Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Erziehung des deutschen Studenten

von englischem Schnitt, die wie zwei Säcke gerade herunterhängen, je nachdem
die Mode ist. Er grüßt mit der Kopfbedeckung, sei es bunte Mütze oder
Melvnenhut, immer nach der Mode, entweder wie Ludwig XIV. grüßte, de"
Hut einen Augenblick neben dem Ohre gehalten, oder, wie es gegenwärtig schick
ist, mit einem Schwunge des hoch gehaltene,: Armes nach hinten, als sollte
der Hut unter der Achsel weggeschleudert, der Gruß selbst abgeschüttelt werden.
Er drückt die Hand gegenwärtig so, wie es die ungarischen nud österreichischen
Kavaliere aufgebracht haben, die von oben greisen, als faßten sie in einen
tiefen Topf, und dann die Hand des Freundes dreimal hin und her ziehen
wie einen Pnmpenschwengel. Er ziert sich in der Sprache, hat Ausdrücke,
die nnr der Eingeweihte versteht, bildet neue Wörter, die seinen besondern
Gefühlen gemäß sind, und verändert wenigstens die Wörter, die so plebejisch
sind, daß niemand sie missen kann. Gegenwärtig sagt er nicht "hübsch,"
sondern "hüschbsch." Es ist eine Art von Freimaurerei.

Dabei kann es aber auch nicht ausbleiben, daß der Korpsstudent viel
Geld braucht. Der Schick ist kostspielig und vermehrt das Budget der korps¬
mäßigen Ausgaben. Daraus folgt aber ganz natürlich, daß nur die Söhne
wohlhabender Eltern in ein Korps eintreten können, und daß, wo der Ehr¬
geiz und die Spekulation auf einflußreiche Verbindungen bei den "alten Herren"
Ministern und Präsidenten einen weniger bemittelten Jüngling hineingelockt
haben, Schulden und die Sorgen des Vaters wie die Thränen der Mutter
im Hintergrunde der glänzenden Front stehen. Während also im Grunde
ideale Ziele dem Wesen und Streben der Korps voranleuchten, macht sich die
allem Irdischen anhaftende Unvollkommenheit auch hier geltend, indem sich
die Frage des Eintritts in ein Korps und in welches Korps nur zu oft zu
einer Frage an den Geldbeutel wandelt. Wie denn überhaupt das Geld neuer¬
dings eine Rolle an der Universität spielt, die ganz dem Überwiegen der
materiellen Fragen in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens entspricht,
sodaß bei der Berufung von Professoren und ihrem geselligen Leben, wie bei
dem Eintreten der Studenten in die verschieden Verbindungen und ihrem Auf¬
treten der Götze Mammon ebensowohl das Szepter schwingt, wie in den vom
Hauche der Börse durchwehten Kreisen andrer obern Zehntausend.

Gleichwohl ist der flügge gewordene Jüngling mit solchem innern Reichtum
ausgestattet, siud in der jugendfrischem Brust Gefühle von solcher Scharfe,
daß sich das Studentenleben mit poetischem Dufte umzieht. Es kommt nicht
auf die Dinge selbst an, erst das Auge, das sie sieht, verleiht ihnen Farbe.
So vieles, was im Alter langweilt oder anekelt, erscheint in der Jugend höchst
anziehend, aufregend, begeisternd. Namentlich in der kleinern Stadt, in Heidel¬
berg, Göttingen, Jena, Tübingen, wo alte Gebände in ihren dunkeln Wöl¬
bungen viele Geschlechter von trinkenden, singenden, fechtenden Brüdern gesehen
haben, wo Mauern und Dielen der Kneipe mit dem Dufte von Bier, Tabak


Die Erziehung des deutschen Studenten

von englischem Schnitt, die wie zwei Säcke gerade herunterhängen, je nachdem
die Mode ist. Er grüßt mit der Kopfbedeckung, sei es bunte Mütze oder
Melvnenhut, immer nach der Mode, entweder wie Ludwig XIV. grüßte, de»
Hut einen Augenblick neben dem Ohre gehalten, oder, wie es gegenwärtig schick
ist, mit einem Schwunge des hoch gehaltene,: Armes nach hinten, als sollte
der Hut unter der Achsel weggeschleudert, der Gruß selbst abgeschüttelt werden.
Er drückt die Hand gegenwärtig so, wie es die ungarischen nud österreichischen
Kavaliere aufgebracht haben, die von oben greisen, als faßten sie in einen
tiefen Topf, und dann die Hand des Freundes dreimal hin und her ziehen
wie einen Pnmpenschwengel. Er ziert sich in der Sprache, hat Ausdrücke,
die nnr der Eingeweihte versteht, bildet neue Wörter, die seinen besondern
Gefühlen gemäß sind, und verändert wenigstens die Wörter, die so plebejisch
sind, daß niemand sie missen kann. Gegenwärtig sagt er nicht „hübsch,"
sondern „hüschbsch." Es ist eine Art von Freimaurerei.

