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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ignaz von Döllinger

Döllinger war der gütigste und gefälligste Mensch, den man sich denken
kann, er büßte niemand als die Jesuiten, die er durchschaute. Seltsamerweise
sagt Frau von Kobell, er. habe sie durch eine "schwarze Brille" gesehen; ver¬
mutlich hat sie sagen wollen, er habe sie durch seine scharfe Brille schwarz
gesehen. Selbst über den Münchner Erzbischof Scherr, der einst sein Schüler
war und ihn 1870 Rom gehorchend exkommnnizirte, ließ Döllinger nie ein
böses Wort fallen. Im Privatverkehr fand man ihn stets hilfbereit. Gelehrte
wandten sich an ihn und seine ebenso reiche als auserlesene Bibliothek nie
vergebens um Hilfe. Aus dem überquellenden Schatz seines Wissens streute
er wissenschaftliche Anregungen nach allen Seiten hin aus. Seine Gefälligkeit
ging so weit, daß er sogar Sammlern von Kuriositäten (z. B. Bücherzeichen)
behilflich war. Anfragen um Aufklärung von Einzelheiten, z. B. einer mystischen
Titelvignette, beantwortete er mit liebevollem Eingehen auf Kleinigkeiten.
Reichlicher Gebrauch von dieser steten Hilfsbereitschaft machte König Ludwig II.,
der ihn namentlich zur Osterzeit mit religiösen Fragen überhäufte. Döllingers
Herz war voll von wahrer Menschenliebe; er sprach sich u. a. für einen stärker"
gesetzlichen Schutz der Frauen gegen die Verführung der Männer aus. In
frühern Jahren hatte er Pensionäre im Hause, und als der eine erkrankte,
am Typhus, der für ansteckend gehalten wurde, ließ er ihn doch nicht aus
seiner Wohnung ins Spital bringen, sondern pflegte ihn selbst. seinen Dienst¬
boten gegenüber war er von unendlicher Nachsicht, sie blieben auch Jahrzehnte
lang bei ihm. Er konnte sich väterlich fürsorglich zu seinen jungen Nichten
verhalten und Ratschläge über das Benehmen junger Mädchen erteilen. Er
selbst war sehr nüchtern, er trank uicht und rauchte nicht, das Wirtshaus war
ihm ein Greuel; aber seine Gäste fanden eine reichbesetzte Tafel bei ihm, an
der zuweilen auch der Champagner nicht fehlte. Dabei war er von dem
Gleichmute der Philosophen erfüllt. Einmal wurde eine Augenoperation an
ihm vollzogen; bis unmittelbar vorher ließ er sich vorlesen, als stünde ihm
nichts bevor, und kaum war die Operation vollzogen, so wurde die Vorlesung
sortgesetzt. An seinen akademischen Vortrügen arbeitete er mit der größten
Ruhe bis zur letzten Minute vor der Vorlesung, und wenn er die Kanzel be¬
stieg, verriet nichts eine innere Erregung. Er war nichts weniger als ein
Rechthaber und gab seinen Kollegen in der Akademie leicht nach, wenn es
sich um die Wahl des Themas handelte. Seine einzige Leidenschaft (wenn
man das Wort brauchen darf) waren Bücher. Als achtzehnjähriger Jüngling
erhielt er einmal den Auftrag, eine Klvsterbibliothek zu ordnen; niemand war
glücklicher als er dabei, denn da konnte er doch einmal ordentlich wühlen in
den Schätzen der Wissenschaft. Aber auch zu deu Künsten stand er in ver¬
trauten Beziehungen. Dem Maler Peter Heß gab er deu Stoff zu seinen
Bildern in der Bonifazinskirche zu München; wenn ihm Gemälde gefielen, so
sog er sie dermaßen in sich ein, daß er sie nach Jahren aufs anschaulichste


