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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ein Morgen in der Mädchenschule

Merkwürdig still lag auch das kleine Klostergärtchen da draußen in dem
Häuserviereck eingeschlossen! Ich hatte es noch nie recht gesehen. Wenn ich
lachend mit den andern gegangen war, war es immer selbstverständlich ge¬
wesen, daß dort der Garten lag. Was sollte da auch anders sein? Mir
siel ein, daß wir uns einmal fast totgelacht hatten, als wir die Frau Jvsepha
-- es war die letzte der alten Klosterfrauen, die noch lebte -- dort umher¬
hinken und Bohnenkräutchen pflücken sahen. Wahrscheinlich für die Suppe
heute Mittag, hatte eine gesagt, und der Gedanke, daß sie, die Fran Joscpha,
die uns noch soeben Stunde gegeben hatte, auch wie wir zu Mittag essen
sollte -- der Gedanke war zum Totlachen.

Ich stand und sah hinaus. Die hohen Stockrosen und Sonnenblumen
standen noch wie träumend; und rosig angehaucht, als wären sie noch nicht
ganz erwacht, hoben die blassen Malven ihre Gesichter zur Sonne empor.
Dazwischen dufteten dunkler Goldlack und Rosmarin. Auf den hohen Vuchs-
baumbüschen schimmerten und funkelten tausend Perlen im Sommermorgen.
Da knisterte leise der Sand, ich trat unwillkürlich vom Fenster zurück. Es
war die Frau Jvsepha, die einen Gang durch den stillen Garten machte.
Mir stieg es rot ins Gesicht, daß sie es jetzt that, jetzt, ehe das wilde, un¬
gezogene Treiben hier angefangen hatte. Ich folgte ihr mit den Augen. Wie
hatte ich nur über sie lachen können! War es nicht eher traurig, wie sie mit
ihrem alten Gesicht hier allein in der Morgensonne ging und nur zuweilen
leise mit dein Kopfe vor sich hinnickte, als spräche sie mit sich selber? Und
plötzlich überkam minds, ich mußte zu ihr, jetzt noch, ehe auch sie für immer
unter deu Steinplatten liegen würde; ich mußte ihr sagen, daß ich es nie so böse
mit meinem Lachen gemeint hätte. Und da stand ich nun in dem Garten
zwischen den Beeten. Sie hob die Augen zu mir herüber und fragte mit
ihrer müden Stimme: Suchst du mich, Kind? Ja, Frau Jvsepha, ich -- ich --
hab in der letzten Stunde etwas nicht verstanden. Dann geh nur hinauf, Kind,
ich will es heute noch einmal erklären. Ja -- nein -- Frau Josepha -- ich
meinte -- ich wollte -- ich möchte gern -- Sie um Verzeihung bitten, daß ich
gestern so dumm gelacht hab -- es war nur wegen -- weil --

Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Ich konnte ihr doch nicht sagen,
daß die Irma die Zöpfe von zwei Schülerinnen während des Unterrichtes
aneinandergeknüpft hatte. Verwundert sah sie mich an. Dann plötzlich war
mirs, als glänzte etwas fernes, lange vergessenes in ihren Augen auf, und
ihr Mund sagte: Lach du nur, Kind -- man ist nur einmal jung. Dabei
legte sie mir ihre Hand auf die Schulter und nickte mir wie träumend zu.
Ich versuchte mir vorzustellen, daß sie auch einmal jung gewesen sei, aber
immer schob sich mir ihr weiß umrahmtes Gesicht dazwischen, und plötzlich
fuhr mirs heraus: Ach, Frau Josepha, fürchten Sie sich nicht vorm Sterben?
Es ist so schrecklich! Ich glaubte, sie würde bei dem Gedanken, wie ich, zu-


Ein Morgen in der Mädchenschule

Merkwürdig still lag auch das kleine Klostergärtchen da draußen in dem
Häuserviereck eingeschlossen! Ich hatte es noch nie recht gesehen. Wenn ich
lachend mit den andern gegangen war, war es immer selbstverständlich ge¬
wesen, daß dort der Garten lag. Was sollte da auch anders sein? Mir
siel ein, daß wir uns einmal fast totgelacht hatten, als wir die Frau Jvsepha
— es war die letzte der alten Klosterfrauen, die noch lebte — dort umher¬
hinken und Bohnenkräutchen pflücken sahen. Wahrscheinlich für die Suppe
heute Mittag, hatte eine gesagt, und der Gedanke, daß sie, die Fran Joscpha,
die uns noch soeben Stunde gegeben hatte, auch wie wir zu Mittag essen
sollte — der Gedanke war zum Totlachen.

