Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Worten aus: "Für uns die Freiheit, gegen andre das Monopol -- das ist
der wahre Sinn jener mit Freiheitsphrasen prunkenden Politik, deren Gleißnerei
uns noch mehr empören würde, wenn nicht, wie die Welt lag, das Monopol
der Holländer unleugbar der gesamten europäischen Gesittung Gewinn ge¬
bracht hätte."

Wir denken nicht daran, behaupten zu wollen, daß die Holländer jener
Zeit gottlose, ruchlose und gewissenlose Leute gewesen wären. Daheim wan¬
delten sie fein christlich und ehrbar; der Ruhm ihrer bis auf den heutigen
Tag vortrefflichen, von Diakonen geleiteten Armenpflege und ihres trauten
Familienlebens, dem das tägliche gemeinsame Gebet nicht sehlt, soll ihnen
nicht bestritten, noch verkümmert werden. Allein das Verdienst dieser Vor¬
züge ist doch nicht allzuhoch, anzuschlagen. Es ist nicht übermäßig schwierig,
die Armen im Lande zu versorgen, wenn man draußen fabelhafte Reichtümer
zusammengerafft hat, und auch die gute bürgerliche und Familienordnung läßt
sich leicht aufrecht erhalten in einem kleinen Lande, dessen jungen Leuten und
unruhigen Köpfen ein zehn- oder zwanzigmal so großes Kolonialreich und das
Weltmeer mit seinen Häfen zum Austoben Raum darbieten.

Übrigens hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, und das Joch
der Sittenzncht war nicht übermäßig schwer. Calvin dürfte zu dem Lobe,
das Treitschke dem echt reformirten Geiste der Niederländer spendet, den
Kopf schütteln; in deu trinkenden, rauchenden, feilschenden, kartenspielenden,
tanzenden, raufenden, Weiber umarmenden Bauern, Matrosen und Krämern
der niederländischen Maler würde er sein Ideal eines christlichen Volkes
schwerlich wiedererkannt haben. Bei der ungeheuern Menge und großen Über¬
einstimmung der niederländischen Genrebilder ist gar nicht daran zu zweifeln,
daß sie wirklich das Volksleben naturgetreu abspiegeln. Die niederländische
Malerei und demnach auch das Volksleben, das sie widerspiegelt, ist offenbar
weder katholisch noch protestantisch -- wo sollte denn in den betrunknen
Bauern Ostades (der freilich von Geburt ein Lübecker war) das Protestantische,
und in denen Teniers das Katholische stecken? -- sondern niederländisch; hier
wie dort dasselbe tüchtige, aber auch derbe, rohe und lustige Volk, das sich
vergnügt, wie sich noch heute die Bauern, Handwerksgesellen, Fabrikarbeiter
und Matrosen in katholischen und protestantischen Landen vergnügen, soweit
es ihnen die Polizei gestattet. Wenn die flandrische Schule des Rubens und
van Dyck durch den Katholizismus mit Italien in Verbindung bleibt und den
Schönheitssinn noch pflegt, der selbst die Bauern Teniers mit einem idealisti¬
schen Hauche einigermaßen veredelt, so finden wir darin nichts schlimmes.
Daß die derb realistische und gemütliche Auffassung biblischer Stoffe bei Rem-
brandt und seinen Schülern ihre Bilder fürs Leben wirksamer machen mochte
als der idealisirende Stil, dem die Flandrer ein wenig treu blieben, wollen
wir zugeben. Aber das ändert nichts an der Thatsache, daß die Zahl der


Grenzbote" Ill 1L91 64

Worten aus: „Für uns die Freiheit, gegen andre das Monopol — das ist
der wahre Sinn jener mit Freiheitsphrasen prunkenden Politik, deren Gleißnerei
uns noch mehr empören würde, wenn nicht, wie die Welt lag, das Monopol
der Holländer unleugbar der gesamten europäischen Gesittung Gewinn ge¬
bracht hätte."

Wir denken nicht daran, behaupten zu wollen, daß die Holländer jener
Zeit gottlose, ruchlose und gewissenlose Leute gewesen wären. Daheim wan¬
delten sie fein christlich und ehrbar; der Ruhm ihrer bis auf den heutigen
Tag vortrefflichen, von Diakonen geleiteten Armenpflege und ihres trauten
Familienlebens, dem das tägliche gemeinsame Gebet nicht sehlt, soll ihnen
nicht bestritten, noch verkümmert werden. Allein das Verdienst dieser Vor¬
züge ist doch nicht allzuhoch, anzuschlagen. Es ist nicht übermäßig schwierig,
die Armen im Lande zu versorgen, wenn man draußen fabelhafte Reichtümer
zusammengerafft hat, und auch die gute bürgerliche und Familienordnung läßt
sich leicht aufrecht erhalten in einem kleinen Lande, dessen jungen Leuten und
unruhigen Köpfen ein zehn- oder zwanzigmal so großes Kolonialreich und das
Weltmeer mit seinen Häfen zum Austoben Raum darbieten.

