Friedensschlüsse kam, mußte man ans deutscher Seite fragen: Wo ist in<lb/>
Frankreich die Macht, mit der nach Zusammensturz des Kaiserreiches ver¬<lb/>
handelt werden kann, und die in ihrer Stärke die Bürgschaft dafür leistet,<lb/>
daß nbernommue Verpflichtungen auch gehalten werden? Daß der Marschall,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] sie selbst angriffsweise vorzugehen vermochten. Moltke nennt Chauzh den tüchtigsten von allen Führern, die die Deutschen im Felde zu bekämpfen ge¬ habt haben. Um so vorsichtiger ist sein kritisches Urteil über Bazaine. Die offenbaren taktischen Fehler dieses Marschalls erscheinen ihm nnr durch die Annahme erklärlich, daß Bazaine schon vom 16. August an in seinen militä¬ rischen Operationen unter dem Einfluß politischer Erwägungen gestanden habe. Wollte Bazaine seineu geplanten Rückzug von Metz auf Verdun fortsetzen, so mußte er sich nach Moltkes Ansicht nicht in eine Verteidigungsstellung be¬ geben, sondern augriffsweise verfahren und sich vor allen Dingen des unmittel- bar gegenüberstehenden Gegners mit aller Gewalt entledigen. Warum dies nicht geschah, sagt Moltke, ist aus rein militärischem Gründen nicht leicht zu erklären. Mit voller Sicherheit war zu übersehen, daß nur ein Teil, wahr¬ scheinlich ein kleiner Teil, der deutscheu Heeresmacht sich schon jetzt auf dem linken Moselufer befinden könnte, und als im Laufe des Tages auch die noch bei Metz zurückgebliebnen Divisionen einrückten, hatten die Franzosen eine mehrfache Überlegenheit. Aber die vornehmlichste Sorge des Marschalls scheint gewesen zu sein, uicht von Metz abgedrängt zu werden, und so richtete er den Blick fast nur nach seinem linken Flügel. Indem er dorthin immer neue Verstärkungen absandte, häufte er das ganze Gnrdekorvs und einen Teil des sechsten dem Bois des Oguvus gegenüber an, vou dem aus ein Augriff über¬ haupt uicht stattfand. Man ist versucht anzunehmen, daß nur politische Grüude den Mnrschall Bazaine schon an diesem Tage zu dem Entschluß brachten, bei Metz zu verbleiben. Vou dem Verdachte eines Verrates sucht ihn Moltke jedoch zu reinige»; ein Feldherr dürfe sich zwar nicht dnrch politische Beweggründe beeinflusse» lasse», aber es frage sich doch sehr, ob Bazaine bei der in Frankreich eiuge- trctnen Verwirrung anders habe handeln können. Aus seinem ganzen Verhalten in deu Schlachte» vor Metz gehe eine entschiedne Abneigung hervor, sich von diesem Platze zu trennen. Unter seinen Mauern vermochte er in der That eine bedeutende Heeresmacht bis zum gegebnen Augenblick ungeschwächt zu bewahren. An der Spitze der einzigen noch nicht zertrümmerten Armee Frank¬ reichs konnte ihm eine Machtstellung zufallen wie keinem andern im Lande. Freilich mußte diese Armee erst von dem Banne befreit sein, der sie zur Zeit gefesselt hielt. Der gewaltsame Durchbruch hätte sie, selbst wenn er gelang, erheblich geschwächt, und ganz undenkbar war es nicht, daß der Marschall, als stärkste Autorität im Lande, einen Preis werde bieten können, der deu Gegner bestimmte, den Abzug zu gestatten. Denn wenn es endlich zum Friedensschlüsse kam, mußte man ans deutscher Seite fragen: Wo ist in Frankreich die Macht, mit der nach Zusammensturz des Kaiserreiches ver¬ handelt werden kann, und die in ihrer Stärke die Bürgschaft dafür leistet, daß nbernommue Verpflichtungen auch gehalten werden? Daß der Marschall,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/541>, abgerufen am 26.08.2024.