Ich stand und sah hinaus. Die hohen Stockrosen und Sonnenblumen
standen noch wie träumend; und rosig angehaucht, als wären sie noch nicht
ganz erwacht, hoben die blassen Malven ihre Gesichter zur Sonne empor.
Dazwischen dufteten dunkler Goldlack und Rosmarin. Auf den hohen Vuchs-
baumbüschen schimmerten und funkelten tausend Perlen im Sommermorgen.
Da knisterte leise der Sand, ich trat unwillkürlich vom Fenster zurück. Es
war die Frau Jvsepha, die einen Gang durch den stillen Garten machte.
Mir stieg es rot ins Gesicht, daß sie es jetzt that, jetzt, ehe das wilde, un¬
gezogene Treiben hier angefangen hatte. Ich folgte ihr mit den Augen. Wie
hatte ich nur über sie lachen können! War es nicht eher traurig, wie sie mit
ihrem alten Gesicht hier allein in der Morgensonne ging und nur zuweilen
leise mit dein Kopfe vor sich hinnickte, als spräche sie mit sich selber? Und
plötzlich überkam minds, ich mußte zu ihr, jetzt noch, ehe auch sie für immer
unter deu Steinplatten liegen würde; ich mußte ihr sagen, daß ich es nie so böse
mit meinem Lachen gemeint hätte. Und da stand ich nun in dem Garten
zwischen den Beeten. Sie hob die Augen zu mir herüber und fragte mit
ihrer müden Stimme: Suchst du mich, Kind? Ja, Frau Jvsepha, ich — ich —
hab in der letzten Stunde etwas nicht verstanden. Dann geh nur hinauf, Kind,
ich will es heute noch einmal erklären. Ja — nein — Frau Josepha — ich
meinte — ich wollte — ich möchte gern — Sie um Verzeihung bitten, daß ich
gestern so dumm gelacht hab — es war nur wegen — weil —

Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Ich konnte ihr doch nicht sagen,
daß die Irma die Zöpfe von zwei Schülerinnen während des Unterrichtes
aneinandergeknüpft hatte. Verwundert sah sie mich an. Dann plötzlich war
mirs, als glänzte etwas fernes, lange vergessenes in ihren Augen auf, und
ihr Mund sagte: Lach du nur, Kind — man ist nur einmal jung. Dabei
legte sie mir ihre Hand auf die Schulter und nickte mir wie träumend zu.
Ich versuchte mir vorzustellen, daß sie auch einmal jung gewesen sei, aber
immer schob sich mir ihr weiß umrahmtes Gesicht dazwischen, und plötzlich
fuhr mirs heraus: Ach, Frau Josepha, fürchten Sie sich nicht vorm Sterben?
Es ist so schrecklich! Ich glaubte, sie würde bei dem Gedanken, wie ich, zu-


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[0332] Ein Morgen in der Mädchenschule Merkwürdig still lag auch das kleine Klostergärtchen da draußen in dem Häuserviereck eingeschlossen! Ich hatte es noch nie recht gesehen. Wenn ich lachend mit den andern gegangen war, war es immer selbstverständlich ge¬ wesen, daß dort der Garten lag. Was sollte da auch anders sein? Mir siel ein, daß wir uns einmal fast totgelacht hatten, als wir die Frau Jvsepha — es war die letzte der alten Klosterfrauen, die noch lebte — dort umher¬ hinken und Bohnenkräutchen pflücken sahen. Wahrscheinlich für die Suppe heute Mittag, hatte eine gesagt, und der Gedanke, daß sie, die Fran Joscpha, die uns noch soeben Stunde gegeben hatte, auch wie wir zu Mittag essen sollte — der Gedanke war zum Totlachen. Ich stand und sah hinaus. Die hohen Stockrosen und Sonnenblumen standen noch wie träumend; und rosig angehaucht, als wären sie noch nicht ganz erwacht, hoben die blassen Malven ihre Gesichter zur Sonne empor. Dazwischen dufteten dunkler Goldlack und Rosmarin. Auf den hohen Vuchs- baumbüschen schimmerten und funkelten tausend Perlen im Sommermorgen. Da knisterte leise der Sand, ich trat unwillkürlich vom Fenster zurück. Es war die Frau Jvsepha, die einen Gang durch den stillen Garten machte. Mir stieg es rot ins Gesicht, daß sie es jetzt that, jetzt, ehe das wilde, un¬ gezogene Treiben hier angefangen hatte. Ich folgte ihr mit den Augen. Wie hatte ich nur über sie lachen können! War es nicht eher traurig, wie sie mit ihrem alten Gesicht hier allein in der Morgensonne ging und nur zuweilen leise mit dein Kopfe vor sich hinnickte, als spräche sie mit sich selber? Und plötzlich überkam minds, ich mußte zu ihr, jetzt noch, ehe auch sie für immer unter deu Steinplatten liegen würde; ich mußte ihr sagen, daß ich es nie so böse mit meinem Lachen gemeint hätte. Und da stand ich nun in dem Garten zwischen den Beeten. Sie hob die Augen zu mir herüber und fragte mit ihrer müden Stimme: Suchst du mich, Kind? Ja, Frau Jvsepha, ich — ich — hab in der letzten Stunde etwas nicht verstanden. Dann geh nur hinauf, Kind, ich will es heute noch einmal erklären. Ja — nein — Frau Josepha — ich meinte — ich wollte — ich möchte gern — Sie um Verzeihung bitten, daß ich gestern so dumm gelacht hab — es war nur wegen — weil — Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Ich konnte ihr doch nicht sagen, daß die Irma die Zöpfe von zwei Schülerinnen während des Unterrichtes aneinandergeknüpft hatte. Verwundert sah sie mich an. Dann plötzlich war mirs, als glänzte etwas fernes, lange vergessenes in ihren Augen auf, und ihr Mund sagte: Lach du nur, Kind — man ist nur einmal jung. Dabei legte sie mir ihre Hand auf die Schulter und nickte mir wie träumend zu. Ich versuchte mir vorzustellen, daß sie auch einmal jung gewesen sei, aber immer schob sich mir ihr weiß umrahmtes Gesicht dazwischen, und plötzlich fuhr mirs heraus: Ach, Frau Josepha, fürchten Sie sich nicht vorm Sterben? Es ist so schrecklich! Ich glaubte, sie würde bei dem Gedanken, wie ich, zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/332>, abgerufen am 26.08.2024.