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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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werden muß, wenn sie Nutzen bringen soll, ist selbstverständlich, und es könnte
ohne stärkere Belastung des Staatshaushaltes geschehen, wenn man sich ent¬
schließen könnte, den Unterricht ans den heimischen Kunstakademien und Kunst¬
schulen zu vereinfachen und mehr auf den technischen Teil zu beschränken.
Vorlesungen über Ästhetik, Dichtkunst und sonstige Hilfswissenschaften sind heute
an Kunstschulen so gut wie überflüssig, da sich jeder Kunstjünger mit geringen
Kosten in den Besitz von Lehrbüchern setzen kann, deren er bedarf, um die
Lücken seiner Bildung auszufüllen, und wer das Ideal, dem er nachstrebt,
nicht bereits in seinem Herzen trägt, ehe er in die Vorbereitungsklassen tritt,
dem trichtert es auch kein Lehrer der Ästhetik, kein Erklärer von ausgewählte"
Stücken aus der poetischen Litteratur ein.

Viele Leser werden die hier vorgetragenen Meinungen vielleicht zu radikal
finden. Man solle das Gute, wenn auch viel Schlechtes und Verwerfliches
mit daranhängt, nicht wegwerfen, ehe man nicht vollkommen sicher ist, etwas
Besseres dafür zu erhalten. Gewiß! Aber es ist kein Sprung ins Ungewisse,
den wir vorschlagen. Das staunenswerte Auftreten der spanischen Malerei
auf der Berliner Ausstellung giebt uns die Gewähr, daß auf andern Wegen,
als den unsrigen, viel mehr zu erreichen ist, und noch mehr, als es die
Spanier vermocht haben, wenn es uns gelingt, dem deutschen Idealismus,
der Schaffenskraft deutscher Phantasie die künstlerischen Ausdrucksmittel zu
verschaffen, deren sie zur überzeugenden Verkörperung ihrer Gedanken bedürfen.
Die Spanier haben ihre Reife meist in Rom erlangt, wohin sie mit einer
Vorbildung gekommen sind, die bei dem primitiven Zustande der kürglich aus¬
gestatteten Lehranstalten in Spanien nicht über das Technische hinausgediehen ist.
Auch in Rom sind sie mehr auf eignes Fortkommen in den Werkstätten dort
ansässiger Landsleute als auf die Unterstützung des Staates angewiesen. Und
doch -- welch ein lebendiger Aufschwung in der Geschichtsmalerei, die man
in Deutschland schon begraben glaubte, weil die Manier schließlich die Natur
getötet hatte!

Daß die von den spanischen Geschichtsmalern gewählten Vorwürfe sehr
viel zu der überraschenden Wirkung ihrer Gemälde beitragen, wollen wir nicht
in Abrede stellen. Der Sessel König Philipps II. von Luis Alvarez, den
wir schon erwähnt haben, ist ein teils von der Natur gebildeter, teils künstlich
zugerichteter Felsenthron in der Nähe des Escorials, wo der spanische König
die Vortrüge seiner Räte anhörte, in der sichern Hoffnung, in dieser wilden,
grauenerregender Einsamkeit von keinem Verräter belauscht zu werden. Die
Huldigung der portugiesischen Würdenträger vor der Ines de Castro, die, aus
ihrem Grabe hervorgeholt, neben dem Könige Dom Pedro I., ihrem Gemahle,
thront, von Salvador Martinez Cubells ist ein Vorgang, der kein andres
Gefühl als das des Entsetzens hervorrufen kann, und das Spoliarium von
Juan Luna y Novicio, der unterirdische Raum des römischen Amphitheaters,


Grenzboten III 1891 40

werden muß, wenn sie Nutzen bringen soll, ist selbstverständlich, und es könnte
ohne stärkere Belastung des Staatshaushaltes geschehen, wenn man sich ent¬
schließen könnte, den Unterricht ans den heimischen Kunstakademien und Kunst¬
schulen zu vereinfachen und mehr auf den technischen Teil zu beschränken.
Vorlesungen über Ästhetik, Dichtkunst und sonstige Hilfswissenschaften sind heute
an Kunstschulen so gut wie überflüssig, da sich jeder Kunstjünger mit geringen
Kosten in den Besitz von Lehrbüchern setzen kann, deren er bedarf, um die
Lücken seiner Bildung auszufüllen, und wer das Ideal, dem er nachstrebt,
nicht bereits in seinem Herzen trägt, ehe er in die Vorbereitungsklassen tritt,
dem trichtert es auch kein Lehrer der Ästhetik, kein Erklärer von ausgewählte»
Stücken aus der poetischen Litteratur ein.

Viele Leser werden die hier vorgetragenen Meinungen vielleicht zu radikal
finden. Man solle das Gute, wenn auch viel Schlechtes und Verwerfliches
mit daranhängt, nicht wegwerfen, ehe man nicht vollkommen sicher ist, etwas
Besseres dafür zu erhalten. Gewiß! Aber es ist kein Sprung ins Ungewisse,
den wir vorschlagen. Das staunenswerte Auftreten der spanischen Malerei
auf der Berliner Ausstellung giebt uns die Gewähr, daß auf andern Wegen,
als den unsrigen, viel mehr zu erreichen ist, und noch mehr, als es die
Spanier vermocht haben, wenn es uns gelingt, dem deutschen Idealismus,
der Schaffenskraft deutscher Phantasie die künstlerischen Ausdrucksmittel zu
verschaffen, deren sie zur überzeugenden Verkörperung ihrer Gedanken bedürfen.
Die Spanier haben ihre Reife meist in Rom erlangt, wohin sie mit einer
Vorbildung gekommen sind, die bei dem primitiven Zustande der kürglich aus¬
gestatteten Lehranstalten in Spanien nicht über das Technische hinausgediehen ist.
Auch in Rom sind sie mehr auf eignes Fortkommen in den Werkstätten dort
ansässiger Landsleute als auf die Unterstützung des Staates angewiesen. Und
doch — welch ein lebendiger Aufschwung in der Geschichtsmalerei, die man
in Deutschland schon begraben glaubte, weil die Manier schließlich die Natur
getötet hatte!

Daß die von den spanischen Geschichtsmalern gewählten Vorwürfe sehr
viel zu der überraschenden Wirkung ihrer Gemälde beitragen, wollen wir nicht
in Abrede stellen. Der Sessel König Philipps II. von Luis Alvarez, den
wir schon erwähnt haben, ist ein teils von der Natur gebildeter, teils künstlich
zugerichteter Felsenthron in der Nähe des Escorials, wo der spanische König
die Vortrüge seiner Räte anhörte, in der sichern Hoffnung, in dieser wilden,
grauenerregender Einsamkeit von keinem Verräter belauscht zu werden. Die
Huldigung der portugiesischen Würdenträger vor der Ines de Castro, die, aus
ihrem Grabe hervorgeholt, neben dem Könige Dom Pedro I., ihrem Gemahle,
thront, von Salvador Martinez Cubells ist ein Vorgang, der kein andres
Gefühl als das des Entsetzens hervorrufen kann, und das Spoliarium von
Juan Luna y Novicio, der unterirdische Raum des römischen Amphitheaters,


Grenzboten III 1891 40
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/321>, abgerufen am 26.08.2024.