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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Rückkehr in die Hallen der Wissenschaft zu bewegen. Seit diesem Tage be¬
stand sein Verhältnis zur Schule eigentlich nur darin, daß er sie schwärzte,
und Taute Feddersen erlebte nicht viele Freude an ihm. Er aber wußte
mancherlei von ihr zu berichten: daß sie immerfort Kaffee trinke und dabei
Kandiszucker lutsche, daß sie sich manchmal die Haare mache und die Haar¬
nadeln in den Mund nehme u. s. w. Bei uus in Schleswig-Holstein gab es
früher noch kein besondres Examen für die, die eine Kleinkinderschule besaßen,
und das war gut für Tante Feddersen. Sie stand nämlich mit der deutschen
Sprache auf sehr gespanntem Fuße, vor allein mit den Geschlechtswörtern.
Mein Bruder erregte unsre lebhafteste Freude, als er plötzlich die Manu, das
Apfel, das Kartoffel, die Hund sagte; daß es auch ein männliches Geschlecht
auf der Welt gab, schien Tante Feddersen nicht zu ahnen. So wurde ihr
deun die Belehrung unsers Kleinen doch entzogen, was sie sehr übel nahm,
ja sie sprach laut darüber, "wie komisch es doch sei, daß gewisse Leute ihr
Fleisch und Blut in die Wildnis aufwachsen ließen."

Ganz in unsrer Nähe wohnte der Krämer Ehlers, ein älterer Mann mit
kahlem .Kopf und lustigem, rotem Gesicht. Wir Kinder liebten ihn leiden¬
schaftlich, weil er uns immer "was zugab," wenn wir bei ihm kaufte", und
erschienen daher oft in seinem Laden. Einer meiner ältern Brüder lief sogar
zu Ehlers, wenn er wissen wollte, wieviel die Uhr sei, und rief, nachdem er
Auskunft erhalten hatte: "Nu noch een paar Plummen lau!" Auch dieser
Wunsch wurde erfüllt, und wir alle glaubten, daß unser dänischer König nicht
halb so nett sei, wie unser guter Krämer. Erwachsene Leute waren freilich
nicht dieser Ansicht; Jens Lauritzen, unsers Großvaters Polizeidiener und ein
Kopenhagens Kind, erklärte Ehlers für einen "Swindler" und behauptete,
es würde einst ein "slimmes Ende" mit ihm nehmen. Aber diese Ansicht
hinderte uus nicht, Ehlers bei allen Einkäufen zu begünstigen.

Als ich eines Tages zum Privatgebrnuch für eiuen Schilling Feigen
kaufte, stand Tante Feddersen vor Ehlers und forderte ein Pfund Zucker und
eine halbe Flasche Jamciikarnm. "Zum Einreiben!" setzte sie mit feierlichem
Ernst hinzu, und Ehlers bediente sie mit seinem freundlichsten Lächeln. Als
sie gegangen war, winkte er mir geheimnisvoll zu. "Das wird auch bloß
innerlich eingerieben!" flüsterte er. Ich war damals noch nicht weise genug,
diese Bemerkung zu verstehen, und sah ihn fragend an. Aber nach Art un¬
gebildeter Leute, die mit Kindern alles besprechen, fuhr Ehlers mit noch ge¬
heimnisvollerer Miene fort: "Früher wollte sie mir mal heiraten und hat
mich auch 'u Brief geschrieben! Liebe Zeit, hab ich damals gelacht! Ich hab
ihr garnicht geantwortet, und nun kommt sie immer und läuft was bei unes!"
"Heirate sie doch!" sagte mein älterer Bruder Jürgen, der den Feigeneinkans
gewittert hatte und mir, wie immer bei solchen Gelegenheiten, mit großer
Zärtlichkeit gefolgt war. Herrn Ehlers rotes Gesicht ward uoch röter vor


Aus dänischer Zeit

Rückkehr in die Hallen der Wissenschaft zu bewegen. Seit diesem Tage be¬
stand sein Verhältnis zur Schule eigentlich nur darin, daß er sie schwärzte,
und Taute Feddersen erlebte nicht viele Freude an ihm. Er aber wußte
mancherlei von ihr zu berichten: daß sie immerfort Kaffee trinke und dabei
Kandiszucker lutsche, daß sie sich manchmal die Haare mache und die Haar¬
nadeln in den Mund nehme u. s. w. Bei uus in Schleswig-Holstein gab es
früher noch kein besondres Examen für die, die eine Kleinkinderschule besaßen,
und das war gut für Tante Feddersen. Sie stand nämlich mit der deutschen
Sprache auf sehr gespanntem Fuße, vor allein mit den Geschlechtswörtern.
Mein Bruder erregte unsre lebhafteste Freude, als er plötzlich die Manu, das
Apfel, das Kartoffel, die Hund sagte; daß es auch ein männliches Geschlecht
auf der Welt gab, schien Tante Feddersen nicht zu ahnen. So wurde ihr
deun die Belehrung unsers Kleinen doch entzogen, was sie sehr übel nahm,
ja sie sprach laut darüber, „wie komisch es doch sei, daß gewisse Leute ihr
Fleisch und Blut in die Wildnis aufwachsen ließen."