Ignaz von Döllinger

Döllinger war der gütigste und gefälligste Mensch, den man sich denken
kann, er büßte niemand als die Jesuiten, die er durchschaute. Seltsamerweise
sagt Frau von Kobell, er. habe sie durch eine „schwarze Brille" gesehen; ver¬
mutlich hat sie sagen wollen, er habe sie durch seine scharfe Brille schwarz
gesehen. Selbst über den Münchner Erzbischof Scherr, der einst sein Schüler
war und ihn 1870 Rom gehorchend exkommnnizirte, ließ Döllinger nie ein
böses Wort fallen. Im Privatverkehr fand man ihn stets hilfbereit. Gelehrte
wandten sich an ihn und seine ebenso reiche als auserlesene Bibliothek nie
vergebens um Hilfe. Aus dem überquellenden Schatz seines Wissens streute
er wissenschaftliche Anregungen nach allen Seiten hin aus. Seine Gefälligkeit
ging so weit, daß er sogar Sammlern von Kuriositäten (z. B. Bücherzeichen)
behilflich war. Anfragen um Aufklärung von Einzelheiten, z. B. einer mystischen
Titelvignette, beantwortete er mit liebevollem Eingehen auf Kleinigkeiten.
Reichlicher Gebrauch von dieser steten Hilfsbereitschaft machte König Ludwig II.,
der ihn namentlich zur Osterzeit mit religiösen Fragen überhäufte. Döllingers
Herz war voll von wahrer Menschenliebe; er sprach sich u. a. für einen stärker»
gesetzlichen Schutz der Frauen gegen die Verführung der Männer aus. In
frühern Jahren hatte er Pensionäre im Hause, und als der eine erkrankte,
am Typhus, der für ansteckend gehalten wurde, ließ er ihn doch nicht aus
seiner Wohnung ins Spital bringen, sondern pflegte ihn selbst. seinen Dienst¬
boten gegenüber war er von unendlicher Nachsicht, sie blieben auch Jahrzehnte
lang bei ihm. Er konnte sich väterlich fürsorglich zu seinen jungen Nichten
verhalten und Ratschläge über das Benehmen junger Mädchen erteilen. Er
selbst war sehr nüchtern, er trank uicht und rauchte nicht, das Wirtshaus war
ihm ein Greuel; aber seine Gäste fanden eine reichbesetzte Tafel bei ihm, an
der zuweilen auch der Champagner nicht fehlte. Dabei war er von dem
Gleichmute der Philosophen erfüllt. Einmal wurde eine Augenoperation an
ihm vollzogen; bis unmittelbar vorher ließ er sich vorlesen, als stünde ihm
nichts bevor, und kaum war die Operation vollzogen, so wurde die Vorlesung
sortgesetzt. An seinen akademischen Vortrügen arbeitete er mit der größten
Ruhe bis zur letzten Minute vor der Vorlesung, und wenn er die Kanzel be¬
stieg, verriet nichts eine innere Erregung. Er war nichts weniger als ein
Rechthaber und gab seinen Kollegen in der Akademie leicht nach, wenn es
sich um die Wahl des Themas handelte. Seine einzige Leidenschaft (wenn
man das Wort brauchen darf) waren Bücher. Als achtzehnjähriger Jüngling
erhielt er einmal den Auftrag, eine Klvsterbibliothek zu ordnen; niemand war
glücklicher als er dabei, denn da konnte er doch einmal ordentlich wühlen in
den Schätzen der Wissenschaft. Aber auch zu deu Künsten stand er in ver¬
trauten Beziehungen. Dem Maler Peter Heß gab er deu Stoff zu seinen
Bildern in der Bonifazinskirche zu München; wenn ihm Gemälde gefielen, so
sog er sie dermaßen in sich ein, daß er sie nach Jahren aufs anschaulichste


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[0175] Ignaz von Döllinger Döllinger war der gütigste und gefälligste Mensch, den man sich denken kann, er büßte niemand als die Jesuiten, die er durchschaute. Seltsamerweise sagt Frau von Kobell, er. habe sie durch eine „schwarze Brille" gesehen; ver¬ mutlich hat sie sagen wollen, er habe sie durch seine scharfe Brille schwarz gesehen. Selbst über den Münchner Erzbischof Scherr, der einst sein Schüler war und ihn 1870 Rom gehorchend exkommnnizirte, ließ Döllinger nie ein böses Wort fallen. Im Privatverkehr fand man ihn stets hilfbereit. Gelehrte wandten sich an ihn und seine ebenso reiche als auserlesene Bibliothek nie vergebens um Hilfe. Aus dem überquellenden Schatz seines Wissens streute er wissenschaftliche Anregungen nach allen Seiten hin aus. Seine Gefälligkeit ging so weit, daß er sogar Sammlern von Kuriositäten (z. B. Bücherzeichen) behilflich war. Anfragen um Aufklärung von Einzelheiten, z. B. einer mystischen Titelvignette, beantwortete er mit liebevollem Eingehen auf Kleinigkeiten. Reichlicher Gebrauch von dieser steten Hilfsbereitschaft machte König Ludwig II., der ihn namentlich zur Osterzeit mit religiösen Fragen überhäufte. Döllingers Herz war voll von wahrer Menschenliebe; er sprach sich u. a. für einen stärker» gesetzlichen Schutz der Frauen gegen die Verführung der Männer aus. In frühern Jahren hatte er Pensionäre im Hause, und als der eine erkrankte, am Typhus, der für ansteckend gehalten wurde, ließ er ihn doch nicht aus seiner Wohnung ins Spital bringen, sondern pflegte ihn selbst. seinen Dienst¬ boten gegenüber war er von unendlicher Nachsicht, sie blieben auch Jahrzehnte lang bei ihm. Er konnte sich väterlich fürsorglich zu seinen jungen Nichten verhalten und Ratschläge über das Benehmen junger Mädchen erteilen. Er selbst war sehr nüchtern, er trank uicht und rauchte nicht, das Wirtshaus war ihm ein Greuel; aber seine Gäste fanden eine reichbesetzte Tafel bei ihm, an der zuweilen auch der Champagner nicht fehlte. Dabei war er von dem Gleichmute der Philosophen erfüllt. Einmal wurde eine Augenoperation an ihm vollzogen; bis unmittelbar vorher ließ er sich vorlesen, als stünde ihm nichts bevor, und kaum war die Operation vollzogen, so wurde die Vorlesung sortgesetzt. An seinen akademischen Vortrügen arbeitete er mit der größten Ruhe bis zur letzten Minute vor der Vorlesung, und wenn er die Kanzel be¬ stieg, verriet nichts eine innere Erregung. Er war nichts weniger als ein Rechthaber und gab seinen Kollegen in der Akademie leicht nach, wenn es sich um die Wahl des Themas handelte. Seine einzige Leidenschaft (wenn man das Wort brauchen darf) waren Bücher. Als achtzehnjähriger Jüngling erhielt er einmal den Auftrag, eine Klvsterbibliothek zu ordnen; niemand war glücklicher als er dabei, denn da konnte er doch einmal ordentlich wühlen in den Schätzen der Wissenschaft. Aber auch zu deu Künsten stand er in ver¬ trauten Beziehungen. Dem Maler Peter Heß gab er deu Stoff zu seinen Bildern in der Bonifazinskirche zu München; wenn ihm Gemälde gefielen, so sog er sie dermaßen in sich ein, daß er sie nach Jahren aufs anschaulichste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/175>, abgerufen am 26.08.2024.