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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung dos deutschen Studenten

ganze Reihe von Fechterpaaren tritt oft an bestimmten Tagen zum Kampfe
ans dem Paukboden an, und zum Schluß wird dann abgerechnet, wobei unes
"Blutigen" gezählt wird. Die Vandalen, die Sachsen, die Fraukonen habe"
zehn Blutige xlus, die Bremenser haben fünfzehn Blutige Minus, heißt es,
und zwar sind "Blutige" die blutenden schmisse, von denen natürlich mehrere
aus einen Fechter kommen können. Der Sieg gehört dem Korps, das die
meisten Blutigeu ausgeteilt hat. Verwundet werden heißt in der Studenten¬
sprache "einen Schmiß besehen," kampfunfähig heißt "abgeführt" werden.

Wie es bei den Paukereien zugeht, davon giebt unter anderen eine Schrift
des Dr. Jmmisch, Pankarztes des Heidelberger L. L., 1885 erschienen, Zeugnis.
Unter seinen Vorschlägen heißt es im H 2: "Die Mensur muß beendigt sein,
wenn eine Verwundung herauskommt, die es wünschenswert oder nötig macht,
den Verwundeten abzuführen. Dies wird auf manchen andern Hochschulen
oft unterlassen und mancher Poukant gräßlich zugerichtet und gefährlich ver¬
wundet, wenn dem Sekundanten, der zu bestimmen hat, ob der Gehauene ab¬
geführt werden soll, das Pankbnch höher steht als das Wohl seines Pankanten
und der ärztliche Hilfe leistende Mediziner nicht das Recht hat, den Betreffenden
abzuführen. Es ist vor einigen Jahren ans einer nichtbadischen Universität
vorgekommen, daß ein forscher und gewandter Rechtsschläger von einem ge¬
fährlichen Linksschläger, dein er nicht gewachsen war, viele Kvpfschmisse bekam,
die so stark bluteten, daß das Blut in großer Menge an ihm herunterlief und
er schließlich in einer Blutlache dastand. Er wurde nicht abgeführt. Als die
Mensur zu Ende war, fiel er ohnmächtig zusammen. Bei seiner Untersuchung
fand man, daß er elf Kopfschmisse hatte, darunter vier mit Knochensplittern,
und daß fünf größere Arterien unterbunden werden mußten." or. Jmmisch
hat als Pauknrzt von 184" bis 1849 in Jena und dann bis 1885 in Heidel¬
berg bei 12000 Mensuren auf Hiebwaffen mit Binden und Bandagen ärzt¬
lichen Beistand geleistet, ungerechnet die schwereren Mensuren.

Aber sind denn solche Schlachten, solche Paukereien nicht verboten? Gewiß
sind sie verboten. Dein Reiz des Fechtens selbst hat die akademische Rechts¬
pflege noch den Reiz der verbotenen Genusse hinzugefügt. Das Pauken ist
nicht in solcher Weise verboten, daß es unterbliebe, aber doch so, daß ein
Kampf der List zwischen den Wächtern der Ordnung und deu Panklnstigen
stattfindet, wodurch sich die Studenten ihrer akademischen Freiheit bewußt
werden. Die Pedelle sind beauftragt, die Duelle zu verhindern und die
Duellanten anzuzeigen und zur Bestrafung zu bringen. Dieses Auftrages
entledigen sie sich je uach Lust und Geschick in der Weise, daß allerdings
manches Mitglied der Wasfenverbindungeu in den Kärzer oder, gar ans die
Festung wandert, und daß der Vater manches flotten Burschen sehr oft das
gepfändete Paukzeug mit schweren Kosten wieder einlösen muß, daß aber doch
immer wieder neue "Blutige" Zeit und Reinen finden, in die Erscheinung zu treten.


Die Erziehung dos deutschen Studenten

ganze Reihe von Fechterpaaren tritt oft an bestimmten Tagen zum Kampfe
ans dem Paukboden an, und zum Schluß wird dann abgerechnet, wobei unes
„Blutigen" gezählt wird. Die Vandalen, die Sachsen, die Fraukonen habe»
zehn Blutige xlus, die Bremenser haben fünfzehn Blutige Minus, heißt es,
und zwar sind „Blutige" die blutenden schmisse, von denen natürlich mehrere
aus einen Fechter kommen können. Der Sieg gehört dem Korps, das die
meisten Blutigeu ausgeteilt hat. Verwundet werden heißt in der Studenten¬
sprache „einen Schmiß besehen," kampfunfähig heißt „abgeführt" werden.

Wie es bei den Paukereien zugeht, davon giebt unter anderen eine Schrift
des Dr. Jmmisch, Pankarztes des Heidelberger L. L., 1885 erschienen, Zeugnis.
Unter seinen Vorschlägen heißt es im H 2: „Die Mensur muß beendigt sein,
wenn eine Verwundung herauskommt, die es wünschenswert oder nötig macht,
den Verwundeten abzuführen. Dies wird auf manchen andern Hochschulen
oft unterlassen und mancher Poukant gräßlich zugerichtet und gefährlich ver¬
wundet, wenn dem Sekundanten, der zu bestimmen hat, ob der Gehauene ab¬
geführt werden soll, das Pankbnch höher steht als das Wohl seines Pankanten
und der ärztliche Hilfe leistende Mediziner nicht das Recht hat, den Betreffenden
abzuführen. Es ist vor einigen Jahren ans einer nichtbadischen Universität
vorgekommen, daß ein forscher und gewandter Rechtsschläger von einem ge¬
fährlichen Linksschläger, dein er nicht gewachsen war, viele Kvpfschmisse bekam,
die so stark bluteten, daß das Blut in großer Menge an ihm herunterlief und
er schließlich in einer Blutlache dastand. Er wurde nicht abgeführt. Als die
Mensur zu Ende war, fiel er ohnmächtig zusammen. Bei seiner Untersuchung
fand man, daß er elf Kopfschmisse hatte, darunter vier mit Knochensplittern,
und daß fünf größere Arterien unterbunden werden mußten." or. Jmmisch
hat als Pauknrzt von 184« bis 1849 in Jena und dann bis 1885 in Heidel¬
berg bei 12000 Mensuren auf Hiebwaffen mit Binden und Bandagen ärzt¬
lichen Beistand geleistet, ungerechnet die schwereren Mensuren.