Ganz in unsrer Nähe wohnte der Krämer Ehlers, ein älterer Mann mit
kahlem .Kopf und lustigem, rotem Gesicht. Wir Kinder liebten ihn leiden¬
schaftlich, weil er uns immer „was zugab," wenn wir bei ihm kaufte», und
erschienen daher oft in seinem Laden. Einer meiner ältern Brüder lief sogar
zu Ehlers, wenn er wissen wollte, wieviel die Uhr sei, und rief, nachdem er
Auskunft erhalten hatte: „Nu noch een paar Plummen lau!" Auch dieser
Wunsch wurde erfüllt, und wir alle glaubten, daß unser dänischer König nicht
halb so nett sei, wie unser guter Krämer. Erwachsene Leute waren freilich
nicht dieser Ansicht; Jens Lauritzen, unsers Großvaters Polizeidiener und ein
Kopenhagens Kind, erklärte Ehlers für einen „Swindler" und behauptete,
es würde einst ein „slimmes Ende" mit ihm nehmen. Aber diese Ansicht
hinderte uus nicht, Ehlers bei allen Einkäufen zu begünstigen.

Als ich eines Tages zum Privatgebrnuch für eiuen Schilling Feigen
kaufte, stand Tante Feddersen vor Ehlers und forderte ein Pfund Zucker und
eine halbe Flasche Jamciikarnm. „Zum Einreiben!" setzte sie mit feierlichem
Ernst hinzu, und Ehlers bediente sie mit seinem freundlichsten Lächeln. Als
sie gegangen war, winkte er mir geheimnisvoll zu. „Das wird auch bloß
innerlich eingerieben!" flüsterte er. Ich war damals noch nicht weise genug,
diese Bemerkung zu verstehen, und sah ihn fragend an. Aber nach Art un¬
gebildeter Leute, die mit Kindern alles besprechen, fuhr Ehlers mit noch ge¬
heimnisvollerer Miene fort: „Früher wollte sie mir mal heiraten und hat
mich auch 'u Brief geschrieben! Liebe Zeit, hab ich damals gelacht! Ich hab
ihr garnicht geantwortet, und nun kommt sie immer und läuft was bei unes!"
„Heirate sie doch!" sagte mein älterer Bruder Jürgen, der den Feigeneinkans
gewittert hatte und mir, wie immer bei solchen Gelegenheiten, mit großer
Zärtlichkeit gefolgt war. Herrn Ehlers rotes Gesicht ward uoch röter vor


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[0138] Aus dänischer Zeit Rückkehr in die Hallen der Wissenschaft zu bewegen. Seit diesem Tage be¬ stand sein Verhältnis zur Schule eigentlich nur darin, daß er sie schwärzte, und Taute Feddersen erlebte nicht viele Freude an ihm. Er aber wußte mancherlei von ihr zu berichten: daß sie immerfort Kaffee trinke und dabei Kandiszucker lutsche, daß sie sich manchmal die Haare mache und die Haar¬ nadeln in den Mund nehme u. s. w. Bei uus in Schleswig-Holstein gab es früher noch kein besondres Examen für die, die eine Kleinkinderschule besaßen, und das war gut für Tante Feddersen. Sie stand nämlich mit der deutschen Sprache auf sehr gespanntem Fuße, vor allein mit den Geschlechtswörtern. Mein Bruder erregte unsre lebhafteste Freude, als er plötzlich die Manu, das Apfel, das Kartoffel, die Hund sagte; daß es auch ein männliches Geschlecht auf der Welt gab, schien Tante Feddersen nicht zu ahnen. So wurde ihr deun die Belehrung unsers Kleinen doch entzogen, was sie sehr übel nahm, ja sie sprach laut darüber, „wie komisch es doch sei, daß gewisse Leute ihr Fleisch und Blut in die Wildnis aufwachsen ließen." Ganz in unsrer Nähe wohnte der Krämer Ehlers, ein älterer Mann mit kahlem .Kopf und lustigem, rotem Gesicht. Wir Kinder liebten ihn leiden¬ schaftlich, weil er uns immer „was zugab," wenn wir bei ihm kaufte», und erschienen daher oft in seinem Laden. Einer meiner ältern Brüder lief sogar zu Ehlers, wenn er wissen wollte, wieviel die Uhr sei, und rief, nachdem er Auskunft erhalten hatte: „Nu noch een paar Plummen lau!" Auch dieser Wunsch wurde erfüllt, und wir alle glaubten, daß unser dänischer König nicht halb so nett sei, wie unser guter Krämer. Erwachsene Leute waren freilich nicht dieser Ansicht; Jens Lauritzen, unsers Großvaters Polizeidiener und ein Kopenhagens Kind, erklärte Ehlers für einen „Swindler" und behauptete, es würde einst ein „slimmes Ende" mit ihm nehmen. Aber diese Ansicht hinderte uus nicht, Ehlers bei allen Einkäufen zu begünstigen. Als ich eines Tages zum Privatgebrnuch für eiuen Schilling Feigen kaufte, stand Tante Feddersen vor Ehlers und forderte ein Pfund Zucker und eine halbe Flasche Jamciikarnm. „Zum Einreiben!" setzte sie mit feierlichem Ernst hinzu, und Ehlers bediente sie mit seinem freundlichsten Lächeln. Als sie gegangen war, winkte er mir geheimnisvoll zu. „Das wird auch bloß innerlich eingerieben!" flüsterte er. Ich war damals noch nicht weise genug, diese Bemerkung zu verstehen, und sah ihn fragend an. Aber nach Art un¬ gebildeter Leute, die mit Kindern alles besprechen, fuhr Ehlers mit noch ge¬ heimnisvollerer Miene fort: „Früher wollte sie mir mal heiraten und hat mich auch 'u Brief geschrieben! Liebe Zeit, hab ich damals gelacht! Ich hab ihr garnicht geantwortet, und nun kommt sie immer und läuft was bei unes!" „Heirate sie doch!" sagte mein älterer Bruder Jürgen, der den Feigeneinkans gewittert hatte und mir, wie immer bei solchen Gelegenheiten, mit großer Zärtlichkeit gefolgt war. Herrn Ehlers rotes Gesicht ward uoch röter vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/138>, abgerufen am 23.07.2024.