Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Erziehung des deutschen Studenten

Aber sind denn Wafsenverbiudnugeu überhaupt notwendig und gut? Es
ist hier so viel von Tugend und Tapferkeit und Pauken und Trinke" die
Rede -- wird denn auf der Universität nicht auch studirt? Gewiß wird auch
studirt, die Universität ist ja im Grunde des Studirens wegen gestiftet.
Aber---

Wer sich ein wenig im Leben umgesehen hat, wird schon entdeckt haben,
daß es in vielen Lebensstellungen auf das Wissen weniger ankommt, als auf
den Charakter. Beim Theologen ist es die Hauptsache, daß er ein guter
Seelsorger wird. Es giebt auch Männer, die wissenschaftlich am Lehrgebäude
weiterzuarbeiten berufen sind, aber die meisten Theologen werden doch
Pfarrer, Pastoren, Hirten der Gemeinde. Und da zeigt sich, daß, um die
Seelen zu leiten und zu behüten, eine Persönlichkeit, die Liebe und Vertrauen
erweckt, viel wichtiger ist, als ein gelehrter Theologe. Auch bei deu Ärzte"
siudeu wir, daß, um wirklich Krankheiten zu heilen, der gesunde Menschen¬
verstand, ein gewisser Scharfblick auf dem Gebiete der Gesundheit und Krank¬
heit und das moralische Gewicht der Person viel wichtiger sind als Kenntnisse.
Oder woher kommt es, daß unter hundert Ärzten, die doch so ziemlich den
gleichen Bildungsgang durchgemacht habe", immer nur etwa si'ins oder sechs
sind, die für ausgezeichnet gelten und großen Zulauf haben? Ebenso finden
wir bei den Richtern und Berwaltungsbeamteu nur einzelne aus der Meuge
hervorragen, und zwar die, denen das Urbild der Gerechtigkeit ins Herz ge¬
schrieben ist. An der Akademie zwar werden die Männer vom reichsten Wissen
den Ausschlag geben, im Leben jedoch die reichsten Charaktere am schwersten
in die Wagschale fallen. Ja selbst in der Philosophie werden zwar viele vieles
wissen, einzelne jedoch nur, und zwar die von Gott begnadigten, wahre und
fruchtbare Gedanken erzeugen.

Das weiß das Volk, das wissen die Regierungen, und daher kommt es,
daß im Universitätswesen so vieles zugelassen wird, was dem eigentlichen
Sinne der Universität zuwider zu sein scheint. Gerade durch diese Zulassung
ragt die deutsche Universität unter den ähnlichen Anstalten der Nachbarstaaten
hervor. In England und Frankreich fehlt die akademische Freiheit, da ist die
Universität uur Schule und Prüfungsanstalt.

Das ist ja wahr: käme es nur ans das Wissen an, so könnte man vieles
sparen. Ein junger Mensch von gutem Kopf wird in sechs bis acht Monaten,
wenn er bei den Eltern wohnt und Wasser anstatt Bier trinkt, ebenso viel
Wissen einheimsen können, wie in sechs bis acht Semestern akademischer Frei¬
heit. Weil mau aber tiefer gesehen und mehr gewollt hat, deshalb ist die
deutsche Universität mit ihren Absonderlichkeiten immer erhalten worden. Ist
doch auch kein Zwang zum Eintreten in die Waffenverbiudungen vorhanden,
giebt es doch zehnmal mehr Studenten, als Waffeustudeuten.

In Berlin allein studirt fast die doppelte Zahl aller Mitglieder von


Die Erziehung des deutschen Studenten

Aber sind denn Wafsenverbiudnugeu überhaupt notwendig und gut? Es
ist hier so viel von Tugend und Tapferkeit und Pauken und Trinke« die
Rede — wird denn auf der Universität nicht auch studirt? Gewiß wird auch
studirt, die Universität ist ja im Grunde des Studirens wegen gestiftet.
Aber---

Wer sich ein wenig im Leben umgesehen hat, wird schon entdeckt haben,
daß es in vielen Lebensstellungen auf das Wissen weniger ankommt, als auf
den Charakter. Beim Theologen ist es die Hauptsache, daß er ein guter
Seelsorger wird. Es giebt auch Männer, die wissenschaftlich am Lehrgebäude
weiterzuarbeiten berufen sind, aber die meisten Theologen werden doch
Pfarrer, Pastoren, Hirten der Gemeinde. Und da zeigt sich, daß, um die
Seelen zu leiten und zu behüten, eine Persönlichkeit, die Liebe und Vertrauen
erweckt, viel wichtiger ist, als ein gelehrter Theologe. Auch bei deu Ärzte»
siudeu wir, daß, um wirklich Krankheiten zu heilen, der gesunde Menschen¬
verstand, ein gewisser Scharfblick auf dem Gebiete der Gesundheit und Krank¬
heit und das moralische Gewicht der Person viel wichtiger sind als Kenntnisse.
Oder woher kommt es, daß unter hundert Ärzten, die doch so ziemlich den
gleichen Bildungsgang durchgemacht habe», immer nur etwa si'ins oder sechs
sind, die für ausgezeichnet gelten und großen Zulauf haben? Ebenso finden
wir bei den Richtern und Berwaltungsbeamteu nur einzelne aus der Meuge
hervorragen, und zwar die, denen das Urbild der Gerechtigkeit ins Herz ge¬
schrieben ist. An der Akademie zwar werden die Männer vom reichsten Wissen
den Ausschlag geben, im Leben jedoch die reichsten Charaktere am schwersten
in die Wagschale fallen. Ja selbst in der Philosophie werden zwar viele vieles
wissen, einzelne jedoch nur, und zwar die von Gott begnadigten, wahre und
fruchtbare Gedanken erzeugen.