Aber sind denn solche Schlachten, solche Paukereien nicht verboten? Gewiß
sind sie verboten. Dein Reiz des Fechtens selbst hat die akademische Rechts¬
pflege noch den Reiz der verbotenen Genusse hinzugefügt. Das Pauken ist
nicht in solcher Weise verboten, daß es unterbliebe, aber doch so, daß ein
Kampf der List zwischen den Wächtern der Ordnung und deu Panklnstigen
stattfindet, wodurch sich die Studenten ihrer akademischen Freiheit bewußt
werden. Die Pedelle sind beauftragt, die Duelle zu verhindern und die
Duellanten anzuzeigen und zur Bestrafung zu bringen. Dieses Auftrages
entledigen sie sich je uach Lust und Geschick in der Weise, daß allerdings
manches Mitglied der Wasfenverbindungeu in den Kärzer oder, gar ans die
Festung wandert, und daß der Vater manches flotten Burschen sehr oft das
gepfändete Paukzeug mit schweren Kosten wieder einlösen muß, daß aber doch
immer wieder neue „Blutige" Zeit und Reinen finden, in die Erscheinung zu treten.


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[0037] Die Erziehung dos deutschen Studenten ganze Reihe von Fechterpaaren tritt oft an bestimmten Tagen zum Kampfe ans dem Paukboden an, und zum Schluß wird dann abgerechnet, wobei unes „Blutigen" gezählt wird. Die Vandalen, die Sachsen, die Fraukonen habe» zehn Blutige xlus, die Bremenser haben fünfzehn Blutige Minus, heißt es, und zwar sind „Blutige" die blutenden schmisse, von denen natürlich mehrere aus einen Fechter kommen können. Der Sieg gehört dem Korps, das die meisten Blutigeu ausgeteilt hat. Verwundet werden heißt in der Studenten¬ sprache „einen Schmiß besehen," kampfunfähig heißt „abgeführt" werden. Wie es bei den Paukereien zugeht, davon giebt unter anderen eine Schrift des Dr. Jmmisch, Pankarztes des Heidelberger L. L., 1885 erschienen, Zeugnis. Unter seinen Vorschlägen heißt es im H 2: „Die Mensur muß beendigt sein, wenn eine Verwundung herauskommt, die es wünschenswert oder nötig macht, den Verwundeten abzuführen. Dies wird auf manchen andern Hochschulen oft unterlassen und mancher Poukant gräßlich zugerichtet und gefährlich ver¬ wundet, wenn dem Sekundanten, der zu bestimmen hat, ob der Gehauene ab¬ geführt werden soll, das Pankbnch höher steht als das Wohl seines Pankanten und der ärztliche Hilfe leistende Mediziner nicht das Recht hat, den Betreffenden abzuführen. Es ist vor einigen Jahren ans einer nichtbadischen Universität vorgekommen, daß ein forscher und gewandter Rechtsschläger von einem ge¬ fährlichen Linksschläger, dein er nicht gewachsen war, viele Kvpfschmisse bekam, die so stark bluteten, daß das Blut in großer Menge an ihm herunterlief und er schließlich in einer Blutlache dastand. Er wurde nicht abgeführt. Als die Mensur zu Ende war, fiel er ohnmächtig zusammen. Bei seiner Untersuchung fand man, daß er elf Kopfschmisse hatte, darunter vier mit Knochensplittern, und daß fünf größere Arterien unterbunden werden mußten." or. Jmmisch hat als Pauknrzt von 184« bis 1849 in Jena und dann bis 1885 in Heidel¬ berg bei 12000 Mensuren auf Hiebwaffen mit Binden und Bandagen ärzt¬ lichen Beistand geleistet, ungerechnet die schwereren Mensuren. Aber sind denn solche Schlachten, solche Paukereien nicht verboten? Gewiß sind sie verboten. Dein Reiz des Fechtens selbst hat die akademische Rechts¬ pflege noch den Reiz der verbotenen Genusse hinzugefügt. Das Pauken ist nicht in solcher Weise verboten, daß es unterbliebe, aber doch so, daß ein Kampf der List zwischen den Wächtern der Ordnung und deu Panklnstigen stattfindet, wodurch sich die Studenten ihrer akademischen Freiheit bewußt werden. Die Pedelle sind beauftragt, die Duelle zu verhindern und die Duellanten anzuzeigen und zur Bestrafung zu bringen. Dieses Auftrages entledigen sie sich je uach Lust und Geschick in der Weise, daß allerdings manches Mitglied der Wasfenverbindungeu in den Kärzer oder, gar ans die Festung wandert, und daß der Vater manches flotten Burschen sehr oft das gepfändete Paukzeug mit schweren Kosten wieder einlösen muß, daß aber doch immer wieder neue „Blutige" Zeit und Reinen finden, in die Erscheinung zu treten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/37>, abgerufen am 23.07.2024.