Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zgnaz von Döllinger

Gegenwart ihr Gepräge zu verdanken hat. Nicht von Anfang verkörperte
Döllinger dieses Vorbild deutschen Menschentums; er wuchs vielmehr aus dem
Katholizismus in redlicher Selbstbildungsarbeit allmählich heraus, er mußte
lange ringen, um sich z. B. von deu Vorurteilen gegen den Protestantismus,
in denen er aufgewachsen war, zu befreien, um sich der Fessel der Autorität
zu entreiße", die jeden katholischen Priester in den edelsten Organen unter¬
bindet. Wie viel Arbeit hat es ihn gekostet, ehe er dahin gelangen konnte, zu
sagen: "Es hat sich erwiesen, wie nachteilig die Unterdrückung des protestan¬
tischen Geistes und der protestantischen Geistlichkeit für die gute Sache des
Christentums in Frankreich geworden ist"; wie hoch über die große Mehrzahl
der katholischen Geistlichen stellt ihn der Ausspruch: "Die Zeiten sind besser
geworden, und wir alle können Gott danken, im neunzehnten Jahrhundert leben
zu dürfen. Wenn man an die heillosen Zeiten zurückdenkt, wo ein Papst
Innocenz VIII.. ein Alexander VI., ein Paul IV. herrschten, foltern und töten
ließen, da schaudert man zurück vor den begangenen Grausamkeiten." Der
Katholizismus hat sich selbst die größte Wunde geschlagen, als er diesen seinen
erlauchtesten Vertreter aus seiner Gemeinschaft ausstieß.

Zum Schlüsse wollen wir noch Döllingers Mitteilung seiner Audienz
bei Pius IX. hierher setzen, die durch die Jahrhunderte leuchten wird, wie
Luthers Besuch in Rom, die aber ihr eignes Kolorit hat. "Wissen Sie,
was ich mir bei der Audienz beim Papst dachte? -- Ich dachte: nie wieder.
Schon das Zeremoniell mißfiel mir. Ich hatte die Audienz mit Theiner.
Jeder Priester muß dreimal niederknieen: im Vorzimmer, inmitten des Nudienz-
zimmers, endlich vor dem Papste, der einem seinen Fuß in weiß und gold¬
gestickten Pantoffeln zum Kusse hinhält. Nach dieser Zeremonie erhoben wir
uns, und Pius IX. sprach mit uns in etwas alltäglicher Weise, die Welt hal'e
sich vor dem apostolischen Stuhl zu beugen, dann sei das Wohl der Mensch¬
heit gesichert, der Papst sei die höchste Obrigkeit, der alles Unterthan sein
müsse. Dann fragte er uns über dies und jenes und sprach weiter, ohne
auf die Antwort zu warten, in einem geläufigen, aber ungewählteu Französisch.
Er war ein schöner Mann und imponirte deu Frauen so sehr, daß sie vor
ihm wie vor Gott auf den Knieen lagen. Diesmal zeigte sich in seinem
Gesichtsausdrucke schon bei unserm Eintritt etwas wie spöttische Neugierde:
wie wird sich der deutsche Pedant mit uusern Zeremonien abfinden? Man
hatte das Gefühl, diefer Papst könne bei Gelegenheit ein treffendes Bonmot
machen, aber sich nicht zu einer selbständigen geistigen Denkart erheben. Und
doch sagte er oft, er wolle etwas unternehmen, was kein andrer könnte, er
wolle neue Dogmen in die Welt senden. Er hat die unbefleckte Empfängnis
und die Unfehlbarkeit ins Leben gerufen."


Moritz Necker


Grenzboten M t89122
Zgnaz von Döllinger

Gegenwart ihr Gepräge zu verdanken hat. Nicht von Anfang verkörperte
Döllinger dieses Vorbild deutschen Menschentums; er wuchs vielmehr aus dem
Katholizismus in redlicher Selbstbildungsarbeit allmählich heraus, er mußte
lange ringen, um sich z. B. von deu Vorurteilen gegen den Protestantismus,
in denen er aufgewachsen war, zu befreien, um sich der Fessel der Autorität
zu entreiße», die jeden katholischen Priester in den edelsten Organen unter¬
bindet. Wie viel Arbeit hat es ihn gekostet, ehe er dahin gelangen konnte, zu
sagen: „Es hat sich erwiesen, wie nachteilig die Unterdrückung des protestan¬
tischen Geistes und der protestantischen Geistlichkeit für die gute Sache des
Christentums in Frankreich geworden ist"; wie hoch über die große Mehrzahl
der katholischen Geistlichen stellt ihn der Ausspruch: „Die Zeiten sind besser
geworden, und wir alle können Gott danken, im neunzehnten Jahrhundert leben
zu dürfen. Wenn man an die heillosen Zeiten zurückdenkt, wo ein Papst
Innocenz VIII.. ein Alexander VI., ein Paul IV. herrschten, foltern und töten
ließen, da schaudert man zurück vor den begangenen Grausamkeiten." Der
Katholizismus hat sich selbst die größte Wunde geschlagen, als er diesen seinen
erlauchtesten Vertreter aus seiner Gemeinschaft ausstieß.