Das weiß das Volk, das wissen die Regierungen, und daher kommt es,
daß im Universitätswesen so vieles zugelassen wird, was dem eigentlichen
Sinne der Universität zuwider zu sein scheint. Gerade durch diese Zulassung
ragt die deutsche Universität unter den ähnlichen Anstalten der Nachbarstaaten
hervor. In England und Frankreich fehlt die akademische Freiheit, da ist die
Universität uur Schule und Prüfungsanstalt.

Das ist ja wahr: käme es nur ans das Wissen an, so könnte man vieles
sparen. Ein junger Mensch von gutem Kopf wird in sechs bis acht Monaten,
wenn er bei den Eltern wohnt und Wasser anstatt Bier trinkt, ebenso viel
Wissen einheimsen können, wie in sechs bis acht Semestern akademischer Frei¬
heit. Weil mau aber tiefer gesehen und mehr gewollt hat, deshalb ist die
deutsche Universität mit ihren Absonderlichkeiten immer erhalten worden. Ist
doch auch kein Zwang zum Eintreten in die Waffenverbiudungen vorhanden,
giebt es doch zehnmal mehr Studenten, als Waffeustudeuten.

In Berlin allein studirt fast die doppelte Zahl aller Mitglieder von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289806"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Erziehung des deutschen Studenten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_101"> Aber sind denn Wafsenverbiudnugeu überhaupt notwendig und gut? Es<lb/>
ist hier so viel von Tugend und Tapferkeit und Pauken und Trinke« die<lb/>
Rede &#x2014; wird denn auf der Universität nicht auch studirt? Gewiß wird auch<lb/>
studirt, die Universität ist ja im Grunde des Studirens wegen gestiftet.<lb/>
Aber---</p><lb/>
          <p xml:id="ID_102"> Wer sich ein wenig im Leben umgesehen hat, wird schon entdeckt haben,<lb/>
daß es in vielen Lebensstellungen auf das Wissen weniger ankommt, als auf<lb/>
den Charakter. Beim Theologen ist es die Hauptsache, daß er ein guter<lb/>
Seelsorger wird. Es giebt auch Männer, die wissenschaftlich am Lehrgebäude<lb/>
weiterzuarbeiten berufen sind, aber die meisten Theologen werden doch<lb/>
Pfarrer, Pastoren, Hirten der Gemeinde. Und da zeigt sich, daß, um die<lb/>
Seelen zu leiten und zu behüten, eine Persönlichkeit, die Liebe und Vertrauen<lb/>
erweckt, viel wichtiger ist, als ein gelehrter Theologe. Auch bei deu Ärzte»<lb/>
siudeu wir, daß, um wirklich Krankheiten zu heilen, der gesunde Menschen¬<lb/>
verstand, ein gewisser Scharfblick auf dem Gebiete der Gesundheit und Krank¬<lb/>
heit und das moralische Gewicht der Person viel wichtiger sind als Kenntnisse.<lb/>
Oder woher kommt es, daß unter hundert Ärzten, die doch so ziemlich den<lb/>
gleichen Bildungsgang durchgemacht habe», immer nur etwa si'ins oder sechs<lb/>
sind, die für ausgezeichnet gelten und großen Zulauf haben? Ebenso finden<lb/>
wir bei den Richtern und Berwaltungsbeamteu nur einzelne aus der Meuge<lb/>
hervorragen, und zwar die, denen das Urbild der Gerechtigkeit ins Herz ge¬<lb/>
schrieben ist. An der Akademie zwar werden die Männer vom reichsten Wissen<lb/>
den Ausschlag geben, im Leben jedoch die reichsten Charaktere am schwersten<lb/>
in die Wagschale fallen. Ja selbst in der Philosophie werden zwar viele vieles<lb/>
wissen, einzelne jedoch nur, und zwar die von Gott begnadigten, wahre und<lb/>
fruchtbare Gedanken erzeugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_103"> Das weiß das Volk, das wissen die Regierungen, und daher kommt es,<lb/>
daß im Universitätswesen so vieles zugelassen wird, was dem eigentlichen<lb/>
Sinne der Universität zuwider zu sein scheint. Gerade durch diese Zulassung<lb/>
ragt die deutsche Universität unter den ähnlichen Anstalten der Nachbarstaaten<lb/>
hervor. In England und Frankreich fehlt die akademische Freiheit, da ist die<lb/>
Universität uur Schule und Prüfungsanstalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_104"> Das ist ja wahr: käme es nur ans das Wissen an, so könnte man vieles<lb/>
