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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ignaz von Döllinger

teristisch für diesen mehr geschobenen als schiebenden NichtPolitiker ist anch
das Erlebnis mit Professor von Schulte, das die Herausgeberin mitteilt.
Schulte hatte in seinem 1886 veröffentlichten Buche über den Altkatholizismus
einige Briefe veröffentlicht, die König Ludwig II. wegen der Erklärung Döl-
lingers gegen das Unfehlbarkeitsdogma an diesen gerichtet hatte. Das ver¬
anlaßte Döllinger, in der "Allgemeinen Zeitung" zu erklären, daß er an dem
Abdruck dieser Briefe gänzlich unschuldig sei. Wie war aber Schulte in den
Besitz der königlichen Briefe gekommen? Dies erzählt Döllinger so: "Justizrat
von Schulte wohnte damals bei mir, wir besprachen sehr fleißig alles, was
sich auf deu Altkatholizismus bezog, und ließen uns gegenseitig die darauf
bezüglichen Schreiben lesen. Schulte nahm des öftern die an mich gerichteten
Briefe in sein Zimmer und machte sich, ohne daß ich es wußte, Abschriften
von denselben. So auch von dem Schreiben des Königs Ludwig II. an mich.
Ich war deshalb ganz erstaunt, als ich diese Briefe abgedruckt sah, und erhielt
von Justizrat von Schulte die Erklärung, ich möchte doch seine Handlung
entschuldigen, er habe hin und her überlegt, ob er mich wegen der Bekannt¬
machung der Briefe um Erlaubnis bitten solle oder nicht, die Sache aber kurzweg
dahin entschieden, daß er, ohne zu fragen, nach Gutdünken handle, da ich ihm
doch nur seine Bitte abschlagen würde, und die Wichtigkeit der Briefe für den
Altkatholizismus seine Unbescheidenheit gänzlich entschuldige. Schulte ist etwas
rücksichtslos, aber ich halte viel auf ihn, denn er gehört jedenfalls zu den
vier bedeutendsten Theologen, die wir jetzt in Enropa besitzen u. s. w." Schulte
ist "etwas rücksichtslos": diese gütige Wendung ist echt döllingerisch. Er hat
nie in seinem Leben ein unruhiges Gewissen gehabt; die einzige schlaflose
Nacht, die er znbrnchte, war die, wo er den Entschluß faßte, sich nicht dem
Dogma der Unfehlbarkeit zu unterwerfen, nicht etwa bloß, weil es den An¬
sprüchen der Vernunft ins Gesicht schlug, sondern weil es allen Überlieferungen
der Kirche selbst widersprach. Da entschloß er sich zu seiner That. Aber sich
an die Spitze der Gegenbewegung des Altkatholizismus zu stellen, entsprach
nicht seinem Charakter, er wurde kein neuer Luther, obwohl Döllingers Ver¬
ehrer gern dieses Wort gebrauchen. Frau von Kobell berichtet die denkwürdige
Äußerung Döllingers: "Nun kaun ich ja auch sagen, daß ich damals stark
durch König Ludwig II. in Versuchung geführt wurde, dn der Monarch meinte,
ich könnte trotz der Exkommunikation fortfahren, die Messe zu lesen. Ich sagte
dem König, ich dürfe dieses seinethalben nicht thun und auch meinethalben
nicht, da eine derartige Auflehnung gegen Papst und Kirche zu traurigen und
ernsten Konflikten führen müßte." Wenn Döllinger mit seiner Autorität jener
"Versuchung" des Königs erlegen wäre, dann wären die Folgen seines Auf¬
tretens allerdings kaum übersehbar gewesen. Aber er war ein Mann, der
sich mehr zu den stillen Denkern Melanchthon und Erasmus, als zu dem
Thatmenschen Luther und dem Gewaltmenschen Calvin hingezogen fühlte.


Ignaz von Döllinger

teristisch für diesen mehr geschobenen als schiebenden NichtPolitiker ist anch
das Erlebnis mit Professor von Schulte, das die Herausgeberin mitteilt.
Schulte hatte in seinem 1886 veröffentlichten Buche über den Altkatholizismus
einige Briefe veröffentlicht, die König Ludwig II. wegen der Erklärung Döl-
lingers gegen das Unfehlbarkeitsdogma an diesen gerichtet hatte. Das ver¬
anlaßte Döllinger, in der „Allgemeinen Zeitung" zu erklären, daß er an dem
Abdruck dieser Briefe gänzlich unschuldig sei. Wie war aber Schulte in den
Besitz der königlichen Briefe gekommen? Dies erzählt Döllinger so: „Justizrat
von Schulte wohnte damals bei mir, wir besprachen sehr fleißig alles, was
sich auf deu Altkatholizismus bezog, und ließen uns gegenseitig die darauf
bezüglichen Schreiben lesen. Schulte nahm des öftern die an mich gerichteten
Briefe in sein Zimmer und machte sich, ohne daß ich es wußte, Abschriften
von denselben. So auch von dem Schreiben des Königs Ludwig II. an mich.
Ich war deshalb ganz erstaunt, als ich diese Briefe abgedruckt sah, und erhielt
von Justizrat von Schulte die Erklärung, ich möchte doch seine Handlung
entschuldigen, er habe hin und her überlegt, ob er mich wegen der Bekannt¬
machung der Briefe um Erlaubnis bitten solle oder nicht, die Sache aber kurzweg
dahin entschieden, daß er, ohne zu fragen, nach Gutdünken handle, da ich ihm
doch nur seine Bitte abschlagen würde, und die Wichtigkeit der Briefe für den
Altkatholizismus seine Unbescheidenheit gänzlich entschuldige. Schulte ist etwas
rücksichtslos, aber ich halte viel auf ihn, denn er gehört jedenfalls zu den
vier bedeutendsten Theologen, die wir jetzt in Enropa besitzen u. s. w." Schulte
ist „etwas rücksichtslos": diese gütige Wendung ist echt döllingerisch. Er hat
nie in seinem Leben ein unruhiges Gewissen gehabt; die einzige schlaflose
Nacht, die er znbrnchte, war die, wo er den Entschluß faßte, sich nicht dem
Dogma der Unfehlbarkeit zu unterwerfen, nicht etwa bloß, weil es den An¬
sprüchen der Vernunft ins Gesicht schlug, sondern weil es allen Überlieferungen
der Kirche selbst widersprach. Da entschloß er sich zu seiner That. Aber sich
an die Spitze der Gegenbewegung des Altkatholizismus zu stellen, entsprach
nicht seinem Charakter, er wurde kein neuer Luther, obwohl Döllingers Ver¬
ehrer gern dieses Wort gebrauchen. Frau von Kobell berichtet die denkwürdige
Äußerung Döllingers: „Nun kaun ich ja auch sagen, daß ich damals stark
durch König Ludwig II. in Versuchung geführt wurde, dn der Monarch meinte,
ich könnte trotz der Exkommunikation fortfahren, die Messe zu lesen. Ich sagte
dem König, ich dürfe dieses seinethalben nicht thun und auch meinethalben
nicht, da eine derartige Auflehnung gegen Papst und Kirche zu traurigen und
ernsten Konflikten führen müßte." Wenn Döllinger mit seiner Autorität jener
„Versuchung" des Königs erlegen wäre, dann wären die Folgen seines Auf¬
tretens allerdings kaum übersehbar gewesen. Aber er war ein Mann, der
sich mehr zu den stillen Denkern Melanchthon und Erasmus, als zu dem
Thatmenschen Luther und dem Gewaltmenschen Calvin hingezogen fühlte.


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/174>, abgerufen am 26.08.2024.