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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Gin Morgen in der Mädchenschule

Durch die alten Bogenfenster schien leuchtend blauer Himmel herein, und
die Sonne warf schmale Lichtstreifen hindurch. Es wurde dadurch noch stiller.

Zum erstenmale fiel mir auf, daß in mehrere der alten Steinplatten
Namen eingegraben waren. Ein leiser Schauer überlief mich. Das waren
die alten Klostergräber; jemand hatte es einmal gesagt, aber ich mußte es
damals nicht recht gehört haben, denn ich war lachend mit der Irma drauf
herumgetanzt, und wir hatten einen Lehrer nachzumachen versucht. Wie anders
war es doch allein hier! Eigentlich viel schöner -- aber anch unheimlich.
Unheimlich! Hätte es mir mit der Irma hier je unheimlich werde" können?
Wie komisch! Wenn das Echo nicht so lant in deu stillen Gängen wicder-
gehallt hätte, wäre der Gedanke wahrhaftig zum Lachen gewesen!

Ich stand und betrachtete die alten Steinplatten. Darunter lagen die
stillen, weißen Klosterfrauen, die waren hier einmal gerade so gegangen wie ich.
Hatten sie wohl gewußt, daß sie einmal da unter den Steinen liegen würden?
Und hatten doch noch fröhlich sein können? Zum erstenmale fiel mir ein, daß
ich auch einmal sterben müsse. Daran hatte ich noch nie gedacht. Es überlief
mich wie ein Schauer, und die Buchstaben irrten leise vor meinen Blicken
durch einander. Ich mußte mich einen Augenblick an einen Pfeiler lehnen.
Da sah ich nur gegenüber eine weiße Gestalt stehen, die mit müden, traurigem
Blick aus großen, grauen Augen zu mir herübersah -- ganz still. Ich wußte,
das war eine der gestorbenen Klosterfrauen, und plötzlich durchrieselte es mich
mit Grauen -- ich schrie laut auf. Unheimlich schallte es durch die Gänge
und kam als leises Echo von drüben zurück. Nun schlürfte ein Schritt heran
mein Herz erstarrte -- ich drückte die Hand auf die Augen -- in einer
Sekunde siel mir aller Unsinn ein, den ich mit der Irma hier ans den Gräbern
getrieben hatte. Da fragte die Stimme des Schuldieners: Wo festes denn,
he? Wie erlöst sah ich auf und stotterte: Ach Wilhelm, ich -- ich hab mir
den Fuß so umgetreten -- Dös kommt von dem dummen Gespring, brummte
er; dann zog er an einer Glocke in der Nische, daß sie hell durch die Stille tönte.

Hatte ich geträumt? Schaudernd sah ich ans den Fleck hinüber, wo die
Weiße Gestalt gestanden hatte -- sie war verschwunden.

Alles lag in grauem, fahlem Licht; die Sonne hatte sich hinter eine kleine
Wolke versteckt, die im Blau aufgestiegen war. Ich fuhr zusammen. Auf dem
Boden vor mir flimmerte es statt der stillen Namen plötzlich von Dezimal-
brttchen, die sich beängstigend mehrten und vergrößerten. Rasch lief ich vor¬
wärts. Da brach die Sonne wieder hervor, und von ihrem Gold überstrahlt
lag alles wieder traumhaft um mich her. Nun sah ich erst: was ich für die
Weiße Gestalt gehalten hatte, war der helle Pfeiler gewesen, auf den gerade
ein greller Lichtstreifen dnrch das Bogenfenster fiel. Wie würde mich die
Irma auslachen, wenn ich ihr das erzählte. Nein! Um keinen Preis könnte
us ihr ein Wort davon sagen.


Gin Morgen in der Mädchenschule

Durch die alten Bogenfenster schien leuchtend blauer Himmel herein, und
die Sonne warf schmale Lichtstreifen hindurch. Es wurde dadurch noch stiller.

Zum erstenmale fiel mir auf, daß in mehrere der alten Steinplatten
Namen eingegraben waren. Ein leiser Schauer überlief mich. Das waren
die alten Klostergräber; jemand hatte es einmal gesagt, aber ich mußte es
damals nicht recht gehört haben, denn ich war lachend mit der Irma drauf
herumgetanzt, und wir hatten einen Lehrer nachzumachen versucht. Wie anders
war es doch allein hier! Eigentlich viel schöner — aber anch unheimlich.
Unheimlich! Hätte es mir mit der Irma hier je unheimlich werde» können?
Wie komisch! Wenn das Echo nicht so lant in deu stillen Gängen wicder-
gehallt hätte, wäre der Gedanke wahrhaftig zum Lachen gewesen!

