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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Bauer", Schuster, Schneider, Weber und dergleichen Leute, und die Bauern,
Schuster, Schneider, Weber haben, einzeln betrachtet, damals nicht anders
ausgesehen wie ihre Standesgenossen von heut, höchstens derber und unge¬
schlachter, aber gewiß nicht idealer. Nicht jeder Schuster war ein Haus Sachs.
Wenn daher auch zu glauben ist, daß jene idealen Anschauungen und Ziele,
die Luther,: bewegten, auch dem gemeinen Manne uicht ganz fremd blieben,
daß auch er einen klaren Verstand, ein sittliches Urteil und ein Gewissen hatte,
und daß der Weckruf der Wittenbergischen Nachtigall die edlern Saiten seines
Gemütes erklingen ließ, so herrschte doch natürlicherweise bei ihm vor, ,,was
uns alle bändigt, das Gemeine," und weniger die christliche Freiheit in Luthers
Sinne war es, was ihn begeisterte, als die Freiheit in jenem gröbern Sinne,
der im Bauernkriege und bei den Wiedertäufern zu Tage trat. Es ist daher
auch gar nicht zu verwundern, daß nach dem Rausche der ersten Begeisterung
die Lust der Volksmassen, für ihren Glauben Opfer zu bringen und Helden¬
thaten zu vollbringen, für gewöhnlich nicht übermüßig groß war -- in Zeiten
der Verfolgung haben ja nicht bloß einzelne, sondern ganze Gemeinden die
Probe des Martyriums bestanden -- und daß sie zu ihren bürgerlichen Ge¬
schäften zurückkehrend, die Ausgestaltung ihres neuen Glaubens mit demselben
Gleichmut ihren Predigern überließen, wie die Väter alles Theologische der
Hierarchie überlassen hatten, sodaß sich auch in der neuen Kirche das Volk
von da ab passiv verhält. Den Theologen aber lag die Gefahr, den christ¬
lichen Glauben als ein Übungsobjekt für ihre fachmännische Virtuosität zu
behandeln, um so näher, als ihnen das weltliche Regieren, die Vermögens-
verwaltung, das Bewirtschaften großer Landgüter, das kirchliche Zercmonieu-
wesen und die damit verbundne Kunstpflege abgenommen worden und ihre
Thätigkeit auf das Wort, auf Christenlehre und Predigt eingeschränkt wor¬
den war.

Auch genügen die bis jetzt vorhandnen Quelleunachweisungen noch nicht,
um für den Satz, daß um 1525 ganz Deutschland protestantisch gewesen sei,
den unumstößlichen Beweis zu liefern. Zwar die Behauptung der katholischen
Historiker, daß nur die Fürsten und Landstände ans freien Stücken protestan¬
tisch geworden, der gemeine Mann aber von jenen zum Abfall vom alten
Glauben gezwungen worden sei, ist entschieden falsch; die lebhaften Sympathien
des Volkes für die Reformation und sein Haß gegen die Hierarchie sind zu
vielfach bezeugt. Aber man darf uicht vergessen, daß das, was wir heute Pro¬
testantismus nennen, um 1525 so wenig vorhanden war wie eine evangelische
Landeskirche mit geordneter Verfassung und vorgeschriebnen Gottesdienste.
Wahrscheinlich haben die Bauern der Alpenlündcr zwar die Kraftworte Luthers
mit Entzücken gelesen und die Gelegenheit sehr gern ergriffen, ihren faulen
und liederlichen Pfaffen eins zu versetzen; auch das reichlichere Schriftwvrt,
die Predigt vom Glauben, der da selig mache ohne die Werke, nud das deutsche


Bauer», Schuster, Schneider, Weber und dergleichen Leute, und die Bauern,
Schuster, Schneider, Weber haben, einzeln betrachtet, damals nicht anders
ausgesehen wie ihre Standesgenossen von heut, höchstens derber und unge¬
schlachter, aber gewiß nicht idealer. Nicht jeder Schuster war ein Haus Sachs.
Wenn daher auch zu glauben ist, daß jene idealen Anschauungen und Ziele,
die Luther,: bewegten, auch dem gemeinen Manne uicht ganz fremd blieben,
daß auch er einen klaren Verstand, ein sittliches Urteil und ein Gewissen hatte,
und daß der Weckruf der Wittenbergischen Nachtigall die edlern Saiten seines
Gemütes erklingen ließ, so herrschte doch natürlicherweise bei ihm vor, ,,was
uns alle bändigt, das Gemeine," und weniger die christliche Freiheit in Luthers
Sinne war es, was ihn begeisterte, als die Freiheit in jenem gröbern Sinne,
der im Bauernkriege und bei den Wiedertäufern zu Tage trat. Es ist daher
auch gar nicht zu verwundern, daß nach dem Rausche der ersten Begeisterung
die Lust der Volksmassen, für ihren Glauben Opfer zu bringen und Helden¬
thaten zu vollbringen, für gewöhnlich nicht übermüßig groß war — in Zeiten
der Verfolgung haben ja nicht bloß einzelne, sondern ganze Gemeinden die
Probe des Martyriums bestanden — und daß sie zu ihren bürgerlichen Ge¬
schäften zurückkehrend, die Ausgestaltung ihres neuen Glaubens mit demselben
Gleichmut ihren Predigern überließen, wie die Väter alles Theologische der
Hierarchie überlassen hatten, sodaß sich auch in der neuen Kirche das Volk
von da ab passiv verhält. Den Theologen aber lag die Gefahr, den christ¬
lichen Glauben als ein Übungsobjekt für ihre fachmännische Virtuosität zu
behandeln, um so näher, als ihnen das weltliche Regieren, die Vermögens-
verwaltung, das Bewirtschaften großer Landgüter, das kirchliche Zercmonieu-
wesen und die damit verbundne Kunstpflege abgenommen worden und ihre
Thätigkeit auf das Wort, auf Christenlehre und Predigt eingeschränkt wor¬
den war.

