Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dänischer Zeit

Lachen. "I du meine Güte! Zehn Jahre älter ist sie als ich! Nein, mein
Junge, solche alte Scharteke nimmt Christian Ehlers nicht!" Jürgen hörte
ihm gespannt zu, und als wir fortgingen, erzählte er mir. daß es schon früher,
in ganz alten Zeiten so gegangen sei, daß einer hätte heiraten wollen und
der andre nicht. Mein Bruder lernte nämlich schon biblische Geschichte, und
während er großmütig die Feigen mit mir "teilte," erzählte er mir von Joseph
und Potiphars Weib. Sie hatte gewollt, er nicht -- gerade so wie Tante
Feddersen und Herr Ehlers. Seit der Zeit ist Potiphars Weib für mich
eine alte Scharteke, bewaffnet mit Lineal und Hornbrille geblieben.

Einige Wochen später schickte mich unser Mädchen in der frühesten
Morgenstunde zu Ehlers. Sie hatte vergessen, etwas sehr Notwendiges ein¬
zukaufen, und ich ließ mich bereit finden, vor der Morgenmilch einen Gang
zu meinem Freunde zu machen. Als ich in den Laden trat, saß der Krämer
mit rvtblanem Gesicht auf der Essigtonne. Er hatte einen Strick um den
Hals und sah mit gläsernen Augen auf Tante Feddersen, die vor ihm stand
und sich in solcher Erregung befand, daß sie mein Kommen nicht bemerkte.
"Gott in bogen Himmel!" rief sie. "Ehlers, Ehlers, was fällt dich eigent¬
lich ein? An 'nen Schinkenhaken hast dich aufgehängt, und wenn ich mich
nich gerade forn Hamborger Schilling Sweinesmalz kaufen will, hängst dn
an den heutigen Morgen schon vor deinen himmlischen Richter! Und das
allens, weil du reinemang bankerott dust, was ich dich all ümmer gesagt!
Und ich hab gerade die alte Kleiderscherc bei mich, die ich nach 'n Smidt
bringen will, weil sie leine Spitz mehr hat und--" Hier drehte sich
Tante Feddersen leider um und sah in ein über alle Maßen neugieriges
Kindergesicht. In derselben Sekunde hatte sie mich aus der Thür geworfen,
hatte mich aber bei dieser Gelegenheit so unsanft angefaßt, daß ich heulend
nach Hause lief.

Obgleich mir verboten wurde, über mein Erlebnis zu sprechen, so hatten
doch wohl auch andre Leute Tante Fedderseu in Ehlers Laden gesehen. Bald
sprach die ganze Stadt davon, daß Ehlers sich hatte aufhängen wollen, weil
er seinen Schuldnern uicht hätte gerecht werden können; der Laden ward ge¬
schlossen, und es hieß, der lustige Krämer müsse sitzen. Aber da erschien
Tante Feddersen beim Bürgermeister und hatte in ihrem großen Strickbeutel
einige Strümpfe voll harter Speziesthaler, und Ehlers brauchte nicht zu sitzen.

Eines Tages liefen wir Kinder, so schnell uns unsre Füße trugen, in
die Kirche. Dort ward Ehlers mit Taute Fedderseu getraut, und dieses
Ereignis regte unsre kleine Stadt so ans, daß Jens Lanritzen, der an der
Kirchthür in voller Uniform stand, den andrängenden Müttern, die ihre neu¬
geborenen Kinder mitgenommen hatten, immer wieder sagen mußte: "Kein
Marsk unter ßeks Jahre darf hinein in das Kjerke!" Es war aber doch ein
furchtbares Gedränge, und alle sprachen laut über das Paar, das zusammen


Aus dänischer Zeit

Lachen. „I du meine Güte! Zehn Jahre älter ist sie als ich! Nein, mein
Junge, solche alte Scharteke nimmt Christian Ehlers nicht!" Jürgen hörte
ihm gespannt zu, und als wir fortgingen, erzählte er mir. daß es schon früher,
in ganz alten Zeiten so gegangen sei, daß einer hätte heiraten wollen und
der andre nicht. Mein Bruder lernte nämlich schon biblische Geschichte, und
während er großmütig die Feigen mit mir „teilte," erzählte er mir von Joseph
und Potiphars Weib. Sie hatte gewollt, er nicht — gerade so wie Tante
Feddersen und Herr Ehlers. Seit der Zeit ist Potiphars Weib für mich
eine alte Scharteke, bewaffnet mit Lineal und Hornbrille geblieben.

