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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Militarismus und Schulerziehung

Denn ohne Schulrat wird die neue Prüfung kaum abgehen. Es könnten ja
sonst Ungehörigsten vorkommen. Unsre höhern Bildungsschulen werden
also Prüfungsanstalten für Einjährige! Wirklich ein hartes Schicksal, eine
unverdiente Prüfung; nicht am letzten für die, die sich ans den höhern Schulen
zum gelehrten Studium vorbereiten wollen. Für sie waren doch ursprünglich
die Gymnasien geschaffen worden ^ oder irren wir uns hierin?

Es ist zu bedauern, daß durch die getroffene Entscheidung die leidige
Schulfrage nicht zum Abschluß gebracht, sondern erst recht angefacht worden ist.
Sie wird so lange nicht von der Tagesordnung verschwinden, solange äußere
Rücksichten das maßgebende Wort sprechen. Es stünde schlimm um unsre
Nation, wenn sie sich hierbei beruhigte, wenn sie die unnatürliche Ehe
zwischen Militarismus und Bildnngswesen deshalb gutheißen wollte, weil sie
dnrch ein Machtwort zusammengehalten wird, wenn sie schon so servil geworden
wäre, das, was der preußische Kultusminister im März dieses Jahres als
größtes Hemmnis einer gesunden Entwicklung bezeichnete, nun plötzlich für eine
durchaus naturgemäße Einrichtung zu erklären. Die aufregende Schulfrage wird
nicht eher zur Ruhe kommen, als bis unser Bildnngswesen wieder auf eigne
Füße gestellt und in seine eignen Bahnen zurückgelenkt ist.

Die öffentliche Meinung, d. h. hier wohl die Überzeugung aller, die über
die Notstände in unserm Bildungswesen ernstlicher nachgedacht haben, ist
einig darin, daß unser Schulwesen, zur Magd des Militärs degradirt, nicht
gefunden kaun, .solange man ihm nicht die ganze Examenwirtschaft abnimmt
und dahin verlegt, wohin sie gehört. Möchte doch die Heeresverwaltung bei
Zeiten zur Einsicht kommen und im Interesse des ganzen Volkes Privilegien
aufgeben, die recht gefährlich sind, da sie äußerer Vorteile halber das ge¬
samte Bildungswesen schwer geschädigt haben und noch schädigen!

Ein andrer Einfluß, der sich vom Militarismus aus nachweisen laßt,
ist nicht so greifbar. Auch ist die Militärbehörde daran nicht beteiligt. Hier
liegt die Schuld ganz auf Seiten der Schule, besonders der Lehrer, die in
falscher Schätzung der Militürerziehung diese ohne weiteres in die Schule ver¬
pflanzen wollen. Das Gepränge der Parade soll sich wiederspiegeln in dem
Glanz der Schulexamina, nur mit dem Unterschiede, daß dort Beine, hier Zungen
in tnktmäßige Bewegung versetzt werden. Nimmt man dazu den schneidigen Ton
des Exerzierplatzes, die scharfe Richtung in der Haltung der Schülerköpfe u. s. w.,
und die Schulkaserne ist nicht nur äußerlich fertig, sondern eifert auch im
Betriebe den militärischen Vorbildern nach. Daß dies eine Verirrung ist,
braucht wohl kaum nachgewiesen zu werden. Vielleicht hängt es mit der Er¬
scheinung zusammen, daß sich manche Gymnasiallehrer lieber als Reserve¬
offiziere statt als Bildner der Jugend vorzustellen lieben. Fast scheint
es, als ob wir im Erziehungswesen bei unserm Lehrpersonal von einem
Extrem ins andre gefallen wären. Während zur Zeit unsrer Väter die


Militarismus und Schulerziehung

Denn ohne Schulrat wird die neue Prüfung kaum abgehen. Es könnten ja
sonst Ungehörigsten vorkommen. Unsre höhern Bildungsschulen werden
also Prüfungsanstalten für Einjährige! Wirklich ein hartes Schicksal, eine
unverdiente Prüfung; nicht am letzten für die, die sich ans den höhern Schulen
zum gelehrten Studium vorbereiten wollen. Für sie waren doch ursprünglich
die Gymnasien geschaffen worden ^ oder irren wir uns hierin?

Es ist zu bedauern, daß durch die getroffene Entscheidung die leidige
Schulfrage nicht zum Abschluß gebracht, sondern erst recht angefacht worden ist.
Sie wird so lange nicht von der Tagesordnung verschwinden, solange äußere
Rücksichten das maßgebende Wort sprechen. Es stünde schlimm um unsre
Nation, wenn sie sich hierbei beruhigte, wenn sie die unnatürliche Ehe
zwischen Militarismus und Bildnngswesen deshalb gutheißen wollte, weil sie
dnrch ein Machtwort zusammengehalten wird, wenn sie schon so servil geworden
wäre, das, was der preußische Kultusminister im März dieses Jahres als
größtes Hemmnis einer gesunden Entwicklung bezeichnete, nun plötzlich für eine
durchaus naturgemäße Einrichtung zu erklären. Die aufregende Schulfrage wird
nicht eher zur Ruhe kommen, als bis unser Bildnngswesen wieder auf eigne
Füße gestellt und in seine eignen Bahnen zurückgelenkt ist.

