Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

12 000, die Korps etwa 20 000 haben, und diese alten Herren sehen einander
als Beamte, Richter, Lehrer und Reserveoffiziere mit ebensowenig freundlichen
Augen an, wie ehedem als aktive Studenten.

Die treibende Kraft, die die Korps auch gegenwärtig im deutschen Reiche
noch, das doch ganz neue politische Begriffe und Verhältnisse geschaffen hat
und wahrlich unter seinem breiten Dache die verschiedenartigsten Studenten-
verbindungen friedlich neben einander wohnen lassen könnte, eine so feindliche
Haltung den Burschenschafter gegenüber bewahren läßt -- nur die kleine
Universität Kiel macht hiervon eine Ausnahme , ist wohl ihr stolzes Macht¬
bewußtsein. Wer sich im Besitze der Macht und der Borrechte befindet, räumt
nicht freiwillig einem andern den Thronsitz neben sich ein. In Jena steht
ein Standbild, das die Burschenschaft personifizirt. Ein schwärmerisch blickender
Jüngling, das Barett auf den langen Locken, mit der Schärpe umgürtet, hält
in der Rechten eine Fahne empor und druckt mit der Linken ein Schwert an
seine Brust. Die Farben der Fahne und der Schärpe sind schwarzrotgolden
zu denken. Im Programm dieses Jünglings, das natürlich eine Umschreibung
der Tugend, aber im deutschen Sinne ist, steht anch die Keuschheit, in einer
Reihe von Paragraphen ausgeführt. Wenn nun anch die Keuschheit, diese
herrliche Eigenschaft, gewiß im Leben bei den Korps ebensosehr zur Geltung
kommt wie bei allen übrigen Berbindnngen und den zahlreichen Studenten,
die lediglich des Studiums wegen die Universität besuchen, so mißfällt sie
doch im Programm dem Korpsstudenten ebenso, wie sie dem Musketier Aramis
mißfallen haben würde. Dieser pflegte zu den Stunden, wo er nicht Theo¬
logie studirte, am Toilettentisch saß oder im Gefechte stand, Zusammenkünfte
mit verschleierten vornehmen Damen zu haben. Die Nachwirkulla, jeues alten
Programms ist heutzutage bei dem ganzen großen Publikum, das ja nicht
eingeweiht, nicht in die Tiefen der Sache eingedrungen ist und wesentlich von
der Meinung der edeln Frauen beherrscht wird, die allgemeine auf der Ober¬
flüche schwimmende Auschauung, die Burschenschafter seien nicht so fein wie
die Korps. Die leichthin urteilende große Menge faßt das Verhältnis über¬
haupt so auf, als seien die Korps an der Universität das, was die Garde in
der Armee ist. Das kommt dem Selbstgefühl der Korps zu statten.

Eine Partei, gleich einem Individuum, bedeutet etwas, nicht allein im
positiven, sondern auch im negativen Sinne. Ja man könnte vielleicht Per¬
sonen und Parteien finden, die überhaupt nur dadurch etwas bedeute,,, daß
sie diese und jene Eigenschaften andrer nicht haben, die jedoch in sich zu¬
sammensinken und sich völlig auflöse,, und verflüchtigen würden, wenn man
ihre Gegenfüßler entfernte. So verleiht jedem Korpsstudenten schon zu dem
Zeitpunkt, wo er noch gar leine eignen Lorbeeren errungen hat, der Umstand
eine gewisse Bedeutung, ein Gewicht und ein dem Selbstgefühl schmeichelndes
Prestige, daß er kein Burschenschafter ist. Indem sie dies empfinden, möchten


12 000, die Korps etwa 20 000 haben, und diese alten Herren sehen einander
als Beamte, Richter, Lehrer und Reserveoffiziere mit ebensowenig freundlichen
Augen an, wie ehedem als aktive Studenten.

