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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutschen Studenten

die Korps ungern ihre Feindschaft, ihre Abneigung, ihre Verachtung, ihren
Hohn zu Gunsten eines nie"c1u8 vivoncki mit den Burschenschafter opfern. Sie
wünschen nicht, ein flottes Paukverhältnis mit diesen herzustellen, und die
Burschenschaft schwört Stein und Bein, daß sie es auch nicht wünsche.

Ein flottes Paukverhältnis ist nämlich ein solcher Zustand zwischen zwei
gleichartigen Verbindungen, der es mit sich bringt, daß sie sich in aller
Freundschaft und Hochachtung bekämpfen und gegenseitig unterzukriegen
trachten. Die Duelle zwischen ihnen sind nicht Duelle im eigentlichen, sondern
im studentischen Sinne, "Mensuren," und werden gewöhnlich mit dem Schläger
ausgefochten, der zwar vom Reichsgericht für eine rötliche Waffe erklärt worden
ist, weil er in der That rötlich treffen kann, aber doch in der Regel mit seiner
biegsamen Klinge, die leicht flach schlägt, nur die sogenannten "schmisse" erzeugt,
die sich so zahlreich auf den Wangen der Höhergebildeten zeigen. Ein solches
Paukverhältnis gleicht der Stellung zweier Nachbarstaaten, etwa Frankreich
und Deutschland, zu einander, bringt auch Allianzen, Kartelle genannt, mit
sich und erfordert einen ebensolchen Aufwand von Diplomatie. Sagen wir
zum Beispiel, die Korps Vrcmensia in Göttingen und Vandalia in Heidel¬
berg stünden im Kartell mit einander und ebenso die Saxouia in Göttingen
und die Saxo-Bvrussia in Heidelberg, beide Kartelle aber stünden gegeneinander
im Pankverhältnis, so werden Bremensia und Vandalin die Snxonia und
Saxo-Bornssia, diese beiden aber jene beiden gemeinsam bekriegen. Sie schicken
einander wohl gruppenweise ihre Kämpen zu, wie die Horatier und die Curiatier
gegen eiunuder kämpften, oder die Musketiere des Königs gegen die des Kar¬
dinals Richelieu, nur daß die Studenten nach einander paarweise fechten.
Es ist keine persönliche Feindschaft, wenn sie einander mit geschliffenen Klingen
zusetzen, sondern es sind Bestimmuugsmeusureu. Dabei spielt die Diplomatie
der Senioren und sonstigen Chargirten dieselbe Rolle, wie die der Minister
bei den Staaten. Es gilt den richtigen Augenblick und richtigen Fechter aus¬
zuwählen. Namentlich ist es ein Triumph der Kunst, wenn es ein Korps
verstanden hat, verborgene Talente auszubilden. Wo nämlich ein Korps
zahlreich ist, kann es Füchse, die besondre Anlage" haben, zu ausgezeichneten
Fechtern ausbilden, ohne daß davon etwas in die Außenwelt dringt. Kommt
dann der Feind mit seiner Liste von Kämpfern für die nächste Schlacht, so
nennt der Chargirte mit gleichgültiger Miene diese Füchse als Gegner für be¬
rühmte Schläger des Feindes. Verwundert fragt dann wohl der Heraus¬
fordernde, wie denn ganz unbekannte Namen gegenüber seinen Matadoren er¬
scheinen könnten, aber mit höflichem Lächeln bestätigt der Geforderte seine Liste.
Siege alsdann der berühmte Schläger der Vandalen über den Fuchs der Saxv-
Borussen, so ist die Niederlage für dieses Korps nicht schlimm, der Triumph
für jenes nicht groß. Siege aber der Fuchs, so wirft sich das Korps der
Saxo-Borussen in die Brust: Ha, unsre Füchse schon sind ihnen über! Eine


Die Erziehung des deutschen Studenten

die Korps ungern ihre Feindschaft, ihre Abneigung, ihre Verachtung, ihren
Hohn zu Gunsten eines nie»c1u8 vivoncki mit den Burschenschafter opfern. Sie
wünschen nicht, ein flottes Paukverhältnis mit diesen herzustellen, und die
Burschenschaft schwört Stein und Bein, daß sie es auch nicht wünsche.