Dabei kann es aber auch nicht ausbleiben, daß der Korpsstudent viel
Geld braucht. Der Schick ist kostspielig und vermehrt das Budget der korps¬
mäßigen Ausgaben. Daraus folgt aber ganz natürlich, daß nur die Söhne
wohlhabender Eltern in ein Korps eintreten können, und daß, wo der Ehr¬
geiz und die Spekulation auf einflußreiche Verbindungen bei den „alten Herren"
Ministern und Präsidenten einen weniger bemittelten Jüngling hineingelockt
haben, Schulden und die Sorgen des Vaters wie die Thränen der Mutter
im Hintergrunde der glänzenden Front stehen. Während also im Grunde
ideale Ziele dem Wesen und Streben der Korps voranleuchten, macht sich die
allem Irdischen anhaftende Unvollkommenheit auch hier geltend, indem sich
die Frage des Eintritts in ein Korps und in welches Korps nur zu oft zu
einer Frage an den Geldbeutel wandelt. Wie denn überhaupt das Geld neuer¬
dings eine Rolle an der Universität spielt, die ganz dem Überwiegen der
materiellen Fragen in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens entspricht,
sodaß bei der Berufung von Professoren und ihrem geselligen Leben, wie bei
dem Eintreten der Studenten in die verschieden Verbindungen und ihrem Auf¬
treten der Götze Mammon ebensowohl das Szepter schwingt, wie in den vom
Hauche der Börse durchwehten Kreisen andrer obern Zehntausend.

Gleichwohl ist der flügge gewordene Jüngling mit solchem innern Reichtum
ausgestattet, siud in der jugendfrischem Brust Gefühle von solcher Scharfe,
daß sich das Studentenleben mit poetischem Dufte umzieht. Es kommt nicht
auf die Dinge selbst an, erst das Auge, das sie sieht, verleiht ihnen Farbe.
So vieles, was im Alter langweilt oder anekelt, erscheint in der Jugend höchst
anziehend, aufregend, begeisternd. Namentlich in der kleinern Stadt, in Heidel¬
berg, Göttingen, Jena, Tübingen, wo alte Gebände in ihren dunkeln Wöl¬
bungen viele Geschlechter von trinkenden, singenden, fechtenden Brüdern gesehen
haben, wo Mauern und Dielen der Kneipe mit dem Dufte von Bier, Tabak


