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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutschen Studenten

allein einen Mann nutzbringend für den Staat machen, für verantwortliche
Stellungen jedoch, die außer dem Wissen noch Geistesgegenwart, Charakter¬
festigkeit und Gesinnungstüchtigkeit erforderten, sei nur ein Mann befähigt,
der ans der Universität die Hiebwaffe geführt, dem Feinde nah zielend ins
Auge geblickt und so seine Tugend unter dem Bilde der Tapferkeit sichtbar
gemacht habe.

Und so wird die Pflicht ihm freudiger Genuß. Er atmet auf, wenn er
nach dem Druck des Gymnasiums und der Quälerei der Reifeprüfung in die
Schar der Farbengeschmückten eintritt, richtet den gebeugten Nacken auf, reibt
die trübe gewordnen Augen, dehnt die vom Sitzen eingesunkne Brust, reckt
die Arme, um den Schläger festzufassen, lind sieht voll Andacht zu den
"Chargirten" auf, die ihn nun belehren.

Mir steht der belebende, glänzende Eindruck noch deutlich vor Augen,
den das Korpswesen, auf einen jungen Menschen macht, der dazu gehört.
Die Truppe, bei der ich als junger Leutnant stand, wurde in eine Universitäts¬
stadt versetzt, und ich fand Freunde vom Ghmnnsinm als Korpsstudenten wieder.
Sie waren voller Begeisterung und gaben ihr Gefühl in Ausdrücken kund,
die, wenn sie auch übertrieben, ja lächerlich und unpassend sein mochten, doch
als charakteristisch in meiner Erinnerung geblieben sind. Der eine versicherte
mir, daß das große Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler in seinen
Augen nicht so viel Ehre mit sich bringe wie das Band, das er als Mitglied
seines Korps zu tragen das Glück habe; der andre sagte, daß das heilige
Abendmahl selbst nicht die Weihe habe, nicht so tief erschütternd und so hoch
erhebend, nicht so heilig sein könne wie der "Landesvater." Wenn ich an
jene Eindrücke zurückdenke, wird mir klar, wie tief im Menschen das Bedürfnis
wurzelt, etwas zu verehren, während der Gegenstand der Verehrung selbst
von beliebigem Werte sein kann, und wie tief im Deutschen gerade der Ge¬
horsam wurzelt. Nur deutsche Jünglinge können ein richtiges Korps bilden.
Glücklich der Mensch, der intelligent genug ist, das wirklich verehrungswürdige
zu verehren, glücklich der Deutsche, dem der rechte Manu befiehlt!

Unter deu Festen, die damals zu unserm Empfange gegeben wurde", war
auch ein Ball, den das angesehenste und reichste Korps, bei dem zwei Prinzen
und ein erlauchter Graf sich befanden, uns zu Ehren veranstaltete. Es war
wunderhübsch, ich sehe die Schleifen von damals noch hente mit Rührung an.
Wir gaben dem Korps ein Diner zur Vergeltung, und unser Kommandeur
sagte uns vorher vertraulich, seines Wissens glaube ein Student, der nüchtern
heimgehe, nicht, daß man ihn recht gefeiert habe; hiernach möchten wir uns
richte". Diesem Winke gemäß verlief das Mittagessen, und die unter den
Tisch fielen, wurden in die "Totenkammer" getragen. Mit Hilfe zweier Sol¬
daten hatte ich soeben meinen Nachbarn, einen Grafen N., auf ein Sofa ge¬
legt, und er schien fest zu schlafen, als er plötzlich wie el" Besessener aufsprang,


Die Erziehung des deutschen Studenten

allein einen Mann nutzbringend für den Staat machen, für verantwortliche
Stellungen jedoch, die außer dem Wissen noch Geistesgegenwart, Charakter¬
festigkeit und Gesinnungstüchtigkeit erforderten, sei nur ein Mann befähigt,
der ans der Universität die Hiebwaffe geführt, dem Feinde nah zielend ins
Auge geblickt und so seine Tugend unter dem Bilde der Tapferkeit sichtbar
gemacht habe.

Und so wird die Pflicht ihm freudiger Genuß. Er atmet auf, wenn er
nach dem Druck des Gymnasiums und der Quälerei der Reifeprüfung in die
Schar der Farbengeschmückten eintritt, richtet den gebeugten Nacken auf, reibt
die trübe gewordnen Augen, dehnt die vom Sitzen eingesunkne Brust, reckt
die Arme, um den Schläger festzufassen, lind sieht voll Andacht zu den
„Chargirten" auf, die ihn nun belehren.

