Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die L>'ziehung des deutschen Studenten

Wirtschaft jener Zeit erzeugte sich eine Reaktion. Die Erneuerung des auf
der Universität herrschenden Geistes zeigte sich in der Entstehung von Orden,
die das Glück der Menschheit, die Befreiung von den Fesseln der Vorurteile
und der schlechte" Regierungen anstrebten und sich wie die Freimaurer in
Geheimnis hüllten. Diese Orden untergruben und zerstörten die Herrschaft
der Landsmannschaften, indem sie sich allmählich mit ihnen verschmolzen. Aber
der Sturm der napoleonischen Kriege fegte mit der alten staatlichen Ordnung
auch diese Zustände der deutschen Universität hinweg, und als es wieder
Friede war, keimten aus dem neu bestellten Boden einerseits die Verbindungen
hervor, die noch jetzt innerhalb der einzelnen kleinern und größern Monarchien
von den sogenannten staatserhaltenden Prinzipien gestützt werden und sich
ihrer Erscheinung nach mit den alten Landsmannschaften vergleichen lassen,
anderseits die, die sich auf die Ideale der alten Orden besannen und damals
ein einiges Deutschland forderten. Die erster", die Korps, blühten unter der
Begünstigung der Regierungen immer mehr empor, die andern, ursprünglich
als allgemeine einige deutsche Burschenschaft gegründet und als solche 1819
aufgelöst, hatten viele innere und äußere Kämpfe durchzumachen, siud gewisser¬
maßen ohne Programm, seitdem das einige Deutschland da ist, und sind
gegenwärtig eigentlich nur noch dem Namen nach von den Korps verschieden.
Denn mit den Idealen werden jetzt ja nur noch offene Thüren eingestoßen.
Die Neuzeit stimmt der lauten Verkündigung der herrlichsten Ideale nicht nur
der Burschenschaft, sondern ganz allgemein freudig zu, ohne auch nur zu
lächeln. Die auf die Naturwissenschaften gegründete Weltanschauung ist so
allgemein verbreitet und steht so fest, daß die Ideale nicht mehr gefürchtet
werden, sondern ihren Applaus finden, wie gute Heldenspieler auf der Bühne.
Man weiß ja doch, daß alles nur ein Spiel ist.

Das heißt, Ideale hat auch unsre Zeit, immer führen die Ideen die
Herrschaft und bewegen die Völker, nur ist es erst der rückschauenden Geschichte
möglich, zu bezeichnen, welche Ideen zum Ausdruck gekommen sind. Die
Gegenwart zeigt zwar die Fülle ihrer Erscheinungen, aber verhüllt ihre Ideale.
Erst in der Entfernung gewinnt der Blick die richtige Perspektive. Vielleicht
gehen das allgemeine Bauen von Eisenbahnen und Telegraphen, die Bewaff¬
nung der Völker lind das Erwerben von Kolonien auf eine allgemeine Ver¬
brüderung der Bewohner unsers Planeten Hinalls. Schon Thomas Buckle
meinte, die Eisenbahnen hätten mehr zur Verbreitung von Liebe und Frieden
gethan als sämtliche Religionen. Das wollen wir dahingestellt sein lassen.
Jedenfalls hat die Behauptung, daß die Feindschaft zwischen den Menschen
wesentlich aus der Unwissenheit, aus der Unkenntnis gemeinsamer Interessen
entspringe, viel Wahres. Und jedenfalls macht der lebhafte Verkehr der
Neuzeit die Völker mit einander bekannt, schleift die Besonderheiten ab und
macht die Völker einander ähnlicher. Grundzüge des Nationalcharakters


Die L>'ziehung des deutschen Studenten

Wirtschaft jener Zeit erzeugte sich eine Reaktion. Die Erneuerung des auf
der Universität herrschenden Geistes zeigte sich in der Entstehung von Orden,
die das Glück der Menschheit, die Befreiung von den Fesseln der Vorurteile
und der schlechte» Regierungen anstrebten und sich wie die Freimaurer in
Geheimnis hüllten. Diese Orden untergruben und zerstörten die Herrschaft
der Landsmannschaften, indem sie sich allmählich mit ihnen verschmolzen. Aber
der Sturm der napoleonischen Kriege fegte mit der alten staatlichen Ordnung
auch diese Zustände der deutschen Universität hinweg, und als es wieder
Friede war, keimten aus dem neu bestellten Boden einerseits die Verbindungen
hervor, die noch jetzt innerhalb der einzelnen kleinern und größern Monarchien
von den sogenannten staatserhaltenden Prinzipien gestützt werden und sich
ihrer Erscheinung nach mit den alten Landsmannschaften vergleichen lassen,
anderseits die, die sich auf die Ideale der alten Orden besannen und damals
ein einiges Deutschland forderten. Die erster», die Korps, blühten unter der
Begünstigung der Regierungen immer mehr empor, die andern, ursprünglich
als allgemeine einige deutsche Burschenschaft gegründet und als solche 1819
aufgelöst, hatten viele innere und äußere Kämpfe durchzumachen, siud gewisser¬
maßen ohne Programm, seitdem das einige Deutschland da ist, und sind
gegenwärtig eigentlich nur noch dem Namen nach von den Korps verschieden.
Denn mit den Idealen werden jetzt ja nur noch offene Thüren eingestoßen.
Die Neuzeit stimmt der lauten Verkündigung der herrlichsten Ideale nicht nur
der Burschenschaft, sondern ganz allgemein freudig zu, ohne auch nur zu
lächeln. Die auf die Naturwissenschaften gegründete Weltanschauung ist so
allgemein verbreitet und steht so fest, daß die Ideale nicht mehr gefürchtet
werden, sondern ihren Applaus finden, wie gute Heldenspieler auf der Bühne.
Man weiß ja doch, daß alles nur ein Spiel ist.