Übrigens hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, und das Joch
der Sittenzncht war nicht übermäßig schwer. Calvin dürfte zu dem Lobe,
das Treitschke dem echt reformirten Geiste der Niederländer spendet, den
Kopf schütteln; in deu trinkenden, rauchenden, feilschenden, kartenspielenden,
tanzenden, raufenden, Weiber umarmenden Bauern, Matrosen und Krämern
der niederländischen Maler würde er sein Ideal eines christlichen Volkes
schwerlich wiedererkannt haben. Bei der ungeheuern Menge und großen Über¬
einstimmung der niederländischen Genrebilder ist gar nicht daran zu zweifeln,
daß sie wirklich das Volksleben naturgetreu abspiegeln. Die niederländische
Malerei und demnach auch das Volksleben, das sie widerspiegelt, ist offenbar
weder katholisch noch protestantisch — wo sollte denn in den betrunknen
Bauern Ostades (der freilich von Geburt ein Lübecker war) das Protestantische,
und in denen Teniers das Katholische stecken? — sondern niederländisch; hier
wie dort dasselbe tüchtige, aber auch derbe, rohe und lustige Volk, das sich
vergnügt, wie sich noch heute die Bauern, Handwerksgesellen, Fabrikarbeiter
und Matrosen in katholischen und protestantischen Landen vergnügen, soweit
es ihnen die Polizei gestattet. Wenn die flandrische Schule des Rubens und
van Dyck durch den Katholizismus mit Italien in Verbindung bleibt und den
Schönheitssinn noch pflegt, der selbst die Bauern Teniers mit einem idealisti¬
schen Hauche einigermaßen veredelt, so finden wir darin nichts schlimmes.
Daß die derb realistische und gemütliche Auffassung biblischer Stoffe bei Rem-
brandt und seinen Schülern ihre Bilder fürs Leben wirksamer machen mochte
als der idealisirende Stil, dem die Flandrer ein wenig treu blieben, wollen
wir zugeben. Aber das ändert nichts an der Thatsache, daß die Zahl der