Auch genügen die bis jetzt vorhandnen Quelleunachweisungen noch nicht,
um für den Satz, daß um 1525 ganz Deutschland protestantisch gewesen sei,
den unumstößlichen Beweis zu liefern. Zwar die Behauptung der katholischen
Historiker, daß nur die Fürsten und Landstände ans freien Stücken protestan¬
tisch geworden, der gemeine Mann aber von jenen zum Abfall vom alten
Glauben gezwungen worden sei, ist entschieden falsch; die lebhaften Sympathien
des Volkes für die Reformation und sein Haß gegen die Hierarchie sind zu
vielfach bezeugt. Aber man darf uicht vergessen, daß das, was wir heute Pro¬
testantismus nennen, um 1525 so wenig vorhanden war wie eine evangelische
Landeskirche mit geordneter Verfassung und vorgeschriebnen Gottesdienste.
Wahrscheinlich haben die Bauern der Alpenlündcr zwar die Kraftworte Luthers
mit Entzücken gelesen und die Gelegenheit sehr gern ergriffen, ihren faulen
und liederlichen Pfaffen eins zu versetzen; auch das reichlichere Schriftwvrt,
die Predigt vom Glauben, der da selig mache ohne die Werke, nud das deutsche


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[0462] Bauer», Schuster, Schneider, Weber und dergleichen Leute, und die Bauern, Schuster, Schneider, Weber haben, einzeln betrachtet, damals nicht anders ausgesehen wie ihre Standesgenossen von heut, höchstens derber und unge¬ schlachter, aber gewiß nicht idealer. Nicht jeder Schuster war ein Haus Sachs. Wenn daher auch zu glauben ist, daß jene idealen Anschauungen und Ziele, die Luther,: bewegten, auch dem gemeinen Manne uicht ganz fremd blieben, daß auch er einen klaren Verstand, ein sittliches Urteil und ein Gewissen hatte, und daß der Weckruf der Wittenbergischen Nachtigall die edlern Saiten seines Gemütes erklingen ließ, so herrschte doch natürlicherweise bei ihm vor, ,,was uns alle bändigt, das Gemeine," und weniger die christliche Freiheit in Luthers Sinne war es, was ihn begeisterte, als die Freiheit in jenem gröbern Sinne, der im Bauernkriege und bei den Wiedertäufern zu Tage trat. Es ist daher auch gar nicht zu verwundern, daß nach dem Rausche der ersten Begeisterung die Lust der Volksmassen, für ihren Glauben Opfer zu bringen und Helden¬ thaten zu vollbringen, für gewöhnlich nicht übermüßig groß war — in Zeiten der Verfolgung haben ja nicht bloß einzelne, sondern ganze Gemeinden die Probe des Martyriums bestanden — und daß sie zu ihren bürgerlichen Ge¬ schäften zurückkehrend, die Ausgestaltung ihres neuen Glaubens mit demselben Gleichmut ihren Predigern überließen, wie die Väter alles Theologische der Hierarchie überlassen hatten, sodaß sich auch in der neuen Kirche das Volk von da ab passiv verhält. Den Theologen aber lag die Gefahr, den christ¬ lichen Glauben als ein Übungsobjekt für ihre fachmännische Virtuosität zu behandeln, um so näher, als ihnen das weltliche Regieren, die Vermögens- verwaltung, das Bewirtschaften großer Landgüter, das kirchliche Zercmonieu- wesen und die damit verbundne Kunstpflege abgenommen worden und ihre Thätigkeit auf das Wort, auf Christenlehre und Predigt eingeschränkt wor¬ den war. Auch genügen die bis jetzt vorhandnen Quelleunachweisungen noch nicht, um für den Satz, daß um 1525 ganz Deutschland protestantisch gewesen sei, den unumstößlichen Beweis zu liefern. Zwar die Behauptung der katholischen Historiker, daß nur die Fürsten und Landstände ans freien Stücken protestan¬ tisch geworden, der gemeine Mann aber von jenen zum Abfall vom alten Glauben gezwungen worden sei, ist entschieden falsch; die lebhaften Sympathien des Volkes für die Reformation und sein Haß gegen die Hierarchie sind zu vielfach bezeugt. Aber man darf uicht vergessen, daß das, was wir heute Pro¬ testantismus nennen, um 1525 so wenig vorhanden war wie eine evangelische Landeskirche mit geordneter Verfassung und vorgeschriebnen Gottesdienste. Wahrscheinlich haben die Bauern der Alpenlündcr zwar die Kraftworte Luthers mit Entzücken gelesen und die Gelegenheit sehr gern ergriffen, ihren faulen und liederlichen Pfaffen eins zu versetzen; auch das reichlichere Schriftwvrt, die Predigt vom Glauben, der da selig mache ohne die Werke, nud das deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/462>, abgerufen am 26.08.2024.