Das heißt, Ideale hat auch unsre Zeit, immer führen die Ideen die
Herrschaft und bewegen die Völker, nur ist es erst der rückschauenden Geschichte
möglich, zu bezeichnen, welche Ideen zum Ausdruck gekommen sind. Die
Gegenwart zeigt zwar die Fülle ihrer Erscheinungen, aber verhüllt ihre Ideale.
Erst in der Entfernung gewinnt der Blick die richtige Perspektive. Vielleicht
gehen das allgemeine Bauen von Eisenbahnen und Telegraphen, die Bewaff¬
nung der Völker lind das Erwerben von Kolonien auf eine allgemeine Ver¬
brüderung der Bewohner unsers Planeten Hinalls. Schon Thomas Buckle
meinte, die Eisenbahnen hätten mehr zur Verbreitung von Liebe und Frieden
gethan als sämtliche Religionen. Das wollen wir dahingestellt sein lassen.
Jedenfalls hat die Behauptung, daß die Feindschaft zwischen den Menschen
wesentlich aus der Unwissenheit, aus der Unkenntnis gemeinsamer Interessen
entspringe, viel Wahres. Und jedenfalls macht der lebhafte Verkehr der
Neuzeit die Völker mit einander bekannt, schleift die Besonderheiten ab und
macht die Völker einander ähnlicher. Grundzüge des Nationalcharakters


