Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sprachgrenze in Lothringen

lichen Tabellionen neben den kaiserlichen oder geistlichen Notaren erlassen haben,
so Matthäus II. 1232, Ferry III. 1276, Ferry IV. 1316, Raoul 1342 u. s. w.
sind in französischer Sprache abgefaßt und enthalten keinerlei Bestimmung
darüber, wie mit Deutschen zu Urkunden sei. Wir können uns diese zum
Teil sich widersprechenden Erscheinungen nur so erklären, daß zur Zeit der
Erstarkung der deutschen Reichsgewalt nnter den sächsischen Kaisern die
deutschen Herrengeschlechter aus der Zeit der fränkischen Einwanderung noch
die Oberhand hatten oder wiedergewonnen hatten und daß die deutsche Sprache
neben der amtlichen lateinischen Urkuudensprache die herrschende, in Metz z.V.
durch eine ansehnliche deutsche Einwanderung vertretene Sprache der Großen
war, aber keineswegs die überwiegende Volkssprache. Die von der deutschen
Einwanderung bereits vorgefundene und weder damals ausgerottete noch etwa
erst später eingeführte romanische Volkssprache scheint sich aber um die Wende
des dreizehnten Jahrhunderts in dem Maße wieder Achtung und Geltung
verschafft zu haben, wie das Ansehen der eingewanderten großen Geschlechter
zurückging, und dieser Rückgang stand wohl in Zusammenhang mit dem Schwinden
der Macht des deutschen Reiches. Es wird heute nicht mehr möglich sein,
festzustellen, worauf dieser Umschwung zurückzuführen ist, ob auf Umwälzungen
im städtischen Regiments in Metz, auf den Einfluß welscher Bischöfe in Metz,
Toul und Verdun, auf den Einfluß der Klosterschulen, auf die nähern Be¬
ziehungen der Herzoge von Lothringen zu Frankreich oder überhaupt auf die
wachsende Bedeutung Frankreichs, die damals durch Landesangehörige in
Neapel und Sizilien, in Byzanz, in Morea und Achaja, in Cypern, Antiochien
und Jerusalem dem Volke und seinen Königen Ansehen verschaffte und so den
ersten Ansatz zur politischen Führung in Europa gewann, während die deutscheu
Könige, um die Weihe und die kirchliche Anerkennung als Nachfolger der
römischen Kaiser als erste Herren der Welt zu erhalten, sich mit den Gegnern
in Italien herumschlugen. So hat z. B. Deutschland für die Kreuzzüge sicher
nicht geringere Opfer gebracht als Frankreich, aber es hat keine Gründungen
im oströmischen Kaiserreiche hinterlassen. Es macht einen kläglichen Eindruck,
wenn man liest, daß im Peloponnes nur ein Deutscher unter Gottfried von
Villehardouin ein kleines Lehen erhielt; es war ein Graf Berchtold von Katzen-
ellenbogen. Von Dauer waren nun allerdings die französischen Gründungen
in Spanien, in Italien, in Byzanz u. s. w. auch nicht, aber in der Erinnerung
der Nachwelt blieben die (zi68w veä xsr ^r-meos haften, und wenn die Herzoge
von Achaja oder die Megaskyren von Athen in Streitfragen verwickelt waren,
so holten sie die Entscheidung am französischen Hofe in Paris ein. Die fran¬
zösischen Erfolge in den Kreuzzügen, der Aufenthalt der Päpste in Avignon u. s. w.
sind sicher nicht ohne Einfluß auf die katholische Geistlichkeit der Bistümer
an der Maas und an der Mosel geblieben. Damals wie heute war die
katholische Geistlichkeit die Trägerin internationaler Gedanken, und wie es in


