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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutsche" Studenten

Werden sich so leicht allerdings nicht verwischen lassen, aber Sitten und
Lebensgewohnheiten werden ebenso ausgetauscht wie Erkenntnisse,

Ein auffälliges Beispiel dafür bieten die Spiele, die Unterhaltungen, der
Sport. Wie sich die Rennen und Regatten von England ans über Frankreich
und Deutschland verbreitet und in diesen Ländern eingebürgert haben, so sind
auch die für die Jugenderziehung so wichtigen gymnastischen Spiele der Eng¬
länder bei uns heimisch geworden. Croquet, Criqnet, Lawn Tennis, Football
und andre Übungen körperlicher Kraft und Gewandtheit werden von unsrer
Jugend ueben dem Turnen betrieben. Der Sport des Paukens dagegen,
wenn wir hier von Sport reden dürfen, ist nicht über die deutsche Grenze
hinausgegangen, am wenigsten nach England, wo das Duell überhaupt für
barbarisch und lächerlich gilt. Mau mochte daraus schließe", daß die Men¬
suren zu den absterbenden Sitten gehörten, um so mehr, als sie im eiguen
Heimatsboden durchaus nicht allgemeine Zustimmung finden, im Gegenteil
von der weit überwiegenden Mehrzahl des Volkes mißbilligt und verurteilt
werden. Der Kreis, innerhalb dessen das Studeuteuduell noch gebilligt wird,
verkleinert sich immer mehr, je weitere Verbreitung solche Anschauungen finden,
die allen gebildeten Völkern unsrer Zeit gemeinsam sei" können.

Aber noch von einer andern Seite her, wenn auch aus derselbe" Quelle,
wird die Erziehung des Studenten beeinflußt, sodaß schon zu sehen ist, wohin
sich der Strom der Entwicklung wendet. Eine Universität ist dem Namen
und Sinne nach eine solche Hochschule, wo die Wissenschaften als Wissenschaft,
das heißt in systematischer Ordnung als harmonisches Lehrgebäude auftreten.
Das war die Universität mich, solange die Theologie unumschränkt herrschte.
Wer aber jetzt noch behaupten wollte, auf den deutschen Universitäten stünden
die vorgetragene" Wissenschaften als eine systematisch gegliederte und harmo¬
nisch aufgebaute Wissenschaft da, der würde große Kühnheit bekunden. Uni¬
versalität ist nicht mehr die Standarte des Gelehrten, nicht einmal für die
größten Geister, sondern der Fachmann ist der Stolz der Zeit. Die Menge
des aufgehäuften und sich täglich vermehrenden Wissens ist so groß, daß eine
Teilung der Arbeit notwendig geworden ist, und nicht ganz mit Unrecht könnte
man heutzutage sagen, daß der Gelehrte um so größer dasteht, je kleiner seine
Spezialität ist. Zwischen dem Wichtigen und dem Unwichtigen zu unterscheiden,
unternimmt kaum noch jemand, und die Grenzen der Fächer sind für heilig
erklärt. Das haben die Naturwissenschaften zuwege gebracht, die wie der
gespaltene Besen des Goethischen Zauberlehrlings Material herbeischleppen
und das Haus der philosophische" Fakultät überschwemme".

Mehr und mehr kommt es bei solchem Reichtum und solcher Zersplitte¬
rung des Wissens dahin, daß die Universität lediglich als eine Hochschule be¬
trachtet wird, die den Zweck hat, junge Leute für ihren Beruf auszubilden,
wie es den Anforderungen der Neuzeit entspricht, nämlich in der Weise, daß


Grenzboten III 1891 5
Die Erziehung des deutsche» Studenten

Werden sich so leicht allerdings nicht verwischen lassen, aber Sitten und
Lebensgewohnheiten werden ebenso ausgetauscht wie Erkenntnisse,

Ein auffälliges Beispiel dafür bieten die Spiele, die Unterhaltungen, der
Sport. Wie sich die Rennen und Regatten von England ans über Frankreich
und Deutschland verbreitet und in diesen Ländern eingebürgert haben, so sind
auch die für die Jugenderziehung so wichtigen gymnastischen Spiele der Eng¬
länder bei uns heimisch geworden. Croquet, Criqnet, Lawn Tennis, Football
und andre Übungen körperlicher Kraft und Gewandtheit werden von unsrer
Jugend ueben dem Turnen betrieben. Der Sport des Paukens dagegen,
wenn wir hier von Sport reden dürfen, ist nicht über die deutsche Grenze
hinausgegangen, am wenigsten nach England, wo das Duell überhaupt für
barbarisch und lächerlich gilt. Mau mochte daraus schließe», daß die Men¬
suren zu den absterbenden Sitten gehörten, um so mehr, als sie im eiguen
Heimatsboden durchaus nicht allgemeine Zustimmung finden, im Gegenteil
von der weit überwiegenden Mehrzahl des Volkes mißbilligt und verurteilt
werden. Der Kreis, innerhalb dessen das Studeuteuduell noch gebilligt wird,
verkleinert sich immer mehr, je weitere Verbreitung solche Anschauungen finden,
die allen gebildeten Völkern unsrer Zeit gemeinsam sei» können.

