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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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wenigstens nur im Durchgangsverkehr. Die Rückfahrkarte entbehrte früher
überall und alles heilte noch ans einzelnen Bahnen des Freigepäcks, ans denen
es bei einfachen Fahrkarten gewährt wird. Sommerkarten geben Anrecht,
Rnndreiseyefte dagegen geben kein Anrecht ans Freigepäck.

Der neue preußische Entwurf hat nun in erster Linie die Absicht, Einheit
zwischen allen Eisenbahnverwaltungen des deutschen Reiches herbeizuführen.
Einheit in Bezug anf Klassen, Fahrpreise und Behandlung des Gepäcks. Und
wenn man die großen Schwierigkeiten bedenkt, die es macht, so viele Ver¬
waltungen unter einen Hut zu bringen, so wird man von vornherein nicht
etwas unbedingt vollkommenes verlangen, sondern nebensächliche Wünsche zu
opfern bereit sein.

Der vvrgeschlngne Tarif ist ein einfacher Kilometertarif; unter Aufhebung
der gewöhnlichen Rückfahrkarten, der Sommcrkarten, der festen und der
znsammenstellbarcn Nundreisehefte, aber unter Beibehaltung der Schüler- und
Arbeiterlarten und andrer Zeitkarten für den Ortsverkehr sollen für den Kilo¬
meter in 1. Klasse 6 Pfennige, in 2. Klasse 4 Pfennige und in 3. Klasse
2 Pfennige und bei Schnellzügen außerdem in allen Klassen gleichmäßig ein
Zuschlag von 1 Pfennig erhoben werden. Die vierte Klasse soll aufgehoben
oder mit der dritten Klasse verschmölze" werden. Das Freigepäck soll weg¬
fallen, aber es sollen für das Reisegepäck weniger hohe Frachtsätze als gegen¬
wärtig in Anwendung kommen.

Der Entwurf ist von ganz verschiednen Standpunkten aus getadelt und
für uubrnuchbar erklärt worden. Es giebt Leute, die am Gewohnten festhalten
und sich nicht dnvvu trennen mögen. Es giebt auch immer Leute, die bei
jeder Reform nnr ihren eignen Vorteil oder Nachteil im Ange haben, und in
einzelnen Fällen wird sich das Reisen bei dem neuen Tarif in der That etwas
teurer als bisher gestalten. Ich kenne einen Herrn, der die Eisenbahn ge¬
wöhnlich nnr benutzt, um von seinem Wohnort aus auf zwei oder drei Tage
nach Berlin zu fahren und dabei immer Schnellzug 2. Klasse fährt. Ihn
wird diese Reise künftig etwas mehr kosten als gegenwärtig mit einer Rück¬
fahrkarte, folglich hält er den ganzen Tarif für verfehlt. Der Ausschuß des
Zentralverbnndes deutscher Industriellen hat noch kürzlich erklärt, daß ihm
eine Verbilligung des Personentariss überhaupt nicht wünschenswert erscheine,
der neue Tarif werde einen Einnahmeausfall im Gefolge haben und dadurch
die wirtschaftlich viel notwendigere Ermäßigung der Frachttarife verzögern.
Auch die Aufhebung der vierten Klasse wird von ihm getadelt; der ungeheuern
Vereinfachung des FahrkarteuUieseus, die dem reisenden Publikum ebenso wie
dem Betriebe zu gute kommt, wird nicht mit einem Worte gedacht.

Andern geht der Entwurf nicht weit genug. Besonders seit der lebhaften
Agitation Eduard Engels hat die Idee des Zonentarifs die Geister gefangen,
und jeder Tarif, der sich nicht Zonentarif nennt, wird als veraltet betrachtet.


wenigstens nur im Durchgangsverkehr. Die Rückfahrkarte entbehrte früher
überall und alles heilte noch ans einzelnen Bahnen des Freigepäcks, ans denen
es bei einfachen Fahrkarten gewährt wird. Sommerkarten geben Anrecht,
Rnndreiseyefte dagegen geben kein Anrecht ans Freigepäck.

Der neue preußische Entwurf hat nun in erster Linie die Absicht, Einheit
zwischen allen Eisenbahnverwaltungen des deutschen Reiches herbeizuführen.
Einheit in Bezug anf Klassen, Fahrpreise und Behandlung des Gepäcks. Und
wenn man die großen Schwierigkeiten bedenkt, die es macht, so viele Ver¬
waltungen unter einen Hut zu bringen, so wird man von vornherein nicht
etwas unbedingt vollkommenes verlangen, sondern nebensächliche Wünsche zu
opfern bereit sein.

Der vvrgeschlngne Tarif ist ein einfacher Kilometertarif; unter Aufhebung
der gewöhnlichen Rückfahrkarten, der Sommcrkarten, der festen und der
znsammenstellbarcn Nundreisehefte, aber unter Beibehaltung der Schüler- und
Arbeiterlarten und andrer Zeitkarten für den Ortsverkehr sollen für den Kilo¬
meter in 1. Klasse 6 Pfennige, in 2. Klasse 4 Pfennige und in 3. Klasse
2 Pfennige und bei Schnellzügen außerdem in allen Klassen gleichmäßig ein
Zuschlag von 1 Pfennig erhoben werden. Die vierte Klasse soll aufgehoben
oder mit der dritten Klasse verschmölze» werden. Das Freigepäck soll weg¬
fallen, aber es sollen für das Reisegepäck weniger hohe Frachtsätze als gegen¬
wärtig in Anwendung kommen.

Der Entwurf ist von ganz verschiednen Standpunkten aus getadelt und
für uubrnuchbar erklärt worden. Es giebt Leute, die am Gewohnten festhalten
und sich nicht dnvvu trennen mögen. Es giebt auch immer Leute, die bei
jeder Reform nnr ihren eignen Vorteil oder Nachteil im Ange haben, und in
einzelnen Fällen wird sich das Reisen bei dem neuen Tarif in der That etwas
teurer als bisher gestalten. Ich kenne einen Herrn, der die Eisenbahn ge¬
wöhnlich nnr benutzt, um von seinem Wohnort aus auf zwei oder drei Tage
nach Berlin zu fahren und dabei immer Schnellzug 2. Klasse fährt. Ihn
wird diese Reise künftig etwas mehr kosten als gegenwärtig mit einer Rück¬
fahrkarte, folglich hält er den ganzen Tarif für verfehlt. Der Ausschuß des
Zentralverbnndes deutscher Industriellen hat noch kürzlich erklärt, daß ihm
eine Verbilligung des Personentariss überhaupt nicht wünschenswert erscheine,
der neue Tarif werde einen Einnahmeausfall im Gefolge haben und dadurch
die wirtschaftlich viel notwendigere Ermäßigung der Frachttarife verzögern.
Auch die Aufhebung der vierten Klasse wird von ihm getadelt; der ungeheuern
Vereinfachung des FahrkarteuUieseus, die dem reisenden Publikum ebenso wie
dem Betriebe zu gute kommt, wird nicht mit einem Worte gedacht.

Andern geht der Entwurf nicht weit genug. Besonders seit der lebhaften
Agitation Eduard Engels hat die Idee des Zonentarifs die Geister gefangen,
und jeder Tarif, der sich nicht Zonentarif nennt, wird als veraltet betrachtet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/19>, abgerufen am 23.07.2024.