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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Erziehung des deutscheu Studenten

Erstaunliche Widersprüche ergebe" sich in den Erscheinungen unsers Staats-
lebens aus dein Kampfe von Machten, die vereint werden sollen, aber dnrch
keine Harmonie einer herrschenden Staatsidee versöhnt werden. Dem Namen
nach sind die europäischen Nationen christlich, bekennen sich also zu einer
Religion der Liebe und des Friedens, ihre Gesetze und Verfassungen aber sind
wesentlich altrömisch, und ihrer Natur nach sind sie die eigentlich kriegerischen
nnter den Völkern der Erde, starren in Waffen, suchen alle fremden Länder
zu erobern und befolgen den Grundsatz, daß eine Nation ihr Alles an die
Ehre zu setzen habe. Krieg und Duell aber reichen sich die Hand: bölluiA
und äueUuin sind ursprünglich einunddasselbe Wort. Inzwischen bemächtigen
sich die Naturwissenschaften der Seelen immer mehr, ergänzen den Materia¬
lismus und schaffen eine gewaltige Partei, die in allen Ländern Europas
thätig ist und dahin treibt, nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern anch
die Religion wie überhaupt alles Metaphysische und damit auch den Begriff
der Ehre selbst aufzuheben und abzuschaffen.

So sehen wir im deutschen Reiche geschriebene Gesetze, die das Duell
verbieten, ungeschriebne Gesetze, die dem Mann von Stande, namentlich dem
Offizier, das Duell als Ehrenpflicht vorschreiben, eine heranreifende Jugend,
die, wenn sie Ehrgeiz und die Mittel besitzt, ihrem Ehrgeiz zu folgen, in die
Waffenverbindungen an der Universität eintritt, sehen die katholische Kirche
wiederum, stark genug, der christlichen Idee Geltung zu verschaffen, ihren
Mitgliedern mit Erfolg jede Art von Duell verbieten, die Waffenverbindungen
aber wohl gar sich mit christlichen Grundsätzen brüsten und hören eine sehr
starke öffentliche Meinung über alle diese Einrichtungen und Verhältnisse
spotten. Der gereifte Mann und Denker getröstet sich um zwar bei diesem
Wirrwarr der Überzeugung, daß die Gottheit die Lenkung des Ganzen und
auch der einzelnen Seele in der eigenen allmächtigen Hand behält und in das
Herz ein Gesetz geschrieben hat, das ganz unvertilgbar dasteht und mit Not¬
wendigkeit befolgt wird; aber für den Jüngling, der studiren will, ist bei
seinem Eintritt in die Universität der rechte Weg schwer zu finden, wenn ihm
überhaupt eine Wahl gelassen wird.

Für sehr viele ist ja der Weg genau vorgeschrieben. Die Standarte der
Partei steht hoch aufgepflanzt vor ihrem Blicke, die Richtung ist bezeichnet,
der Kampfplatz eingezäunt und rings umhegt durch Geburt, Vermögen und
Überlieferung. Aber selbst bei diesen macht sich wohl oft ein innerer Zwie¬
spalt geltend und kämpft das Gemüt tief in der Brust ähnlich wie der ganze
große Staat. Wer die Söhne der großen Familien Westfalens, die Sprö߬
linge der alten Sachsen, des wahrhaftesten germanischen Stammes, in Tübingen,
Würzburg und München in Verbindungen sieht, die sich grundsätzlich nicht
schlagen, wer die Hünengestalten dieser Jünglinge beobachtet, denen ihr Beicht¬
vater das Fechten verleidet hat, während ihre breite Brust, ihre langen


Die Erziehung des deutscheu Studenten

Erstaunliche Widersprüche ergebe» sich in den Erscheinungen unsers Staats-
lebens aus dein Kampfe von Machten, die vereint werden sollen, aber dnrch
keine Harmonie einer herrschenden Staatsidee versöhnt werden. Dem Namen
nach sind die europäischen Nationen christlich, bekennen sich also zu einer
Religion der Liebe und des Friedens, ihre Gesetze und Verfassungen aber sind
wesentlich altrömisch, und ihrer Natur nach sind sie die eigentlich kriegerischen
nnter den Völkern der Erde, starren in Waffen, suchen alle fremden Länder
zu erobern und befolgen den Grundsatz, daß eine Nation ihr Alles an die
Ehre zu setzen habe. Krieg und Duell aber reichen sich die Hand: bölluiA
und äueUuin sind ursprünglich einunddasselbe Wort. Inzwischen bemächtigen
sich die Naturwissenschaften der Seelen immer mehr, ergänzen den Materia¬
lismus und schaffen eine gewaltige Partei, die in allen Ländern Europas
thätig ist und dahin treibt, nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern anch
die Religion wie überhaupt alles Metaphysische und damit auch den Begriff
der Ehre selbst aufzuheben und abzuschaffen.

