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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Das Naumburger Rirschfest

Dies in Kürze der Inhalt von Rauhs Phantasiedarstellung.

Li xarva lioet ooinponsro in"Mi8, so ging es hier etwa wie später in
Böhmen bei der Fälschung der Königinhofer Handschrift. Hanka wußte mit
seinem geschickten Fabrikat sogar Gelehrte zu täuschen, und trotz Kopito.!-,
Feifalik, Wattenbach u. a. in. giebt es noch heute viele, die an die Echtheit
der Königinhofer Handschrist glauben. Wie Hcmkas Fälschung deu Anstoß
gegeben hat zu eingehender Beschäftigung mit der alttschechischen Poesie, so
erweckte der Naumburger Garnisonkinderlehrer mit seiner Fabelschrift zuerst in
weiteren Kreisen ein Interesse für das Kirschfest.

Der poetische Gehalt der Rauhschen Erzählung wurde bald erkannt und
verschiedentlich in Dichtungen ausgeprägt. Schon 1792 veröffentlichte der
Schauspieler Großmann ein Drama "Das Kirschfest." Es war von geringem
Werte. Andre Poeten folgten mit Romanzen, Novellen und Erzählungen*)
nach. Von litterarischer Wichtigkeit ward das Jahr 1801. August von Kotzebue,
der damals zu Besuch in Naumburg war, nahm am Kirschfeste teil und fand
solchen Gefallen daran, daß er beschloß, den Stoff zu einem Drama zu ver¬
arbeiten. Seine schreibselige Feder schuf schnell im engen Anschluß an Rauhs
Fälschung ein fünfccktiges "vaterländisches Schauspiel mit Chören" unter dem
Titel "Die Hussiten vor Naumburg im Jahre 1432." Als Kotzebue 1802
zum Kirschfeste wieder nach Naumburg kam, war sein Stück schon bekannt --
aufgeführt ward es in der Stadt zum erstenmale 1803 --, und man bereitete
dem Dichter eine Huldigung. Ein bekränzter Altar mit Prokops Bildnis war
auf der Vogelwiese errichtet, dort schlössen die Kinder um Kotzebue einen
Kreis, und ein Mädchen überreichte unter Deklamation eines Gedichtes dem
Helden des Tages einen Lorbeerkranz, den er wahrlich nicht verdiente, dem?
es fehlt dein Kotzebueschen Stücke, das nur aus szenisch aneinandergereihten
losen Bildern besteht, an jeder Kraft, seine Haupteigenschaft ist die Rührselig¬
keit, die das Ganze durchzieht, und in dem Konflikt zwischen Wolf und dessen
Frau über das Hergehen der eignen acht Kinder den thränenreichsten Höhe-
Punkt erreicht. So oft das Stück in Naumburg aufgeführt wird -- ander¬
wärts, wo das örtliche Interesse nicht mitspricht, dürfte ihm diese Ehre kaum
widerfahren --, tropft noch jetzt die Rührung in rieselnden Thränen auf die
fleißig benutzten Sacktüchlein der zuschauenden Kinder und Frauen hernieder.
Gedruckt wurden die "Hussiten" zuerst 1803 in Leipzig; später sind sie in den
Gesamtausgaben von Kotzebues Werken wiederholt worden. Die Schwäche
des Stückes forderte übrigens den litterarischen Spott heraus. Noch im
Jahre 1803 erschien als "Pendant zu den vielbeweinten Hussiten vor Naum-



*) Gustav Nieritz z. B. hat in seinen Jugendschriften auch eine Erzählung "Die Hussiten
vor Naumburg" geliefert. Die jüngste Leistung ist ein Epos in Hexametern "Die Hussiten
vor Naumburg" (1381) von G. Alexander. Die Fähigkeit fehlt, Is,näanc!a volnnws.
Das Naumburger Rirschfest

Dies in Kürze der Inhalt von Rauhs Phantasiedarstellung.

Li xarva lioet ooinponsro in»Mi8, so ging es hier etwa wie später in
Böhmen bei der Fälschung der Königinhofer Handschrift. Hanka wußte mit
seinem geschickten Fabrikat sogar Gelehrte zu täuschen, und trotz Kopito.!-,
Feifalik, Wattenbach u. a. in. giebt es noch heute viele, die an die Echtheit
der Königinhofer Handschrist glauben. Wie Hcmkas Fälschung deu Anstoß
gegeben hat zu eingehender Beschäftigung mit der alttschechischen Poesie, so
erweckte der Naumburger Garnisonkinderlehrer mit seiner Fabelschrift zuerst in
weiteren Kreisen ein Interesse für das Kirschfest.

