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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutsche" Studenten

Couleuren im ganzen Reiche. Etwa 30000 immatrikulirte Studenten sind
im ganzen an den deutschen Universitäten, etwa 3000 stehen in den Waffen¬
verbindungen. Die Mehrzahl hat keine Lust "der kein Geld, in Uniform zu
gehen und zu gewisse" Grundsätzen zu schwöre", sondern studirt nur und
findet sich, wo sie das Bedttrfuis der Freundschaft treibt, in freien stndeiitische"
Vereinigtingen, wissenschaftliche" Gesellschafte", Tnruvereiueu, akademischen
Ortsgruppen nud sonstigen Verbindungen zusammen, die der Kvulenrstudeut
von oben herab "Blasen" nennt. Diese Verhältnisse haben sich dem allge¬
meinen Entwicklungsgange des Volkes gemäß entwickelt nud werden sich ferner
dem Zuge der Zeit nach entwickeln. Der Zeitgeist prägt allem, auch der
Universität, seinen Stempel ans.

Die deutsche Universität wurde nach dem Vorbild älterer Kulturvölker,
insbesondre nach dem Muster der Pariser Universität, gegründet und
ging ans dem Kerne geistlicher Schulen hervor, die, was sie an Wissen¬
schaft besaßen, den Alten verdankten. Die theologische Fakultät war die
herrschende, wie sie es in gewissem Sinne noch jetzt ist, obwohl dem Wesen
nach der Mediziner an die Stelle des Theologen getreten ist. Die von den
Naturwissenschaften erfüllte Neuzeit sorgt viel lieber für den Körper als für
das Unsichtbare, der Staat giebt Geld her für Laboratorien, Kliniken, Obser¬
vatorien, bakteriologische Institute, wie er es ehedem für kirchliche Anstalten
hergab, und idealgesinnte alte Damen testiren nicht mehr zu Gunsten von Kirchen
und Klöstern, sondern vermachen ihr Vermögen der medizinischen Fakultät.

Die Reformation konnte den theologischen Charakter der Universität nur
befestigen und erhöhen. Theologische Fragen waren im sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert höchst wichtig, und die von protestantischen Fürsten neu
gegründeten Universitäten waren konfessionell wie die von ihnen befehdeten
alten Hochschulen. Der dreißigjährige Krieg trug den Klang der Waffen in
die Hörsüle, und Landsknechte drückten den Studenten den Nanfdegen in die
Hand. So entstanden zuerst im siebzehnten Jahrhundert, im Anschluß an die
alten nlckiones, die fechtenden Landsmannschaften. Sie bildeten Verbindungen
mit eigner Verfassung und eignen Kassen, wählten ihre Senioren und schlossen
sich im Senioreukonvent zusammen gegenüber den andern Studenten, die sie
Finken, Kamele, Wilde, Obskuranten, und gegenüber dem Bürger, den sie
Philister nannten. Sie haben daS Muster der heutigen Waffenverbiudungen
geschaffen und im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundeit die Universität
beherrscht. Aber im achtzehnten Jahrhundert entstand schon eine starke Oppo¬
sition gegen die theologische Streitsucht und Pedanterie der Gelehrten, wie
gegen die Zügellosigkeit und Roheit der Studirenden. Aus dem reinen Quell
der griechischen Philosophie, die schon die geistliche" Schulen des frühesten
Mittelalters lebensfähig gemacht und immer wieder erfrischt hatte, strömte
neues Leben zu, aber auch aus dem politischen Druck, aus der Despoten-


Die Erziehung des deutsche» Studenten

Couleuren im ganzen Reiche. Etwa 30000 immatrikulirte Studenten sind
im ganzen an den deutschen Universitäten, etwa 3000 stehen in den Waffen¬
verbindungen. Die Mehrzahl hat keine Lust »der kein Geld, in Uniform zu
gehen und zu gewisse» Grundsätzen zu schwöre», sondern studirt nur und
findet sich, wo sie das Bedttrfuis der Freundschaft treibt, in freien stndeiitische»
Vereinigtingen, wissenschaftliche» Gesellschafte», Tnruvereiueu, akademischen
Ortsgruppen nud sonstigen Verbindungen zusammen, die der Kvulenrstudeut
von oben herab „Blasen" nennt. Diese Verhältnisse haben sich dem allge¬
meinen Entwicklungsgange des Volkes gemäß entwickelt nud werden sich ferner
dem Zuge der Zeit nach entwickeln. Der Zeitgeist prägt allem, auch der
Universität, seinen Stempel ans.

Die deutsche Universität wurde nach dem Vorbild älterer Kulturvölker,
insbesondre nach dem Muster der Pariser Universität, gegründet und
ging ans dem Kerne geistlicher Schulen hervor, die, was sie an Wissen¬
schaft besaßen, den Alten verdankten. Die theologische Fakultät war die
herrschende, wie sie es in gewissem Sinne noch jetzt ist, obwohl dem Wesen
nach der Mediziner an die Stelle des Theologen getreten ist. Die von den
Naturwissenschaften erfüllte Neuzeit sorgt viel lieber für den Körper als für
das Unsichtbare, der Staat giebt Geld her für Laboratorien, Kliniken, Obser¬
vatorien, bakteriologische Institute, wie er es ehedem für kirchliche Anstalten
hergab, und idealgesinnte alte Damen testiren nicht mehr zu Gunsten von Kirchen
und Klöstern, sondern vermachen ihr Vermögen der medizinischen Fakultät.