Grenzbote» Ill 1L91 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290282"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1495" prev="#ID_1494"> Worten aus: &#x201E;Für uns die Freiheit, gegen andre das Monopol &#x2014; das ist<lb/>
der wahre Sinn jener mit Freiheitsphrasen prunkenden Politik, deren Gleißnerei<lb/>
uns noch mehr empören würde, wenn nicht, wie die Welt lag, das Monopol<lb/>
der Holländer unleugbar der gesamten europäischen Gesittung Gewinn ge¬<lb/>
bracht hätte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1496"> Wir denken nicht daran, behaupten zu wollen, daß die Holländer jener<lb/>
Zeit gottlose, ruchlose und gewissenlose Leute gewesen wären. Daheim wan¬<lb/>
delten sie fein christlich und ehrbar; der Ruhm ihrer bis auf den heutigen<lb/>
Tag vortrefflichen, von Diakonen geleiteten Armenpflege und ihres trauten<lb/>
Familienlebens, dem das tägliche gemeinsame Gebet nicht sehlt, soll ihnen<lb/>
nicht bestritten, noch verkümmert werden. Allein das Verdienst dieser Vor¬<lb/>
züge ist doch nicht allzuhoch, anzuschlagen. Es ist nicht übermäßig schwierig,<lb/>
die Armen im Lande zu versorgen, wenn man draußen fabelhafte Reichtümer<lb/>
zusammengerafft hat, und auch die gute bürgerliche und Familienordnung läßt<lb/>
sich leicht aufrecht erhalten in einem kleinen Lande, dessen jungen Leuten und<lb/>
unruhigen Köpfen ein zehn- oder zwanzigmal so großes Kolonialreich und das<lb/>
Weltmeer mit seinen Häfen zum Austoben Raum darbieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1497" next="#ID_1498"> Übrigens hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, und das Joch<lb/>
der Sittenzncht war nicht übermäßig schwer. Calvin dürfte zu dem Lobe,<lb/>
das Treitschke dem echt reformirten Geiste der Niederländer spendet, den<lb/>
Kopf schütteln; in deu trinkenden, rauchenden, feilschenden, kartenspielenden,<lb/>
tanzenden, raufenden, Weiber umarmenden Bauern, Matrosen und Krämern<lb/>
der niederländischen Maler würde er sein Ideal eines christlichen Volkes<lb/>
schwerlich wiedererkannt haben. Bei der ungeheuern Menge und großen Über¬<lb/>
einstimmung der niederländischen Genrebilder ist gar nicht daran zu zweifeln,<lb/>
daß sie wirklich das Volksleben naturgetreu abspiegeln. Die niederländische<lb/>
Malerei und demnach auch das Volksleben, das sie widerspiegelt, ist offenbar<lb/>
weder katholisch noch protestantisch &#x2014; wo sollte denn in den betrunknen<lb/>
Bauern Ostades (der freilich von Geburt ein Lübecker war) das Protestantische,<lb/>
und in denen Teniers das Katholische stecken? &#x2014; sondern niederländisch; hier<lb/>
wie dort dasselbe tüchtige, aber auch derbe, rohe und lustige Volk, das sich<lb/>
vergnügt, wie sich noch heute die Bauern, Handwerksgesellen, Fabrikarbeiter<lb/>
und Matrosen in katholischen und protestantischen Landen vergnügen, soweit<lb/>
es ihnen die Polizei gestattet. Wenn die flandrische Schule des Rubens und<lb/>
van Dyck durch den Katholizismus mit Italien in Verbindung bleibt und den<lb/>
Schönheitssinn noch pflegt, der selbst die Bauern Teniers mit einem idealisti¬<lb/>
schen Hauche einigermaßen veredelt, so finden wir darin nichts schlimmes.<lb/>
Daß die derb realistische und gemütliche Auffassung biblischer Stoffe bei Rem-<lb/>
brandt und seinen Schülern ihre Bilder fürs Leben wirksamer machen mochte<lb/>
als der idealisirende Stil, dem die Flandrer ein wenig treu blieben, wollen<lb/>
wir zugeben. Aber das ändert nichts an der Thatsache, daß die Zahl der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbote» Ill 1L91 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] Worten aus: „Für uns die Freiheit, gegen andre das Monopol — das ist der wahre Sinn jener mit Freiheitsphrasen prunkenden Politik, deren Gleißnerei uns noch mehr empören würde, wenn nicht, wie die Welt lag, das Monopol der Holländer unleugbar der gesamten europäischen Gesittung Gewinn ge¬ bracht hätte." Wir denken nicht daran, behaupten zu wollen, daß die Holländer jener Zeit gottlose, ruchlose und gewissenlose Leute gewesen wären. Daheim wan¬ delten sie fein christlich und ehrbar; der Ruhm ihrer bis auf den heutigen Tag vortrefflichen, von Diakonen geleiteten Armenpflege und ihres trauten Familienlebens, dem das tägliche gemeinsame Gebet nicht sehlt, soll ihnen nicht bestritten, noch verkümmert werden. Allein das Verdienst dieser Vor¬ züge ist doch nicht allzuhoch, anzuschlagen. Es ist nicht übermäßig schwierig, die Armen im Lande zu versorgen, wenn man draußen fabelhafte Reichtümer zusammengerafft hat, und auch die gute bürgerliche und Familienordnung läßt sich leicht aufrecht erhalten in einem kleinen Lande, dessen jungen Leuten und unruhigen Köpfen ein zehn- oder zwanzigmal so großes Kolonialreich und das Weltmeer mit seinen Häfen zum Austoben Raum darbieten. Übrigens hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, und das Joch der Sittenzncht war nicht übermäßig schwer. Calvin dürfte zu dem Lobe, das Treitschke dem echt reformirten Geiste der Niederländer spendet, den Kopf schütteln; in deu trinkenden, rauchenden, feilschenden, kartenspielenden, tanzenden, raufenden, Weiber umarmenden Bauern, Matrosen und Krämern der niederländischen Maler würde er sein Ideal eines christlichen Volkes schwerlich wiedererkannt haben. Bei der ungeheuern Menge und großen Über¬ einstimmung der niederländischen Genrebilder ist gar nicht daran zu zweifeln, daß sie wirklich das Volksleben naturgetreu abspiegeln. Die niederländische Malerei und demnach auch das Volksleben, das sie widerspiegelt, ist offenbar weder katholisch noch protestantisch — wo sollte denn in den betrunknen Bauern Ostades (der freilich von Geburt ein Lübecker war) das Protestantische, und in denen Teniers das Katholische stecken? — sondern niederländisch; hier wie dort dasselbe tüchtige, aber auch derbe, rohe und lustige Volk, das sich vergnügt, wie sich noch heute die Bauern, Handwerksgesellen, Fabrikarbeiter und Matrosen in katholischen und protestantischen Landen vergnügen, soweit es ihnen die Polizei gestattet. Wenn die flandrische Schule des Rubens und van Dyck durch den Katholizismus mit Italien in Verbindung bleibt und den Schönheitssinn noch pflegt, der selbst die Bauern Teniers mit einem idealisti¬ schen Hauche einigermaßen veredelt, so finden wir darin nichts schlimmes. Daß die derb realistische und gemütliche Auffassung biblischer Stoffe bei Rem- brandt und seinen Schülern ihre Bilder fürs Leben wirksamer machen mochte als der idealisirende Stil, dem die Flandrer ein wenig treu blieben, wollen wir zugeben. Aber das ändert nichts an der Thatsache, daß die Zahl der Grenzbote» Ill 1L91 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/513>, abgerufen am 23.07.2024.