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289799"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Erziehung des deutschen Studenten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> von englischem Schnitt, die wie zwei Säcke gerade herunterhängen, je nachdem<lb/>
die Mode ist. Er grüßt mit der Kopfbedeckung, sei es bunte Mütze oder<lb/>
Melvnenhut, immer nach der Mode, entweder wie Ludwig XIV. grüßte, de»<lb/>
Hut einen Augenblick neben dem Ohre gehalten, oder, wie es gegenwärtig schick<lb/>
ist, mit einem Schwunge des hoch gehaltene,: Armes nach hinten, als sollte<lb/>
der Hut unter der Achsel weggeschleudert, der Gruß selbst abgeschüttelt werden.<lb/>
Er drückt die Hand gegenwärtig so, wie es die ungarischen nud österreichischen<lb/>
Kavaliere aufgebracht haben, die von oben greisen, als faßten sie in einen<lb/>
tiefen Topf, und dann die Hand des Freundes dreimal hin und her ziehen<lb/>
wie einen Pnmpenschwengel. Er ziert sich in der Sprache, hat Ausdrücke,<lb/>
die nnr der Eingeweihte versteht, bildet neue Wörter, die seinen besondern<lb/>
Gefühlen gemäß sind, und verändert wenigstens die Wörter, die so plebejisch<lb/>
sind, daß niemand sie missen kann. Gegenwärtig sagt er nicht &#x201E;hübsch,"<lb/>
sondern &#x201E;hüschbsch."  Es ist eine Art von Freimaurerei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Dabei kann es aber auch nicht ausbleiben, daß der Korpsstudent viel<lb/>
Geld braucht. Der Schick ist kostspielig und vermehrt das Budget der korps¬<lb/>
mäßigen Ausgaben. Daraus folgt aber ganz natürlich, daß nur die Söhne<lb/>
wohlhabender Eltern in ein Korps eintreten können, und daß, wo der Ehr¬<lb/>
geiz und die Spekulation auf einflußreiche Verbindungen bei den &#x201E;alten Herren"<lb/>
Ministern und Präsidenten einen weniger bemittelten Jüngling hineingelockt<lb/>
haben, Schulden und die Sorgen des Vaters wie die Thränen der Mutter<lb/>
im Hintergrunde der glänzenden Front stehen. Während also im Grunde<lb/>
ideale Ziele dem Wesen und Streben der Korps voranleuchten, macht sich die<lb/>
allem Irdischen anhaftende Unvollkommenheit auch hier geltend, indem sich<lb/>
die Frage des Eintritts in ein Korps und in welches Korps nur zu oft zu<lb/>
einer Frage an den Geldbeutel wandelt. Wie denn überhaupt das Geld neuer¬<lb/>
dings eine Rolle an der Universität spielt, die ganz dem Überwiegen der<lb/>
materiellen Fragen in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens entspricht,<lb/>
sodaß bei der Berufung von Professoren und ihrem geselligen Leben, wie bei<lb/>
dem Eintreten der Studenten in die verschieden Verbindungen und ihrem Auf¬<lb/>
treten der Götze Mammon ebensowohl das Szepter schwingt, wie in den vom<lb/>
Hauche der Börse durchwehten Kreisen andrer obern Zehntausend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Gleichwohl ist der flügge gewordene Jüngling mit solchem innern Reichtum<lb/>
ausgestattet, siud in der jugendfrischem Brust Gefühle von solcher Scharfe,<lb/>
daß sich das Studentenleben mit poetischem Dufte umzieht. Es kommt nicht<lb/>
auf die Dinge selbst an, erst das Auge, das sie sieht, verleiht ihnen Farbe.<lb/>
So vieles, was im Alter langweilt oder anekelt, erscheint in der Jugend höchst<lb/>
anziehend, aufregend, begeisternd. Namentlich in der kleinern Stadt, in Heidel¬<lb/>
berg, Göttingen, Jena, Tübingen, wo alte Gebände in ihren dunkeln Wöl¬<lb/>
bungen viele Geschlechter von trinkenden, singenden, fechtenden Brüdern gesehen<lb/>
haben, wo Mauern und Dielen der Kneipe mit dem Dufte von Bier, Tabak</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Die Erziehung des deutschen Studenten von englischem Schnitt, die wie zwei Säcke gerade herunterhängen, je nachdem die Mode ist. Er grüßt mit der Kopfbedeckung, sei es bunte Mütze oder Melvnenhut, immer nach der Mode, entweder wie Ludwig XIV. grüßte, de» Hut einen Augenblick neben dem Ohre gehalten, oder, wie es gegenwärtig schick ist, mit einem Schwunge des hoch gehaltene,: Armes nach hinten, als sollte der Hut unter der Achsel weggeschleudert, der Gruß selbst abgeschüttelt werden. Er drückt die Hand gegenwärtig so, wie es die ungarischen nud österreichischen Kavaliere aufgebracht haben, die von oben greisen, als faßten sie in einen tiefen Topf, und dann die Hand des Freundes dreimal hin und her ziehen wie einen Pnmpenschwengel. Er ziert sich in der Sprache, hat Ausdrücke, die nnr der Eingeweihte versteht, bildet neue Wörter, die seinen besondern Gefühlen gemäß sind, und verändert wenigstens die Wörter, die so plebejisch sind, daß niemand sie missen kann. Gegenwärtig sagt er nicht „hübsch," sondern „hüschbsch." Es ist eine Art von Freimaurerei. Dabei kann es aber auch nicht ausbleiben, daß der Korpsstudent viel Geld braucht. Der Schick ist kostspielig und vermehrt das Budget der korps¬ mäßigen Ausgaben. Daraus folgt aber ganz natürlich, daß nur die Söhne wohlhabender Eltern in ein Korps eintreten können, und daß, wo der Ehr¬ geiz und die Spekulation auf einflußreiche Verbindungen bei den „alten Herren" Ministern und Präsidenten einen weniger bemittelten Jüngling hineingelockt haben, Schulden und die Sorgen des Vaters wie die Thränen der Mutter im Hintergrunde der glänzenden Front stehen. Während also im Grunde ideale Ziele dem Wesen und Streben der Korps voranleuchten, macht sich die allem Irdischen anhaftende Unvollkommenheit auch hier geltend, indem sich die Frage des Eintritts in ein Korps und in welches Korps nur zu oft zu einer Frage an den Geldbeutel wandelt. Wie denn überhaupt das Geld neuer¬ dings eine Rolle an der Universität spielt, die ganz dem Überwiegen der materiellen Fragen in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens entspricht, sodaß bei der Berufung von Professoren und ihrem geselligen Leben, wie bei dem Eintreten der Studenten in die verschieden Verbindungen und ihrem Auf¬ treten der Götze Mammon ebensowohl das Szepter schwingt, wie in den vom Hauche der Börse durchwehten Kreisen andrer obern Zehntausend. Gleichwohl ist der flügge gewordene Jüngling mit solchem innern Reichtum ausgestattet, siud in der jugendfrischem Brust Gefühle von solcher Scharfe, daß sich das Studentenleben mit poetischem Dufte umzieht. Es kommt nicht auf die Dinge selbst an, erst das Auge, das sie sieht, verleiht ihnen Farbe. So vieles, was im Alter langweilt oder anekelt, erscheint in der Jugend höchst anziehend, aufregend, begeisternd. Namentlich in der kleinern Stadt, in Heidel¬ berg, Göttingen, Jena, Tübingen, wo alte Gebände in ihren dunkeln Wöl¬ bungen viele Geschlechter von trinkenden, singenden, fechtenden Brüdern gesehen haben, wo Mauern und Dielen der Kneipe mit dem Dufte von Bier, Tabak

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/31>, abgerufen am 23.07.2024.