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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutschen Studenten

und Schweiß durchtränkt und vollgesogen sind, sodciß sich der jugendreine
Bursch in solcher Spelunke wie eine Rosenknospe im Keller nusnimmt, wo
der Epheu sich um graue Mauern schlingt, enge krumme Straßen im Mond¬
schein malerische Umrisse und den Zauber des Geheimnisvoller zeigen, alte
Überlieferungen viele Stätten heiligen, der Bürgersmann den Studenten achtet
und liebt und die Mädchen in ihm einen jungen Gott sehen, da erhebt sich
das Selbstgefühl des Jünglings und verklärt ihm die Welt mit wunderbarem
Lichte. Er wohnt nicht mehr bei den Eltern, er ist nicht mehr unter Auf¬
sicht bei einem Lehrer, er wird nicht mehr gezwungen, z" arbeiten, sondern
als ein Herr steht er da, und er hat Freunde, die gleich ihm für alles Hohe
und Edle schwärmen und willens sind, die Welt zu erneuern und zu verbessern.
In den Jahren, die hinter ihm liegen, ist er zwar vielfach unterdrückt und
gepeinigt worden, aber er hat doch nicht Ladentische abgewischt, und er weiß
nichts von den Preisen der Heringe, des Käses, der Baumwolle und der Seide,
sondern er ist mit Cicero und Cäsar, mit Plutarch, Thukydides, Horaz, Virgil
und Platon umgegangen. So ist seine Seele gewissermaßen in einem Stahl¬
bade gewesen, und er sieht die Welt mit den Augen eines jungen Helden an.
Er weiß noch nicht, ob er in der Rolle, die er zu spielen berufen ist, mehr
einem Demosthenes als einem Scipio, einem Augustinus oder einem Luther
ähnlich sehen wird, aber er weiß, daß er zu Großem berufen ist, und daß das
Geschick ihn bereit finden wird, für die Idee, für die Wahrheit, für das Gute
in den Tod zu gehen.

Am klarsten ist wohl diese aus schwärmerischem Jugeudmnt emporblühende
Begeisterung bei der Gründling und ersten Entwicklung der deutschen Burschen¬
schaft zu Tage getreten. Am 12. Juni 1815 wurde im Gasthaus zur Tanne
in Camsdorf bei Jena die erste, wahre und ganze Burschenschaft verkündet,
von Jena aus wurde das vielberufene Wartburgfest am 18. Oktober 1817
ins Werk gesetzt, und um 18. Oktober 1818 wurde die "allgemeine deutsche
Burschenschaft" geschaffen, deren Vorort und Vorstand Jena, der Gründnngs-
ort, wurde.

Damals gab es bereits Korps. Aus dem akademischen Leben früherer
Jahrhunderte waren hervorgegangen: die älteste aller Kvrpsverbindnngen,
die Onoldin in Erlangen, gegründet 1798, dann die Barnthia in Erlangen
und die Suevia in München, beide gegründet 1803, die Frnneonia in Würz-
burg, 1805, die Lusatia in Leipzig, 1807, die Suevia in Heidelberg, 1810,
die Saxonia in Leipzig, 1812, die Palatin in München, 1813, die Moenvnia
in Würzburg, 1814, die Rhenmna in Freiburg und die Bavaria in Würz¬
burg, beide 1815, und die Bavaria in München, 1816 gegründet. Die
nüchstdem ältesten Korps, die Gnestphalin in Bonn, die Saxo-Vornssia in
Heidelberg, die Thnringia und die Saxonia in Jena, entstanden erst im
Jahre 1820.


Die Erziehung des deutschen Studenten

und Schweiß durchtränkt und vollgesogen sind, sodciß sich der jugendreine
Bursch in solcher Spelunke wie eine Rosenknospe im Keller nusnimmt, wo
der Epheu sich um graue Mauern schlingt, enge krumme Straßen im Mond¬
schein malerische Umrisse und den Zauber des Geheimnisvoller zeigen, alte
Überlieferungen viele Stätten heiligen, der Bürgersmann den Studenten achtet
und liebt und die Mädchen in ihm einen jungen Gott sehen, da erhebt sich
das Selbstgefühl des Jünglings und verklärt ihm die Welt mit wunderbarem
Lichte. Er wohnt nicht mehr bei den Eltern, er ist nicht mehr unter Auf¬
sicht bei einem Lehrer, er wird nicht mehr gezwungen, z» arbeiten, sondern
als ein Herr steht er da, und er hat Freunde, die gleich ihm für alles Hohe
und Edle schwärmen und willens sind, die Welt zu erneuern und zu verbessern.
In den Jahren, die hinter ihm liegen, ist er zwar vielfach unterdrückt und
gepeinigt worden, aber er hat doch nicht Ladentische abgewischt, und er weiß
nichts von den Preisen der Heringe, des Käses, der Baumwolle und der Seide,
sondern er ist mit Cicero und Cäsar, mit Plutarch, Thukydides, Horaz, Virgil
und Platon umgegangen. So ist seine Seele gewissermaßen in einem Stahl¬
bade gewesen, und er sieht die Welt mit den Augen eines jungen Helden an.
Er weiß noch nicht, ob er in der Rolle, die er zu spielen berufen ist, mehr
einem Demosthenes als einem Scipio, einem Augustinus oder einem Luther
ähnlich sehen wird, aber er weiß, daß er zu Großem berufen ist, und daß das
Geschick ihn bereit finden wird, für die Idee, für die Wahrheit, für das Gute
in den Tod zu gehen.

Am klarsten ist wohl diese aus schwärmerischem Jugeudmnt emporblühende
Begeisterung bei der Gründling und ersten Entwicklung der deutschen Burschen¬
schaft zu Tage getreten. Am 12. Juni 1815 wurde im Gasthaus zur Tanne
in Camsdorf bei Jena die erste, wahre und ganze Burschenschaft verkündet,
von Jena aus wurde das vielberufene Wartburgfest am 18. Oktober 1817
ins Werk gesetzt, und um 18. Oktober 1818 wurde die „allgemeine deutsche
Burschenschaft" geschaffen, deren Vorort und Vorstand Jena, der Gründnngs-
ort, wurde.

Damals gab es bereits Korps. Aus dem akademischen Leben früherer
Jahrhunderte waren hervorgegangen: die älteste aller Kvrpsverbindnngen,
die Onoldin in Erlangen, gegründet 1798, dann die Barnthia in Erlangen
und die Suevia in München, beide gegründet 1803, die Frnneonia in Würz-
burg, 1805, die Lusatia in Leipzig, 1807, die Suevia in Heidelberg, 1810,
die Saxonia in Leipzig, 1812, die Palatin in München, 1813, die Moenvnia
in Würzburg, 1814, die Rhenmna in Freiburg und die Bavaria in Würz¬
burg, beide 1815, und die Bavaria in München, 1816 gegründet. Die
nüchstdem ältesten Korps, die Gnestphalin in Bonn, die Saxo-Vornssia in
Heidelberg, die Thnringia und die Saxonia in Jena, entstanden erst im
Jahre 1820.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/32>, abgerufen am 23.07.2024.