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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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auf, viele bei gewissenlosen, oberflächlichen oder auch nnr unverständigen
Mütter", oder unter Verhältnissen, die es den Erziehenden schwer, wenn nicht
gar unmöglich machen, auf jedes Kind die Sorgfalt zu verwenden, deren es
zu seinem körperlichen und seelischen Gedeihen bedarf. Auch können sehr ge¬
schäftige häusliche Mütter ihre Tugenden den Töchtern wohl vererben, aber
"ur in seltnen Fällen anders anerziehen, als durch das gegebene Beispiel, das
im entscheidenden Augenblicke nachwirkt. Denn meist kommen diese Tugenden
zum Erstaunen der Mütter, die sich umsonst gemüht zu haben glaubten, erst
dann zum Vorschein, wenn die Töchter ihrer Erziehung längst entwachsen sind.
Zum Beibringen einer Sache genügt eben noch nicht, daß man sie beherrscht.
Endlich wird eine glückliche Ehe. die gewiß jeder für die normale, wünschens¬
werte Lösung des Rätsels hält, das das Schicksal für jedes junge Menschen-
Herz birgt, leichter verordnet als geschloffen. Die Versorgung aber durch eine
voraussichtlich unbefriedigende ist nicht menschenwürdig.

Auf dem Allgemeinerwerden dieser Einsicht beruht die Strömung, die
man die Frauenfrage nennt. Denn diese wird nicht von Eltern, Erziehern
oder sonstigen Theoretikern künstlich erzeugt, sondern sie entsteht in den Seelen
derer, denen sie gilt, und zwar, von dem Unkraut der Nachtreter abgesehen,
das ja aus jedem Boden schießt, jedesmal neu und nach schweren innern, oft
auch äußern Kämpfen.

Die Frauenfrage! Ihre Ursachen sind alt und wurzeln tief, aber eine
Wirkung übt sie gleich vielen andern Fragen wohl erst, seit dnrch den Auf¬
schwung, den unser gesellschaftliches Leben im ganzen nimmt, sich jeder be¬
rechtigt fühlt, die Berücksichtigung auch seiner Wünsche zu verlangen. Es
wird übrigens nicht nnr die Sache, sondern schon der bloße Name angefochten,
und nach einem meiner Gewährsmänner giebt es gar keine Frauen-, sondern
uur eine Altjungferufrage. Erschöpfend ist diese Bezeichnung aber selbst dann
nicht, wenn man mich verwitwete oder unglücklich verheiratete kinderlose
Frauen alte Jungfern "eure; denn die Frage beschäftigt sich mit den Frauen
schon lange, ehe sie in diese Klasse einzureihen sind. Ein andrer läßt nnr
die Kinderfrage gelten, und wen" man genau zusieht, sprechen sie alle uur
der Mämicrfrage das Recht zu. die Gemüter der Frauen zu beschäftigen.
Zum mindesten macht diese der Zeit "ach den Anfang, und so will auch ich
sie hier den andern voranstellen.

Ist ein Mädchen unter mehr oder weniger glücklichem Verhältnisse!! heran¬
gewachsen, so heißt es: sie soll heiraten! und je ""nmstößlicher einer diese"
Rat erteilt, desto deutlicher zeigt er, wie wenig er sich seiner Tragweite bewußt
ist. Aber selbst angenommen, die Ehe wäre unter alleu Umständen ein relatives
Glück, warum heirate" deu" so viele nicht, anch von denen, die noch nach
den altgewohnten Grundsätzen erzogen wurden? Manche gewiß, weil sie sich
erkunden, über Glück "ud Unglück ihre eigne" Ansichten zu haben und die


Grenzboten II 18V1

auf, viele bei gewissenlosen, oberflächlichen oder auch nnr unverständigen
Mütter», oder unter Verhältnissen, die es den Erziehenden schwer, wenn nicht
gar unmöglich machen, auf jedes Kind die Sorgfalt zu verwenden, deren es
zu seinem körperlichen und seelischen Gedeihen bedarf. Auch können sehr ge¬
schäftige häusliche Mütter ihre Tugenden den Töchtern wohl vererben, aber
»ur in seltnen Fällen anders anerziehen, als durch das gegebene Beispiel, das
im entscheidenden Augenblicke nachwirkt. Denn meist kommen diese Tugenden
zum Erstaunen der Mütter, die sich umsonst gemüht zu haben glaubten, erst
dann zum Vorschein, wenn die Töchter ihrer Erziehung längst entwachsen sind.
Zum Beibringen einer Sache genügt eben noch nicht, daß man sie beherrscht.
Endlich wird eine glückliche Ehe. die gewiß jeder für die normale, wünschens¬
werte Lösung des Rätsels hält, das das Schicksal für jedes junge Menschen-
Herz birgt, leichter verordnet als geschloffen. Die Versorgung aber durch eine
voraussichtlich unbefriedigende ist nicht menschenwürdig.

Auf dem Allgemeinerwerden dieser Einsicht beruht die Strömung, die
man die Frauenfrage nennt. Denn diese wird nicht von Eltern, Erziehern
oder sonstigen Theoretikern künstlich erzeugt, sondern sie entsteht in den Seelen
derer, denen sie gilt, und zwar, von dem Unkraut der Nachtreter abgesehen,
das ja aus jedem Boden schießt, jedesmal neu und nach schweren innern, oft
auch äußern Kämpfen.