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289808"/>
          <fw type="header" place="top"> Die L&gt;'ziehung des deutschen Studenten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_109" prev="#ID_108"> Wirtschaft jener Zeit erzeugte sich eine Reaktion. Die Erneuerung des auf<lb/>
der Universität herrschenden Geistes zeigte sich in der Entstehung von Orden,<lb/>
die das Glück der Menschheit, die Befreiung von den Fesseln der Vorurteile<lb/>
und der schlechte» Regierungen anstrebten und sich wie die Freimaurer in<lb/>
Geheimnis hüllten. Diese Orden untergruben und zerstörten die Herrschaft<lb/>
der Landsmannschaften, indem sie sich allmählich mit ihnen verschmolzen. Aber<lb/>
der Sturm der napoleonischen Kriege fegte mit der alten staatlichen Ordnung<lb/>
auch diese Zustände der deutschen Universität hinweg, und als es wieder<lb/>
Friede war, keimten aus dem neu bestellten Boden einerseits die Verbindungen<lb/>
hervor, die noch jetzt innerhalb der einzelnen kleinern und größern Monarchien<lb/>
von den sogenannten staatserhaltenden Prinzipien gestützt werden und sich<lb/>
ihrer Erscheinung nach mit den alten Landsmannschaften vergleichen lassen,<lb/>
anderseits die, die sich auf die Ideale der alten Orden besannen und damals<lb/>
ein einiges Deutschland forderten. Die erster», die Korps, blühten unter der<lb/>
Begünstigung der Regierungen immer mehr empor, die andern, ursprünglich<lb/>
als allgemeine einige deutsche Burschenschaft gegründet und als solche 1819<lb/>
aufgelöst, hatten viele innere und äußere Kämpfe durchzumachen, siud gewisser¬<lb/>
maßen ohne Programm, seitdem das einige Deutschland da ist, und sind<lb/>
gegenwärtig eigentlich nur noch dem Namen nach von den Korps verschieden.<lb/>
Denn mit den Idealen werden jetzt ja nur noch offene Thüren eingestoßen.<lb/>
Die Neuzeit stimmt der lauten Verkündigung der herrlichsten Ideale nicht nur<lb/>
der Burschenschaft, sondern ganz allgemein freudig zu, ohne auch nur zu<lb/>
lächeln. Die auf die Naturwissenschaften gegründete Weltanschauung ist so<lb/>
allgemein verbreitet und steht so fest, daß die Ideale nicht mehr gefürchtet<lb/>
werden, sondern ihren Applaus finden, wie gute Heldenspieler auf der Bühne.<lb/>
Man weiß ja doch, daß alles nur ein Spiel ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_110" next="#ID_111"> Das heißt, Ideale hat auch unsre Zeit, immer führen die Ideen die<lb/>
Herrschaft und bewegen die Völker, nur ist es erst der rückschauenden Geschichte<lb/>
möglich, zu bezeichnen, welche Ideen zum Ausdruck gekommen sind. Die<lb/>
Gegenwart zeigt zwar die Fülle ihrer Erscheinungen, aber verhüllt ihre Ideale.<lb/>
Erst in der Entfernung gewinnt der Blick die richtige Perspektive. Vielleicht<lb/>
gehen das allgemeine Bauen von Eisenbahnen und Telegraphen, die Bewaff¬<lb/>
nung der Völker lind das Erwerben von Kolonien auf eine allgemeine Ver¬<lb/>
brüderung der Bewohner unsers Planeten Hinalls. Schon Thomas Buckle<lb/>
meinte, die Eisenbahnen hätten mehr zur Verbreitung von Liebe und Frieden<lb/>
gethan als sämtliche Religionen. Das wollen wir dahingestellt sein lassen.<lb/>
Jedenfalls hat die Behauptung, daß die Feindschaft zwischen den Menschen<lb/>
wesentlich aus der Unwissenheit, aus der Unkenntnis gemeinsamer Interessen<lb/>
entspringe, viel Wahres. Und jedenfalls macht der lebhafte Verkehr der<lb/>
Neuzeit die Völker mit einander bekannt, schleift die Besonderheiten ab und<lb/>
macht die Völker einander ähnlicher.  Grundzüge des Nationalcharakters</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] Die L>'ziehung des deutschen Studenten Wirtschaft jener Zeit erzeugte sich eine Reaktion. Die Erneuerung des auf der Universität herrschenden Geistes zeigte sich in der Entstehung von Orden, die das Glück der Menschheit, die Befreiung von den Fesseln der Vorurteile und der schlechte» Regierungen anstrebten und sich wie die Freimaurer in Geheimnis hüllten. Diese Orden untergruben und zerstörten die Herrschaft der Landsmannschaften, indem sie sich allmählich mit ihnen verschmolzen. Aber der Sturm der napoleonischen Kriege fegte mit der alten staatlichen Ordnung auch diese Zustände der deutschen Universität hinweg, und als es wieder Friede war, keimten aus dem neu bestellten Boden einerseits die Verbindungen hervor, die noch jetzt innerhalb der einzelnen kleinern und größern Monarchien von den sogenannten staatserhaltenden Prinzipien gestützt werden und sich ihrer Erscheinung nach mit den alten Landsmannschaften vergleichen lassen, anderseits die, die sich auf die Ideale der alten Orden besannen und damals ein einiges Deutschland forderten. Die erster», die Korps, blühten unter der Begünstigung der Regierungen immer mehr empor, die andern, ursprünglich als allgemeine einige deutsche Burschenschaft gegründet und als solche 1819 aufgelöst, hatten viele innere und äußere Kämpfe durchzumachen, siud gewisser¬ maßen ohne Programm, seitdem das einige Deutschland da ist, und sind gegenwärtig eigentlich nur noch dem Namen nach von den Korps verschieden. Denn mit den Idealen werden jetzt ja nur noch offene Thüren eingestoßen. Die Neuzeit stimmt der lauten Verkündigung der herrlichsten Ideale nicht nur der Burschenschaft, sondern ganz allgemein freudig zu, ohne auch nur zu lächeln. Die auf die Naturwissenschaften gegründete Weltanschauung ist so allgemein verbreitet und steht so fest, daß die Ideale nicht mehr gefürchtet werden, sondern ihren Applaus finden, wie gute Heldenspieler auf der Bühne. Man weiß ja doch, daß alles nur ein Spiel ist. Das heißt, Ideale hat auch unsre Zeit, immer führen die Ideen die Herrschaft und bewegen die Völker, nur ist es erst der rückschauenden Geschichte möglich, zu bezeichnen, welche Ideen zum Ausdruck gekommen sind. Die Gegenwart zeigt zwar die Fülle ihrer Erscheinungen, aber verhüllt ihre Ideale. Erst in der Entfernung gewinnt der Blick die richtige Perspektive. Vielleicht gehen das allgemeine Bauen von Eisenbahnen und Telegraphen, die Bewaff¬ nung der Völker lind das Erwerben von Kolonien auf eine allgemeine Ver¬ brüderung der Bewohner unsers Planeten Hinalls. Schon Thomas Buckle meinte, die Eisenbahnen hätten mehr zur Verbreitung von Liebe und Frieden gethan als sämtliche Religionen. Das wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls hat die Behauptung, daß die Feindschaft zwischen den Menschen wesentlich aus der Unwissenheit, aus der Unkenntnis gemeinsamer Interessen entspringe, viel Wahres. Und jedenfalls macht der lebhafte Verkehr der Neuzeit die Völker mit einander bekannt, schleift die Besonderheiten ab und macht die Völker einander ähnlicher. Grundzüge des Nationalcharakters

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/40
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/40>, abgerufen am 23.07.2024.