Einige Wochen später schickte mich unser Mädchen in der frühesten
Morgenstunde zu Ehlers. Sie hatte vergessen, etwas sehr Notwendiges ein¬
zukaufen, und ich ließ mich bereit finden, vor der Morgenmilch einen Gang
zu meinem Freunde zu machen. Als ich in den Laden trat, saß der Krämer
mit rvtblanem Gesicht auf der Essigtonne. Er hatte einen Strick um den
Hals und sah mit gläsernen Augen auf Tante Feddersen, die vor ihm stand
und sich in solcher Erregung befand, daß sie mein Kommen nicht bemerkte.
„Gott in bogen Himmel!" rief sie. „Ehlers, Ehlers, was fällt dich eigent¬
lich ein? An 'nen Schinkenhaken hast dich aufgehängt, und wenn ich mich
nich gerade forn Hamborger Schilling Sweinesmalz kaufen will, hängst dn
an den heutigen Morgen schon vor deinen himmlischen Richter! Und das
allens, weil du reinemang bankerott dust, was ich dich all ümmer gesagt!
Und ich hab gerade die alte Kleiderscherc bei mich, die ich nach 'n Smidt
bringen will, weil sie leine Spitz mehr hat und--" Hier drehte sich
Tante Feddersen leider um und sah in ein über alle Maßen neugieriges
Kindergesicht. In derselben Sekunde hatte sie mich aus der Thür geworfen,
hatte mich aber bei dieser Gelegenheit so unsanft angefaßt, daß ich heulend
nach Hause lief.

Obgleich mir verboten wurde, über mein Erlebnis zu sprechen, so hatten
doch wohl auch andre Leute Tante Fedderseu in Ehlers Laden gesehen. Bald
sprach die ganze Stadt davon, daß Ehlers sich hatte aufhängen wollen, weil
er seinen Schuldnern uicht hätte gerecht werden können; der Laden ward ge¬
schlossen, und es hieß, der lustige Krämer müsse sitzen. Aber da erschien
Tante Feddersen beim Bürgermeister und hatte in ihrem großen Strickbeutel
einige Strümpfe voll harter Speziesthaler, und Ehlers brauchte nicht zu sitzen.