Mir steht der belebende, glänzende Eindruck noch deutlich vor Augen,
den das Korpswesen, auf einen jungen Menschen macht, der dazu gehört.
Die Truppe, bei der ich als junger Leutnant stand, wurde in eine Universitäts¬
stadt versetzt, und ich fand Freunde vom Ghmnnsinm als Korpsstudenten wieder.
Sie waren voller Begeisterung und gaben ihr Gefühl in Ausdrücken kund,
die, wenn sie auch übertrieben, ja lächerlich und unpassend sein mochten, doch
als charakteristisch in meiner Erinnerung geblieben sind. Der eine versicherte
mir, daß das große Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler in seinen
Augen nicht so viel Ehre mit sich bringe wie das Band, das er als Mitglied
seines Korps zu tragen das Glück habe; der andre sagte, daß das heilige
Abendmahl selbst nicht die Weihe habe, nicht so tief erschütternd und so hoch
erhebend, nicht so heilig sein könne wie der „Landesvater." Wenn ich an
jene Eindrücke zurückdenke, wird mir klar, wie tief im Menschen das Bedürfnis
wurzelt, etwas zu verehren, während der Gegenstand der Verehrung selbst
von beliebigem Werte sein kann, und wie tief im Deutschen gerade der Ge¬
horsam wurzelt. Nur deutsche Jünglinge können ein richtiges Korps bilden.
Glücklich der Mensch, der intelligent genug ist, das wirklich verehrungswürdige
zu verehren, glücklich der Deutsche, dem der rechte Manu befiehlt!

Unter deu Festen, die damals zu unserm Empfange gegeben wurde», war
auch ein Ball, den das angesehenste und reichste Korps, bei dem zwei Prinzen
und ein erlauchter Graf sich befanden, uns zu Ehren veranstaltete. Es war
wunderhübsch, ich sehe die Schleifen von damals noch hente mit Rührung an.
Wir gaben dem Korps ein Diner zur Vergeltung, und unser Kommandeur
sagte uns vorher vertraulich, seines Wissens glaube ein Student, der nüchtern
heimgehe, nicht, daß man ihn recht gefeiert habe; hiernach möchten wir uns
richte». Diesem Winke gemäß verlief das Mittagessen, und die unter den
Tisch fielen, wurden in die „Totenkammer" getragen. Mit Hilfe zweier Sol¬
daten hatte ich soeben meinen Nachbarn, einen Grafen N., auf ein Sofa ge¬
legt, und er schien fest zu schlafen, als er plötzlich wie el» Besessener aufsprang,


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[0028] Die Erziehung des deutschen Studenten allein einen Mann nutzbringend für den Staat machen, für verantwortliche Stellungen jedoch, die außer dem Wissen noch Geistesgegenwart, Charakter¬ festigkeit und Gesinnungstüchtigkeit erforderten, sei nur ein Mann befähigt, der ans der Universität die Hiebwaffe geführt, dem Feinde nah zielend ins Auge geblickt und so seine Tugend unter dem Bilde der Tapferkeit sichtbar gemacht habe. Und so wird die Pflicht ihm freudiger Genuß. Er atmet auf, wenn er nach dem Druck des Gymnasiums und der Quälerei der Reifeprüfung in die Schar der Farbengeschmückten eintritt, richtet den gebeugten Nacken auf, reibt die trübe gewordnen Augen, dehnt die vom Sitzen eingesunkne Brust, reckt die Arme, um den Schläger festzufassen, lind sieht voll Andacht zu den „Chargirten" auf, die ihn nun belehren. Mir steht der belebende, glänzende Eindruck noch deutlich vor Augen, den das Korpswesen, auf einen jungen Menschen macht, der dazu gehört. Die Truppe, bei der ich als junger Leutnant stand, wurde in eine Universitäts¬ stadt versetzt, und ich fand Freunde vom Ghmnnsinm als Korpsstudenten wieder. Sie waren voller Begeisterung und gaben ihr Gefühl in Ausdrücken kund, die, wenn sie auch übertrieben, ja lächerlich und unpassend sein mochten, doch als charakteristisch in meiner Erinnerung geblieben sind. Der eine versicherte mir, daß das große Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler in seinen Augen nicht so viel Ehre mit sich bringe wie das Band, das er als Mitglied seines Korps zu tragen das Glück habe; der andre sagte, daß das heilige Abendmahl selbst nicht die Weihe habe, nicht so tief erschütternd und so hoch erhebend, nicht so heilig sein könne wie der „Landesvater." Wenn ich an jene Eindrücke zurückdenke, wird mir klar, wie tief im Menschen das Bedürfnis wurzelt, etwas zu verehren, während der Gegenstand der Verehrung selbst von beliebigem Werte sein kann, und wie tief im Deutschen gerade der Ge¬ horsam wurzelt. Nur deutsche Jünglinge können ein richtiges Korps bilden. Glücklich der Mensch, der intelligent genug ist, das wirklich verehrungswürdige zu verehren, glücklich der Deutsche, dem der rechte Manu befiehlt! Unter deu Festen, die damals zu unserm Empfange gegeben wurde», war auch ein Ball, den das angesehenste und reichste Korps, bei dem zwei Prinzen und ein erlauchter Graf sich befanden, uns zu Ehren veranstaltete. Es war wunderhübsch, ich sehe die Schleifen von damals noch hente mit Rührung an. Wir gaben dem Korps ein Diner zur Vergeltung, und unser Kommandeur sagte uns vorher vertraulich, seines Wissens glaube ein Student, der nüchtern heimgehe, nicht, daß man ihn recht gefeiert habe; hiernach möchten wir uns richte». Diesem Winke gemäß verlief das Mittagessen, und die unter den Tisch fielen, wurden in die „Totenkammer" getragen. Mit Hilfe zweier Sol¬ daten hatte ich soeben meinen Nachbarn, einen Grafen N., auf ein Sofa ge¬ legt, und er schien fest zu schlafen, als er plötzlich wie el» Besessener aufsprang,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/28>, abgerufen am 23.07.2024.