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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ignaz von Döllinger

schildern konnte. Kaulbachs Peter Arbuez, der so viel Aufsehen machte, als
der Papst diesen Inquisitor heilig sprach, wurde von seinem Aufsatz angeregt.
Ebenso innig waren Döllingers Beziehungen zur Musik; er fehlte bei keinem
Oratorienkonzert, Haydn, Mozart, Beethoven waren ihm wohlvertraut, obwohl
er selbst kein Instrument spielte. Und vollends die großen Dichtungen der
Weltlitteratur kannte er auswendig: Ödipus, Faust, Don Quixote, Ivanhoe.
Er hatte sich bis in seiue alten Tage die Begeisterungsfähigkeit für große
Menschen bewahrt, liorosliip, und tadelte sehr, daß sie unsrer Jugend fehle,
im Zeitungswesen fand er einen großen Übelstnnd und die Ursache jenes
Mangels, und er fügte hinzu: "Zum Beispiel Bismarck. Wie viel wird an
ihm bekrittelt und gerüttelt, die großen Züge seines Lebens, seine hervor¬
ragendsten Verstandesanlagen, seine ursprüngliche, echt deutsche, mächtige Natur
wird bald durch diesen, bald durch jenen angegriffen. Die Natur hat Bismarck
ans einem Guß gegossen, er ist ein Prachtwerk an Patriotismus, aber wie
viele der Presse angehörigen spritzen ätzende Säuren darauf und verstümmeln
es in armseliger, mißgünstiger Weise, stellen Fehler ins Licht und ehrfurcht¬
gebietende Fähigkeiten in Schatten. Die zeitunglcsende Jugend sieht das Zerr¬
bild, wägt auf der Wage der Journalisten das Gute und Schlechte ab und
betrügt sich selbst um die Begeisterung für einen begcisterungswerten Mann."
In seiner Jugend war Döllinger so ungelenk, daß er nicht tanzen konnte; ein
Ball war ihm eine Qual, die er bald,mied. Aber in seinem Alter pries er
die Erziehung der englischen Jngend, weil sie so viel Sorgfalt auf die Kräf¬
tigung des Körpers verwendet, wie er überhaupt die englische Nation hoch¬
schätzte. Seine Freundschaft mit Gladstone hat hierin ihre Wurzeln. Dabei
war er aber doch ein begeisterter Deutscher. Seine schneidige Haltung dem
Papsttum gegenüber hat nicht den geringsten Grund darin, daß er in den
Päpsten die Feinde Deutschlands erkannte. "Während in Frankreich trotz aller
innern Streitigkeiten das Zusammenhalten gegen einen üußeru Feind die Negel
war -- sagte er einmal, als man von Bismarck sprach --, hielten die Dent-
schen je nach ihrem persönlichen Interesse zum Feinde des deutschen Vater¬
landes. Sie zersetzten die Kaiserwürde und Schmälerten in ihrem Interesse
des Kaisers Einkünfte in ganz unwürdiger Weise. Die Päpste aber setzten
sich die Aufgabe, Deutschland dadurch zu schädigen, daß sie die Kaiserwahl
statt der erblichen Kaisersueeessivn einführten. Es läßt sich fast das Jahr be¬
stimmen, in welchem das Verhängnis über Deutschland hereinbrach. Dasselbe
währte von 1097 oder 10W, wie ich mich entsinne, bis 1870."

Aus alledem wird man sehen, daß uns Frau von Kvbells Erinnerungen das
Bild eines wahrhaft verchruugswttrdigen Mannes vermitteln, eines Vorbildes
der modernen Menschheit. Der alte Döllinger ist uns so lieb und wert, wie
der alte Ranke, der von ihm nicht wenig bewundert wurde. Der alte Döl¬
linger gehört in die herrliche Galerie jener erhabenen Alten, denen die deutsche


Ignaz von Döllinger

schildern konnte. Kaulbachs Peter Arbuez, der so viel Aufsehen machte, als
der Papst diesen Inquisitor heilig sprach, wurde von seinem Aufsatz angeregt.
Ebenso innig waren Döllingers Beziehungen zur Musik; er fehlte bei keinem
Oratorienkonzert, Haydn, Mozart, Beethoven waren ihm wohlvertraut, obwohl
er selbst kein Instrument spielte. Und vollends die großen Dichtungen der
Weltlitteratur kannte er auswendig: Ödipus, Faust, Don Quixote, Ivanhoe.
Er hatte sich bis in seiue alten Tage die Begeisterungsfähigkeit für große
Menschen bewahrt, liorosliip, und tadelte sehr, daß sie unsrer Jugend fehle,
im Zeitungswesen fand er einen großen Übelstnnd und die Ursache jenes
Mangels, und er fügte hinzu: „Zum Beispiel Bismarck. Wie viel wird an
ihm bekrittelt und gerüttelt, die großen Züge seines Lebens, seine hervor¬
ragendsten Verstandesanlagen, seine ursprüngliche, echt deutsche, mächtige Natur
wird bald durch diesen, bald durch jenen angegriffen. Die Natur hat Bismarck
ans einem Guß gegossen, er ist ein Prachtwerk an Patriotismus, aber wie
viele der Presse angehörigen spritzen ätzende Säuren darauf und verstümmeln
es in armseliger, mißgünstiger Weise, stellen Fehler ins Licht und ehrfurcht¬
gebietende Fähigkeiten in Schatten. Die zeitunglcsende Jugend sieht das Zerr¬
bild, wägt auf der Wage der Journalisten das Gute und Schlechte ab und
betrügt sich selbst um die Begeisterung für einen begcisterungswerten Mann."
In seiner Jugend war Döllinger so ungelenk, daß er nicht tanzen konnte; ein
Ball war ihm eine Qual, die er bald,mied. Aber in seinem Alter pries er
die Erziehung der englischen Jngend, weil sie so viel Sorgfalt auf die Kräf¬
tigung des Körpers verwendet, wie er überhaupt die englische Nation hoch¬
schätzte. Seine Freundschaft mit Gladstone hat hierin ihre Wurzeln. Dabei
war er aber doch ein begeisterter Deutscher. Seine schneidige Haltung dem
Papsttum gegenüber hat nicht den geringsten Grund darin, daß er in den
Päpsten die Feinde Deutschlands erkannte. „Während in Frankreich trotz aller
innern Streitigkeiten das Zusammenhalten gegen einen üußeru Feind die Negel
war — sagte er einmal, als man von Bismarck sprach —, hielten die Dent-
schen je nach ihrem persönlichen Interesse zum Feinde des deutschen Vater¬
landes. Sie zersetzten die Kaiserwürde und Schmälerten in ihrem Interesse
des Kaisers Einkünfte in ganz unwürdiger Weise. Die Päpste aber setzten
sich die Aufgabe, Deutschland dadurch zu schädigen, daß sie die Kaiserwahl
statt der erblichen Kaisersueeessivn einführten. Es läßt sich fast das Jahr be¬
stimmen, in welchem das Verhängnis über Deutschland hereinbrach. Dasselbe
währte von 1097 oder 10W, wie ich mich entsinne, bis 1870."

