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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Bestände der Festungen angewiesen. Diese selbst befanden sich in vernach¬
lässigten Zustande, denn auf sie war bei der sichern Erwartung, man werde
alsbald in Feindesland vorgehen, wenig Rücksicht genommen worden. So
hatte man auch Karten, zwar vou Deutschland, nicht aber von dem eignen
Gebiet an die Stäbe verteilt. Zahllose Anforderungen, Klagen und Beschwerden
liefen beim Kriegsministerium in Paris ein, das schließlich den Truppen über¬
lassen mußte, sich zu helfen, wie sie konnten. On so Äudroriillörii. hoffte die
zentrale Behörde.

Moltke kommt wiederholt in seinem Buche auf die mangelhafte Ausrüstung
der französischen Armee zurück, die durchaus nicht im;inxröt" gewesen sei.
So hebt er z. B. bei der Schilderung der Schlacht bei Gravelotte hervor,
daß das sechste französische Korps gar keinen Geuiepark besaß, und
daß, um nur die Verwundeten zurückzuschaffen, Proviantwagen abgeladen
und ihr Inhalt verbrannt werden mußte. Das sechste Korps vermochte
daher nicht den notwendigen fortifikatorischer Abschluß gegen den Wald
von Jaumont herzustellen, der dein rechten Flügel eine erhöhte Stärke ver¬
liehen hätte.

Die unausbleibliche Folge dieser mangelhaften Zustände war eine be¬
ständig wachsende Zuchtlosigkeit in der französischen Armee. Moltke unterläßt
nicht, an verschiednen Stellen seines Buches darauf hinzuweisen. So bemerkt
er, daß die Garnison aus Soissons uach der Kapitulation größtenteils be¬
rauscht abgerückt sei, daß der Kommandant von Schlettstadt nach der Über¬
gabe um ein beschleunigtes Einrücken der deutschen Truppen dringend gebeten
habe, da in der Stadt die größte Zuchtlosigkeit herrsche, daß der Rückzug der
Franzosen fast immer ungeordnet gewesen sei und gleich im Anfang des Feld¬
zuges, wo auf französischer Seite von unausgebildeten Truppe" noch keine Rede
sein konnte, gewöhnlich, z. B. schon nach der Schlacht bei Worts, zu einer
völligen Auflösung ausgeartet sei. Daher habe sich anch die Zahl unver-
wundeter Gefangnen von Schlacht zu Schlacht gesteigert. Aus dem Lager
von ClMvus mußten achtzehn Mobilgnrdenbataillvne zurückgeführt werden, da
sie solche Proben von Unbotmäßigkeit abgelegt hatten, daß man Bedenken
tragen mußte, sie nu den Feind zu bringen. Moltke ist gerecht genug, den
französischen Truppen da, wo sie sich wirklich auszeichneten, volle Anerkennung
zu zollen, z. B. bei den großartigen, aber völlig nutzlosen Kavallerieangriffen
während der Schlacht bei Sedan oder bei der tapfern Verteidigung von
Se. Cloud. Den französischen Führern gegenüber verhält er sich mit seinem
Lobe jedoch außerordentlich zurückhaltend. Aufrichtige Achtung empfindet er
im Grunde nur vor dem General Chanzh, der sich bekanntlich bei den Kämpfen
um Orleans auszeichnete und in kurzer Frist den innern Halt der geschlagner
Truppen in dem Maße wieder herzustellen wußte, daß sie der Armeecibteilnng
des Großherzogs von Mecklenburg nicht "ur Stand zu halten, sondern gegen


Bestände der Festungen angewiesen. Diese selbst befanden sich in vernach¬
lässigten Zustande, denn auf sie war bei der sichern Erwartung, man werde
alsbald in Feindesland vorgehen, wenig Rücksicht genommen worden. So
hatte man auch Karten, zwar vou Deutschland, nicht aber von dem eignen
Gebiet an die Stäbe verteilt. Zahllose Anforderungen, Klagen und Beschwerden
liefen beim Kriegsministerium in Paris ein, das schließlich den Truppen über¬
lassen mußte, sich zu helfen, wie sie konnten. On so Äudroriillörii. hoffte die
zentrale Behörde.

Moltke kommt wiederholt in seinem Buche auf die mangelhafte Ausrüstung
der französischen Armee zurück, die durchaus nicht im;inxröt» gewesen sei.
So hebt er z. B. bei der Schilderung der Schlacht bei Gravelotte hervor,
daß das sechste französische Korps gar keinen Geuiepark besaß, und
daß, um nur die Verwundeten zurückzuschaffen, Proviantwagen abgeladen
und ihr Inhalt verbrannt werden mußte. Das sechste Korps vermochte
daher nicht den notwendigen fortifikatorischer Abschluß gegen den Wald
von Jaumont herzustellen, der dein rechten Flügel eine erhöhte Stärke ver¬
liehen hätte.