sparen. Ein junger Mensch von gutem Kopf wird in sechs bis acht Monaten,<lb/>
wenn er bei den Eltern wohnt und Wasser anstatt Bier trinkt, ebenso viel<lb/>
Wissen einheimsen können, wie in sechs bis acht Semestern akademischer Frei¬<lb/>
heit. Weil mau aber tiefer gesehen und mehr gewollt hat, deshalb ist die<lb/>
deutsche Universität mit ihren Absonderlichkeiten immer erhalten worden. Ist<lb/>
doch auch kein Zwang zum Eintreten in die Waffenverbiudungen vorhanden,<lb/>
giebt es doch zehnmal mehr Studenten, als Waffeustudeuten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_105" next="#ID_106"> In Berlin allein studirt fast die doppelte Zahl aller Mitglieder von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Die Erziehung des deutschen Studenten Aber sind denn Wafsenverbiudnugeu überhaupt notwendig und gut? Es ist hier so viel von Tugend und Tapferkeit und Pauken und Trinke« die Rede — wird denn auf der Universität nicht auch studirt? Gewiß wird auch studirt, die Universität ist ja im Grunde des Studirens wegen gestiftet. Aber--- Wer sich ein wenig im Leben umgesehen hat, wird schon entdeckt haben, daß es in vielen Lebensstellungen auf das Wissen weniger ankommt, als auf den Charakter. Beim Theologen ist es die Hauptsache, daß er ein guter Seelsorger wird. Es giebt auch Männer, die wissenschaftlich am Lehrgebäude weiterzuarbeiten berufen sind, aber die meisten Theologen werden doch Pfarrer, Pastoren, Hirten der Gemeinde. Und da zeigt sich, daß, um die Seelen zu leiten und zu behüten, eine Persönlichkeit, die Liebe und Vertrauen erweckt, viel wichtiger ist, als ein gelehrter Theologe. Auch bei deu Ärzte» siudeu wir, daß, um wirklich Krankheiten zu heilen, der gesunde Menschen¬ verstand, ein gewisser Scharfblick auf dem Gebiete der Gesundheit und Krank¬ heit und das moralische Gewicht der Person viel wichtiger sind als Kenntnisse. Oder woher kommt es, daß unter hundert Ärzten, die doch so ziemlich den gleichen Bildungsgang durchgemacht habe», immer nur etwa si'ins oder sechs sind, die für ausgezeichnet gelten und großen Zulauf haben? Ebenso finden wir bei den Richtern und Berwaltungsbeamteu nur einzelne aus der Meuge hervorragen, und zwar die, denen das Urbild der Gerechtigkeit ins Herz ge¬ schrieben ist. An der Akademie zwar werden die Männer vom reichsten Wissen den Ausschlag geben, im Leben jedoch die reichsten Charaktere am schwersten in die Wagschale fallen. Ja selbst in der Philosophie werden zwar viele vieles wissen, einzelne jedoch nur, und zwar die von Gott begnadigten, wahre und fruchtbare Gedanken erzeugen. Das weiß das Volk, das wissen die Regierungen, und daher kommt es, daß im Universitätswesen so vieles zugelassen wird, was dem eigentlichen Sinne der Universität zuwider zu sein scheint. Gerade durch diese Zulassung ragt die deutsche Universität unter den ähnlichen Anstalten der Nachbarstaaten hervor. In England und Frankreich fehlt die akademische Freiheit, da ist die Universität uur Schule und Prüfungsanstalt. Das ist ja wahr: käme es nur ans das Wissen an, so könnte man vieles sparen. Ein junger Mensch von gutem Kopf wird in sechs bis acht Monaten, wenn er bei den Eltern wohnt und Wasser anstatt Bier trinkt, ebenso viel Wissen einheimsen können, wie in sechs bis acht Semestern akademischer Frei¬ heit. Weil mau aber tiefer gesehen und mehr gewollt hat, deshalb ist die deutsche Universität mit ihren Absonderlichkeiten immer erhalten worden. Ist doch auch kein Zwang zum Eintreten in die Waffenverbiudungen vorhanden, giebt es doch zehnmal mehr Studenten, als Waffeustudeuten. In Berlin allein studirt fast die doppelte Zahl aller Mitglieder von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/38>, abgerufen am 23.07.2024.