Ich stand und betrachtete die alten Steinplatten. Darunter lagen die
stillen, weißen Klosterfrauen, die waren hier einmal gerade so gegangen wie ich.
Hatten sie wohl gewußt, daß sie einmal da unter den Steinen liegen würden?
Und hatten doch noch fröhlich sein können? Zum erstenmale fiel mir ein, daß
ich auch einmal sterben müsse. Daran hatte ich noch nie gedacht. Es überlief
mich wie ein Schauer, und die Buchstaben irrten leise vor meinen Blicken
durch einander. Ich mußte mich einen Augenblick an einen Pfeiler lehnen.
Da sah ich nur gegenüber eine weiße Gestalt stehen, die mit müden, traurigem
Blick aus großen, grauen Augen zu mir herübersah — ganz still. Ich wußte,
das war eine der gestorbenen Klosterfrauen, und plötzlich durchrieselte es mich
mit Grauen — ich schrie laut auf. Unheimlich schallte es durch die Gänge
und kam als leises Echo von drüben zurück. Nun schlürfte ein Schritt heran
mein Herz erstarrte — ich drückte die Hand auf die Augen — in einer
Sekunde siel mir aller Unsinn ein, den ich mit der Irma hier ans den Gräbern
getrieben hatte. Da fragte die Stimme des Schuldieners: Wo festes denn,
he? Wie erlöst sah ich auf und stotterte: Ach Wilhelm, ich — ich hab mir
den Fuß so umgetreten — Dös kommt von dem dummen Gespring, brummte
er; dann zog er an einer Glocke in der Nische, daß sie hell durch die Stille tönte.

Hatte ich geträumt? Schaudernd sah ich ans den Fleck hinüber, wo die
Weiße Gestalt gestanden hatte — sie war verschwunden.

Alles lag in grauem, fahlem Licht; die Sonne hatte sich hinter eine kleine
Wolke versteckt, die im Blau aufgestiegen war. Ich fuhr zusammen. Auf dem
Boden vor mir flimmerte es statt der stillen Namen plötzlich von Dezimal-
brttchen, die sich beängstigend mehrten und vergrößerten. Rasch lief ich vor¬
wärts. Da brach die Sonne wieder hervor, und von ihrem Gold überstrahlt
lag alles wieder traumhaft um mich her. Nun sah ich erst: was ich für die
Weiße Gestalt gehalten hatte, war der helle Pfeiler gewesen, auf den gerade
ein greller Lichtstreifen dnrch das Bogenfenster fiel. Wie würde mich die
Irma auslachen, wenn ich ihr das erzählte. Nein! Um keinen Preis könnte
us ihr ein Wort davon sagen.


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[0331] Gin Morgen in der Mädchenschule Durch die alten Bogenfenster schien leuchtend blauer Himmel herein, und die Sonne warf schmale Lichtstreifen hindurch. Es wurde dadurch noch stiller. Zum erstenmale fiel mir auf, daß in mehrere der alten Steinplatten Namen eingegraben waren. Ein leiser Schauer überlief mich. Das waren die alten Klostergräber; jemand hatte es einmal gesagt, aber ich mußte es damals nicht recht gehört haben, denn ich war lachend mit der Irma drauf herumgetanzt, und wir hatten einen Lehrer nachzumachen versucht. Wie anders war es doch allein hier! Eigentlich viel schöner — aber anch unheimlich. Unheimlich! Hätte es mir mit der Irma hier je unheimlich werde» können? Wie komisch! Wenn das Echo nicht so lant in deu stillen Gängen wicder- gehallt hätte, wäre der Gedanke wahrhaftig zum Lachen gewesen! Ich stand und betrachtete die alten Steinplatten. Darunter lagen die stillen, weißen Klosterfrauen, die waren hier einmal gerade so gegangen wie ich. Hatten sie wohl gewußt, daß sie einmal da unter den Steinen liegen würden? Und hatten doch noch fröhlich sein können? Zum erstenmale fiel mir ein, daß ich auch einmal sterben müsse. Daran hatte ich noch nie gedacht. Es überlief mich wie ein Schauer, und die Buchstaben irrten leise vor meinen Blicken durch einander. Ich mußte mich einen Augenblick an einen Pfeiler lehnen. Da sah ich nur gegenüber eine weiße Gestalt stehen, die mit müden, traurigem Blick aus großen, grauen Augen zu mir herübersah — ganz still. Ich wußte, das war eine der gestorbenen Klosterfrauen, und plötzlich durchrieselte es mich mit Grauen — ich schrie laut auf. Unheimlich schallte es durch die Gänge und kam als leises Echo von drüben zurück. Nun schlürfte ein Schritt heran mein Herz erstarrte — ich drückte die Hand auf die Augen — in einer Sekunde siel mir aller Unsinn ein, den ich mit der Irma hier ans den Gräbern getrieben hatte. Da fragte die Stimme des Schuldieners: Wo festes denn, he? Wie erlöst sah ich auf und stotterte: Ach Wilhelm, ich — ich hab mir den Fuß so umgetreten — Dös kommt von dem dummen Gespring, brummte er; dann zog er an einer Glocke in der Nische, daß sie hell durch die Stille tönte. Hatte ich geträumt? Schaudernd sah ich ans den Fleck hinüber, wo die Weiße Gestalt gestanden hatte — sie war verschwunden. Alles lag in grauem, fahlem Licht; die Sonne hatte sich hinter eine kleine Wolke versteckt, die im Blau aufgestiegen war. Ich fuhr zusammen. Auf dem Boden vor mir flimmerte es statt der stillen Namen plötzlich von Dezimal- brttchen, die sich beängstigend mehrten und vergrößerten. Rasch lief ich vor¬ wärts. Da brach die Sonne wieder hervor, und von ihrem Gold überstrahlt lag alles wieder traumhaft um mich her. Nun sah ich erst: was ich für die Weiße Gestalt gehalten hatte, war der helle Pfeiler gewesen, auf den gerade ein greller Lichtstreifen dnrch das Bogenfenster fiel. Wie würde mich die Irma auslachen, wenn ich ihr das erzählte. Nein! Um keinen Preis könnte us ihr ein Wort davon sagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/331>, abgerufen am 26.08.2024.