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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Finnland

Natürlich ist das Buch Dcmielsons nicht ohne Erwiderung geblieben,
wenn man auch die auf Thatsachen gegründete Beweisführung nicht umstoßen
konnte. Seinem Schicksale wird Finnland auch durch noch so tapfre Abwehr
kaum entgehen. Langsam aber sicher wird es in der Umarmung des russischen
Kolosses seine Selbständigkeit erstarren sehen, wie es mit den deutschen Ostsee¬
provinzen bereits der Fall ist.

Einige Beruhigung gewährte es, als verlautete, daß der Zar geäußert
habe, es sei nun genug mit deu Verfolgungen, und als der Genernlgouverneur
für Finnland Graf Heiden, der einem russischen Geschlecht entstammt, endlich
in russischen Blättern -- wie man annimmt, mit Billigung des Zaren --
eine Antwort auf diese Angriffe erteilte, die gleichsam als eine Art Bestütignng
der finnischen Gerechtsame zu betrachten war. Die Freude der Finnländer
sollte aber nicht lange währen, denn Anfang des Jahres 1890 wurden un¬
vermutet drei Kommissionen ernannt, um, wie es hieß, "das finnische Zoll-,
Post- und Münzwesen in nähere Verbindung mit den russischen Institutionen
zu bringen." Gleichzeitig verlautete, daß das neue Strafgesetz ohne weiteres
suspendirt werden solle -- dasselbe Gesetz, das den beiden letzte" Landtagen
vorgelegen hatte, dort angenommen und von allerhöchster Seite bestätigt
worden war, sodaß es Anfang 1891 hätte in Kraft trete" können.

Diese Wolke", die den politischen Himmel Finnlands drohend überzogen,
gaben Veranlassung zu einem ungewöhnlichen Schritte. Die Wortführer der
vier Stände des finnischen Landtags^) nämlich begaben sich nach Petersburg
und suchten dort um eine Audienz beim Zaren nach, aber sie wurde ihnen
rundweg abgeschlagen. Nur der Wortführer des Priesterstandes, der Erz-
bischof, wurde vorgelassen. Er kam aber nicht dazu, sich über die Verhältnisse
seines Vaterlandes zu verbreite", denn der Kaiser soll seine Erklärungen mit
der Vemerknug abgebrochen haben, daß er n" der Treue der finnischen
Nation nicht zweifle, aber der Senat habe ihn betrogen. Diese Mitteilung
erhielt dadurch eine Art von Bestätigung, daß nicht lange hiernach dein
schon genannten Senator Mechelin, dem Verfasser mehrerer staatsrechtlicher
Arbeiten über das Verhältnis zu Nußland, nahe gelegt wurde, sein Abschieds¬
gesuch einzureichen.

Ehe wir uns etwas näher mit den genannten drei Kommissionen befassen,
mochten wir zunächst angeben, aus welchen Bestandteilen sich das Staatswesen
Finnlands zusammensetzt. Es sind dies 1. der Senat in Helsingfors, dessen
Mitglieder aller drei Jahre vom Kaiser "e" ernannt werden; 2. der Landtag,
der jedes Jahr zusammentritt und dessen drei nicht adliche Stände vom Volke
gewählt werden; das Staatssekretariat in Petersburg, dessen Chef, der Minister-



In Finnland besieht das Vierkammersysiem, und die Bvlksvertretcr teilen sich dem¬
gemäß in vier Stände: Adel, Priester, Bürger und Bauer".
Finnland

Natürlich ist das Buch Dcmielsons nicht ohne Erwiderung geblieben,
wenn man auch die auf Thatsachen gegründete Beweisführung nicht umstoßen
konnte. Seinem Schicksale wird Finnland auch durch noch so tapfre Abwehr
kaum entgehen. Langsam aber sicher wird es in der Umarmung des russischen
Kolosses seine Selbständigkeit erstarren sehen, wie es mit den deutschen Ostsee¬
provinzen bereits der Fall ist.

Einige Beruhigung gewährte es, als verlautete, daß der Zar geäußert
habe, es sei nun genug mit deu Verfolgungen, und als der Genernlgouverneur
für Finnland Graf Heiden, der einem russischen Geschlecht entstammt, endlich
in russischen Blättern — wie man annimmt, mit Billigung des Zaren —
eine Antwort auf diese Angriffe erteilte, die gleichsam als eine Art Bestütignng
der finnischen Gerechtsame zu betrachten war. Die Freude der Finnländer
sollte aber nicht lange währen, denn Anfang des Jahres 1890 wurden un¬
vermutet drei Kommissionen ernannt, um, wie es hieß, „das finnische Zoll-,
Post- und Münzwesen in nähere Verbindung mit den russischen Institutionen
zu bringen." Gleichzeitig verlautete, daß das neue Strafgesetz ohne weiteres
suspendirt werden solle — dasselbe Gesetz, das den beiden letzte» Landtagen
vorgelegen hatte, dort angenommen und von allerhöchster Seite bestätigt
worden war, sodaß es Anfang 1891 hätte in Kraft trete» können.

