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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Gin Morgen in der Mädchenschule

Das kommt davon, sagte ich, 's hätte nur noch gefehlt, daß der Franz
mich dabei gewesen war -- ich hätte ihm nie wieder unter die Augen treten
können! Nu, auf den mehr oder weniger wär mirs jetzt nicht angekommen.
Ich muß übrigens ein Loch in der Sohle haben.

Die Pause war zu Ende. Alles drängte sich die Treppe hinauf. Vor
der Thür des Phhsikzimmers wünschten wir uns: Gute Nacht, schlaf wohl!
und traten ein. Eine sonderbare Luft wehte uns entgegen. Sie ging von
all den Gläsern, Gefäßen, Röhren und Trichtern ans, die bunt durcheinander,
meistens angefüllt, vorn auf dem Pult und an den Fenstern standen. Das
einzige, was wir je von Physik begriffen hatten, war, daß sie eine sehr schlechte
Luft verbreite, und das schien uns freilich an und für sich nichts besondres.
Guten Morgen, Herr Linsenmeier, sagten wir laut beim Eintreten; denn da
saß er schon in seine Experimente vergraben. Wie ein Sonnenstrahl! flüsterte
ich der Irma zu. Ja, aber ein dicker! Und wirklich erinnerte er daran.
Aus seinem blühenden Gesicht zwinkerten zwei hellblaue Augen lachend in die
Welt, lichtblondes Haar stand ihm, einem Strahlenkranz ähnlich, um die
glänzende, stark vorgebaute Stirn, um seinen Mund lag beständig ein zu¬
friednes Lächeln. So saß er da, ein Herrscher in seinem Reiche. Er blinkte
uns kurz mit den Augen zu und sagte: Setzt und. Heit mach ich und Schwefel¬
wasserstoff -- das heißt, wenn Ihr brav sin. Auf dieses Versprechen hin
trat denn auch Grabesstille ein, und ein glänzendes Lächeln verbreitete sich
über sein ganzes Gesicht. Ich hab und in der letzten Stunde bewiesen -- ich
hörte die Irma gähnen --, was der Luftdruck vermag -- Hesse, was giebts?
Passe Sie mir auf! Sonscht laß ich sich nachher nachmache! Diese Mah¬
nung ging an die Irma, die unter der Bank einen Stoß Papier, Schere und
Kleister ausgepackt hatte und eben im Begriff war, sich ein Heft zu machen.
Vor Schreck fiel ihr die Kleisterflasche auf den Boden und ergoß sich als
zäher Strom unter unsre Füße. Ein Schreckenslaut entfuhr zugleich mehreren
Mündern, da wurde das Ganze von einem lauten Knall übertönt, der aus
einem der gefüllten Gläser kam. Es mußte etwas cxplodirt sein. Herr Linsen¬
meier flog mit einem Ruck in die Höhe, faßte sich aber gleich darauf, schüttete
etwas zum Fenster hinaus und sagte: 's thut nix -- beruhigt und -- Daun
lag wieder tiefer Friede über dem Zimmer.

Drückende Schwüle -- man sah sie allen Gesichtern an. Mit Gewalt
mußte ich die Augen aufhalten. Wie aus weiter Ferne klangen mir die Fragen
und Antworten ans Ohr. Das Zimmer begann leise mit mir auf und ab zu
gehen -- ich fühlte, daß mein Kopf schwer auf eine Seite sank. Wie im
Traume hörte ich noch das Wort "Elektrizität" -- dann schwanden mir die
^inne. Doch nicht sür lange; denn gleich darauf hörte ich meinen Namen
rufen, mit der Frage, was ein schlechter Leiter sei? Ich flog in die Höhe
u"d stotterte: Die -- die Irma -- Herrn Linsenmeiers verblüffte Augen gaben


Grenzboten III 1391 42
Gin Morgen in der Mädchenschule

Das kommt davon, sagte ich, 's hätte nur noch gefehlt, daß der Franz
mich dabei gewesen war — ich hätte ihm nie wieder unter die Augen treten
können! Nu, auf den mehr oder weniger wär mirs jetzt nicht angekommen.
Ich muß übrigens ein Loch in der Sohle haben.

Die Pause war zu Ende. Alles drängte sich die Treppe hinauf. Vor
der Thür des Phhsikzimmers wünschten wir uns: Gute Nacht, schlaf wohl!
und traten ein. Eine sonderbare Luft wehte uns entgegen. Sie ging von
all den Gläsern, Gefäßen, Röhren und Trichtern ans, die bunt durcheinander,
meistens angefüllt, vorn auf dem Pult und an den Fenstern standen. Das
einzige, was wir je von Physik begriffen hatten, war, daß sie eine sehr schlechte
Luft verbreite, und das schien uns freilich an und für sich nichts besondres.
Guten Morgen, Herr Linsenmeier, sagten wir laut beim Eintreten; denn da
saß er schon in seine Experimente vergraben. Wie ein Sonnenstrahl! flüsterte
ich der Irma zu. Ja, aber ein dicker! Und wirklich erinnerte er daran.
Aus seinem blühenden Gesicht zwinkerten zwei hellblaue Augen lachend in die
Welt, lichtblondes Haar stand ihm, einem Strahlenkranz ähnlich, um die
glänzende, stark vorgebaute Stirn, um seinen Mund lag beständig ein zu¬
friednes Lächeln. So saß er da, ein Herrscher in seinem Reiche. Er blinkte
uns kurz mit den Augen zu und sagte: Setzt und. Heit mach ich und Schwefel¬
wasserstoff — das heißt, wenn Ihr brav sin. Auf dieses Versprechen hin
trat denn auch Grabesstille ein, und ein glänzendes Lächeln verbreitete sich
über sein ganzes Gesicht. Ich hab und in der letzten Stunde bewiesen — ich
hörte die Irma gähnen —, was der Luftdruck vermag — Hesse, was giebts?
Passe Sie mir auf! Sonscht laß ich sich nachher nachmache! Diese Mah¬
nung ging an die Irma, die unter der Bank einen Stoß Papier, Schere und
Kleister ausgepackt hatte und eben im Begriff war, sich ein Heft zu machen.
Vor Schreck fiel ihr die Kleisterflasche auf den Boden und ergoß sich als
zäher Strom unter unsre Füße. Ein Schreckenslaut entfuhr zugleich mehreren
Mündern, da wurde das Ganze von einem lauten Knall übertönt, der aus
einem der gefüllten Gläser kam. Es mußte etwas cxplodirt sein. Herr Linsen¬
meier flog mit einem Ruck in die Höhe, faßte sich aber gleich darauf, schüttete
etwas zum Fenster hinaus und sagte: 's thut nix — beruhigt und — Daun
lag wieder tiefer Friede über dem Zimmer.