Eines Tages liefen wir Kinder, so schnell uns unsre Füße trugen, in
die Kirche. Dort ward Ehlers mit Taute Fedderseu getraut, und dieses
Ereignis regte unsre kleine Stadt so ans, daß Jens Lanritzen, der an der
Kirchthür in voller Uniform stand, den andrängenden Müttern, die ihre neu¬
geborenen Kinder mitgenommen hatten, immer wieder sagen mußte: „Kein
Marsk unter ßeks Jahre darf hinein in das Kjerke!" Es war aber doch ein
furchtbares Gedränge, und alle sprachen laut über das Paar, das zusammen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289907"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus dänischer Zeit</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_382" prev="#ID_381"> Lachen. &#x201E;I du meine Güte! Zehn Jahre älter ist sie als ich! Nein, mein<lb/>
Junge, solche alte Scharteke nimmt Christian Ehlers nicht!" Jürgen hörte<lb/>
ihm gespannt zu, und als wir fortgingen, erzählte er mir. daß es schon früher,<lb/>
in ganz alten Zeiten so gegangen sei, daß einer hätte heiraten wollen und<lb/>
der andre nicht. Mein Bruder lernte nämlich schon biblische Geschichte, und<lb/>
während er großmütig die Feigen mit mir &#x201E;teilte," erzählte er mir von Joseph<lb/>
und Potiphars Weib. Sie hatte gewollt, er nicht &#x2014; gerade so wie Tante<lb/>
Feddersen und Herr Ehlers. Seit der Zeit ist Potiphars Weib für mich<lb/>
eine alte Scharteke, bewaffnet mit Lineal und Hornbrille geblieben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_383"> Einige Wochen später schickte mich unser Mädchen in der frühesten<lb/>
Morgenstunde zu Ehlers. Sie hatte vergessen, etwas sehr Notwendiges ein¬<lb/>
zukaufen, und ich ließ mich bereit finden, vor der Morgenmilch einen Gang<lb/>
zu meinem Freunde zu machen. Als ich in den Laden trat, saß der Krämer<lb/>
mit rvtblanem Gesicht auf der Essigtonne. Er hatte einen Strick um den<lb/>
Hals und sah mit gläsernen Augen auf Tante Feddersen, die vor ihm stand<lb/>
und sich in solcher Erregung befand, daß sie mein Kommen nicht bemerkte.<lb/>
&#x201E;Gott in bogen Himmel!" rief sie. &#x201E;Ehlers, Ehlers, was fällt dich eigent¬<lb/>
lich ein? An 'nen Schinkenhaken hast dich aufgehängt, und wenn ich mich<lb/>
nich gerade forn Hamborger Schilling Sweinesmalz kaufen will, hängst dn<lb/>
an den heutigen Morgen schon vor deinen himmlischen Richter! Und das<lb/>
allens, weil du reinemang bankerott dust, was ich dich all ümmer gesagt!<lb/>
Und ich hab gerade die alte Kleiderscherc bei mich, die ich nach 'n Smidt<lb/>
bringen will, weil sie leine Spitz mehr hat und--"  Hier drehte sich<lb/>
Tante Feddersen leider um und sah in ein über alle Maßen neugieriges<lb/>
Kindergesicht. In derselben Sekunde hatte sie mich aus der Thür geworfen,<lb/>
hatte mich aber bei dieser Gelegenheit so unsanft angefaßt, daß ich heulend<lb/>
nach Hause lief.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_384"> Obgleich mir verboten wurde, über mein Erlebnis zu sprechen, so hatten<lb/>
doch wohl auch andre Leute Tante Fedderseu in Ehlers Laden gesehen. Bald<lb/>
sprach die ganze Stadt davon, daß Ehlers sich hatte aufhängen wollen, weil<lb/>
er seinen Schuldnern uicht hätte gerecht werden können; der Laden ward ge¬<lb/>
schlossen, und es hieß, der lustige Krämer müsse sitzen. Aber da erschien<lb/>
Tante Feddersen beim Bürgermeister und hatte in ihrem großen Strickbeutel<lb/>
einige Strümpfe voll harter Speziesthaler, und Ehlers brauchte nicht zu sitzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_385" next="#ID_386"> Eines Tages liefen wir Kinder, so schnell uns unsre Füße trugen, in<lb/>
die Kirche. Dort ward Ehlers mit Taute Fedderseu getraut, und dieses<lb/>
Ereignis regte unsre kleine Stadt so ans, daß Jens Lanritzen, der an der<lb/>
Kirchthür in voller Uniform stand, den andrängenden Müttern, die ihre neu¬<lb/>
geborenen Kinder mitgenommen hatten, immer wieder sagen mußte: &#x201E;Kein<lb/>
Marsk unter ßeks Jahre darf hinein in das Kjerke!" Es war aber doch ein<lb/>
furchtbares Gedränge, und alle sprachen laut über das Paar, das zusammen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] Aus dänischer Zeit Lachen. „I du meine Güte! Zehn Jahre älter ist sie als ich! Nein, mein Junge, solche alte Scharteke nimmt Christian Ehlers nicht!" Jürgen hörte ihm gespannt zu, und als wir fortgingen, erzählte er mir. daß es schon früher, in ganz alten Zeiten so gegangen sei, daß einer hätte heiraten wollen und der andre nicht. Mein Bruder lernte nämlich schon biblische Geschichte, und während er großmütig die Feigen mit mir „teilte," erzählte er mir von Joseph und Potiphars Weib. Sie hatte gewollt, er nicht — gerade so wie Tante Feddersen und Herr Ehlers. Seit der Zeit ist Potiphars Weib für mich eine alte Scharteke, bewaffnet mit Lineal und Hornbrille geblieben. Einige Wochen später schickte mich unser Mädchen in der frühesten Morgenstunde zu Ehlers. Sie hatte vergessen, etwas sehr Notwendiges ein¬ zukaufen, und ich ließ mich bereit finden, vor der Morgenmilch einen Gang zu meinem Freunde zu machen. Als ich in den Laden trat, saß der Krämer mit rvtblanem Gesicht auf der Essigtonne. Er hatte einen Strick um den Hals und sah mit gläsernen Augen auf Tante Feddersen, die vor ihm stand und sich in solcher Erregung befand, daß sie mein Kommen nicht bemerkte. „Gott in bogen Himmel!" rief sie. „Ehlers, Ehlers, was fällt dich eigent¬ lich ein? An 'nen Schinkenhaken hast dich aufgehängt, und wenn ich mich nich gerade forn Hamborger Schilling Sweinesmalz kaufen will, hängst dn an den heutigen Morgen schon vor deinen himmlischen Richter! Und das allens, weil du reinemang bankerott dust, was ich dich all ümmer gesagt! Und ich hab gerade die alte Kleiderscherc bei mich, die ich nach 'n Smidt bringen will, weil sie leine Spitz mehr hat und--" Hier drehte sich Tante Feddersen leider um und sah in ein über alle Maßen neugieriges Kindergesicht. In derselben Sekunde hatte sie mich aus der Thür geworfen, hatte mich aber bei dieser Gelegenheit so unsanft angefaßt, daß ich heulend nach Hause lief. Obgleich mir verboten wurde, über mein Erlebnis zu sprechen, so hatten doch wohl auch andre Leute Tante Fedderseu in Ehlers Laden gesehen. Bald sprach die ganze Stadt davon, daß Ehlers sich hatte aufhängen wollen, weil er seinen Schuldnern uicht hätte gerecht werden können; der Laden ward ge¬ schlossen, und es hieß, der lustige Krämer müsse sitzen. Aber da erschien Tante Feddersen beim Bürgermeister und hatte in ihrem großen Strickbeutel einige Strümpfe voll harter Speziesthaler, und Ehlers brauchte nicht zu sitzen. Eines Tages liefen wir Kinder, so schnell uns unsre Füße trugen, in die Kirche. Dort ward Ehlers mit Taute Fedderseu getraut, und dieses Ereignis regte unsre kleine Stadt so ans, daß Jens Lanritzen, der an der Kirchthür in voller Uniform stand, den andrängenden Müttern, die ihre neu¬ geborenen Kinder mitgenommen hatten, immer wieder sagen mußte: „Kein Marsk unter ßeks Jahre darf hinein in das Kjerke!" Es war aber doch ein furchtbares Gedränge, und alle sprachen laut über das Paar, das zusammen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/139>, abgerufen am 26.08.2024.