Der poetische Gehalt der Rauhschen Erzählung wurde bald erkannt und
verschiedentlich in Dichtungen ausgeprägt. Schon 1792 veröffentlichte der
Schauspieler Großmann ein Drama „Das Kirschfest." Es war von geringem
Werte. Andre Poeten folgten mit Romanzen, Novellen und Erzählungen*)
nach. Von litterarischer Wichtigkeit ward das Jahr 1801. August von Kotzebue,
der damals zu Besuch in Naumburg war, nahm am Kirschfeste teil und fand
solchen Gefallen daran, daß er beschloß, den Stoff zu einem Drama zu ver¬
arbeiten. Seine schreibselige Feder schuf schnell im engen Anschluß an Rauhs
Fälschung ein fünfccktiges „vaterländisches Schauspiel mit Chören" unter dem
Titel „Die Hussiten vor Naumburg im Jahre 1432." Als Kotzebue 1802
zum Kirschfeste wieder nach Naumburg kam, war sein Stück schon bekannt —
aufgeführt ward es in der Stadt zum erstenmale 1803 —, und man bereitete
dem Dichter eine Huldigung. Ein bekränzter Altar mit Prokops Bildnis war
auf der Vogelwiese errichtet, dort schlössen die Kinder um Kotzebue einen
Kreis, und ein Mädchen überreichte unter Deklamation eines Gedichtes dem
Helden des Tages einen Lorbeerkranz, den er wahrlich nicht verdiente, dem?
es fehlt dein Kotzebueschen Stücke, das nur aus szenisch aneinandergereihten
losen Bildern besteht, an jeder Kraft, seine Haupteigenschaft ist die Rührselig¬
keit, die das Ganze durchzieht, und in dem Konflikt zwischen Wolf und dessen
Frau über das Hergehen der eignen acht Kinder den thränenreichsten Höhe-
Punkt erreicht. So oft das Stück in Naumburg aufgeführt wird — ander¬
wärts, wo das örtliche Interesse nicht mitspricht, dürfte ihm diese Ehre kaum
widerfahren —, tropft noch jetzt die Rührung in rieselnden Thränen auf die
fleißig benutzten Sacktüchlein der zuschauenden Kinder und Frauen hernieder.
Gedruckt wurden die „Hussiten" zuerst 1803 in Leipzig; später sind sie in den
Gesamtausgaben von Kotzebues Werken wiederholt worden. Die Schwäche
des Stückes forderte übrigens den litterarischen Spott heraus. Noch im
Jahre 1803 erschien als „Pendant zu den vielbeweinten Hussiten vor Naum-



*) Gustav Nieritz z. B. hat in seinen Jugendschriften auch eine Erzählung „Die Hussiten
vor Naumburg" geliefert. Die jüngste Leistung ist ein Epos in Hexametern „Die Hussiten
vor Naumburg" (1381) von G. Alexander. Die Fähigkeit fehlt, Is,näanc!a volnnws.
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[0383] Das Naumburger Rirschfest Dies in Kürze der Inhalt von Rauhs Phantasiedarstellung. Li xarva lioet ooinponsro in»Mi8, so ging es hier etwa wie später in Böhmen bei der Fälschung der Königinhofer Handschrift. Hanka wußte mit seinem geschickten Fabrikat sogar Gelehrte zu täuschen, und trotz Kopito.!-, Feifalik, Wattenbach u. a. in. giebt es noch heute viele, die an die Echtheit der Königinhofer Handschrist glauben. Wie Hcmkas Fälschung deu Anstoß gegeben hat zu eingehender Beschäftigung mit der alttschechischen Poesie, so erweckte der Naumburger Garnisonkinderlehrer mit seiner Fabelschrift zuerst in weiteren Kreisen ein Interesse für das Kirschfest. Der poetische Gehalt der Rauhschen Erzählung wurde bald erkannt und verschiedentlich in Dichtungen ausgeprägt. Schon 1792 veröffentlichte der Schauspieler Großmann ein Drama „Das Kirschfest." Es war von geringem Werte. Andre Poeten folgten mit Romanzen, Novellen und Erzählungen*) nach. Von litterarischer Wichtigkeit ward das Jahr 1801. August von Kotzebue, der damals zu Besuch in Naumburg war, nahm am Kirschfeste teil und fand solchen Gefallen daran, daß er beschloß, den Stoff zu einem Drama zu ver¬ arbeiten. Seine schreibselige Feder schuf schnell im engen Anschluß an Rauhs Fälschung ein fünfccktiges „vaterländisches Schauspiel mit Chören" unter dem Titel „Die Hussiten vor Naumburg im Jahre 1432." Als Kotzebue 1802 zum Kirschfeste wieder nach Naumburg kam, war sein Stück schon bekannt — aufgeführt ward es in der Stadt zum erstenmale 1803 —, und man bereitete dem Dichter eine Huldigung. Ein bekränzter Altar mit Prokops Bildnis war auf der Vogelwiese errichtet, dort schlössen die Kinder um Kotzebue einen Kreis, und ein Mädchen überreichte unter Deklamation eines Gedichtes dem Helden des Tages einen Lorbeerkranz, den er wahrlich nicht verdiente, dem? es fehlt dein Kotzebueschen Stücke, das nur aus szenisch aneinandergereihten losen Bildern besteht, an jeder Kraft, seine Haupteigenschaft ist die Rührselig¬ keit, die das Ganze durchzieht, und in dem Konflikt zwischen Wolf und dessen Frau über das Hergehen der eignen acht Kinder den thränenreichsten Höhe- Punkt erreicht. So oft das Stück in Naumburg aufgeführt wird — ander¬ wärts, wo das örtliche Interesse nicht mitspricht, dürfte ihm diese Ehre kaum widerfahren —, tropft noch jetzt die Rührung in rieselnden Thränen auf die fleißig benutzten Sacktüchlein der zuschauenden Kinder und Frauen hernieder. Gedruckt wurden die „Hussiten" zuerst 1803 in Leipzig; später sind sie in den Gesamtausgaben von Kotzebues Werken wiederholt worden. Die Schwäche des Stückes forderte übrigens den litterarischen Spott heraus. Noch im Jahre 1803 erschien als „Pendant zu den vielbeweinten Hussiten vor Naum- *) Gustav Nieritz z. B. hat in seinen Jugendschriften auch eine Erzählung „Die Hussiten vor Naumburg" geliefert. Die jüngste Leistung ist ein Epos in Hexametern „Die Hussiten vor Naumburg" (1381) von G. Alexander. Die Fähigkeit fehlt, Is,näanc!a volnnws.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/383>, abgerufen am 26.08.2024.