Drückende Schwüle — man sah sie allen Gesichtern an. Mit Gewalt
mußte ich die Augen aufhalten. Wie aus weiter Ferne klangen mir die Fragen
und Antworten ans Ohr. Das Zimmer begann leise mit mir auf und ab zu
gehen — ich fühlte, daß mein Kopf schwer auf eine Seite sank. Wie im
Traume hörte ich noch das Wort „Elektrizität" — dann schwanden mir die
^inne. Doch nicht sür lange; denn gleich darauf hörte ich meinen Namen
rufen, mit der Frage, was ein schlechter Leiter sei? Ich flog in die Höhe
u«d stotterte: Die — die Irma — Herrn Linsenmeiers verblüffte Augen gaben


Grenzboten III 1391 42
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[0337] Gin Morgen in der Mädchenschule Das kommt davon, sagte ich, 's hätte nur noch gefehlt, daß der Franz mich dabei gewesen war — ich hätte ihm nie wieder unter die Augen treten können! Nu, auf den mehr oder weniger wär mirs jetzt nicht angekommen. Ich muß übrigens ein Loch in der Sohle haben. Die Pause war zu Ende. Alles drängte sich die Treppe hinauf. Vor der Thür des Phhsikzimmers wünschten wir uns: Gute Nacht, schlaf wohl! und traten ein. Eine sonderbare Luft wehte uns entgegen. Sie ging von all den Gläsern, Gefäßen, Röhren und Trichtern ans, die bunt durcheinander, meistens angefüllt, vorn auf dem Pult und an den Fenstern standen. Das einzige, was wir je von Physik begriffen hatten, war, daß sie eine sehr schlechte Luft verbreite, und das schien uns freilich an und für sich nichts besondres. Guten Morgen, Herr Linsenmeier, sagten wir laut beim Eintreten; denn da saß er schon in seine Experimente vergraben. Wie ein Sonnenstrahl! flüsterte ich der Irma zu. Ja, aber ein dicker! Und wirklich erinnerte er daran. Aus seinem blühenden Gesicht zwinkerten zwei hellblaue Augen lachend in die Welt, lichtblondes Haar stand ihm, einem Strahlenkranz ähnlich, um die glänzende, stark vorgebaute Stirn, um seinen Mund lag beständig ein zu¬ friednes Lächeln. So saß er da, ein Herrscher in seinem Reiche. Er blinkte uns kurz mit den Augen zu und sagte: Setzt und. Heit mach ich und Schwefel¬ wasserstoff — das heißt, wenn Ihr brav sin. Auf dieses Versprechen hin trat denn auch Grabesstille ein, und ein glänzendes Lächeln verbreitete sich über sein ganzes Gesicht. Ich hab und in der letzten Stunde bewiesen — ich hörte die Irma gähnen —, was der Luftdruck vermag — Hesse, was giebts? Passe Sie mir auf! Sonscht laß ich sich nachher nachmache! Diese Mah¬ nung ging an die Irma, die unter der Bank einen Stoß Papier, Schere und Kleister ausgepackt hatte und eben im Begriff war, sich ein Heft zu machen. Vor Schreck fiel ihr die Kleisterflasche auf den Boden und ergoß sich als zäher Strom unter unsre Füße. Ein Schreckenslaut entfuhr zugleich mehreren Mündern, da wurde das Ganze von einem lauten Knall übertönt, der aus einem der gefüllten Gläser kam. Es mußte etwas cxplodirt sein. Herr Linsen¬ meier flog mit einem Ruck in die Höhe, faßte sich aber gleich darauf, schüttete etwas zum Fenster hinaus und sagte: 's thut nix — beruhigt und — Daun lag wieder tiefer Friede über dem Zimmer. Drückende Schwüle — man sah sie allen Gesichtern an. Mit Gewalt mußte ich die Augen aufhalten. Wie aus weiter Ferne klangen mir die Fragen und Antworten ans Ohr. Das Zimmer begann leise mit mir auf und ab zu gehen — ich fühlte, daß mein Kopf schwer auf eine Seite sank. Wie im Traume hörte ich noch das Wort „Elektrizität" — dann schwanden mir die ^inne. Doch nicht sür lange; denn gleich darauf hörte ich meinen Namen rufen, mit der Frage, was ein schlechter Leiter sei? Ich flog in die Höhe u«d stotterte: Die — die Irma — Herrn Linsenmeiers verblüffte Augen gaben Grenzboten III 1391 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/337>, abgerufen am 26.08.2024.