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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Das Neuenburger Rirschfest

bürg" ein "Schall-, Trauer- und Thräuenspiel" von Mahlmann unter dem
Titel "Herodes vor Bethlehem oder der triumphierende Viertelsineister." Wie
es oft zu geschehen Pflegt, tourbe die Parodie fast noch mehr gelesen als das ver¬
spottete Urbild, der "Herodes" brachte es bis zu einer fünften Auflage (1837)
und ist natürlich auch in Mahlmauns sämtlichen Schriften (1859) wieder
abgedruckt worden.

Durch Kotzebue war die Geschichte von Prokop und den Hussiten vor
Naumburg erfolgreich in die schöne Litteratur eingeführt worden. Hatte
Ranhs angeblicher Chrouikenbericht die Kunde davon zunächst in den Nachbar¬
gebieten ausgebreitet, so wurde bei dem litterarische" Ansehen, das Kotzebue
genoß, durch sein Drama die Bekanntschaft mit der Erzählung in raschem
Fluge durch alle deutschen Lande getragen. Ja die wunderbare Mär von der
Milde des grimmen Hussitenführers sickerte allmählich hindurch bis in Prokops
Heimatsland, wo man die unbekannte Großthat eines nationalen Helden mit
Wohlgefallen in die vaterländischen Erinnerungen einreihte. Seitdem der
tschechische Nativnalitätsdünkel ins Schwellen geraten ist, scheint in den
tschechischen Schulen auch auf jene vermeintliche Großmut Prokops häufiger
hingewiesen worden zu sein. So konnte es geschehen, daß der tschechische
Historienmaler Jarvslav Cement (f 1878), ein jüngerer Bruder des in Leipzig
noch wohl bekannten Physiologen I. N. Cerm-ik (f 1873), auf den Gedanken
kam, jene nationale Edelthat durch ein großes Gemälde zu verherrlichen. Um
sich über die geschichtliche Glaubwürdigkeit der Erzählung zu vergewissern,
ließ er in Prag bei dem tschechischen Nationalhistoriker Palaeky anfragen, da
dieser als Verfasser einer mehrbändigen Geschichte Böhmens und Herausgeber
urkundlicher Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges am sichersten Bescheid
über die Sache wissen mußte. Aber trotz seiner Spezialstudien konnte Palacky
kein einziges Zeugnis für die Erzählung beibringen, er mußte sich auf die
Antwort beschränken, Beweise seien nicht vorhanden, doch ließe sich kaum an¬
nehmen, daß die Deutschen eine so zu Gunsten der Hussiten sprechende Be¬
gebenheit erfunden hätten (!). Daraufhin machte sich Cermü-k 1874 an die
Ausführung seines Planes und vollendete das Gemälde gegen Ende 1875.
Es hat die Unterschrift ?rolcox Vslil^ xrvä XWmdarlcvin (Prokop der
Große vor Naumburg) oder Lxisoäo av I-i siösss av ^Minbour^ und be¬
findet sich jetzt in Paris in Privatbesitz. Als Kunstwerk steht das Gemälde
auf einer hohen Stufe, sowohl was die Konzeption, als was die Technik
betrifft; bei seiner Ausstellung in Paris 1876 trug es dem Künstler die
Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion ein.

Wie vergnügt würde sich der treffliche Raub die Hände reiben, wenn er
diese Wirkung seiner Fülscherthätigkeit hätte erleben können! Ließen doch schon
die Lorbeeren, die er bei Lebzeiten sammelte, einem andern Biedermann keine
Ruhe. August Braun -- so hieß der würdige Herr, der 1805 in einer be-


Das Neuenburger Rirschfest

bürg" ein „Schall-, Trauer- und Thräuenspiel" von Mahlmann unter dem
Titel „Herodes vor Bethlehem oder der triumphierende Viertelsineister." Wie
es oft zu geschehen Pflegt, tourbe die Parodie fast noch mehr gelesen als das ver¬
spottete Urbild, der „Herodes" brachte es bis zu einer fünften Auflage (1837)
und ist natürlich auch in Mahlmauns sämtlichen Schriften (1859) wieder
abgedruckt worden.

