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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

als das Gewöhnliche. Die Mehrzahl der klarer blickenden dagegen, indem
sie dem Aberglauben völlig entsagten, sind in reinen Atheismus verfallen.
Der kürzeste Weg, das Evangelium hier zu pflanzen, ist ohne Zweifel der
Krieg, von welcher Seite immer er komme."

Unbeteiligt war bei der Wendung, die von da ab die katholischen Nationen
in wirtschaftlicher Beziehung abwärts, die protestantischen aufwärts führte,
der religiöse Gegensatz keineswegs; aber die Art des Einflusses der Religion
ist für ein echt christliches Gemüt auf dieser Seite uicht minder unerfreulich wie
auf jeuer. In den katholischen Staaten wurde die im römischen Sinne wieder¬
hergestellte Religiosität beim Volke mit den Zwangsmitteln des absoluten
Staates durchgesetzt. Die Gewohnheiten des Fastens, Veichtens, Betens und
vielfacher Andachtsübungen, mit denen es die Masse früher leicht genommen
hatte, wurden vou jetzt ab der Jugend anerzogen, und durch fleißige Unter¬
weisung, die großenteils in den Händen der Jesuiten lag, wurden die Gemüter
in immerwährender Furcht vor der Hölle erhalten und die Blicke bestündig
aufs Jenseits gelenkt. Auch eine strenge Sittenzucht ward eingeführt -- die
Praxis, den Geist der Kritik durch Begünstigung der Liederlichkeit zu ersticken,
blieb einer spätern Periode der habsburgischen und bourbonischen Staatskunst
vorbehalten ^; versuchte doch in Baiern die Polizei sogar die "unzüchtigen"
Kniehosen auszurotten. So wurde das Volk bigott, ängstlich, mutlos, feig
und durch die vielen das werktägliche Schaffen unterbrechenden Andachts-
übungen hie und da auch faul, jedenfalls aber zum Konkurrenzkampf unfähig
gemacht.

Fiel das zuletzt erwähnte Hemmnis schon überhaupt bei allen Prote¬
stanten weg, so erwies sich den Calvinisten noch ganz besonders ihr eigentüm¬
licher Glaubenssatz förderlich für den Konkurrenzkampf. Hölle und Teufel
schreckten sie uicht, schüchterten sie nicht ein, weil sie ja beides überwunden
zu haben glaubten und sich mit unerschütterlicher Gewißheit für Auserwühlte
hielten, denen die ewige Seligkeit sicher und durch keine That oder -- Schand¬
that zu gefährden sei. Mit einem Wort: sie verzichteten -- nach Treitschkes
Darstellung wenigstens -- im Erwerbsleben gänzlich auf den hinderlichen Luxus
eines Gewissens. Man lese bei ihm nach, mit welcher von keinem christlichen
oder heidnischen Volke keiner Zeit erreichten Rücksichtslosigkeit, Skrupellosig-
keit und "jesuitischen" Hinterlist sie im Handel, bei der Eroberung, Be¬
herrschung und Ausbeutung ihrer Kolonien verfuhren; welche Gewalt¬
thaten und Ungerechtigkeiten sie verübten, wie sie nie auch nur einen Augenblick
Anstand nahmen, um eines Handelsgewinns willen sogar ihren Glauben zu
verleugnen. ,,Der Handel muß frei sein, überall, bis in die Hölle -- so
lautet ein oft wiederholter kaufmüunischer Kernspruch jener Tage --, wenn
Mynheer Sala" gute Rimessen giebt, so soll er pünktlich bedient werden."
Sein Endurteil über die holländische Handelspolitik spricht Treitschke in den


Geschichtsphilosophische Gedanken

als das Gewöhnliche. Die Mehrzahl der klarer blickenden dagegen, indem
sie dem Aberglauben völlig entsagten, sind in reinen Atheismus verfallen.
Der kürzeste Weg, das Evangelium hier zu pflanzen, ist ohne Zweifel der
Krieg, von welcher Seite immer er komme."

Unbeteiligt war bei der Wendung, die von da ab die katholischen Nationen
in wirtschaftlicher Beziehung abwärts, die protestantischen aufwärts führte,
der religiöse Gegensatz keineswegs; aber die Art des Einflusses der Religion
ist für ein echt christliches Gemüt auf dieser Seite uicht minder unerfreulich wie
auf jeuer. In den katholischen Staaten wurde die im römischen Sinne wieder¬
hergestellte Religiosität beim Volke mit den Zwangsmitteln des absoluten
Staates durchgesetzt. Die Gewohnheiten des Fastens, Veichtens, Betens und
vielfacher Andachtsübungen, mit denen es die Masse früher leicht genommen
hatte, wurden vou jetzt ab der Jugend anerzogen, und durch fleißige Unter¬
weisung, die großenteils in den Händen der Jesuiten lag, wurden die Gemüter
in immerwährender Furcht vor der Hölle erhalten und die Blicke bestündig
aufs Jenseits gelenkt. Auch eine strenge Sittenzucht ward eingeführt — die
Praxis, den Geist der Kritik durch Begünstigung der Liederlichkeit zu ersticken,
blieb einer spätern Periode der habsburgischen und bourbonischen Staatskunst
vorbehalten ^; versuchte doch in Baiern die Polizei sogar die „unzüchtigen"
Kniehosen auszurotten. So wurde das Volk bigott, ängstlich, mutlos, feig
und durch die vielen das werktägliche Schaffen unterbrechenden Andachts-
übungen hie und da auch faul, jedenfalls aber zum Konkurrenzkampf unfähig
gemacht.

