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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

Teiles von Lothringen wirklich in dem Zustande uubußfertiger Sündhaftigkeit
verharrt, als wenn wir, wie Herr Pfister, nach Gutdünken abwechselnd das
untere und dann wieder das obere Ende des Fernglases ans Ange setzen, um
die Vergangenheit zu erkunden.

In lateinischen Urkunden des elften Jahrhunderts aus Metz oder Lothringen,
und zwar aus dem heute französischen Sprachgebiete, begegnen wir unter den
nrknndenden Personen, Zeugen u. s. w., ebenso wie in Listen von Bischöfen
oder Adler, Mönchen oder Nonnen fast ausschließlich deutscheu Vornamen,
die der fränkischen Einwanderung angehören, wie ohne Zweifel auch die weiter
westlich in Frankreich vorkommenden deutschen Namen, die wir aber nicht
weiter in Betracht ziehen wollen, da wir uns auf das heutige Lothringen be¬
schränken. Man könnte geneigt sein, aus dieser Thatsache den Schluß zu
ziehen, daß das deutsche Sprachgebiet damals nicht nur Metz eingeschlossen,
sondern weit über die Mosel gereicht habe. Eine solche Annahme wird in
der That auch durch andre Umstände unterstützt. So war beim Konzil von
Moussou 995 von allen Bischöfen von Ober- und Niederlothringen nur der
von Verdun der französischen Sprache mächtig, und dieser mußte für seine
Amtsbruder bei deu Verhandlungen mit den französischen Bischöfe" das Wort
führen. So heißt es auch in der Chronik des Klosters Saint-Mihiel, Herzog
Dietrich von Oberlothringen (f 1024) habe zu seinen Verhandlungen mit
König Robert von Frankreich gewöhnlich den Abt Nantere wegen seiner
Kenntnis der französischen Sprache verwendet (cjucmiain novsrat sum in
rssxonsiZ g-outissiilium, et linAuae (^Ule-lo Kenncim xgritissimum). Jedenfalls
scheint damals die Auswahl unter den der französischen Sprache mächtigen
Großen sehr gering gewesen zu sein.

Wenn wir aber erfahre", daß um 1200 die bischöflichen Notare (Aeneas)
in Metz angewiesen wurden, von Deutschen, die des Romanischen unkundig
waren, urkundliche Erklärungen nur dann aufzunehmen, wenn sie des Deutschen
selbst mächtig waren, andernfalls aber einen der deutschen Sprache kundigen
zweiten Amen beizuziehen, und wenn wir ferner sehen, daß seit Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts nicht etwa deutsche, sondern französische Urkunden
die lateinischen Urkunden zu verdrängen beginnen, so lassen sich solche That¬
sachen mit der vorerwähnten Annahme über Verbreitung des deutschen Sprach¬
gebietes umsoweniger in Einklang bringen, als aus der Zeit des zwölften
Jahrhunderts keinerlei Nachricht über eine Wanderbewegung von Westen nach
Osten, über einen Vorstoß französischen Volkes gegen den Rhein bekannt ist,
im Gegenteile gerade in jenem Zeitraume deutsche Herrengeschlechter, wie die
Salm, die Saarbrücken, Zweibrllcken, die Spanheim, die elsüssischen Landgrafen
von Werd im Mosellande festen Fuß gefaßt oder ältern Besitz ausgedehnt
haben. Die Verordnungen, die die Herzoge von Lothringen für ihre im fran¬
zösischen Sprachgebiete liegenden Stammlande über die Einsetzung von Herzog-


Die Sprachgrenze in Lothringen

Teiles von Lothringen wirklich in dem Zustande uubußfertiger Sündhaftigkeit
verharrt, als wenn wir, wie Herr Pfister, nach Gutdünken abwechselnd das
untere und dann wieder das obere Ende des Fernglases ans Ange setzen, um
die Vergangenheit zu erkunden.

In lateinischen Urkunden des elften Jahrhunderts aus Metz oder Lothringen,
und zwar aus dem heute französischen Sprachgebiete, begegnen wir unter den
nrknndenden Personen, Zeugen u. s. w., ebenso wie in Listen von Bischöfen
oder Adler, Mönchen oder Nonnen fast ausschließlich deutscheu Vornamen,
die der fränkischen Einwanderung angehören, wie ohne Zweifel auch die weiter
westlich in Frankreich vorkommenden deutschen Namen, die wir aber nicht
weiter in Betracht ziehen wollen, da wir uns auf das heutige Lothringen be¬
schränken. Man könnte geneigt sein, aus dieser Thatsache den Schluß zu
ziehen, daß das deutsche Sprachgebiet damals nicht nur Metz eingeschlossen,
sondern weit über die Mosel gereicht habe. Eine solche Annahme wird in
der That auch durch andre Umstände unterstützt. So war beim Konzil von
Moussou 995 von allen Bischöfen von Ober- und Niederlothringen nur der
von Verdun der französischen Sprache mächtig, und dieser mußte für seine
Amtsbruder bei deu Verhandlungen mit den französischen Bischöfe« das Wort
führen. So heißt es auch in der Chronik des Klosters Saint-Mihiel, Herzog
Dietrich von Oberlothringen (f 1024) habe zu seinen Verhandlungen mit
König Robert von Frankreich gewöhnlich den Abt Nantere wegen seiner
Kenntnis der französischen Sprache verwendet (cjucmiain novsrat sum in
rssxonsiZ g-outissiilium, et linAuae (^Ule-lo Kenncim xgritissimum). Jedenfalls
scheint damals die Auswahl unter den der französischen Sprache mächtigen
Großen sehr gering gewesen zu sein.