Zum Schlüsse wollen wir noch Döllingers Mitteilung seiner Audienz
bei Pius IX. hierher setzen, die durch die Jahrhunderte leuchten wird, wie
Luthers Besuch in Rom, die aber ihr eignes Kolorit hat. „Wissen Sie,
was ich mir bei der Audienz beim Papst dachte? — Ich dachte: nie wieder.
Schon das Zeremoniell mißfiel mir. Ich hatte die Audienz mit Theiner.
Jeder Priester muß dreimal niederknieen: im Vorzimmer, inmitten des Nudienz-
zimmers, endlich vor dem Papste, der einem seinen Fuß in weiß und gold¬
gestickten Pantoffeln zum Kusse hinhält. Nach dieser Zeremonie erhoben wir
uns, und Pius IX. sprach mit uns in etwas alltäglicher Weise, die Welt hal'e
sich vor dem apostolischen Stuhl zu beugen, dann sei das Wohl der Mensch¬
heit gesichert, der Papst sei die höchste Obrigkeit, der alles Unterthan sein
müsse. Dann fragte er uns über dies und jenes und sprach weiter, ohne
auf die Antwort zu warten, in einem geläufigen, aber ungewählteu Französisch.
Er war ein schöner Mann und imponirte deu Frauen so sehr, daß sie vor
ihm wie vor Gott auf den Knieen lagen. Diesmal zeigte sich in seinem
Gesichtsausdrucke schon bei unserm Eintritt etwas wie spöttische Neugierde:
wie wird sich der deutsche Pedant mit uusern Zeremonien abfinden? Man
hatte das Gefühl, diefer Papst könne bei Gelegenheit ein treffendes Bonmot
machen, aber sich nicht zu einer selbständigen geistigen Denkart erheben. Und
doch sagte er oft, er wolle etwas unternehmen, was kein andrer könnte, er
wolle neue Dogmen in die Welt senden. Er hat die unbefleckte Empfängnis
und die Unfehlbarkeit ins Leben gerufen."