Ein flottes Paukverhältnis ist nämlich ein solcher Zustand zwischen zwei
gleichartigen Verbindungen, der es mit sich bringt, daß sie sich in aller
Freundschaft und Hochachtung bekämpfen und gegenseitig unterzukriegen
trachten. Die Duelle zwischen ihnen sind nicht Duelle im eigentlichen, sondern
im studentischen Sinne, „Mensuren," und werden gewöhnlich mit dem Schläger
ausgefochten, der zwar vom Reichsgericht für eine rötliche Waffe erklärt worden
ist, weil er in der That rötlich treffen kann, aber doch in der Regel mit seiner
biegsamen Klinge, die leicht flach schlägt, nur die sogenannten „schmisse" erzeugt,
die sich so zahlreich auf den Wangen der Höhergebildeten zeigen. Ein solches
Paukverhältnis gleicht der Stellung zweier Nachbarstaaten, etwa Frankreich
und Deutschland, zu einander, bringt auch Allianzen, Kartelle genannt, mit
sich und erfordert einen ebensolchen Aufwand von Diplomatie. Sagen wir
zum Beispiel, die Korps Vrcmensia in Göttingen und Vandalia in Heidel¬
berg stünden im Kartell mit einander und ebenso die Saxouia in Göttingen
und die Saxo-Bvrussia in Heidelberg, beide Kartelle aber stünden gegeneinander
im Pankverhältnis, so werden Bremensia und Vandalin die Snxonia und
Saxo-Bornssia, diese beiden aber jene beiden gemeinsam bekriegen. Sie schicken
einander wohl gruppenweise ihre Kämpen zu, wie die Horatier und die Curiatier
gegen eiunuder kämpften, oder die Musketiere des Königs gegen die des Kar¬
dinals Richelieu, nur daß die Studenten nach einander paarweise fechten.
Es ist keine persönliche Feindschaft, wenn sie einander mit geschliffenen Klingen
zusetzen, sondern es sind Bestimmuugsmeusureu. Dabei spielt die Diplomatie
der Senioren und sonstigen Chargirten dieselbe Rolle, wie die der Minister
bei den Staaten. Es gilt den richtigen Augenblick und richtigen Fechter aus¬
zuwählen. Namentlich ist es ein Triumph der Kunst, wenn es ein Korps
verstanden hat, verborgene Talente auszubilden. Wo nämlich ein Korps
zahlreich ist, kann es Füchse, die besondre Anlage» haben, zu ausgezeichneten
Fechtern ausbilden, ohne daß davon etwas in die Außenwelt dringt. Kommt
dann der Feind mit seiner Liste von Kämpfern für die nächste Schlacht, so
nennt der Chargirte mit gleichgültiger Miene diese Füchse als Gegner für be¬
rühmte Schläger des Feindes. Verwundert fragt dann wohl der Heraus¬
fordernde, wie denn ganz unbekannte Namen gegenüber seinen Matadoren er¬
scheinen könnten, aber mit höflichem Lächeln bestätigt der Geforderte seine Liste.
Siege alsdann der berühmte Schläger der Vandalen über den Fuchs der Saxv-
Borussen, so ist die Niederlage für dieses Korps nicht schlimm, der Triumph
für jenes nicht groß. Siege aber der Fuchs, so wirft sich das Korps der
Saxo-Borussen in die Brust: Ha, unsre Füchse schon sind ihnen über! Eine


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[0036] Die Erziehung des deutschen Studenten die Korps ungern ihre Feindschaft, ihre Abneigung, ihre Verachtung, ihren Hohn zu Gunsten eines nie»c1u8 vivoncki mit den Burschenschafter opfern. Sie wünschen nicht, ein flottes Paukverhältnis mit diesen herzustellen, und die Burschenschaft schwört Stein und Bein, daß sie es auch nicht wünsche. Ein flottes Paukverhältnis ist nämlich ein solcher Zustand zwischen zwei gleichartigen Verbindungen, der es mit sich bringt, daß sie sich in aller Freundschaft und Hochachtung bekämpfen und gegenseitig unterzukriegen trachten. Die Duelle zwischen ihnen sind nicht Duelle im eigentlichen, sondern im studentischen Sinne, „Mensuren," und werden gewöhnlich mit dem Schläger ausgefochten, der zwar vom Reichsgericht für eine rötliche Waffe erklärt worden ist, weil er in der That rötlich treffen kann, aber doch in der Regel mit seiner biegsamen Klinge, die leicht flach schlägt, nur die sogenannten „schmisse" erzeugt, die sich so zahlreich auf den Wangen der Höhergebildeten zeigen. Ein solches Paukverhältnis gleicht der Stellung zweier Nachbarstaaten, etwa Frankreich und Deutschland, zu einander, bringt auch Allianzen, Kartelle genannt, mit sich und erfordert einen ebensolchen Aufwand von Diplomatie. Sagen wir zum Beispiel, die Korps Vrcmensia in Göttingen und Vandalia in Heidel¬ berg stünden im Kartell mit einander und ebenso die Saxouia in Göttingen und die Saxo-Bvrussia in Heidelberg, beide Kartelle aber stünden gegeneinander im Pankverhältnis, so werden Bremensia und Vandalin die Snxonia und Saxo-Bornssia, diese beiden aber jene beiden gemeinsam bekriegen. Sie schicken einander wohl gruppenweise ihre Kämpen zu, wie die Horatier und die Curiatier gegen eiunuder kämpften, oder die Musketiere des Königs gegen die des Kar¬ dinals Richelieu, nur daß die Studenten nach einander paarweise fechten. Es ist keine persönliche Feindschaft, wenn sie einander mit geschliffenen Klingen zusetzen, sondern es sind Bestimmuugsmeusureu. Dabei spielt die Diplomatie der Senioren und sonstigen Chargirten dieselbe Rolle, wie die der Minister bei den Staaten. Es gilt den richtigen Augenblick und richtigen Fechter aus¬ zuwählen. Namentlich ist es ein Triumph der Kunst, wenn es ein Korps verstanden hat, verborgene Talente auszubilden. Wo nämlich ein Korps zahlreich ist, kann es Füchse, die besondre Anlage» haben, zu ausgezeichneten Fechtern ausbilden, ohne daß davon etwas in die Außenwelt dringt. Kommt dann der Feind mit seiner Liste von Kämpfern für die nächste Schlacht, so nennt der Chargirte mit gleichgültiger Miene diese Füchse als Gegner für be¬ rühmte Schläger des Feindes. Verwundert fragt dann wohl der Heraus¬ fordernde, wie denn ganz unbekannte Namen gegenüber seinen Matadoren er¬ scheinen könnten, aber mit höflichem Lächeln bestätigt der Geforderte seine Liste. Siege alsdann der berühmte Schläger der Vandalen über den Fuchs der Saxv- Borussen, so ist die Niederlage für dieses Korps nicht schlimm, der Triumph für jenes nicht groß. Siege aber der Fuchs, so wirft sich das Korps der Saxo-Borussen in die Brust: Ha, unsre Füchse schon sind ihnen über! Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/36>, abgerufen am 23.07.2024.