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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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lNoltkcs Geschichte des deutsch-französischen Krieges

wenn seine Pläne zur Ausführung gelangt wären, anders als im Interesse
Frankreichs gehandelt haben würde, ist weder bewiesen noch vorauszusetzen.

In höherm Grade als dieser Politiker scheint Moltkes Sympathie der
Marschall Mac Mahon besessen zu haben, der seine vernünftigen militärischen
Maßregeln den unvernünftigen Forderungen aus Paris unterordnen mußte,
und sich, statt die Hauptstadt zu decken, durch das Geschrei der National¬
versammlung: der französische General, der seine Gefährten im Stiche lasse,
verfalle dem Fluche des Vaterlandes, bewegen ließ, dem "tapfern" Bazaine zu
Hilfe zu eilen und dadurch seine Armee unrettbar ins Verderben zu führen.
Für den Marschall Mac Mahon, sagt Moltke, war es ein besondrer Glücks¬
fall, daß er schon am Anfang der Schlacht bei Sedan verwundet worden
war, sonst wäre unausbleiblich er der Unterzeichner der Übergabe gewesen,
und obwohl er nnr die Befehle ausgeführt hatte, die ihm von Paris ans
aufgedrängt worden waren, würde er schwerlich später über den Waffen-
gefährten zu Gericht gesessen haben, dessen Befreiung ihm nicht ge¬
lungen war.

Moltke betont wiederholt im Laufe seiner Darstellung, wie unheilvoll es
für die französische Armee gewesen sei, daß ihre Heerführer beständig auf die
Volksstimmung in Paris gelauscht und sich dadurch oft zu ganz zwecklosen
Unternehmungen hätten hinreißen lassen. Die meisten Ausfälle aus Paris
seien Folgen dieser Rücksicht gewesen, denn auf einen wirklichen Erfolg hätte
man dabei immer nur rechnen können, wenn eine Armee von außen so nahe
herangerückt wäre, daß sie der aus dem Platze heraustretenden unmittelbar die
Hand reichen konnte. Behandelt Moltke Chanzy und Mac Mahon mit einer
gewissen kameradschaftlichen Achtung, so läßt er jede Rücksicht fallen, wo er
auf die dilettantische Kriegsführung Gambcttas und Freycinets zu sprechen
kommt. Er rühmt allerdings Gambetta nach, daß er es vortrefflich verstanden
habe, ganze Bevölkerungen des Landes zu bewaffnen; die ins Leben gerufenen
Scharen nach einheitlichem Plane zu lenken, dazu habe er aber nicht die ge¬
ringste Fähigkeit besessen. "Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu kriegstttchtigcn
Truppe" heranzubilden, schickte er sie mangelhaft ausgerüstet mit rücksichts¬
loser Härte in unzusammenhüngende Unternehmungen gegen einen Feind, an
dessen fester Fügung ihre Tapferkeit und ihre Hingebung zerschellen mußten.
Er verlängerte den Kampf mit allen Opfern auf beiden Seiten, ohne das
Schicksal zu Gunsten Frankreichs zu wenden." Man sieht das überlegne
Lächeln des erfahrne,? Feldherrn überall da, wo er, z. B. bei der Schilderung
der Kämpfe um Besanyon, auf die wunderlichen Anordnungen und lcnenhaften
Marschbefehle Freycinets zu sprechen kommt; dort heißt es: "Den militärischen
Dilettantismus, der vou Bordeaux aus die Heeresbewegnngen leiten zu können
glaubte, kennzeichnet ein Telegramm vom 25. Januar nachmittags. Als seine
oonvivticm bivn A'i'dtvo spricht Herr de Freycinet aus, daß General Bvnr-


lNoltkcs Geschichte des deutsch-französischen Krieges

wenn seine Pläne zur Ausführung gelangt wären, anders als im Interesse
Frankreichs gehandelt haben würde, ist weder bewiesen noch vorauszusetzen.

In höherm Grade als dieser Politiker scheint Moltkes Sympathie der
Marschall Mac Mahon besessen zu haben, der seine vernünftigen militärischen
Maßregeln den unvernünftigen Forderungen aus Paris unterordnen mußte,
und sich, statt die Hauptstadt zu decken, durch das Geschrei der National¬
versammlung: der französische General, der seine Gefährten im Stiche lasse,
verfalle dem Fluche des Vaterlandes, bewegen ließ, dem „tapfern" Bazaine zu
Hilfe zu eilen und dadurch seine Armee unrettbar ins Verderben zu führen.
Für den Marschall Mac Mahon, sagt Moltke, war es ein besondrer Glücks¬
fall, daß er schon am Anfang der Schlacht bei Sedan verwundet worden
war, sonst wäre unausbleiblich er der Unterzeichner der Übergabe gewesen,
und obwohl er nnr die Befehle ausgeführt hatte, die ihm von Paris ans
aufgedrängt worden waren, würde er schwerlich später über den Waffen-
gefährten zu Gericht gesessen haben, dessen Befreiung ihm nicht ge¬
lungen war.