Grenzboten III 1891 46
Die Sprachgrenze in Lothringen

lichen Tabellionen neben den kaiserlichen oder geistlichen Notaren erlassen haben,
so Matthäus II. 1232, Ferry III. 1276, Ferry IV. 1316, Raoul 1342 u. s. w.
sind in französischer Sprache abgefaßt und enthalten keinerlei Bestimmung
darüber, wie mit Deutschen zu Urkunden sei. Wir können uns diese zum
Teil sich widersprechenden Erscheinungen nur so erklären, daß zur Zeit der
Erstarkung der deutschen Reichsgewalt nnter den sächsischen Kaisern die
deutschen Herrengeschlechter aus der Zeit der fränkischen Einwanderung noch
die Oberhand hatten oder wiedergewonnen hatten und daß die deutsche Sprache
neben der amtlichen lateinischen Urkuudensprache die herrschende, in Metz z.V.
durch eine ansehnliche deutsche Einwanderung vertretene Sprache der Großen
war, aber keineswegs die überwiegende Volkssprache. Die von der deutschen
Einwanderung bereits vorgefundene und weder damals ausgerottete noch etwa
erst später eingeführte romanische Volkssprache scheint sich aber um die Wende
des dreizehnten Jahrhunderts in dem Maße wieder Achtung und Geltung
verschafft zu haben, wie das Ansehen der eingewanderten großen Geschlechter
zurückging, und dieser Rückgang stand wohl in Zusammenhang mit dem Schwinden
der Macht des deutschen Reiches. Es wird heute nicht mehr möglich sein,
festzustellen, worauf dieser Umschwung zurückzuführen ist, ob auf Umwälzungen
im städtischen Regiments in Metz, auf den Einfluß welscher Bischöfe in Metz,
Toul und Verdun, auf den Einfluß der Klosterschulen, auf die nähern Be¬
ziehungen der Herzoge von Lothringen zu Frankreich oder überhaupt auf die
wachsende Bedeutung Frankreichs, die damals durch Landesangehörige in
Neapel und Sizilien, in Byzanz, in Morea und Achaja, in Cypern, Antiochien
und Jerusalem dem Volke und seinen Königen Ansehen verschaffte und so den
ersten Ansatz zur politischen Führung in Europa gewann, während die deutscheu
Könige, um die Weihe und die kirchliche Anerkennung als Nachfolger der
römischen Kaiser als erste Herren der Welt zu erhalten, sich mit den Gegnern
in Italien herumschlugen. So hat z. B. Deutschland für die Kreuzzüge sicher
nicht geringere Opfer gebracht als Frankreich, aber es hat keine Gründungen
im oströmischen Kaiserreiche hinterlassen. Es macht einen kläglichen Eindruck,
wenn man liest, daß im Peloponnes nur ein Deutscher unter Gottfried von
Villehardouin ein kleines Lehen erhielt; es war ein Graf Berchtold von Katzen-
ellenbogen. Von Dauer waren nun allerdings die französischen Gründungen
in Spanien, in Italien, in Byzanz u. s. w. auch nicht, aber in der Erinnerung
der Nachwelt blieben die (zi68w veä xsr ^r-meos haften, und wenn die Herzoge
von Achaja oder die Megaskyren von Athen in Streitfragen verwickelt waren,
so holten sie die Entscheidung am französischen Hofe in Paris ein. Die fran¬
zösischen Erfolge in den Kreuzzügen, der Aufenthalt der Päpste in Avignon u. s. w.
sind sicher nicht ohne Einfluß auf die katholische Geistlichkeit der Bistümer
an der Maas und an der Mosel geblieben. Damals wie heute war die
katholische Geistlichkeit die Trägerin internationaler Gedanken, und wie es in