Die Frauenfrage! Ihre Ursachen sind alt und wurzeln tief, aber eine
Wirkung übt sie gleich vielen andern Fragen wohl erst, seit dnrch den Auf¬
schwung, den unser gesellschaftliches Leben im ganzen nimmt, sich jeder be¬
rechtigt fühlt, die Berücksichtigung auch seiner Wünsche zu verlangen. Es
wird übrigens nicht nnr die Sache, sondern schon der bloße Name angefochten,
und nach einem meiner Gewährsmänner giebt es gar keine Frauen-, sondern
uur eine Altjungferufrage. Erschöpfend ist diese Bezeichnung aber selbst dann
nicht, wenn man mich verwitwete oder unglücklich verheiratete kinderlose
Frauen alte Jungfern »eure; denn die Frage beschäftigt sich mit den Frauen
schon lange, ehe sie in diese Klasse einzureihen sind. Ein andrer läßt nnr
die Kinderfrage gelten, und wen» man genau zusieht, sprechen sie alle uur
der Mämicrfrage das Recht zu. die Gemüter der Frauen zu beschäftigen.
Zum mindesten macht diese der Zeit »ach den Anfang, und so will auch ich
sie hier den andern voranstellen.

Ist ein Mädchen unter mehr oder weniger glücklichem Verhältnisse!! heran¬
gewachsen, so heißt es: sie soll heiraten! und je »»nmstößlicher einer diese»
Rat erteilt, desto deutlicher zeigt er, wie wenig er sich seiner Tragweite bewußt
ist. Aber selbst angenommen, die Ehe wäre unter alleu Umständen ein relatives
Glück, warum heirate» deu» so viele nicht, anch von denen, die noch nach
den altgewohnten Grundsätzen erzogen wurden? Manche gewiß, weil sie sich
erkunden, über Glück »ud Unglück ihre eigne» Ansichten zu haben und die


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[0089] auf, viele bei gewissenlosen, oberflächlichen oder auch nnr unverständigen Mütter», oder unter Verhältnissen, die es den Erziehenden schwer, wenn nicht gar unmöglich machen, auf jedes Kind die Sorgfalt zu verwenden, deren es zu seinem körperlichen und seelischen Gedeihen bedarf. Auch können sehr ge¬ schäftige häusliche Mütter ihre Tugenden den Töchtern wohl vererben, aber »ur in seltnen Fällen anders anerziehen, als durch das gegebene Beispiel, das im entscheidenden Augenblicke nachwirkt. Denn meist kommen diese Tugenden zum Erstaunen der Mütter, die sich umsonst gemüht zu haben glaubten, erst dann zum Vorschein, wenn die Töchter ihrer Erziehung längst entwachsen sind. Zum Beibringen einer Sache genügt eben noch nicht, daß man sie beherrscht. Endlich wird eine glückliche Ehe. die gewiß jeder für die normale, wünschens¬ werte Lösung des Rätsels hält, das das Schicksal für jedes junge Menschen- Herz birgt, leichter verordnet als geschloffen. Die Versorgung aber durch eine voraussichtlich unbefriedigende ist nicht menschenwürdig. Auf dem Allgemeinerwerden dieser Einsicht beruht die Strömung, die man die Frauenfrage nennt. Denn diese wird nicht von Eltern, Erziehern oder sonstigen Theoretikern künstlich erzeugt, sondern sie entsteht in den Seelen derer, denen sie gilt, und zwar, von dem Unkraut der Nachtreter abgesehen, das ja aus jedem Boden schießt, jedesmal neu und nach schweren innern, oft auch äußern Kämpfen. Die Frauenfrage! Ihre Ursachen sind alt und wurzeln tief, aber eine Wirkung übt sie gleich vielen andern Fragen wohl erst, seit dnrch den Auf¬ schwung, den unser gesellschaftliches Leben im ganzen nimmt, sich jeder be¬ rechtigt fühlt, die Berücksichtigung auch seiner Wünsche zu verlangen. Es wird übrigens nicht nnr die Sache, sondern schon der bloße Name angefochten, und nach einem meiner Gewährsmänner giebt es gar keine Frauen-, sondern uur eine Altjungferufrage. Erschöpfend ist diese Bezeichnung aber selbst dann nicht, wenn man mich verwitwete oder unglücklich verheiratete kinderlose Frauen alte Jungfern »eure; denn die Frage beschäftigt sich mit den Frauen schon lange, ehe sie in diese Klasse einzureihen sind. Ein andrer läßt nnr die Kinderfrage gelten, und wen» man genau zusieht, sprechen sie alle uur der Mämicrfrage das Recht zu. die Gemüter der Frauen zu beschäftigen. Zum mindesten macht diese der Zeit »ach den Anfang, und so will auch ich sie hier den andern voranstellen. Ist ein Mädchen unter mehr oder weniger glücklichem Verhältnisse!! heran¬ gewachsen, so heißt es: sie soll heiraten! und je »»nmstößlicher einer diese» Rat erteilt, desto deutlicher zeigt er, wie wenig er sich seiner Tragweite bewußt ist. Aber selbst angenommen, die Ehe wäre unter alleu Umständen ein relatives Glück, warum heirate» deu» so viele nicht, anch von denen, die noch nach den altgewohnten Grundsätzen erzogen wurden? Manche gewiß, weil sie sich erkunden, über Glück »ud Unglück ihre eigne» Ansichten zu haben und die Grenzboten II 18V1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/89>, abgerufen am 05.07.2024.