So sehen wir im deutschen Reiche geschriebene Gesetze, die das Duell
verbieten, ungeschriebne Gesetze, die dem Mann von Stande, namentlich dem
Offizier, das Duell als Ehrenpflicht vorschreiben, eine heranreifende Jugend,
die, wenn sie Ehrgeiz und die Mittel besitzt, ihrem Ehrgeiz zu folgen, in die
Waffenverbindungen an der Universität eintritt, sehen die katholische Kirche
wiederum, stark genug, der christlichen Idee Geltung zu verschaffen, ihren
Mitgliedern mit Erfolg jede Art von Duell verbieten, die Waffenverbindungen
aber wohl gar sich mit christlichen Grundsätzen brüsten und hören eine sehr
starke öffentliche Meinung über alle diese Einrichtungen und Verhältnisse
spotten. Der gereifte Mann und Denker getröstet sich um zwar bei diesem
Wirrwarr der Überzeugung, daß die Gottheit die Lenkung des Ganzen und
auch der einzelnen Seele in der eigenen allmächtigen Hand behält und in das
Herz ein Gesetz geschrieben hat, das ganz unvertilgbar dasteht und mit Not¬
wendigkeit befolgt wird; aber für den Jüngling, der studiren will, ist bei
seinem Eintritt in die Universität der rechte Weg schwer zu finden, wenn ihm
überhaupt eine Wahl gelassen wird.

Für sehr viele ist ja der Weg genau vorgeschrieben. Die Standarte der
Partei steht hoch aufgepflanzt vor ihrem Blicke, die Richtung ist bezeichnet,
der Kampfplatz eingezäunt und rings umhegt durch Geburt, Vermögen und
Überlieferung. Aber selbst bei diesen macht sich wohl oft ein innerer Zwie¬
spalt geltend und kämpft das Gemüt tief in der Brust ähnlich wie der ganze
große Staat. Wer die Söhne der großen Familien Westfalens, die Sprö߬
linge der alten Sachsen, des wahrhaftesten germanischen Stammes, in Tübingen,
Würzburg und München in Verbindungen sieht, die sich grundsätzlich nicht
schlagen, wer die Hünengestalten dieser Jünglinge beobachtet, denen ihr Beicht¬
vater das Fechten verleidet hat, während ihre breite Brust, ihre langen


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[0026] Die Erziehung des deutscheu Studenten Erstaunliche Widersprüche ergebe» sich in den Erscheinungen unsers Staats- lebens aus dein Kampfe von Machten, die vereint werden sollen, aber dnrch keine Harmonie einer herrschenden Staatsidee versöhnt werden. Dem Namen nach sind die europäischen Nationen christlich, bekennen sich also zu einer Religion der Liebe und des Friedens, ihre Gesetze und Verfassungen aber sind wesentlich altrömisch, und ihrer Natur nach sind sie die eigentlich kriegerischen nnter den Völkern der Erde, starren in Waffen, suchen alle fremden Länder zu erobern und befolgen den Grundsatz, daß eine Nation ihr Alles an die Ehre zu setzen habe. Krieg und Duell aber reichen sich die Hand: bölluiA und äueUuin sind ursprünglich einunddasselbe Wort. Inzwischen bemächtigen sich die Naturwissenschaften der Seelen immer mehr, ergänzen den Materia¬ lismus und schaffen eine gewaltige Partei, die in allen Ländern Europas thätig ist und dahin treibt, nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern anch die Religion wie überhaupt alles Metaphysische und damit auch den Begriff der Ehre selbst aufzuheben und abzuschaffen. So sehen wir im deutschen Reiche geschriebene Gesetze, die das Duell verbieten, ungeschriebne Gesetze, die dem Mann von Stande, namentlich dem Offizier, das Duell als Ehrenpflicht vorschreiben, eine heranreifende Jugend, die, wenn sie Ehrgeiz und die Mittel besitzt, ihrem Ehrgeiz zu folgen, in die Waffenverbindungen an der Universität eintritt, sehen die katholische Kirche wiederum, stark genug, der christlichen Idee Geltung zu verschaffen, ihren Mitgliedern mit Erfolg jede Art von Duell verbieten, die Waffenverbindungen aber wohl gar sich mit christlichen Grundsätzen brüsten und hören eine sehr starke öffentliche Meinung über alle diese Einrichtungen und Verhältnisse spotten. Der gereifte Mann und Denker getröstet sich um zwar bei diesem Wirrwarr der Überzeugung, daß die Gottheit die Lenkung des Ganzen und auch der einzelnen Seele in der eigenen allmächtigen Hand behält und in das Herz ein Gesetz geschrieben hat, das ganz unvertilgbar dasteht und mit Not¬ wendigkeit befolgt wird; aber für den Jüngling, der studiren will, ist bei seinem Eintritt in die Universität der rechte Weg schwer zu finden, wenn ihm überhaupt eine Wahl gelassen wird. Für sehr viele ist ja der Weg genau vorgeschrieben. Die Standarte der Partei steht hoch aufgepflanzt vor ihrem Blicke, die Richtung ist bezeichnet, der Kampfplatz eingezäunt und rings umhegt durch Geburt, Vermögen und Überlieferung. Aber selbst bei diesen macht sich wohl oft ein innerer Zwie¬ spalt geltend und kämpft das Gemüt tief in der Brust ähnlich wie der ganze große Staat. Wer die Söhne der großen Familien Westfalens, die Sprö߬ linge der alten Sachsen, des wahrhaftesten germanischen Stammes, in Tübingen, Würzburg und München in Verbindungen sieht, die sich grundsätzlich nicht schlagen, wer die Hünengestalten dieser Jünglinge beobachtet, denen ihr Beicht¬ vater das Fechten verleidet hat, während ihre breite Brust, ihre langen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/26>, abgerufen am 23.07.2024.