Durch Kotzebue war die Geschichte von Prokop und den Hussiten vor
Naumburg erfolgreich in die schöne Litteratur eingeführt worden. Hatte
Ranhs angeblicher Chrouikenbericht die Kunde davon zunächst in den Nachbar¬
gebieten ausgebreitet, so wurde bei dem litterarische» Ansehen, das Kotzebue
genoß, durch sein Drama die Bekanntschaft mit der Erzählung in raschem
Fluge durch alle deutschen Lande getragen. Ja die wunderbare Mär von der
Milde des grimmen Hussitenführers sickerte allmählich hindurch bis in Prokops
Heimatsland, wo man die unbekannte Großthat eines nationalen Helden mit
Wohlgefallen in die vaterländischen Erinnerungen einreihte. Seitdem der
tschechische Nativnalitätsdünkel ins Schwellen geraten ist, scheint in den
tschechischen Schulen auch auf jene vermeintliche Großmut Prokops häufiger
hingewiesen worden zu sein. So konnte es geschehen, daß der tschechische
Historienmaler Jarvslav Cement (f 1878), ein jüngerer Bruder des in Leipzig
noch wohl bekannten Physiologen I. N. Cerm-ik (f 1873), auf den Gedanken
kam, jene nationale Edelthat durch ein großes Gemälde zu verherrlichen. Um
sich über die geschichtliche Glaubwürdigkeit der Erzählung zu vergewissern,
ließ er in Prag bei dem tschechischen Nationalhistoriker Palaeky anfragen, da
dieser als Verfasser einer mehrbändigen Geschichte Böhmens und Herausgeber
urkundlicher Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges am sichersten Bescheid
über die Sache wissen mußte. Aber trotz seiner Spezialstudien konnte Palacky
kein einziges Zeugnis für die Erzählung beibringen, er mußte sich auf die
Antwort beschränken, Beweise seien nicht vorhanden, doch ließe sich kaum an¬
nehmen, daß die Deutschen eine so zu Gunsten der Hussiten sprechende Be¬
gebenheit erfunden hätten (!). Daraufhin machte sich Cermü-k 1874 an die
Ausführung seines Planes und vollendete das Gemälde gegen Ende 1875.
Es hat die Unterschrift ?rolcox Vslil^ xrvä XWmdarlcvin (Prokop der
Große vor Naumburg) oder Lxisoäo av I-i siösss av ^Minbour^ und be¬
findet sich jetzt in Paris in Privatbesitz. Als Kunstwerk steht das Gemälde
auf einer hohen Stufe, sowohl was die Konzeption, als was die Technik
betrifft; bei seiner Ausstellung in Paris 1876 trug es dem Künstler die
Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion ein.

Wie vergnügt würde sich der treffliche Raub die Hände reiben, wenn er
diese Wirkung seiner Fülscherthätigkeit hätte erleben können! Ließen doch schon
die Lorbeeren, die er bei Lebzeiten sammelte, einem andern Biedermann keine
Ruhe. August Braun — so hieß der würdige Herr, der 1805 in einer be-


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[0384] Das Neuenburger Rirschfest bürg" ein „Schall-, Trauer- und Thräuenspiel" von Mahlmann unter dem Titel „Herodes vor Bethlehem oder der triumphierende Viertelsineister." Wie es oft zu geschehen Pflegt, tourbe die Parodie fast noch mehr gelesen als das ver¬ spottete Urbild, der „Herodes" brachte es bis zu einer fünften Auflage (1837) und ist natürlich auch in Mahlmauns sämtlichen Schriften (1859) wieder abgedruckt worden. Durch Kotzebue war die Geschichte von Prokop und den Hussiten vor Naumburg erfolgreich in die schöne Litteratur eingeführt worden. Hatte Ranhs angeblicher Chrouikenbericht die Kunde davon zunächst in den Nachbar¬ gebieten ausgebreitet, so wurde bei dem litterarische» Ansehen, das Kotzebue genoß, durch sein Drama die Bekanntschaft mit der Erzählung in raschem Fluge durch alle deutschen Lande getragen. Ja die wunderbare Mär von der Milde des grimmen Hussitenführers sickerte allmählich hindurch bis in Prokops Heimatsland, wo man die unbekannte Großthat eines nationalen Helden mit Wohlgefallen in die vaterländischen Erinnerungen einreihte. Seitdem der tschechische Nativnalitätsdünkel ins Schwellen geraten ist, scheint in den tschechischen Schulen auch auf jene vermeintliche Großmut Prokops häufiger hingewiesen worden zu sein. So konnte es geschehen, daß der tschechische Historienmaler Jarvslav Cement (f 1878), ein jüngerer Bruder des in Leipzig noch wohl bekannten Physiologen I. N. Cerm-ik (f 1873), auf den Gedanken kam, jene nationale Edelthat durch ein großes Gemälde zu verherrlichen. Um sich über die geschichtliche Glaubwürdigkeit der Erzählung zu vergewissern, ließ er in Prag bei dem tschechischen Nationalhistoriker Palaeky anfragen, da dieser als Verfasser einer mehrbändigen Geschichte Böhmens und Herausgeber urkundlicher Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges am sichersten Bescheid über die Sache wissen mußte. Aber trotz seiner Spezialstudien konnte Palacky kein einziges Zeugnis für die Erzählung beibringen, er mußte sich auf die Antwort beschränken, Beweise seien nicht vorhanden, doch ließe sich kaum an¬ nehmen, daß die Deutschen eine so zu Gunsten der Hussiten sprechende Be¬ gebenheit erfunden hätten (!). Daraufhin machte sich Cermü-k 1874 an die Ausführung seines Planes und vollendete das Gemälde gegen Ende 1875. Es hat die Unterschrift ?rolcox Vslil^ xrvä XWmdarlcvin (Prokop der Große vor Naumburg) oder Lxisoäo av I-i siösss av ^Minbour^ und be¬ findet sich jetzt in Paris in Privatbesitz. Als Kunstwerk steht das Gemälde auf einer hohen Stufe, sowohl was die Konzeption, als was die Technik betrifft; bei seiner Ausstellung in Paris 1876 trug es dem Künstler die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion ein. Wie vergnügt würde sich der treffliche Raub die Hände reiben, wenn er diese Wirkung seiner Fülscherthätigkeit hätte erleben können! Ließen doch schon die Lorbeeren, die er bei Lebzeiten sammelte, einem andern Biedermann keine Ruhe. August Braun — so hieß der würdige Herr, der 1805 in einer be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/384>, abgerufen am 26.08.2024.