Die treibende Kraft, die die Korps auch gegenwärtig im deutschen Reiche
noch, das doch ganz neue politische Begriffe und Verhältnisse geschaffen hat
und wahrlich unter seinem breiten Dache die verschiedenartigsten Studenten-
verbindungen friedlich neben einander wohnen lassen könnte, eine so feindliche
Haltung den Burschenschafter gegenüber bewahren läßt — nur die kleine
Universität Kiel macht hiervon eine Ausnahme , ist wohl ihr stolzes Macht¬
bewußtsein. Wer sich im Besitze der Macht und der Borrechte befindet, räumt
nicht freiwillig einem andern den Thronsitz neben sich ein. In Jena steht
ein Standbild, das die Burschenschaft personifizirt. Ein schwärmerisch blickender
Jüngling, das Barett auf den langen Locken, mit der Schärpe umgürtet, hält
in der Rechten eine Fahne empor und druckt mit der Linken ein Schwert an
seine Brust. Die Farben der Fahne und der Schärpe sind schwarzrotgolden
zu denken. Im Programm dieses Jünglings, das natürlich eine Umschreibung
der Tugend, aber im deutschen Sinne ist, steht anch die Keuschheit, in einer
Reihe von Paragraphen ausgeführt. Wenn nun anch die Keuschheit, diese
herrliche Eigenschaft, gewiß im Leben bei den Korps ebensosehr zur Geltung
kommt wie bei allen übrigen Berbindnngen und den zahlreichen Studenten,
die lediglich des Studiums wegen die Universität besuchen, so mißfällt sie
doch im Programm dem Korpsstudenten ebenso, wie sie dem Musketier Aramis
mißfallen haben würde. Dieser pflegte zu den Stunden, wo er nicht Theo¬
logie studirte, am Toilettentisch saß oder im Gefechte stand, Zusammenkünfte
mit verschleierten vornehmen Damen zu haben. Die Nachwirkulla, jeues alten
Programms ist heutzutage bei dem ganzen großen Publikum, das ja nicht
eingeweiht, nicht in die Tiefen der Sache eingedrungen ist und wesentlich von
der Meinung der edeln Frauen beherrscht wird, die allgemeine auf der Ober¬
flüche schwimmende Auschauung, die Burschenschafter seien nicht so fein wie
die Korps. Die leichthin urteilende große Menge faßt das Verhältnis über¬
haupt so auf, als seien die Korps an der Universität das, was die Garde in
der Armee ist. Das kommt dem Selbstgefühl der Korps zu statten.