Diese Wolke», die den politischen Himmel Finnlands drohend überzogen,
gaben Veranlassung zu einem ungewöhnlichen Schritte. Die Wortführer der
vier Stände des finnischen Landtags^) nämlich begaben sich nach Petersburg
und suchten dort um eine Audienz beim Zaren nach, aber sie wurde ihnen
rundweg abgeschlagen. Nur der Wortführer des Priesterstandes, der Erz-
bischof, wurde vorgelassen. Er kam aber nicht dazu, sich über die Verhältnisse
seines Vaterlandes zu verbreite», denn der Kaiser soll seine Erklärungen mit
der Vemerknug abgebrochen haben, daß er n» der Treue der finnischen
Nation nicht zweifle, aber der Senat habe ihn betrogen. Diese Mitteilung
erhielt dadurch eine Art von Bestätigung, daß nicht lange hiernach dein
schon genannten Senator Mechelin, dem Verfasser mehrerer staatsrechtlicher
Arbeiten über das Verhältnis zu Nußland, nahe gelegt wurde, sein Abschieds¬
gesuch einzureichen.

Ehe wir uns etwas näher mit den genannten drei Kommissionen befassen,
mochten wir zunächst angeben, aus welchen Bestandteilen sich das Staatswesen
Finnlands zusammensetzt. Es sind dies 1. der Senat in Helsingfors, dessen
Mitglieder aller drei Jahre vom Kaiser »e» ernannt werden; 2. der Landtag,
der jedes Jahr zusammentritt und dessen drei nicht adliche Stände vom Volke
gewählt werden; das Staatssekretariat in Petersburg, dessen Chef, der Minister-



In Finnland besieht das Vierkammersysiem, und die Bvlksvertretcr teilen sich dem¬
gemäß in vier Stände: Adel, Priester, Bürger und Bauer».
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[0012] Finnland Natürlich ist das Buch Dcmielsons nicht ohne Erwiderung geblieben, wenn man auch die auf Thatsachen gegründete Beweisführung nicht umstoßen konnte. Seinem Schicksale wird Finnland auch durch noch so tapfre Abwehr kaum entgehen. Langsam aber sicher wird es in der Umarmung des russischen Kolosses seine Selbständigkeit erstarren sehen, wie es mit den deutschen Ostsee¬ provinzen bereits der Fall ist. Einige Beruhigung gewährte es, als verlautete, daß der Zar geäußert habe, es sei nun genug mit deu Verfolgungen, und als der Genernlgouverneur für Finnland Graf Heiden, der einem russischen Geschlecht entstammt, endlich in russischen Blättern — wie man annimmt, mit Billigung des Zaren — eine Antwort auf diese Angriffe erteilte, die gleichsam als eine Art Bestütignng der finnischen Gerechtsame zu betrachten war. Die Freude der Finnländer sollte aber nicht lange währen, denn Anfang des Jahres 1890 wurden un¬ vermutet drei Kommissionen ernannt, um, wie es hieß, „das finnische Zoll-, Post- und Münzwesen in nähere Verbindung mit den russischen Institutionen zu bringen." Gleichzeitig verlautete, daß das neue Strafgesetz ohne weiteres suspendirt werden solle — dasselbe Gesetz, das den beiden letzte» Landtagen vorgelegen hatte, dort angenommen und von allerhöchster Seite bestätigt worden war, sodaß es Anfang 1891 hätte in Kraft trete» können. Diese Wolke», die den politischen Himmel Finnlands drohend überzogen, gaben Veranlassung zu einem ungewöhnlichen Schritte. Die Wortführer der vier Stände des finnischen Landtags^) nämlich begaben sich nach Petersburg und suchten dort um eine Audienz beim Zaren nach, aber sie wurde ihnen rundweg abgeschlagen. Nur der Wortführer des Priesterstandes, der Erz- bischof, wurde vorgelassen. Er kam aber nicht dazu, sich über die Verhältnisse seines Vaterlandes zu verbreite», denn der Kaiser soll seine Erklärungen mit der Vemerknug abgebrochen haben, daß er n» der Treue der finnischen Nation nicht zweifle, aber der Senat habe ihn betrogen. Diese Mitteilung erhielt dadurch eine Art von Bestätigung, daß nicht lange hiernach dein schon genannten Senator Mechelin, dem Verfasser mehrerer staatsrechtlicher Arbeiten über das Verhältnis zu Nußland, nahe gelegt wurde, sein Abschieds¬ gesuch einzureichen. Ehe wir uns etwas näher mit den genannten drei Kommissionen befassen, mochten wir zunächst angeben, aus welchen Bestandteilen sich das Staatswesen Finnlands zusammensetzt. Es sind dies 1. der Senat in Helsingfors, dessen Mitglieder aller drei Jahre vom Kaiser »e» ernannt werden; 2. der Landtag, der jedes Jahr zusammentritt und dessen drei nicht adliche Stände vom Volke gewählt werden; das Staatssekretariat in Petersburg, dessen Chef, der Minister- In Finnland besieht das Vierkammersysiem, und die Bvlksvertretcr teilen sich dem¬ gemäß in vier Stände: Adel, Priester, Bürger und Bauer».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/12>, abgerufen am 23.07.2024.