Grenzboten III 1891 46
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290138"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sprachgrenze in Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1052" prev="#ID_1051" next="#ID_1053"> lichen Tabellionen neben den kaiserlichen oder geistlichen Notaren erlassen haben,<lb/>
so Matthäus II. 1232, Ferry III. 1276, Ferry IV. 1316, Raoul 1342 u. s. w.<lb/>
sind in französischer Sprache abgefaßt und enthalten keinerlei Bestimmung<lb/>
darüber, wie mit Deutschen zu Urkunden sei. Wir können uns diese zum<lb/>
Teil sich widersprechenden Erscheinungen nur so erklären, daß zur Zeit der<lb/>
Erstarkung der deutschen Reichsgewalt nnter den sächsischen Kaisern die<lb/>
deutschen Herrengeschlechter aus der Zeit der fränkischen Einwanderung noch<lb/>
die Oberhand hatten oder wiedergewonnen hatten und daß die deutsche Sprache<lb/>
neben der amtlichen lateinischen Urkuudensprache die herrschende, in Metz z.V.<lb/>
durch eine ansehnliche deutsche Einwanderung vertretene Sprache der Großen<lb/>
war, aber keineswegs die überwiegende Volkssprache. Die von der deutschen<lb/>
Einwanderung bereits vorgefundene und weder damals ausgerottete noch etwa<lb/>
erst später eingeführte romanische Volkssprache scheint sich aber um die Wende<lb/>
des dreizehnten Jahrhunderts in dem Maße wieder Achtung und Geltung<lb/>
verschafft zu haben, wie das Ansehen der eingewanderten großen Geschlechter<lb/>
zurückging, und dieser Rückgang stand wohl in Zusammenhang mit dem Schwinden<lb/>
der Macht des deutschen Reiches. Es wird heute nicht mehr möglich sein,<lb/>
festzustellen, worauf dieser Umschwung zurückzuführen ist, ob auf Umwälzungen<lb/>
im städtischen Regiments in Metz, auf den Einfluß welscher Bischöfe in Metz,<lb/>
Toul und Verdun, auf den Einfluß der Klosterschulen, auf die nähern Be¬<lb/>
ziehungen der Herzoge von Lothringen zu Frankreich oder überhaupt auf die<lb/>
wachsende Bedeutung Frankreichs, die damals durch Landesangehörige in<lb/>
Neapel und Sizilien, in Byzanz, in Morea und Achaja, in Cypern, Antiochien<lb/>
und Jerusalem dem Volke und seinen Königen Ansehen verschaffte und so den<lb/>
ersten Ansatz zur politischen Führung in Europa gewann, während die deutscheu<lb/>
Könige, um die Weihe und die kirchliche Anerkennung als Nachfolger der<lb/>
römischen Kaiser als erste Herren der Welt zu erhalten, sich mit den Gegnern<lb/>
in Italien herumschlugen. So hat z. B. Deutschland für die Kreuzzüge sicher<lb/>
nicht geringere Opfer gebracht als Frankreich, aber es hat keine Gründungen<lb/>
im oströmischen Kaiserreiche hinterlassen. Es macht einen kläglichen Eindruck,<lb/>
wenn man liest, daß im Peloponnes nur ein Deutscher unter Gottfried von<lb/>
Villehardouin ein kleines Lehen erhielt; es war ein Graf Berchtold von Katzen-<lb/>
ellenbogen. Von Dauer waren nun allerdings die französischen Gründungen<lb/>
in Spanien, in Italien, in Byzanz u. s. w. auch nicht, aber in der Erinnerung<lb/>
der Nachwelt blieben die (zi68w veä xsr ^r-meos haften, und wenn die Herzoge<lb/>
von Achaja oder die Megaskyren von Athen in Streitfragen verwickelt waren,<lb/>
so holten sie die Entscheidung am französischen Hofe in Paris ein. Die fran¬<lb/>
zösischen Erfolge in den Kreuzzügen, der Aufenthalt der Päpste in Avignon u. s. w.<lb/>
sind sicher nicht ohne Einfluß auf die katholische Geistlichkeit der Bistümer<lb/>
an der Maas und an der Mosel geblieben. Damals wie heute war die<lb/>
katholische Geistlichkeit die Trägerin internationaler Gedanken, und wie es in</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1891 46</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Die Sprachgrenze in Lothringen lichen Tabellionen neben den kaiserlichen oder geistlichen Notaren erlassen haben, so Matthäus II. 1232, Ferry III. 1276, Ferry IV. 1316, Raoul 1342 u. s. w. sind in französischer Sprache abgefaßt und enthalten keinerlei Bestimmung darüber, wie mit Deutschen zu Urkunden sei. Wir können uns diese zum Teil sich widersprechenden Erscheinungen nur so erklären, daß zur Zeit der Erstarkung der deutschen Reichsgewalt nnter den sächsischen Kaisern die deutschen Herrengeschlechter aus der Zeit der fränkischen Einwanderung noch die Oberhand hatten oder wiedergewonnen hatten und daß die deutsche Sprache neben der amtlichen lateinischen Urkuudensprache die herrschende, in Metz z.V. durch eine ansehnliche deutsche Einwanderung vertretene Sprache der Großen war, aber keineswegs die überwiegende Volkssprache. Die von der deutschen Einwanderung bereits vorgefundene und weder damals ausgerottete noch etwa erst später eingeführte romanische Volkssprache scheint sich aber um die Wende des dreizehnten Jahrhunderts in dem Maße wieder Achtung und Geltung verschafft zu haben, wie das Ansehen der eingewanderten großen Geschlechter zurückging, und dieser Rückgang stand wohl in Zusammenhang mit dem Schwinden der Macht des deutschen Reiches. Es wird heute nicht mehr möglich sein, festzustellen, worauf dieser Umschwung zurückzuführen ist, ob auf Umwälzungen im städtischen Regiments in Metz, auf den Einfluß welscher Bischöfe in Metz, Toul und Verdun, auf den Einfluß der Klosterschulen, auf die nähern Be¬ ziehungen der Herzoge von Lothringen zu Frankreich oder überhaupt auf die wachsende Bedeutung Frankreichs, die damals durch Landesangehörige in Neapel und Sizilien, in Byzanz, in Morea und Achaja, in Cypern, Antiochien und Jerusalem dem Volke und seinen Königen Ansehen verschaffte und so den ersten Ansatz zur politischen Führung in Europa gewann, während die deutscheu Könige, um die Weihe und die kirchliche Anerkennung als Nachfolger der römischen Kaiser als erste Herren der Welt zu erhalten, sich mit den Gegnern in Italien herumschlugen. So hat z. B. Deutschland für die Kreuzzüge sicher nicht geringere Opfer gebracht als Frankreich, aber es hat keine Gründungen im oströmischen Kaiserreiche hinterlassen. Es macht einen kläglichen Eindruck, wenn man liest, daß im Peloponnes nur ein Deutscher unter Gottfried von Villehardouin ein kleines Lehen erhielt; es war ein Graf Berchtold von Katzen- ellenbogen. Von Dauer waren nun allerdings die französischen Gründungen in Spanien, in Italien, in Byzanz u. s. w. auch nicht, aber in der Erinnerung der Nachwelt blieben die (zi68w veä xsr ^r-meos haften, und wenn die Herzoge von Achaja oder die Megaskyren von Athen in Streitfragen verwickelt waren, so holten sie die Entscheidung am französischen Hofe in Paris ein. Die fran¬ zösischen Erfolge in den Kreuzzügen, der Aufenthalt der Päpste in Avignon u. s. w. sind sicher nicht ohne Einfluß auf die katholische Geistlichkeit der Bistümer an der Maas und an der Mosel geblieben. Damals wie heute war die katholische Geistlichkeit die Trägerin internationaler Gedanken, und wie es in Grenzboten III 1891 46

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/369>, abgerufen am 24.07.2024.