Eine Partei, gleich einem Individuum, bedeutet etwas, nicht allein im
positiven, sondern auch im negativen Sinne. Ja man könnte vielleicht Per¬
sonen und Parteien finden, die überhaupt nur dadurch etwas bedeute,,, daß
sie diese und jene Eigenschaften andrer nicht haben, die jedoch in sich zu¬
sammensinken und sich völlig auflöse,, und verflüchtigen würden, wenn man
ihre Gegenfüßler entfernte. So verleiht jedem Korpsstudenten schon zu dem
Zeitpunkt, wo er noch gar leine eignen Lorbeeren errungen hat, der Umstand
eine gewisse Bedeutung, ein Gewicht und ein dem Selbstgefühl schmeichelndes
Prestige, daß er kein Burschenschafter ist. Indem sie dies empfinden, möchten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289803"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> 12 000, die Korps etwa 20 000 haben, und diese alten Herren sehen einander<lb/>
als Beamte, Richter, Lehrer und Reserveoffiziere mit ebensowenig freundlichen<lb/>
Augen an, wie ehedem als aktive Studenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_94"> Die treibende Kraft, die die Korps auch gegenwärtig im deutschen Reiche<lb/>
noch, das doch ganz neue politische Begriffe und Verhältnisse geschaffen hat<lb/>
und wahrlich unter seinem breiten Dache die verschiedenartigsten Studenten-<lb/>
verbindungen friedlich neben einander wohnen lassen könnte, eine so feindliche<lb/>
Haltung den Burschenschafter gegenüber bewahren läßt &#x2014; nur die kleine<lb/>
Universität Kiel macht hiervon eine Ausnahme , ist wohl ihr stolzes Macht¬<lb/>
bewußtsein. Wer sich im Besitze der Macht und der Borrechte befindet, räumt<lb/>
nicht freiwillig einem andern den Thronsitz neben sich ein. In Jena steht<lb/>
ein Standbild, das die Burschenschaft personifizirt. Ein schwärmerisch blickender<lb/>
Jüngling, das Barett auf den langen Locken, mit der Schärpe umgürtet, hält<lb/>
in der Rechten eine Fahne empor und druckt mit der Linken ein Schwert an<lb/>
seine Brust. Die Farben der Fahne und der Schärpe sind schwarzrotgolden<lb/>
zu denken. Im Programm dieses Jünglings, das natürlich eine Umschreibung<lb/>
der Tugend, aber im deutschen Sinne ist, steht anch die Keuschheit, in einer<lb/>
Reihe von Paragraphen ausgeführt. Wenn nun anch die Keuschheit, diese<lb/>
herrliche Eigenschaft, gewiß im Leben bei den Korps ebensosehr zur Geltung<lb/>
kommt wie bei allen übrigen Berbindnngen und den zahlreichen Studenten,<lb/>
die lediglich des Studiums wegen die Universität besuchen, so mißfällt sie<lb/>
doch im Programm dem Korpsstudenten ebenso, wie sie dem Musketier Aramis<lb/>
mißfallen haben würde. Dieser pflegte zu den Stunden, wo er nicht Theo¬<lb/>
logie studirte, am Toilettentisch saß oder im Gefechte stand, Zusammenkünfte<lb/>
mit verschleierten vornehmen Damen zu haben. Die Nachwirkulla, jeues alten<lb/>
Programms ist heutzutage bei dem ganzen großen Publikum, das ja nicht<lb/>
eingeweiht, nicht in die Tiefen der Sache eingedrungen ist und wesentlich von<lb/>
der Meinung der edeln Frauen beherrscht wird, die allgemeine auf der Ober¬<lb/>
flüche schwimmende Auschauung, die Burschenschafter seien nicht so fein wie<lb/>
die Korps. Die leichthin urteilende große Menge faßt das Verhältnis über¬<lb/>
haupt so auf, als seien die Korps an der Universität das, was die Garde in<lb/>
der Armee ist.  Das kommt dem Selbstgefühl der Korps zu statten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_95" next="#ID_96"> Eine Partei, gleich einem Individuum, bedeutet etwas, nicht allein im<lb/>
positiven, sondern auch im negativen Sinne. Ja man könnte vielleicht Per¬<lb/>
sonen und Parteien finden, die überhaupt nur dadurch etwas bedeute,,, daß<lb/>
sie diese und jene Eigenschaften andrer nicht haben, die jedoch in sich zu¬<lb/>
sammensinken und sich völlig auflöse,, und verflüchtigen würden, wenn man<lb/>
ihre Gegenfüßler entfernte. So verleiht jedem Korpsstudenten schon zu dem<lb/>
Zeitpunkt, wo er noch gar leine eignen Lorbeeren errungen hat, der Umstand<lb/>
eine gewisse Bedeutung, ein Gewicht und ein dem Selbstgefühl schmeichelndes<lb/>
Prestige, daß er kein Burschenschafter ist. Indem sie dies empfinden, möchten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] 12 000, die Korps etwa 20 000 haben, und diese alten Herren sehen einander als Beamte, Richter, Lehrer und Reserveoffiziere mit ebensowenig freundlichen Augen an, wie ehedem als aktive Studenten. Die treibende Kraft, die die Korps auch gegenwärtig im deutschen Reiche noch, das doch ganz neue politische Begriffe und Verhältnisse geschaffen hat und wahrlich unter seinem breiten Dache die verschiedenartigsten Studenten- verbindungen friedlich neben einander wohnen lassen könnte, eine so feindliche Haltung den Burschenschafter gegenüber bewahren läßt — nur die kleine Universität Kiel macht hiervon eine Ausnahme , ist wohl ihr stolzes Macht¬ bewußtsein. Wer sich im Besitze der Macht und der Borrechte befindet, räumt nicht freiwillig einem andern den Thronsitz neben sich ein. In Jena steht ein Standbild, das die Burschenschaft personifizirt. Ein schwärmerisch blickender Jüngling, das Barett auf den langen Locken, mit der Schärpe umgürtet, hält in der Rechten eine Fahne empor und druckt mit der Linken ein Schwert an seine Brust. Die Farben der Fahne und der Schärpe sind schwarzrotgolden zu denken. Im Programm dieses Jünglings, das natürlich eine Umschreibung der Tugend, aber im deutschen Sinne ist, steht anch die Keuschheit, in einer Reihe von Paragraphen ausgeführt. Wenn nun anch die Keuschheit, diese herrliche Eigenschaft, gewiß im Leben bei den Korps ebensosehr zur Geltung kommt wie bei allen übrigen Berbindnngen und den zahlreichen Studenten, die lediglich des Studiums wegen die Universität besuchen, so mißfällt sie doch im Programm dem Korpsstudenten ebenso, wie sie dem Musketier Aramis mißfallen haben würde. Dieser pflegte zu den Stunden, wo er nicht Theo¬ logie studirte, am Toilettentisch saß oder im Gefechte stand, Zusammenkünfte mit verschleierten vornehmen Damen zu haben. Die Nachwirkulla, jeues alten Programms ist heutzutage bei dem ganzen großen Publikum, das ja nicht eingeweiht, nicht in die Tiefen der Sache eingedrungen ist und wesentlich von der Meinung der edeln Frauen beherrscht wird, die allgemeine auf der Ober¬ flüche schwimmende Auschauung, die Burschenschafter seien nicht so fein wie die Korps. Die leichthin urteilende große Menge faßt das Verhältnis über¬ haupt so auf, als seien die Korps an der Universität das, was die Garde in der Armee ist. Das kommt dem Selbstgefühl der Korps zu statten. Eine Partei, gleich einem Individuum, bedeutet etwas, nicht allein im positiven, sondern auch im negativen Sinne. Ja man könnte vielleicht Per¬ sonen und Parteien finden, die überhaupt nur dadurch etwas bedeute,,, daß sie diese und jene Eigenschaften andrer nicht haben, die jedoch in sich zu¬ sammensinken und sich völlig auflöse,, und verflüchtigen würden, wenn man ihre Gegenfüßler entfernte. So verleiht jedem Korpsstudenten schon zu dem Zeitpunkt, wo er noch gar leine eignen Lorbeeren errungen hat, der Umstand eine gewisse Bedeutung, ein Gewicht und ein dem Selbstgefühl schmeichelndes Prestige, daß er kein Burschenschafter ist. Indem sie dies empfinden, möchten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/35>, abgerufen am 23.07.2024.