Die Reformation konnte den theologischen Charakter der Universität nur
befestigen und erhöhen. Theologische Fragen waren im sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert höchst wichtig, und die von protestantischen Fürsten neu
gegründeten Universitäten waren konfessionell wie die von ihnen befehdeten
alten Hochschulen. Der dreißigjährige Krieg trug den Klang der Waffen in
die Hörsüle, und Landsknechte drückten den Studenten den Nanfdegen in die
Hand. So entstanden zuerst im siebzehnten Jahrhundert, im Anschluß an die
alten nlckiones, die fechtenden Landsmannschaften. Sie bildeten Verbindungen
mit eigner Verfassung und eignen Kassen, wählten ihre Senioren und schlossen
sich im Senioreukonvent zusammen gegenüber den andern Studenten, die sie
Finken, Kamele, Wilde, Obskuranten, und gegenüber dem Bürger, den sie
Philister nannten. Sie haben daS Muster der heutigen Waffenverbiudungen
geschaffen und im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundeit die Universität
beherrscht. Aber im achtzehnten Jahrhundert entstand schon eine starke Oppo¬
sition gegen die theologische Streitsucht und Pedanterie der Gelehrten, wie
gegen die Zügellosigkeit und Roheit der Studirenden. Aus dem reinen Quell
der griechischen Philosophie, die schon die geistliche» Schulen des frühesten
Mittelalters lebensfähig gemacht und immer wieder erfrischt hatte, strömte
neues Leben zu, aber auch aus dem politischen Druck, aus der Despoten-


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[0039] Die Erziehung des deutsche» Studenten Couleuren im ganzen Reiche. Etwa 30000 immatrikulirte Studenten sind im ganzen an den deutschen Universitäten, etwa 3000 stehen in den Waffen¬ verbindungen. Die Mehrzahl hat keine Lust »der kein Geld, in Uniform zu gehen und zu gewisse» Grundsätzen zu schwöre», sondern studirt nur und findet sich, wo sie das Bedttrfuis der Freundschaft treibt, in freien stndeiitische» Vereinigtingen, wissenschaftliche» Gesellschafte», Tnruvereiueu, akademischen Ortsgruppen nud sonstigen Verbindungen zusammen, die der Kvulenrstudeut von oben herab „Blasen" nennt. Diese Verhältnisse haben sich dem allge¬ meinen Entwicklungsgange des Volkes gemäß entwickelt nud werden sich ferner dem Zuge der Zeit nach entwickeln. Der Zeitgeist prägt allem, auch der Universität, seinen Stempel ans. Die deutsche Universität wurde nach dem Vorbild älterer Kulturvölker, insbesondre nach dem Muster der Pariser Universität, gegründet und ging ans dem Kerne geistlicher Schulen hervor, die, was sie an Wissen¬ schaft besaßen, den Alten verdankten. Die theologische Fakultät war die herrschende, wie sie es in gewissem Sinne noch jetzt ist, obwohl dem Wesen nach der Mediziner an die Stelle des Theologen getreten ist. Die von den Naturwissenschaften erfüllte Neuzeit sorgt viel lieber für den Körper als für das Unsichtbare, der Staat giebt Geld her für Laboratorien, Kliniken, Obser¬ vatorien, bakteriologische Institute, wie er es ehedem für kirchliche Anstalten hergab, und idealgesinnte alte Damen testiren nicht mehr zu Gunsten von Kirchen und Klöstern, sondern vermachen ihr Vermögen der medizinischen Fakultät. Die Reformation konnte den theologischen Charakter der Universität nur befestigen und erhöhen. Theologische Fragen waren im sechzehnten und sieb¬ zehnten Jahrhundert höchst wichtig, und die von protestantischen Fürsten neu gegründeten Universitäten waren konfessionell wie die von ihnen befehdeten alten Hochschulen. Der dreißigjährige Krieg trug den Klang der Waffen in die Hörsüle, und Landsknechte drückten den Studenten den Nanfdegen in die Hand. So entstanden zuerst im siebzehnten Jahrhundert, im Anschluß an die alten nlckiones, die fechtenden Landsmannschaften. Sie bildeten Verbindungen mit eigner Verfassung und eignen Kassen, wählten ihre Senioren und schlossen sich im Senioreukonvent zusammen gegenüber den andern Studenten, die sie Finken, Kamele, Wilde, Obskuranten, und gegenüber dem Bürger, den sie Philister nannten. Sie haben daS Muster der heutigen Waffenverbiudungen geschaffen und im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundeit die Universität beherrscht. Aber im achtzehnten Jahrhundert entstand schon eine starke Oppo¬ sition gegen die theologische Streitsucht und Pedanterie der Gelehrten, wie gegen die Zügellosigkeit und Roheit der Studirenden. Aus dem reinen Quell der griechischen Philosophie, die schon die geistliche» Schulen des frühesten Mittelalters lebensfähig gemacht und immer wieder erfrischt hatte, strömte neues Leben zu, aber auch aus dem politischen Druck, aus der Despoten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/39>, abgerufen am 23.07.2024.