Moltke betont wiederholt im Laufe seiner Darstellung, wie unheilvoll es
für die französische Armee gewesen sei, daß ihre Heerführer beständig auf die
Volksstimmung in Paris gelauscht und sich dadurch oft zu ganz zwecklosen
Unternehmungen hätten hinreißen lassen. Die meisten Ausfälle aus Paris
seien Folgen dieser Rücksicht gewesen, denn auf einen wirklichen Erfolg hätte
man dabei immer nur rechnen können, wenn eine Armee von außen so nahe
herangerückt wäre, daß sie der aus dem Platze heraustretenden unmittelbar die
Hand reichen konnte. Behandelt Moltke Chanzy und Mac Mahon mit einer
gewissen kameradschaftlichen Achtung, so läßt er jede Rücksicht fallen, wo er
auf die dilettantische Kriegsführung Gambcttas und Freycinets zu sprechen
kommt. Er rühmt allerdings Gambetta nach, daß er es vortrefflich verstanden
habe, ganze Bevölkerungen des Landes zu bewaffnen; die ins Leben gerufenen
Scharen nach einheitlichem Plane zu lenken, dazu habe er aber nicht die ge¬
ringste Fähigkeit besessen. „Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu kriegstttchtigcn
Truppe» heranzubilden, schickte er sie mangelhaft ausgerüstet mit rücksichts¬
loser Härte in unzusammenhüngende Unternehmungen gegen einen Feind, an
dessen fester Fügung ihre Tapferkeit und ihre Hingebung zerschellen mußten.
Er verlängerte den Kampf mit allen Opfern auf beiden Seiten, ohne das
Schicksal zu Gunsten Frankreichs zu wenden." Man sieht das überlegne
Lächeln des erfahrne,? Feldherrn überall da, wo er, z. B. bei der Schilderung
der Kämpfe um Besanyon, auf die wunderlichen Anordnungen und lcnenhaften
Marschbefehle Freycinets zu sprechen kommt; dort heißt es: „Den militärischen
Dilettantismus, der vou Bordeaux aus die Heeresbewegnngen leiten zu können
glaubte, kennzeichnet ein Telegramm vom 25. Januar nachmittags. Als seine
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[0542] lNoltkcs Geschichte des deutsch-französischen Krieges wenn seine Pläne zur Ausführung gelangt wären, anders als im Interesse Frankreichs gehandelt haben würde, ist weder bewiesen noch vorauszusetzen. In höherm Grade als dieser Politiker scheint Moltkes Sympathie der Marschall Mac Mahon besessen zu haben, der seine vernünftigen militärischen Maßregeln den unvernünftigen Forderungen aus Paris unterordnen mußte, und sich, statt die Hauptstadt zu decken, durch das Geschrei der National¬ versammlung: der französische General, der seine Gefährten im Stiche lasse, verfalle dem Fluche des Vaterlandes, bewegen ließ, dem „tapfern" Bazaine zu Hilfe zu eilen und dadurch seine Armee unrettbar ins Verderben zu führen. Für den Marschall Mac Mahon, sagt Moltke, war es ein besondrer Glücks¬ fall, daß er schon am Anfang der Schlacht bei Sedan verwundet worden war, sonst wäre unausbleiblich er der Unterzeichner der Übergabe gewesen, und obwohl er nnr die Befehle ausgeführt hatte, die ihm von Paris ans aufgedrängt worden waren, würde er schwerlich später über den Waffen- gefährten zu Gericht gesessen haben, dessen Befreiung ihm nicht ge¬ lungen war. Moltke betont wiederholt im Laufe seiner Darstellung, wie unheilvoll es für die französische Armee gewesen sei, daß ihre Heerführer beständig auf die Volksstimmung in Paris gelauscht und sich dadurch oft zu ganz zwecklosen Unternehmungen hätten hinreißen lassen. Die meisten Ausfälle aus Paris seien Folgen dieser Rücksicht gewesen, denn auf einen wirklichen Erfolg hätte man dabei immer nur rechnen können, wenn eine Armee von außen so nahe herangerückt wäre, daß sie der aus dem Platze heraustretenden unmittelbar die Hand reichen konnte. Behandelt Moltke Chanzy und Mac Mahon mit einer gewissen kameradschaftlichen Achtung, so läßt er jede Rücksicht fallen, wo er auf die dilettantische Kriegsführung Gambcttas und Freycinets zu sprechen kommt. Er rühmt allerdings Gambetta nach, daß er es vortrefflich verstanden habe, ganze Bevölkerungen des Landes zu bewaffnen; die ins Leben gerufenen Scharen nach einheitlichem Plane zu lenken, dazu habe er aber nicht die ge¬ ringste Fähigkeit besessen. „Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu kriegstttchtigcn Truppe» heranzubilden, schickte er sie mangelhaft ausgerüstet mit rücksichts¬ loser Härte in unzusammenhüngende Unternehmungen gegen einen Feind, an dessen fester Fügung ihre Tapferkeit und ihre Hingebung zerschellen mußten. Er verlängerte den Kampf mit allen Opfern auf beiden Seiten, ohne das Schicksal zu Gunsten Frankreichs zu wenden." Man sieht das überlegne Lächeln des erfahrne,? Feldherrn überall da, wo er, z. B. bei der Schilderung der Kämpfe um Besanyon, auf die wunderlichen Anordnungen und lcnenhaften Marschbefehle Freycinets zu sprechen kommt; dort heißt es: „Den militärischen Dilettantismus, der vou Bordeaux aus die Heeresbewegnngen leiten zu können glaubte, kennzeichnet ein Telegramm vom 25. Januar nachmittags. Als seine oonvivticm bivn A'i'dtvo spricht Herr de Freycinet aus, daß General Bvnr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/542>, abgerufen am 26.08.2024.