Die öffentliche Meinung, d. h. hier wohl die Überzeugung aller, die über
die Notstände in unserm Bildungswesen ernstlicher nachgedacht haben, ist
einig darin, daß unser Schulwesen, zur Magd des Militärs degradirt, nicht
gefunden kaun, .solange man ihm nicht die ganze Examenwirtschaft abnimmt
und dahin verlegt, wohin sie gehört. Möchte doch die Heeresverwaltung bei
Zeiten zur Einsicht kommen und im Interesse des ganzen Volkes Privilegien
aufgeben, die recht gefährlich sind, da sie äußerer Vorteile halber das ge¬
samte Bildungswesen schwer geschädigt haben und noch schädigen!

Ein andrer Einfluß, der sich vom Militarismus aus nachweisen laßt,
ist nicht so greifbar. Auch ist die Militärbehörde daran nicht beteiligt. Hier
liegt die Schuld ganz auf Seiten der Schule, besonders der Lehrer, die in
falscher Schätzung der Militürerziehung diese ohne weiteres in die Schule ver¬
pflanzen wollen. Das Gepränge der Parade soll sich wiederspiegeln in dem
Glanz der Schulexamina, nur mit dem Unterschiede, daß dort Beine, hier Zungen
in tnktmäßige Bewegung versetzt werden. Nimmt man dazu den schneidigen Ton
des Exerzierplatzes, die scharfe Richtung in der Haltung der Schülerköpfe u. s. w.,
und die Schulkaserne ist nicht nur äußerlich fertig, sondern eifert auch im
Betriebe den militärischen Vorbildern nach. Daß dies eine Verirrung ist,
braucht wohl kaum nachgewiesen zu werden. Vielleicht hängt es mit der Er¬
scheinung zusammen, daß sich manche Gymnasiallehrer lieber als Reserve¬
offiziere statt als Bildner der Jugend vorzustellen lieben. Fast scheint
es, als ob wir im Erziehungswesen bei unserm Lehrpersonal von einem
Extrem ins andre gefallen wären. Während zur Zeit unsrer Väter die


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[0301] Militarismus und Schulerziehung Denn ohne Schulrat wird die neue Prüfung kaum abgehen. Es könnten ja sonst Ungehörigsten vorkommen. Unsre höhern Bildungsschulen werden also Prüfungsanstalten für Einjährige! Wirklich ein hartes Schicksal, eine unverdiente Prüfung; nicht am letzten für die, die sich ans den höhern Schulen zum gelehrten Studium vorbereiten wollen. Für sie waren doch ursprünglich die Gymnasien geschaffen worden ^ oder irren wir uns hierin? Es ist zu bedauern, daß durch die getroffene Entscheidung die leidige Schulfrage nicht zum Abschluß gebracht, sondern erst recht angefacht worden ist. Sie wird so lange nicht von der Tagesordnung verschwinden, solange äußere Rücksichten das maßgebende Wort sprechen. Es stünde schlimm um unsre Nation, wenn sie sich hierbei beruhigte, wenn sie die unnatürliche Ehe zwischen Militarismus und Bildnngswesen deshalb gutheißen wollte, weil sie dnrch ein Machtwort zusammengehalten wird, wenn sie schon so servil geworden wäre, das, was der preußische Kultusminister im März dieses Jahres als größtes Hemmnis einer gesunden Entwicklung bezeichnete, nun plötzlich für eine durchaus naturgemäße Einrichtung zu erklären. Die aufregende Schulfrage wird nicht eher zur Ruhe kommen, als bis unser Bildnngswesen wieder auf eigne Füße gestellt und in seine eignen Bahnen zurückgelenkt ist. Die öffentliche Meinung, d. h. hier wohl die Überzeugung aller, die über die Notstände in unserm Bildungswesen ernstlicher nachgedacht haben, ist einig darin, daß unser Schulwesen, zur Magd des Militärs degradirt, nicht gefunden kaun, .solange man ihm nicht die ganze Examenwirtschaft abnimmt und dahin verlegt, wohin sie gehört. Möchte doch die Heeresverwaltung bei Zeiten zur Einsicht kommen und im Interesse des ganzen Volkes Privilegien aufgeben, die recht gefährlich sind, da sie äußerer Vorteile halber das ge¬ samte Bildungswesen schwer geschädigt haben und noch schädigen! Ein andrer Einfluß, der sich vom Militarismus aus nachweisen laßt, ist nicht so greifbar. Auch ist die Militärbehörde daran nicht beteiligt. Hier liegt die Schuld ganz auf Seiten der Schule, besonders der Lehrer, die in falscher Schätzung der Militürerziehung diese ohne weiteres in die Schule ver¬ pflanzen wollen. Das Gepränge der Parade soll sich wiederspiegeln in dem Glanz der Schulexamina, nur mit dem Unterschiede, daß dort Beine, hier Zungen in tnktmäßige Bewegung versetzt werden. Nimmt man dazu den schneidigen Ton des Exerzierplatzes, die scharfe Richtung in der Haltung der Schülerköpfe u. s. w., und die Schulkaserne ist nicht nur äußerlich fertig, sondern eifert auch im Betriebe den militärischen Vorbildern nach. Daß dies eine Verirrung ist, braucht wohl kaum nachgewiesen zu werden. Vielleicht hängt es mit der Er¬ scheinung zusammen, daß sich manche Gymnasiallehrer lieber als Reserve¬ offiziere statt als Bildner der Jugend vorzustellen lieben. Fast scheint es, als ob wir im Erziehungswesen bei unserm Lehrpersonal von einem Extrem ins andre gefallen wären. Während zur Zeit unsrer Väter die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/301>, abgerufen am 26.08.2024.