Aus alledem wird man sehen, daß uns Frau von Kvbells Erinnerungen das
Bild eines wahrhaft verchruugswttrdigen Mannes vermitteln, eines Vorbildes
der modernen Menschheit. Der alte Döllinger ist uns so lieb und wert, wie
der alte Ranke, der von ihm nicht wenig bewundert wurde. Der alte Döl¬
linger gehört in die herrliche Galerie jener erhabenen Alten, denen die deutsche


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[0176] Ignaz von Döllinger schildern konnte. Kaulbachs Peter Arbuez, der so viel Aufsehen machte, als der Papst diesen Inquisitor heilig sprach, wurde von seinem Aufsatz angeregt. Ebenso innig waren Döllingers Beziehungen zur Musik; er fehlte bei keinem Oratorienkonzert, Haydn, Mozart, Beethoven waren ihm wohlvertraut, obwohl er selbst kein Instrument spielte. Und vollends die großen Dichtungen der Weltlitteratur kannte er auswendig: Ödipus, Faust, Don Quixote, Ivanhoe. Er hatte sich bis in seiue alten Tage die Begeisterungsfähigkeit für große Menschen bewahrt, liorosliip, und tadelte sehr, daß sie unsrer Jugend fehle, im Zeitungswesen fand er einen großen Übelstnnd und die Ursache jenes Mangels, und er fügte hinzu: „Zum Beispiel Bismarck. Wie viel wird an ihm bekrittelt und gerüttelt, die großen Züge seines Lebens, seine hervor¬ ragendsten Verstandesanlagen, seine ursprüngliche, echt deutsche, mächtige Natur wird bald durch diesen, bald durch jenen angegriffen. Die Natur hat Bismarck ans einem Guß gegossen, er ist ein Prachtwerk an Patriotismus, aber wie viele der Presse angehörigen spritzen ätzende Säuren darauf und verstümmeln es in armseliger, mißgünstiger Weise, stellen Fehler ins Licht und ehrfurcht¬ gebietende Fähigkeiten in Schatten. Die zeitunglcsende Jugend sieht das Zerr¬ bild, wägt auf der Wage der Journalisten das Gute und Schlechte ab und betrügt sich selbst um die Begeisterung für einen begcisterungswerten Mann." In seiner Jugend war Döllinger so ungelenk, daß er nicht tanzen konnte; ein Ball war ihm eine Qual, die er bald,mied. Aber in seinem Alter pries er die Erziehung der englischen Jngend, weil sie so viel Sorgfalt auf die Kräf¬ tigung des Körpers verwendet, wie er überhaupt die englische Nation hoch¬ schätzte. Seine Freundschaft mit Gladstone hat hierin ihre Wurzeln. Dabei war er aber doch ein begeisterter Deutscher. Seine schneidige Haltung dem Papsttum gegenüber hat nicht den geringsten Grund darin, daß er in den Päpsten die Feinde Deutschlands erkannte. „Während in Frankreich trotz aller innern Streitigkeiten das Zusammenhalten gegen einen üußeru Feind die Negel war — sagte er einmal, als man von Bismarck sprach —, hielten die Dent- schen je nach ihrem persönlichen Interesse zum Feinde des deutschen Vater¬ landes. Sie zersetzten die Kaiserwürde und Schmälerten in ihrem Interesse des Kaisers Einkünfte in ganz unwürdiger Weise. Die Päpste aber setzten sich die Aufgabe, Deutschland dadurch zu schädigen, daß sie die Kaiserwahl statt der erblichen Kaisersueeessivn einführten. Es läßt sich fast das Jahr be¬ stimmen, in welchem das Verhängnis über Deutschland hereinbrach. Dasselbe währte von 1097 oder 10W, wie ich mich entsinne, bis 1870." Aus alledem wird man sehen, daß uns Frau von Kvbells Erinnerungen das Bild eines wahrhaft verchruugswttrdigen Mannes vermitteln, eines Vorbildes der modernen Menschheit. Der alte Döllinger ist uns so lieb und wert, wie der alte Ranke, der von ihm nicht wenig bewundert wurde. Der alte Döl¬ linger gehört in die herrliche Galerie jener erhabenen Alten, denen die deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/176>, abgerufen am 26.08.2024.