Moritz Necker


Grenzboten M t89122
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289945"/>
          <fw type="header" place="top"> Zgnaz von Döllinger</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_492" prev="#ID_491"> Gegenwart ihr Gepräge zu verdanken hat.  Nicht von Anfang verkörperte<lb/>
Döllinger dieses Vorbild deutschen Menschentums; er wuchs vielmehr aus dem<lb/>
Katholizismus in redlicher Selbstbildungsarbeit allmählich heraus, er mußte<lb/>
lange ringen, um sich z. B. von deu Vorurteilen gegen den Protestantismus,<lb/>
in denen er aufgewachsen war, zu befreien, um sich der Fessel der Autorität<lb/>
zu entreiße», die jeden katholischen Priester in den edelsten Organen unter¬<lb/>
bindet. Wie viel Arbeit hat es ihn gekostet, ehe er dahin gelangen konnte, zu<lb/>
sagen: &#x201E;Es hat sich erwiesen, wie nachteilig die Unterdrückung des protestan¬<lb/>
tischen Geistes und der protestantischen Geistlichkeit für die gute Sache des<lb/>
Christentums in Frankreich geworden ist"; wie hoch über die große Mehrzahl<lb/>
der katholischen Geistlichen stellt ihn der Ausspruch: &#x201E;Die Zeiten sind besser<lb/>
geworden, und wir alle können Gott danken, im neunzehnten Jahrhundert leben<lb/>
zu dürfen.  Wenn man an die heillosen Zeiten zurückdenkt, wo ein Papst<lb/>
Innocenz VIII.. ein Alexander VI., ein Paul IV. herrschten, foltern und töten<lb/>
ließen, da schaudert man zurück vor den begangenen Grausamkeiten." Der<lb/>
Katholizismus hat sich selbst die größte Wunde geschlagen, als er diesen seinen<lb/>
erlauchtesten Vertreter aus seiner Gemeinschaft ausstieß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_493"> Zum Schlüsse wollen wir noch Döllingers Mitteilung seiner Audienz<lb/>
bei Pius IX. hierher setzen, die durch die Jahrhunderte leuchten wird, wie<lb/>
Luthers Besuch in Rom, die aber ihr eignes Kolorit hat.  &#x201E;Wissen Sie,<lb/>
was ich mir bei der Audienz beim Papst dachte? &#x2014; Ich dachte: nie wieder.<lb/>
Schon das Zeremoniell mißfiel mir.  Ich hatte die Audienz mit Theiner.<lb/>
Jeder Priester muß dreimal niederknieen: im Vorzimmer, inmitten des Nudienz-<lb/>
zimmers, endlich vor dem Papste, der einem seinen Fuß in weiß und gold¬<lb/>
gestickten Pantoffeln zum Kusse hinhält.  Nach dieser Zeremonie erhoben wir<lb/>
uns, und Pius IX. sprach mit uns in etwas alltäglicher Weise, die Welt hal'e<lb/>
sich vor dem apostolischen Stuhl zu beugen, dann sei das Wohl der Mensch¬<lb/>
heit gesichert, der Papst sei die höchste Obrigkeit, der alles Unterthan sein<lb/>
müsse. Dann fragte er uns über dies und jenes und sprach weiter, ohne<lb/>
auf die Antwort zu warten, in einem geläufigen, aber ungewählteu Französisch.<lb/>
Er war ein schöner Mann und imponirte deu Frauen so sehr, daß sie vor<lb/>
ihm wie vor Gott auf den Knieen lagen.  Diesmal zeigte sich in seinem<lb/>
Gesichtsausdrucke schon bei unserm Eintritt etwas wie spöttische Neugierde:<lb/>
wie wird sich der deutsche Pedant mit uusern Zeremonien abfinden? Man<lb/>
hatte das Gefühl, diefer Papst könne bei Gelegenheit ein treffendes Bonmot<lb/>
machen, aber sich nicht zu einer selbständigen geistigen Denkart erheben. Und<lb/>
doch sagte er oft, er wolle etwas unternehmen, was kein andrer könnte, er<lb/>
wolle neue Dogmen in die Welt senden.  Er hat die unbefleckte Empfängnis<lb/>
und die Unfehlbarkeit ins Leben gerufen."</p><lb/>
          <note type="byline"> Moritz Necker</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten M t89122</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Zgnaz von Döllinger Gegenwart ihr Gepräge zu verdanken hat. Nicht von Anfang verkörperte Döllinger dieses Vorbild deutschen Menschentums; er wuchs vielmehr aus dem Katholizismus in redlicher Selbstbildungsarbeit allmählich heraus, er mußte lange ringen, um sich z. B. von deu Vorurteilen gegen den Protestantismus, in denen er aufgewachsen war, zu befreien, um sich der Fessel der Autorität zu entreiße», die jeden katholischen Priester in den edelsten Organen unter¬ bindet. Wie viel Arbeit hat es ihn gekostet, ehe er dahin gelangen konnte, zu sagen: „Es hat sich erwiesen, wie nachteilig die Unterdrückung des protestan¬ tischen Geistes und der protestantischen Geistlichkeit für die gute Sache des Christentums in Frankreich geworden ist"; wie hoch über die große Mehrzahl der katholischen Geistlichen stellt ihn der Ausspruch: „Die Zeiten sind besser geworden, und wir alle können Gott danken, im neunzehnten Jahrhundert leben zu dürfen. Wenn man an die heillosen Zeiten zurückdenkt, wo ein Papst Innocenz VIII.. ein Alexander VI., ein Paul IV. herrschten, foltern und töten ließen, da schaudert man zurück vor den begangenen Grausamkeiten." Der Katholizismus hat sich selbst die größte Wunde geschlagen, als er diesen seinen erlauchtesten Vertreter aus seiner Gemeinschaft ausstieß. Zum Schlüsse wollen wir noch Döllingers Mitteilung seiner Audienz bei Pius IX. hierher setzen, die durch die Jahrhunderte leuchten wird, wie Luthers Besuch in Rom, die aber ihr eignes Kolorit hat. „Wissen Sie, was ich mir bei der Audienz beim Papst dachte? — Ich dachte: nie wieder. Schon das Zeremoniell mißfiel mir. Ich hatte die Audienz mit Theiner. Jeder Priester muß dreimal niederknieen: im Vorzimmer, inmitten des Nudienz- zimmers, endlich vor dem Papste, der einem seinen Fuß in weiß und gold¬ gestickten Pantoffeln zum Kusse hinhält. Nach dieser Zeremonie erhoben wir uns, und Pius IX. sprach mit uns in etwas alltäglicher Weise, die Welt hal'e sich vor dem apostolischen Stuhl zu beugen, dann sei das Wohl der Mensch¬ heit gesichert, der Papst sei die höchste Obrigkeit, der alles Unterthan sein müsse. Dann fragte er uns über dies und jenes und sprach weiter, ohne auf die Antwort zu warten, in einem geläufigen, aber ungewählteu Französisch. Er war ein schöner Mann und imponirte deu Frauen so sehr, daß sie vor ihm wie vor Gott auf den Knieen lagen. Diesmal zeigte sich in seinem Gesichtsausdrucke schon bei unserm Eintritt etwas wie spöttische Neugierde: wie wird sich der deutsche Pedant mit uusern Zeremonien abfinden? Man hatte das Gefühl, diefer Papst könne bei Gelegenheit ein treffendes Bonmot machen, aber sich nicht zu einer selbständigen geistigen Denkart erheben. Und doch sagte er oft, er wolle etwas unternehmen, was kein andrer könnte, er wolle neue Dogmen in die Welt senden. Er hat die unbefleckte Empfängnis und die Unfehlbarkeit ins Leben gerufen." Moritz Necker Grenzboten M t89122

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/177>, abgerufen am 23.07.2024.