Fiel das zuletzt erwähnte Hemmnis schon überhaupt bei allen Prote¬
stanten weg, so erwies sich den Calvinisten noch ganz besonders ihr eigentüm¬
licher Glaubenssatz förderlich für den Konkurrenzkampf. Hölle und Teufel
schreckten sie uicht, schüchterten sie nicht ein, weil sie ja beides überwunden
zu haben glaubten und sich mit unerschütterlicher Gewißheit für Auserwühlte
hielten, denen die ewige Seligkeit sicher und durch keine That oder — Schand¬
that zu gefährden sei. Mit einem Wort: sie verzichteten — nach Treitschkes
Darstellung wenigstens — im Erwerbsleben gänzlich auf den hinderlichen Luxus
eines Gewissens. Man lese bei ihm nach, mit welcher von keinem christlichen
oder heidnischen Volke keiner Zeit erreichten Rücksichtslosigkeit, Skrupellosig-
keit und „jesuitischen" Hinterlist sie im Handel, bei der Eroberung, Be¬
herrschung und Ausbeutung ihrer Kolonien verfuhren; welche Gewalt¬
thaten und Ungerechtigkeiten sie verübten, wie sie nie auch nur einen Augenblick
Anstand nahmen, um eines Handelsgewinns willen sogar ihren Glauben zu
verleugnen. ,,Der Handel muß frei sein, überall, bis in die Hölle — so
lautet ein oft wiederholter kaufmüunischer Kernspruch jener Tage —, wenn
Mynheer Sala» gute Rimessen giebt, so soll er pünktlich bedient werden."
Sein Endurteil über die holländische Handelspolitik spricht Treitschke in den


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[0512] Geschichtsphilosophische Gedanken als das Gewöhnliche. Die Mehrzahl der klarer blickenden dagegen, indem sie dem Aberglauben völlig entsagten, sind in reinen Atheismus verfallen. Der kürzeste Weg, das Evangelium hier zu pflanzen, ist ohne Zweifel der Krieg, von welcher Seite immer er komme." Unbeteiligt war bei der Wendung, die von da ab die katholischen Nationen in wirtschaftlicher Beziehung abwärts, die protestantischen aufwärts führte, der religiöse Gegensatz keineswegs; aber die Art des Einflusses der Religion ist für ein echt christliches Gemüt auf dieser Seite uicht minder unerfreulich wie auf jeuer. In den katholischen Staaten wurde die im römischen Sinne wieder¬ hergestellte Religiosität beim Volke mit den Zwangsmitteln des absoluten Staates durchgesetzt. Die Gewohnheiten des Fastens, Veichtens, Betens und vielfacher Andachtsübungen, mit denen es die Masse früher leicht genommen hatte, wurden vou jetzt ab der Jugend anerzogen, und durch fleißige Unter¬ weisung, die großenteils in den Händen der Jesuiten lag, wurden die Gemüter in immerwährender Furcht vor der Hölle erhalten und die Blicke bestündig aufs Jenseits gelenkt. Auch eine strenge Sittenzucht ward eingeführt — die Praxis, den Geist der Kritik durch Begünstigung der Liederlichkeit zu ersticken, blieb einer spätern Periode der habsburgischen und bourbonischen Staatskunst vorbehalten ^; versuchte doch in Baiern die Polizei sogar die „unzüchtigen" Kniehosen auszurotten. So wurde das Volk bigott, ängstlich, mutlos, feig und durch die vielen das werktägliche Schaffen unterbrechenden Andachts- übungen hie und da auch faul, jedenfalls aber zum Konkurrenzkampf unfähig gemacht. Fiel das zuletzt erwähnte Hemmnis schon überhaupt bei allen Prote¬ stanten weg, so erwies sich den Calvinisten noch ganz besonders ihr eigentüm¬ licher Glaubenssatz förderlich für den Konkurrenzkampf. Hölle und Teufel schreckten sie uicht, schüchterten sie nicht ein, weil sie ja beides überwunden zu haben glaubten und sich mit unerschütterlicher Gewißheit für Auserwühlte hielten, denen die ewige Seligkeit sicher und durch keine That oder — Schand¬ that zu gefährden sei. Mit einem Wort: sie verzichteten — nach Treitschkes Darstellung wenigstens — im Erwerbsleben gänzlich auf den hinderlichen Luxus eines Gewissens. Man lese bei ihm nach, mit welcher von keinem christlichen oder heidnischen Volke keiner Zeit erreichten Rücksichtslosigkeit, Skrupellosig- keit und „jesuitischen" Hinterlist sie im Handel, bei der Eroberung, Be¬ herrschung und Ausbeutung ihrer Kolonien verfuhren; welche Gewalt¬ thaten und Ungerechtigkeiten sie verübten, wie sie nie auch nur einen Augenblick Anstand nahmen, um eines Handelsgewinns willen sogar ihren Glauben zu verleugnen. ,,Der Handel muß frei sein, überall, bis in die Hölle — so lautet ein oft wiederholter kaufmüunischer Kernspruch jener Tage —, wenn Mynheer Sala» gute Rimessen giebt, so soll er pünktlich bedient werden." Sein Endurteil über die holländische Handelspolitik spricht Treitschke in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/512>, abgerufen am 26.08.2024.