Aber noch von einer andern Seite her, wenn auch aus derselbe» Quelle,
wird die Erziehung des Studenten beeinflußt, sodaß schon zu sehen ist, wohin
sich der Strom der Entwicklung wendet. Eine Universität ist dem Namen
und Sinne nach eine solche Hochschule, wo die Wissenschaften als Wissenschaft,
das heißt in systematischer Ordnung als harmonisches Lehrgebäude auftreten.
Das war die Universität mich, solange die Theologie unumschränkt herrschte.
Wer aber jetzt noch behaupten wollte, auf den deutschen Universitäten stünden
die vorgetragene» Wissenschaften als eine systematisch gegliederte und harmo¬
nisch aufgebaute Wissenschaft da, der würde große Kühnheit bekunden. Uni¬
versalität ist nicht mehr die Standarte des Gelehrten, nicht einmal für die
größten Geister, sondern der Fachmann ist der Stolz der Zeit. Die Menge
des aufgehäuften und sich täglich vermehrenden Wissens ist so groß, daß eine
Teilung der Arbeit notwendig geworden ist, und nicht ganz mit Unrecht könnte
man heutzutage sagen, daß der Gelehrte um so größer dasteht, je kleiner seine
Spezialität ist. Zwischen dem Wichtigen und dem Unwichtigen zu unterscheiden,
unternimmt kaum noch jemand, und die Grenzen der Fächer sind für heilig
erklärt. Das haben die Naturwissenschaften zuwege gebracht, die wie der
gespaltene Besen des Goethischen Zauberlehrlings Material herbeischleppen
und das Haus der philosophische» Fakultät überschwemme».

Mehr und mehr kommt es bei solchem Reichtum und solcher Zersplitte¬
rung des Wissens dahin, daß die Universität lediglich als eine Hochschule be¬
trachtet wird, die den Zweck hat, junge Leute für ihren Beruf auszubilden,
wie es den Anforderungen der Neuzeit entspricht, nämlich in der Weise, daß


Grenzboten III 1891 5
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[0041] Die Erziehung des deutsche» Studenten Werden sich so leicht allerdings nicht verwischen lassen, aber Sitten und Lebensgewohnheiten werden ebenso ausgetauscht wie Erkenntnisse, Ein auffälliges Beispiel dafür bieten die Spiele, die Unterhaltungen, der Sport. Wie sich die Rennen und Regatten von England ans über Frankreich und Deutschland verbreitet und in diesen Ländern eingebürgert haben, so sind auch die für die Jugenderziehung so wichtigen gymnastischen Spiele der Eng¬ länder bei uns heimisch geworden. Croquet, Criqnet, Lawn Tennis, Football und andre Übungen körperlicher Kraft und Gewandtheit werden von unsrer Jugend ueben dem Turnen betrieben. Der Sport des Paukens dagegen, wenn wir hier von Sport reden dürfen, ist nicht über die deutsche Grenze hinausgegangen, am wenigsten nach England, wo das Duell überhaupt für barbarisch und lächerlich gilt. Mau mochte daraus schließe», daß die Men¬ suren zu den absterbenden Sitten gehörten, um so mehr, als sie im eiguen Heimatsboden durchaus nicht allgemeine Zustimmung finden, im Gegenteil von der weit überwiegenden Mehrzahl des Volkes mißbilligt und verurteilt werden. Der Kreis, innerhalb dessen das Studeuteuduell noch gebilligt wird, verkleinert sich immer mehr, je weitere Verbreitung solche Anschauungen finden, die allen gebildeten Völkern unsrer Zeit gemeinsam sei» können. Aber noch von einer andern Seite her, wenn auch aus derselbe» Quelle, wird die Erziehung des Studenten beeinflußt, sodaß schon zu sehen ist, wohin sich der Strom der Entwicklung wendet. Eine Universität ist dem Namen und Sinne nach eine solche Hochschule, wo die Wissenschaften als Wissenschaft, das heißt in systematischer Ordnung als harmonisches Lehrgebäude auftreten. Das war die Universität mich, solange die Theologie unumschränkt herrschte. Wer aber jetzt noch behaupten wollte, auf den deutschen Universitäten stünden die vorgetragene» Wissenschaften als eine systematisch gegliederte und harmo¬ nisch aufgebaute Wissenschaft da, der würde große Kühnheit bekunden. Uni¬ versalität ist nicht mehr die Standarte des Gelehrten, nicht einmal für die größten Geister, sondern der Fachmann ist der Stolz der Zeit. Die Menge des aufgehäuften und sich täglich vermehrenden Wissens ist so groß, daß eine Teilung der Arbeit notwendig geworden ist, und nicht ganz mit Unrecht könnte man heutzutage sagen, daß der Gelehrte um so größer dasteht, je kleiner seine Spezialität ist. Zwischen dem Wichtigen und dem Unwichtigen zu unterscheiden, unternimmt kaum noch jemand, und die Grenzen der Fächer sind für heilig erklärt. Das haben die Naturwissenschaften zuwege gebracht, die wie der gespaltene Besen des Goethischen Zauberlehrlings Material herbeischleppen und das Haus der philosophische» Fakultät überschwemme». Mehr und mehr kommt es bei solchem Reichtum und solcher Zersplitte¬ rung des Wissens dahin, daß die Universität lediglich als eine Hochschule be¬ trachtet wird, die den Zweck hat, junge Leute für ihren Beruf auszubilden, wie es den Anforderungen der Neuzeit entspricht, nämlich in der Weise, daß Grenzboten III 1891 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/41>, abgerufen am 23.07.2024.