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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

110 Jahre alt sein sollte. Mir gefiel Tante Feddersen sehr gut in ihrem
schwarze" Kleide und in ihrer Mütze mit langen Lilabändern. Sie sah sich
ernst ringsum, während Ehlers mit niedergeschlagenen Augen neben ihr stand.
"So hat Potiphars Weib doch ihren Willen durchgesetzt," flüsterte ich Jürgen
zu, der an meiner Seite stand. Aber er antwortete ärgerlich, ich sollte kein
dummes Zeug reden, sondern lieber zusehen, ob man an Ehlers Halse noch
einen roten Strich erblicken könnte. Und so starrten wir denn den Bräutigam
unausgesetzt während der ganzen Feierlichkeit an, was ihm gewiß sehr auge¬
nehm war.

Nun wohnte Herr Ehlers bei Tante Feddersen, ein Umstand, den wir
ebenso wenig begreifen konnten, als das Verlangen der jungen Fran, Fran
Ehlers genannt zu werden. Dieser Wunsch ward ihr durchaus nicht
erfüllt. Die kleinen Kinder konnten wohl a-b ab lernen, aber daß Tante
Feddersen jetzt anders heiße, vermochten sie nicht zu begreifen. Sie blieb
Tante Feddersen, und da Ehlers jetzt beim Unterricht verwandt wurde, so
nannten die Kleinen ihn Onkel Feddersen. Er war, wie sie sagten, "besser"
als Tante Feddersen und gab ihnen manchmal ein Stück Kandiszucker, wenn
seine Frau nicht im Zimmer war. Aber aus dem vergnügten, dicken Ehlers
wurde ein magerer, stiller Onkel Feddersen. Wenn wir, seine alten Freunde,
ihm begegneten und ihm zunickten, lächelte er zerstreut und sah zur Seite.
Zum Zeichen, daß sich meine Freundschaft stets gleichblieb, obgleich er mir
nichts mehr "zugeben" konnte, fragte ich ihn, ob das Aufhängen sehr weh
thue; aber zu meiner Überraschung kehrte er sich ab und antwortete gar uicht.
Andern Kindern erging es ähnlich, und so ward uns "Onkel Feddersen" lang¬
weilig und wurde nach Art der undankbaren Welt endlich ganz von uns vergessen.

Unsre Teilnahme für ihn erwachte erst wieder, als wir hörten, daß er
plötzlich gestorben sei. Da liefen wir alle zu Tante Feddersen, um die Leiche
noch einmal zu sehen. Wir wurden aber alle aus der Thür geworfen und
mußten uus damit begnügen, dem Begräbnis auf dein Kirchhofe beizuwohnen,
was wir denn anch thaten, obgleich es uns längst nicht so gefiel, wie die
Trauung vorm Jahre. Die erwachsenen Leute, die mit uns auf dein Kirch¬
hofe standen, sagten, Ehlers sei an der Auszehrung und an der Taute Feddersen
gestorben, und alle bedauerten ihn und meinten, das käme davon! "Wovon?"
fragte ich neugierig, und die Antwort war: "Kind, das verstehst dn nicht!"
Später habe ich einsehen lernen, daß die erwachsenen Menschen das Leben mit
seinen Rätseln auch uicht verstehen, damals aber war ich sehr beleidigt über
diese Antwort.

Tante Feddersen hat noch viele Jahre unterrichtet, und nach Ehlers Tode
war sie mit der deutschen Sprache gespannter als je zuvor. Ich sah sie später
einmal wieder, da sprach sie gerade über "die Manners." "Sie langen alle
nix!" sagte sie böse. "Kaum hat man sie, dann kneifen sie wieder aus!


Aus dänischer Zeit

110 Jahre alt sein sollte. Mir gefiel Tante Feddersen sehr gut in ihrem
schwarze» Kleide und in ihrer Mütze mit langen Lilabändern. Sie sah sich
ernst ringsum, während Ehlers mit niedergeschlagenen Augen neben ihr stand.
„So hat Potiphars Weib doch ihren Willen durchgesetzt," flüsterte ich Jürgen
zu, der an meiner Seite stand. Aber er antwortete ärgerlich, ich sollte kein
dummes Zeug reden, sondern lieber zusehen, ob man an Ehlers Halse noch
einen roten Strich erblicken könnte. Und so starrten wir denn den Bräutigam
unausgesetzt während der ganzen Feierlichkeit an, was ihm gewiß sehr auge¬
nehm war.

Nun wohnte Herr Ehlers bei Tante Feddersen, ein Umstand, den wir
ebenso wenig begreifen konnten, als das Verlangen der jungen Fran, Fran
Ehlers genannt zu werden. Dieser Wunsch ward ihr durchaus nicht
erfüllt. Die kleinen Kinder konnten wohl a-b ab lernen, aber daß Tante
Feddersen jetzt anders heiße, vermochten sie nicht zu begreifen. Sie blieb
Tante Feddersen, und da Ehlers jetzt beim Unterricht verwandt wurde, so
nannten die Kleinen ihn Onkel Feddersen. Er war, wie sie sagten, „besser"
als Tante Feddersen und gab ihnen manchmal ein Stück Kandiszucker, wenn
seine Frau nicht im Zimmer war. Aber aus dem vergnügten, dicken Ehlers
wurde ein magerer, stiller Onkel Feddersen. Wenn wir, seine alten Freunde,
ihm begegneten und ihm zunickten, lächelte er zerstreut und sah zur Seite.
Zum Zeichen, daß sich meine Freundschaft stets gleichblieb, obgleich er mir
nichts mehr „zugeben" konnte, fragte ich ihn, ob das Aufhängen sehr weh
thue; aber zu meiner Überraschung kehrte er sich ab und antwortete gar uicht.
Andern Kindern erging es ähnlich, und so ward uns „Onkel Feddersen" lang¬
weilig und wurde nach Art der undankbaren Welt endlich ganz von uns vergessen.

Unsre Teilnahme für ihn erwachte erst wieder, als wir hörten, daß er
plötzlich gestorben sei. Da liefen wir alle zu Tante Feddersen, um die Leiche
noch einmal zu sehen. Wir wurden aber alle aus der Thür geworfen und
mußten uus damit begnügen, dem Begräbnis auf dein Kirchhofe beizuwohnen,
was wir denn anch thaten, obgleich es uns längst nicht so gefiel, wie die
Trauung vorm Jahre. Die erwachsenen Leute, die mit uns auf dein Kirch¬
hofe standen, sagten, Ehlers sei an der Auszehrung und an der Taute Feddersen
gestorben, und alle bedauerten ihn und meinten, das käme davon! „Wovon?"
fragte ich neugierig, und die Antwort war: „Kind, das verstehst dn nicht!"
Später habe ich einsehen lernen, daß die erwachsenen Menschen das Leben mit
seinen Rätseln auch uicht verstehen, damals aber war ich sehr beleidigt über
diese Antwort.

Tante Feddersen hat noch viele Jahre unterrichtet, und nach Ehlers Tode
war sie mit der deutschen Sprache gespannter als je zuvor. Ich sah sie später
einmal wieder, da sprach sie gerade über „die Manners." „Sie langen alle
nix!" sagte sie böse. „Kaum hat man sie, dann kneifen sie wieder aus!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/140>, abgerufen am 23.07.2024.