Wenn wir aber erfahre», daß um 1200 die bischöflichen Notare (Aeneas)
in Metz angewiesen wurden, von Deutschen, die des Romanischen unkundig
waren, urkundliche Erklärungen nur dann aufzunehmen, wenn sie des Deutschen
selbst mächtig waren, andernfalls aber einen der deutschen Sprache kundigen
zweiten Amen beizuziehen, und wenn wir ferner sehen, daß seit Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts nicht etwa deutsche, sondern französische Urkunden
die lateinischen Urkunden zu verdrängen beginnen, so lassen sich solche That¬
sachen mit der vorerwähnten Annahme über Verbreitung des deutschen Sprach¬
gebietes umsoweniger in Einklang bringen, als aus der Zeit des zwölften
Jahrhunderts keinerlei Nachricht über eine Wanderbewegung von Westen nach
Osten, über einen Vorstoß französischen Volkes gegen den Rhein bekannt ist,
im Gegenteile gerade in jenem Zeitraume deutsche Herrengeschlechter, wie die
Salm, die Saarbrücken, Zweibrllcken, die Spanheim, die elsüssischen Landgrafen
von Werd im Mosellande festen Fuß gefaßt oder ältern Besitz ausgedehnt
haben. Die Verordnungen, die die Herzoge von Lothringen für ihre im fran¬
zösischen Sprachgebiete liegenden Stammlande über die Einsetzung von Herzog-


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[0368] Die Sprachgrenze in Lothringen Teiles von Lothringen wirklich in dem Zustande uubußfertiger Sündhaftigkeit verharrt, als wenn wir, wie Herr Pfister, nach Gutdünken abwechselnd das untere und dann wieder das obere Ende des Fernglases ans Ange setzen, um die Vergangenheit zu erkunden. In lateinischen Urkunden des elften Jahrhunderts aus Metz oder Lothringen, und zwar aus dem heute französischen Sprachgebiete, begegnen wir unter den nrknndenden Personen, Zeugen u. s. w., ebenso wie in Listen von Bischöfen oder Adler, Mönchen oder Nonnen fast ausschließlich deutscheu Vornamen, die der fränkischen Einwanderung angehören, wie ohne Zweifel auch die weiter westlich in Frankreich vorkommenden deutschen Namen, die wir aber nicht weiter in Betracht ziehen wollen, da wir uns auf das heutige Lothringen be¬ schränken. Man könnte geneigt sein, aus dieser Thatsache den Schluß zu ziehen, daß das deutsche Sprachgebiet damals nicht nur Metz eingeschlossen, sondern weit über die Mosel gereicht habe. Eine solche Annahme wird in der That auch durch andre Umstände unterstützt. So war beim Konzil von Moussou 995 von allen Bischöfen von Ober- und Niederlothringen nur der von Verdun der französischen Sprache mächtig, und dieser mußte für seine Amtsbruder bei deu Verhandlungen mit den französischen Bischöfe« das Wort führen. So heißt es auch in der Chronik des Klosters Saint-Mihiel, Herzog Dietrich von Oberlothringen (f 1024) habe zu seinen Verhandlungen mit König Robert von Frankreich gewöhnlich den Abt Nantere wegen seiner Kenntnis der französischen Sprache verwendet (cjucmiain novsrat sum in rssxonsiZ g-outissiilium, et linAuae (^Ule-lo Kenncim xgritissimum). Jedenfalls scheint damals die Auswahl unter den der französischen Sprache mächtigen Großen sehr gering gewesen zu sein. Wenn wir aber erfahre», daß um 1200 die bischöflichen Notare (Aeneas) in Metz angewiesen wurden, von Deutschen, die des Romanischen unkundig waren, urkundliche Erklärungen nur dann aufzunehmen, wenn sie des Deutschen selbst mächtig waren, andernfalls aber einen der deutschen Sprache kundigen zweiten Amen beizuziehen, und wenn wir ferner sehen, daß seit Anfang des dreizehnten Jahrhunderts nicht etwa deutsche, sondern französische Urkunden die lateinischen Urkunden zu verdrängen beginnen, so lassen sich solche That¬ sachen mit der vorerwähnten Annahme über Verbreitung des deutschen Sprach¬ gebietes umsoweniger in Einklang bringen, als aus der Zeit des zwölften Jahrhunderts keinerlei Nachricht über eine Wanderbewegung von Westen nach Osten, über einen Vorstoß französischen Volkes gegen den Rhein bekannt ist, im Gegenteile gerade in jenem Zeitraume deutsche Herrengeschlechter, wie die Salm, die Saarbrücken, Zweibrllcken, die Spanheim, die elsüssischen Landgrafen von Werd im Mosellande festen Fuß gefaßt oder ältern Besitz ausgedehnt haben. Die Verordnungen, die die Herzoge von Lothringen für ihre im fran¬ zösischen Sprachgebiete liegenden Stammlande über die Einsetzung von Herzog-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/368>, abgerufen am 23.07.2024.