Die unausbleibliche Folge dieser mangelhaften Zustände war eine be¬
ständig wachsende Zuchtlosigkeit in der französischen Armee. Moltke unterläßt
nicht, an verschiednen Stellen seines Buches darauf hinzuweisen. So bemerkt
er, daß die Garnison aus Soissons uach der Kapitulation größtenteils be¬
rauscht abgerückt sei, daß der Kommandant von Schlettstadt nach der Über¬
gabe um ein beschleunigtes Einrücken der deutschen Truppen dringend gebeten
habe, da in der Stadt die größte Zuchtlosigkeit herrsche, daß der Rückzug der
Franzosen fast immer ungeordnet gewesen sei und gleich im Anfang des Feld¬
zuges, wo auf französischer Seite von unausgebildeten Truppe« noch keine Rede
sein konnte, gewöhnlich, z. B. schon nach der Schlacht bei Worts, zu einer
völligen Auflösung ausgeartet sei. Daher habe sich anch die Zahl unver-
wundeter Gefangnen von Schlacht zu Schlacht gesteigert. Aus dem Lager
von ClMvus mußten achtzehn Mobilgnrdenbataillvne zurückgeführt werden, da
sie solche Proben von Unbotmäßigkeit abgelegt hatten, daß man Bedenken
tragen mußte, sie nu den Feind zu bringen. Moltke ist gerecht genug, den
französischen Truppen da, wo sie sich wirklich auszeichneten, volle Anerkennung
zu zollen, z. B. bei den großartigen, aber völlig nutzlosen Kavallerieangriffen
während der Schlacht bei Sedan oder bei der tapfern Verteidigung von
Se. Cloud. Den französischen Führern gegenüber verhält er sich mit seinem
Lobe jedoch außerordentlich zurückhaltend. Aufrichtige Achtung empfindet er
im Grunde nur vor dem General Chanzh, der sich bekanntlich bei den Kämpfen
um Orleans auszeichnete und in kurzer Frist den innern Halt der geschlagner
Truppen in dem Maße wieder herzustellen wußte, daß sie der Armeecibteilnng
des Großherzogs von Mecklenburg nicht »ur Stand zu halten, sondern gegen


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[0540] Bestände der Festungen angewiesen. Diese selbst befanden sich in vernach¬ lässigten Zustande, denn auf sie war bei der sichern Erwartung, man werde alsbald in Feindesland vorgehen, wenig Rücksicht genommen worden. So hatte man auch Karten, zwar vou Deutschland, nicht aber von dem eignen Gebiet an die Stäbe verteilt. Zahllose Anforderungen, Klagen und Beschwerden liefen beim Kriegsministerium in Paris ein, das schließlich den Truppen über¬ lassen mußte, sich zu helfen, wie sie konnten. On so Äudroriillörii. hoffte die zentrale Behörde. Moltke kommt wiederholt in seinem Buche auf die mangelhafte Ausrüstung der französischen Armee zurück, die durchaus nicht im;inxröt» gewesen sei. So hebt er z. B. bei der Schilderung der Schlacht bei Gravelotte hervor, daß das sechste französische Korps gar keinen Geuiepark besaß, und daß, um nur die Verwundeten zurückzuschaffen, Proviantwagen abgeladen und ihr Inhalt verbrannt werden mußte. Das sechste Korps vermochte daher nicht den notwendigen fortifikatorischer Abschluß gegen den Wald von Jaumont herzustellen, der dein rechten Flügel eine erhöhte Stärke ver¬ liehen hätte. Die unausbleibliche Folge dieser mangelhaften Zustände war eine be¬ ständig wachsende Zuchtlosigkeit in der französischen Armee. Moltke unterläßt nicht, an verschiednen Stellen seines Buches darauf hinzuweisen. So bemerkt er, daß die Garnison aus Soissons uach der Kapitulation größtenteils be¬ rauscht abgerückt sei, daß der Kommandant von Schlettstadt nach der Über¬ gabe um ein beschleunigtes Einrücken der deutschen Truppen dringend gebeten habe, da in der Stadt die größte Zuchtlosigkeit herrsche, daß der Rückzug der Franzosen fast immer ungeordnet gewesen sei und gleich im Anfang des Feld¬ zuges, wo auf französischer Seite von unausgebildeten Truppe« noch keine Rede sein konnte, gewöhnlich, z. B. schon nach der Schlacht bei Worts, zu einer völligen Auflösung ausgeartet sei. Daher habe sich anch die Zahl unver- wundeter Gefangnen von Schlacht zu Schlacht gesteigert. Aus dem Lager von ClMvus mußten achtzehn Mobilgnrdenbataillvne zurückgeführt werden, da sie solche Proben von Unbotmäßigkeit abgelegt hatten, daß man Bedenken tragen mußte, sie nu den Feind zu bringen. Moltke ist gerecht genug, den französischen Truppen da, wo sie sich wirklich auszeichneten, volle Anerkennung zu zollen, z. B. bei den großartigen, aber völlig nutzlosen Kavallerieangriffen während der Schlacht bei Sedan oder bei der tapfern Verteidigung von Se. Cloud. Den französischen Führern gegenüber verhält er sich mit seinem Lobe jedoch außerordentlich zurückhaltend. Aufrichtige Achtung empfindet er im Grunde nur vor dem General Chanzh, der sich bekanntlich bei den Kämpfen um Orleans auszeichnete und in kurzer Frist den innern Halt der geschlagner Truppen in dem Maße wieder herzustellen wußte, daß sie der Armeecibteilnng des Großherzogs von Mecklenburg nicht »ur Stand zu halten, sondern gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/540>, abgerufen am 26.08.2024.